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Zeitgefühl

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28.11.2017
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Zeitgefühl

Es fühlt sich an, als würde jemand mit einem festen Gegenstand gegen die Innenseite meiner Schläfe klopfen. Impulse in regelmäßigen Abständen, klopf, klopf, klopf.
Ich kann nicht genau sagen, wann die Kopfschmerzen begannen. Heute Morgen? Als ich aufstand, nahm ich sie jedenfalls noch nicht so deutlich wahr.
Auch als ich mit Berndt frühstückte, war noch alles in Ordnung. Er aß das, was er schon immer mochte. Zwei Brötchen, eins mit Quark und Schnittlauch, das andere bestrichen mit Marmelade.
Oder griff er heute doch zum Käse?
Ich versuche, mit beiden Händen meine Schläfen zu massieren. Kopfschmerzen in diesem Ausmaß hatte ich schon lange nicht mehr.
Natur sei die beste Medizin, sagt meine Mutter immer. Ich blicke auf das weite Wasser vor mir. Seeluft füllt meine Lungen und lässt meine Haare tanzen, aber meine Schmerzen kann sie mir nicht nehmen.
Eine Tablette würde helfen, aber ich greife so ungern auf Medizin zurück. Meine Mutter ist es auch, die mir beibrachte, dass kleine Hausmittelchen oft viel effektiver wirken als die pure Chemie des Arztes.
„Dienlich is‘ uns dat wahrhaftig nich‘, Lotte“, sagte sie mal, als sie mit einer Tablettenpackung in der Hand neben mir und meinem Bruder stand. „Wird uch immer teurer, dat Zeuch!“
Ich wollte einfach nichts nehmen. Nebenwirkungen haben die Tabletten doch auch. Ich seufze.
Ob Berndt auf seiner Arbeit wohl schon Mittagspause hat? Zum Glück habe ich immer meine Armbanduhr um. Ich verliere sonst so schnell das Zeitgefühl. Es ist kurz nach drei. Er hat also schon längst gegessen. Ich gebe ihm manchmal Salate mit, morgens frisch von mir zubereitet. Dazu belegte Brote oder auch mal Brötchen, wenn ich welche gebacken habe.
Gut hat er es mit mir.
Wenn er abends von der Arbeit kommt, steht das Essen schon auf dem Tisch. Er ist sehr froh darüber, und auch dankbar, das weiß ich.
Und dafür habe ich es gut mit ihm.
Das geht wahrhaftig nicht allen so mit ihren Männern. Ich denke an meine Freundin Renate und ihren Gatten Wolfram. Er piesakt sie ständig, die Ärmste ist über die Jahre ein verbitterter Schatten ihrer Selbst geworden. Ich habe sie als junge Studentin kennengelernt, selbstbewusst und lebensfroh.
Das spiegelnde Wasser wirft Sonnenstrahlen in mein Gesicht und ich schütze meine Augen mit vorgehaltener Hand, während sich eine Frau neben mich setzt. Ihr Haare hat sie zu einem festen Pferdeschwanz gebunden. Ich rutsche ein wenig zur Seite.
Wie alt ist Renate heute noch gleich?
Eine Entenfamilie gleitet langsam über die Wasseroberfläche. Wie schön es ist, ihr zuzuschauen. Hätte ich Brot in den Händen, hätte ich es ihr hingeworfen.
„Nun, Frau Schmidt, gehen wir rein?“, beginnt die Frau neben mir eine Unterhaltung. Ich sehe sie an. Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor, aber ich kann es nicht zuordnen. Sie legt eine Hand auf meinen Arm und überrumpelt mich durch diese direkte, persönliche Geste.
Verständnislos schaue ich sie an.
„Ich warte nur hier, bevor ich nachhause gehe und anfange, zu kochen. Mein Mann Berndt kommt gleich von der Arbeit.“, erkläre ich und ziehe meinen Arm weg.
Sie lächelt, greift meinen Arm nochmals und hakt sich bei mir unter.
Was soll denn das, was fällt dieser Frau ein?
Sie zieht mich sanft, dennoch bestimmt von der Bank, sodass ich gezwungen bin, aufzustehen. „Natürlich, Berndt… Kommen Sie, Frau Schmidt. Es gibt Kuchen. Sie essen in letzter Zeit doch so wenig. Die anderen sitzen auch schon am Tisch.“
Meine Körpergröße wirkt gegenüber der ihren zerbrechlich und klein.
Ich höre auf, mich zu wehren und füge mich ihrer Richtung.
Ich bin wohl alt geworden.

 

Hallo @Wortpianist,

du bis ja hier schon lange angemeldet, habe ich gesehen. Schön, dass du dich jetzt traust, auch etwas zu veröffentlichen! :) Du schreibst in deinem Profil, dass du "gegebenenfalls" deinen Sprachstil verbessern willst. Na, dieser Fall ist eigentlich immer gegeben, bei jedem von uns! ;)
Und bei dir findet sich natürlich auch einiges Verbesserungswürdiges. :D

Die Idee deiner kleinen Geschichte gefällt mir richtig gut, ich finde nur, du verschenkst viel Potential durch zum Teil langwierige Wiederholungen, und auch dadurch, dass das Erstaunen, das beim Leser am Ende entstehen könnte, zu sehr verwässerst, indem du zuviel vorweg nimmst.

Es fühlt sich an, als würde jemand mit einem festen Gegenstand gegen die Innenseite meiner Schläfe klopfen. Impulse in regelmäßigen Abständen,
klopf, klopf, klopf.
Die Absätze müssten mMn nicht sein, die lassen das Ganze etwas zu theatralisch erscheinen. Auch sonst etwas träge formuliert, um mich in den Text zu ziehen. Vllt. eher so in der Art: Etwas klopft in regelmäßigen Abständen gegen die Innenseite meiner Schläfen.
Als ich aufstand, nahm ich sie jedenfalls noch nicht so deutlich wahr.
Ist überflüssig für meinen Geschmack. Vllt. ist auch das nur persönliches Empfinden, aber ich finde das Präteritum hier etwas steif und altbacken, Perfekt würde auch gut passen.
Auch als ich mit Berndt frühstückte, war noch alles in Ordnung. Er aß das, was er schon immer mochte. Zwei Brötchen, eins mit Quark und Schnittlauch, das andere bestrichen mit Marmelade.
Oder griff er heute doch zum Käse?
Hier auch. Es sind doch ihre Gedanken - denkt denn jemand so: griff er heute zum Käse?
Kopfschmerzen in diesem Ausmaß habe ich wirklich schon lange nicht mehr gehabt.
Die Kopfschmerzen scheinen ja wichtig zu sein, vllt. auch als Übergang zum Spruch der Mutter, aber vllt. würde hier auch genügen: Diese Kopfschmerzen! Denn sonst langweilt es nur noch.
Natur sei die beste Medizin, hat meine Mutter immer gesagt.
Hier wäre eine gute Möglichkeit, den Leser noch im Dunkeln zu lassen. Nämlich, wenn du schreibst: sagt meine Mutter immer
Ich blicke auf das weite Wasser vor mir. Seeluft füllt meine Lungen und lässt meine Haare tanzen, aber meine Schmerzen kann sie mir nicht nehmen.
Meine, meine ...;) Das weite Wasser ist ja spannend, aber am Ende taucht es gar nicht nochmal auf, oder? Ist es dann nur ein kleiner Teich im Pflegeheimgarten?
Meine Mutter war es auch, die mir beigebracht hat, dass kleine Hausmittelchen oft viel effektiver wirken als die pure Chemie des Arztes.
Hier würde ich die Mutter und ihren Spruch auch wieder mehr in die Gegenwart verorten.
„Dienlich is‘ uns dat wahrhaftig nich‘, Lotte“, sagte sie mal, als sie mit einer Tablettenpackung in der Hand neben mir und meinem Bruder stand.
Wozu der Bruder?
Ich wollte einfach nichts nehmen. Nebenwirkungen haben die Tabletten doch auch. Ich seuftze.
Wann seufzte sie? Jetzt oder früher? Und ganz klar ist mir nicht, wann sie einfach nichts nehmen wollte?
Ich gebe ihm manchmal Salate mit, morgens frisch von mir zubereitet.
Etwas sperrig. Bessser .... die ich morgens frisch zubereite
Das spiegelnde Wasser wirft Sonnenstrahlen in mein Gesicht und ich schütze meine Augen mit vorgehaltender Hand, während sich eine Frau in weißem Oberteil neben mich setzt. Ihr Haare hat sie zu einem festen Pferdeschwanz gebunden. Ich rutsche ein wenig zur Seite
Hier würde ich jetzt gerne wisssen, was für ein Wasser das ist. Und die Überraschung mit der Pflegerin wäre gelungener, wenn du nicht vorher schon so viel erzählt hättest.
Eine Entenfamilie gleitet langsam über die Wasseroberfläche. Wie schön es ist, ihr zuzuschauen. Hätte ich Brot in den Händen gehabt, hätte ich es ihr hingeworfen.
Das Fette ist langweilig. Und warum gehabt? Wenn es von dir so gedacht ist, mit durcheinandergewürfelten Zeitformen das durcheinandergeratene Zeitgefühl zu zeigen, wäre das zwar eine gute Idee, funktioniert bei mir in der Ausführung allerdings nicht.
Meine Statur wirkt gegenüber der ihren zerbrechlich und greisenhaft. Ich höre auf, mich zu wehren und füge mich ihrer Richtung.
Der Satz ist sperrig. Außerdem stimmt die Perspektive nicht - sie sieht sich ja nicht, ihre Statur. Vllt. einfach: Ich fühle mich krumm und zerbrechlich ( greisenhaft würde ich nicht schreiben, weil du damit die Pointe im letzten Satz verwässerst. Und füge mich ihrer Richtung geht garantiert auch besser. ;)
Ich bin wohl alt geworden.
Den finde ich richtig gut! :thumbsup:
Also, Wortpianist, ich hoffe, da ist etwas Hilfreiches für dich dabei in meinem Kommentar. Die Idee deiner Geschichte finde ich nämlich gut, würde da aber straffen und nochmal so richtigen Feinschliff betreiben.
Liebe Grüße von Raindog

 

Lieber Wortpianist

Du hast eine bezaubernde Geschichte kreiert. Danke.

Ich wusste lange nicht, worauf es hinausläuft. Erst wo sich die Frau mit dem weissen Oberteil gesetzt hat, dämmerte es mir. Um die Spannung noch zu halten, würde ich das weisse Oberteil weglassen. Ich glaube, dann würde der Schluss richtig überraschen.
"Oder griff er heute zum Käse" würde ich weglassen, weil ich denke, dass dies für eine demente Frau zu differenziert gedacht wäre. Sie nehmen altvertrautes und keine Eventualitäten.
Was mir sehr gut gefallen hat, ist ihre Selbstsicherheit in Bezug auf ihren Mann. Sie wusste, dass er es gut mit ihr hatte und auch sie es auch. Auch dass sie sich nicht vom setzten der Frau vom denken abhalten lässt, gefällt mir, sie fokussiert sich weiter auf Renate. Ich würde greisenhaft ebenfalls weglassen, es schadet dem letzten Satz.

Herzliche Grüsse aus der Schweiz, silea

 

Hallo @Raindog und @silea,

zunächst einmal freue ich mich sehr über eure Reaktionen auf meine Geschichte.
Vielen Dank dafür! Bisher war ich still und einige tolle Werke lesend auf dieser Seite unterwegs, aber die Möglichkeit, selbst etwas zu veröffentlichen, gefällt mir nun doch ganz gut.

Ich habe mir viele eurer Vorschläge zu Herzen genommen (und den Text nochmal überarbeitet, den Einwurf von euch beiden bezüglich des weißen Oberteils fand ich sehr gut getroffen),
jedoch hoffe ich, einige Sachen erklären zu können.

Das Präteritum in ihrem Gedankengang benutze ich, um die etwas altertümliche Denkweise hervorzuheben (ein wenig 'steif' und 'altbacken', wie du es schön formulieren konntest, @Raindog).
Die Absätze sollen die Trennung der umschwenkenden und abrupten Gedanken verdeutlichen.

Dadurch, dass kurze Zweifel bei ihr aufkommen, wie ihr Mann das Brötchen belegt hat, hatte ich gehofft, schon einen kleinen Hinweis auf ihre Zerstreutheit zu geben. Erst am Ende wird einem ja richtig klar, dass das keine 'normale Verwirrung' ist. Da hat man dann so einen 'Achso, deshalb!'-Moment.

Wie gesagt, ich hoffe, ich habe einige der anderen Sachen, die ich ziemlich treffend fand, noch in dem Text verwirklichen können.
Freue mich jedenfalls immer, Resonanzen zu lesen.

Ganz liebe Grüße, Wortpianist

 

Hallo @Wortpianist ,

ich finde deine Idee, aus der Perspektive einer alten, dementen Frau zu schreiben, ebenfalls sehr schön. Dazu passt es dann auch - wie ich finde -, dass du nicht immer linear erzählst, sondern mal hier, mal da etwas fallen lässt. So stelle ich es mir in diesem Kopf auch vor - zum Glück weiß ich es noch nicht...
Eine Frage habe ich aber: Warum gehst du zu Beginn so auf die Kopfschmerzen ein, wenn du diese hinterher gar nicht mehr erwähnst? Nur wegen der Mutter? Den Bezug hättest du auch anders herstellen können.
Vielleicht könnte die Pflegerin am Ende fragen, ob sie wieder ihre Kopfschmerzen hat. Dann könnte sie auf die Tabletten verweisen, die die alte Dame später bekommt. Hier hättest du einen Rahmen, der auch wieder Bezug zur Mutter gewinnt.

Ich bin mir mit der Selbsterkenntnis in den letzten Zeilen auch nicht ganz sicher. Hier einfach eine Idee: Wenn du ihre Demenz und ihr Alter hervorheben möchtest, reicht vielleicht sogar als Auflösung einfach die Bemerkung der Schwester, dass Bernd doch schon seit xy Jahren tot ist. Dann benötigst du nicht die Selbstreflexion der Dame.
Aber vielleicht macht auch gerade das den Charme aus.
Soweit mit meinen Gedanken.

Vielen Dank für die schöne Geschichte
Gruß
Daeron

 

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