(Zwei Ringe)
Er war alt.
Nicht immer schon war er alt gewesen. Vor ein paar Minuten noch hatte er sich relativ jung gefühlt, so jung, wie man sich mit 47 fühlen konnte.
Doch jetzt war er alt. Alt und innerlich leer. Tot.
Er stand vor seinem Haus. Einer Ruine. Verkohlte Dachbalken ragten in den düsteren grauen Himmel. Dachbalken, die ihm die Richtung wiesen: Dort!
Eine Seitenwand war eingestürzt, zwei glaslose Fensterrahmen lagen am Boden. Das Glas war schon vor langer Zeit durch Plastik ersetzt worden. Glas war teuer.
Mühsam schleppte er sich ins Haus. Langsam, Schritt um Schritt tastete er sich vorwärts, als ob eine tonnenschwere Last auf seinen Schultern ruhte.
Die Eingangstür lehnte am Apfelbaum. Er wusste nicht mehr, wie sie dahin gelangt war. Es war nicht wichtig. Nicht mehr. Er setzte sich an den Tisch, einem Eichentisch. Vor Jahren ... Eine grüne Flasche stand darauf. Fast leer.
Er wischte den Staub vom Tisch.
Der Staub, der an manchen Stellen zentimeterdick lag. Nicht nur Staub. Schutt und Asche. Doch welchen Sinn hätte es gehabt, dieses Haus von Schutt und Asche zu befreien?
Vor ein paar Minuten noch. Ja, da hatte er wenigstens noch einen einzigen Grund gewußt, sich diese mühsame Arbeit anzutun. Das Haus wieder zu dem zu machen, was es noch vor nicht all zu langer Zeit gewesen war.
Jahre?
Ein schmuckes Einfamilienhaus mit gepflegtem Garten, Swimmingpool, Apfelbäumen.
seine Frau, seine beiden Töchter, sein Sohn, der Hund. Doch jetzt?
Er sah die Flasche an.
Seine Frau war tot. Seine Töchter.
Er hatte geglaubt, das wäre das Ende. Sein Sohn hatte recht behalten, es war nicht das Ende gewesen.
Das Ende ist jetzt.
Vor ein paar Minuten hatte ihm ein Fremder diesen Umschlag gebracht. Einen großen weißen Umschlag. Ein schwarzes Kreuz darauf. Ein Kreuz das ihn beinahe wahnsinnig gemacht hatte.
Jetzt nicht mehr.
Er wusste, was er darin finden würde. Zwei Ringe. Ringe seines Sohnes und seiner Schwiegertochter.
Die Militärs waren bekannt und berüchtigt für ihre Korrektheit. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Zwei Ringe, Die den Tod verkündeten.
Das Militär.
Tot, weil sein Sohn diese Frau geliebt hatte. Eine Frau, die Abschaum in ihren Augen war.
Er nahm den Umschlag in seine Hände und riss ihn auf. Zwei Ringe. Goldene Ringe.
Blut klebte an ihnen. Blut. So viel Blut.
Er hatte gehofft, bis zum heutigen Tage gehofft. Vergeblich. Die beiden Finger auf dem Tisch, der seines Sohnes und der seines Sohnes Ehefrau berührten sich, fast zärtlich berührten sie sich. Die goldenen Ringe voller Blut.
Er nahm die Flasche, schloss seine Augen und trank sie leer.