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Zufluchtsorte zwischen Realität und Fantasie

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16.09.2004
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Zufluchtsorte zwischen Realität und Fantasie

Zuflucht

Manch ein einsamer Reiter, der nach Einbruch der Dunkelheit auf unsicheren Pfaden durch die dunklen Wälder dahin eilt – gehetzt, verängstigt, verloren in einem Labyrinth aus unerreichbaren Sehnsüchten und verblendeten Wünschen – sieht die Kerzen, die wir in unseren Fenstern aufgestellt haben, schon von Weitem zwischen den dürren Bäumen flackern. Ihm sei Zuflucht in unseren warmen Hallen gestattet.
Wir, das Gasthaus am Ende der Welt, haben immer einen Platz für geheime und vergessene Träume. Tretet ein, legt Eure Masken ab und seit für eine Nacht Ihr selbst.

Gelegentlich hatte ich schon von dem Gasthaus gehört. Immer wurde davon flüsternd, mit vorgehaltener Hand erzählt, als könnten sich bei lauterem Tonfall die Grenzen zwischen Realität und Fantasie auflösen und Erzähltes wahr werden. Das war natürlich unbegründeter Aberglaube, was aber nicht bedeutete, dass es das Gasthaus nicht gab. Es hatte womöglich einfach nur schon immer existiert - irgendwo in oder zwischen den Grenzen, und kuerzlich habe ich es tatsächlich gefunden oder vielleicht auch es mich.
Auf der Türschwelle der Raststätte zwischen der unangenehm kalten Nässe und der wohligen Wärme des Flures, zwischen Dunkelheit und gemütlichem Lichterschein, blieb ich für einen Moment unschlüssig stehen. Mir fielen zwei ausgemergelte Gestalten ins Auge, die, auf einen Wanderstock gestützt, mit letzter Kraft das Wirtshaus betraten. Im Eingangsflur wurden sie von einem alten Mann freundlich begrüßt. Er sagte: „Willkommen im Gasthaus am Ende der Welt. Ihr seid nun endlich an eurem Ziel angekommen. Geht in den Speiseraum, wir werden dafür sorgen, dass ihr wieder zu Kräften kommt!“
Beinahe wäre ich wieder umgekehrt und gegangen. Was sollte ich hier, im Gasthaus am Ende der Welt, fragte ich mich. War es denn so schlimm um mich bestellt? Sah ich etwa genauso trostlos aus wie die beiden vor mir? Doch ehe ich einen Rückzieher machen konnte, hatte der Wirt mich schon fixiert und rief mir zu: „Auch du seiest willkommen. Wir haben dich eigentlich noch nicht erwartet, aber das ist nebensächlich. Folge mir!“

Er führte mich in einen von Kerzen und Kaminfeuer erleuchteten Raum, in dem es nach verbranntem Holz und Bienenwachs roch. Nahe des knisternden Feuers wies er mir an einem runden Tisch einen Platz zu und bat mich, ihn für einen Moment zu entschuldigen.
Ich nickte mit aufgesetztem Lächeln und ließ ich ihn gehen. DIe gesamte Situation beunruhigte mich. Nervös irrte mein Blick durch den Raum.
Ich zählte über ein Duzend stumme Gestalten um mich herum. Meist saßen sie an einzelnen Tischen verstreut. Die wenige Meter zwischen ihnen, dehnten sich für sie zu unüberwindlichen Distanzen. Ich fühlte mich nicht wohl unter ihnen, ein bisschen deplaziert.
Der Mann am Tisch neben mir sah sich immerzu gehetzt um. Seine Hände hatten sich um Messer und Gabel gekrallt, als würde er auf einen Angreifer warten. Mir schien, als wäre sein eigenes Leben der Angreifer, von dem er nicht eingeholt werden und das er im schlimmsten Falle abwehren wollte.
Daneben saß eine Frau wie eine leblose Puppe auf ihrem Stuhl. Ihre dunklen Augen sahen zugleich alles und nichts. Ihr Geist schien in einer anderen Dimension gefangen zu sein, nicht in der Lage, die Realität bewusst wahrzunehmen.
Noch einen Tisch weiter hatte sich eine junge, gut gekleidete Dame soeben eine Zigarette aus einem goldenen Etui hervorgeholt und angezündet. Als ich sie anblickte, musterte sie mich kühl von oben bis unten, zog an ihrer Zigarette und atmete den blauen Dunst langsam wieder aus. Die Kälte, welche sie ausstrahlte, berührte mich augenblicklich wie ein eisiger Hauch und ließ mich schaudern.
Kurz darauf kam auch schon der Wirt zurück. In der einen Hand hatte er einen Teller dampfender Suppe und mit der anderen hielt er einen mit Bier gefüllten Krug.
„Das wird dir gut tun“, prophezeite er warmherzig. Dann sah er sich kurz um, nickte mir lächelnd zu, nahm neben dem gehetzten Gast Platz und begann ein Gespräch mit ihm. Fasziniert konnte ich mit ansehen, wie sich die angespannte Nackenmuskulatur des Gastes allmählich entspannte, seine Hände das Besteck nur noch sachte umschlossen, er schließlich aß und bald sogar ein paar Worte zu dem Gespräch beitrug.
Ich schüttelte belustigt den Kopf und probierte die Suppe. Augenblicklich wurde ich durch den Geschmack an meine Kindheit erinnert. Ich nahm noch einen Löffel und fing gegen meinen Willen an zu lächeln. Ja, wie zu Hause schmeckte es. Wie damals, als das Leben noch soviel unkomplizierter gewesen war.
Überrascht und immer noch lächelnd legte ich den Löffel neben meinen Teller und nahm einen Schluck aus dem Bierkrug. Das kühle Gebräu aktivierte weitere Erinnerungen. Erinnerungen an ein Bier, das ich bei meiner ersten Verabredung mit meiner Frau getrunken hatte. Ich fühlte mich verzaubert, als wäre die Nahrung mehr gewesen als pure Materie. Ich roch auf einmal das Parfum meiner Partnerin und sah vor meinem geistigen Auge diesen geheimnisvollen Blick, den sie mir immer zugeworfen hatte. Diesen Blick, der mir schon seit Jahren nicht mehr aufgefallen war, auch, wenn sie ihn garantiert nicht verloren hatte. Das war eines der winzigen Details, die ich mit der Zeit zu übersehen begonnen habe. Details, die früher so ein leichtes Kribbeln in meinem Bauch haben entstehen lassen und die sicherlich ein Auslöser waren, warum ich mich vor so langer Zeit in meine Frau verliebt hatte.
Ich löffelte gedankenverloren meine Suppe weiter und begann wieder die Leute um mich herum zu beobachten. Der Mann neben mir hatte in rasender Geschwindigkeit aufgegessen, so als ob er bei einem japanischen Hamburgerwettessen teilnehmen würde und sich zu der rauchenden Frau gesetzt. Sie unterhielten sich angeregt, wahrscheinlich über Gott und die Welt. Immer wieder ertönte das helle Lachen der Frau, die langsam aufzutauen schien.
Eine weitere Gruppe begann sich um den Wirt zu bilden. Er hatte eine alte Gitarre hervorgeholt und darauf zu spielen begonnen. Zu den kraftvollen Klängen sang eine zierliche Frau. Erst sehr zart, aber nachdem sie von den anderen angefeuert wurde, immer lauter und selbstbewusster. Ein Mann erhob sich und forderte eine dunkelhaarige Frau zum Tanzen auf. Sie errötete leicht, dann huschte ein Lächeln über ihre Lippen und sie nickte freudig.
Wann hatte ich das letzte Mal getanzt? Es musste schon Jahre hergewesen sein. Früher hatte ich meine Frau oft in Tanzlokale ausgeführt. Ich liebte ihre ausgelassene und anziehende Art sich zu bewegen. Dem hatte ich nie wiederstehen können. Aber später hatten wir keine Zeit mehr dazu gefunden, standen immer unter Stress, wie zum Beispiel durch die wöchentlichen Briefmarkentreffen bei meinem Chef und ihre Frauenabenden.
„Komm doch zu uns rüber!“, rief mir eine der Personen an dem Tisch zu.
„Und zapf dir noch ein frisches Bier! Oder hol’ dir was anderes. Fühl dich einfach wie zuhause.“, rief der Wirt hinterher.
Ich zögerte für einen Moment. Hatte schon lange nicht mehr zwei Bier getrunken. Und was sollte ich überhaupt an diesem Tisch machen? Mitsingen? Tanzen? So etwas ordnete ich normalerweise in die Schublade „Sich vor anderen Leuten peinlich machen“ ein. Aus dem Lebensabschnitt war ich raus. Schon lange. Oder nicht?
Ich stand auf, zapfte mir ein kühles Blondes und setzte mich zu der kleinen Gesellschaft dazu. Dabei musste ich wieder an meine Frau denken. Wenn sie da gewesen wäre, hätte ich sie auch zum Tanzen aufgefordert - so oft in so kurzer Zeit hatte ich schon lange nicht mehr an sie gedacht.
Es wurde noch ein sonderbarer, aber heiterer Abend. Ich hatte Spaß, war ausgelassen und habe sogar wieder getanzt. Alles Dinge, die eigentlich schon lange mein Leben verlassen hatten. Sie waren von mir mit Hilfe eines gewaltigen Tor ausgesperrt worden. Den Schlüssel dazu musste ich irgendwann verloren haben. Oder verhielt es sich so, dass diese Dinge mich aus meinem Leben ausgesperrt hatten?

Einerlei, nun sitze ich hier, noch immer im Gasthaus, vor dem knisternden Kaminfeuer und schreibe in mein kleines Notizbuch, auf das ich diese merkwürdige Begebenheit nie vergessen werde.
Die meisten Gäste sind schon gegangen oder haben sich schlafen gelegt. Keiner hat seine Maske wieder mitgenommen oder aufgesetzt, auch ich nicht. Eine friedliche Ruhe ist in das Wirtshaus eingekehrt. Nur das Klappern des Geschirrs in der Küche und das Knacken des Holzes im Feuer durchbrechen die Stille.
Das erste Mal seit langer Zeit genieße ich es wieder, einfach nur dazusitzen und vor mich hinzuträumen. Dabei wird mir bewusst, wie wichtig doch die kleinen Dinge im Leben sein können. Die geheimnisvolle Aura meiner Frau oder ein ausgelassener Abend mit Tanz und Gesang - sie könnten nicht mit meinem funkelnden Auto, meinen fünf Kreditkarten, nicht mit all dem unvorstellbar vielen Geld auf dieser Welt bezahlt werden. So ist wohl jeder, der sie aufmerksam in sich aufnimmt, an wahrem Reichtum nicht zu überbieten.

 

@Sim: Ich habe diese Geschichte vor Coleratios gelesen und habe "am Ende der Welt" als Synonym für abgelegen verstanden. Es gibt ein amerikanisches Versandhaus, das heißt "Land's End", weil es in der Pampa liegt. Und im Fehlerfinden bist du einfach unschlagbar! ;)
Gruß
tamara

 

So, versucht alles zu verbessern.
@Sim: Hab noch mehr sone netten Hammer gefunden. Schon mal was von 'rasender Schnelligkeit' gehört?

 
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Hi Tommy

Ich fand die Geschichte leider auch nicht überzeugend - muß mich da meinen Vorschreibern anschließen.
Und dabei bin ich durchaus für Erlösungvorstellungen durch Aufsuchen bestimmter Orte zu haben. :shy:

Zu viel kommt zu offensichtlich daher. Das ist schade.
Daß Belehren mit dem Holzhammer solltest du dir vielleicht nochmal überlegen.
Aus der Idee finde ich, ließe sich was machen.

Ich finde es gut, daß du die Überschrift geändert hast.
Aber ehrlich gesagt: 'Masken'... will mich auch nicht recht überzeugen.

Bitte ein bißchen weniger aufdringlich !
Vielleicht: Zwischenhalt oder Raststätte ...hmm
Oder warum nicht: Zuflucht - ich finde das hätte was für sich.

Also der erste Absatz... pffh ... ich mein er ist schön geschrieben... hört sich schon toll an - aber ich würd ihn streichen !

Ich würd mit Nummer zwei anfangen. Das ist schon mal viel angenehmer. Haut einen nicht sofort vom Hocker.
Vielleicht: Gelegentlich hatte ich schon von diesem Ort gehört
Also Gasthaus würde ich dann am Anfang gar nicht erwähnen; nur Ort schreiben.
Ja, liest sich schon viel besser...
is natürlich nur meine persönliche Meinung... :cool:

Also nochmal: gute Idee , die Sache mit dem Zwischenhalt, sprachlich auch tw. schön gemacht aber zu offensichtlich und dadurch oft fade...

lg,
rock

PS: Hoffe, daß demnächst nicht ein paar Russen vor meiner Tür stehen, um mit mir über meinen Kommentar zu reden. :D

 

Hallo Thommy,
die neue Version gefällt mir schon besser, aber warum hast du die Überschrift geändert? Also Masken finde ich ziemlich wenig aussagekräftig. Du könntest den Textfluss noch runder machen, hier ein paar Beispiele:
"Es war womöglich einfach nur schon immer gewesen - irgendwo in oder zwischen den Grenzen, und ich habe es tatsächlich gefunden oder vielleicht auch es mich.": klingt komisch, eher: Er hat schon immer existiert... und kürzlich habe ich es tatsächlich gefunden... Damit die Zeiten klarer werden.
"Auf dessen Türschwelle": wessen? Hier war mir noch nicht klar, dass dein Prot schon da ist.
"Er führte mich in einen von Kerzen und Kaminfeuer erleuchteten Raum. Es roch nach verbranntem Holz und Bienenwachs.": Ein Beispiel für deine kurzen, etwas abgehackten Sätze, durch einen Nebensatz wäre es runder, also: , in dem nach... roch.
" dehnten sich e für sie zu unüberwindlichen Distanzen.": e?
" Gezwungenermaßen ließ ich ihn gehen.": wer zwingt dich? Passt nicht.
" rief mir eine der Personen an dem Tisch zu.": beschreibe die Person besser konkret
Gruß
tamara

 

Thx Tamara fuer deine weiteren Anregungen, bzw. das noch einmal genaue Durchlesen!!! Die Person habe ich nicht weiter beschrieben, weil ich das voellig nebensaechlich finde. In dieser Situation ist es, im Gegensatz zum Anfang z.b. nicht wichtig.
Die abgehackten Saetze finde ich fuer das "Bilderkreieren"gar nicht mal so schlecht. Aber wenn du es nicht magst :(
... Masken war wirklich nicht so gut. Jetzt gibs einfach Zuflucht wie der rockz schon vorgeschlagen hat und Ende. :sealed: :Pfeif:

@ rockz: Ivan hat dein Haus nicht gefunden. Kannste mir bitte mal erklaeren, wie man vom Bahnhof da hinkommt? Dankeschoen

 

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