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Invasiv

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26.05.2008
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Invasiv

Ein Schnupfen beendete mein Leben. Als der sich grün verfärbte, schlugen die Schmerzen mit Wucht in meinem Kopf ein.
Ich lasse mich von der Metallpritsche rutschen. Wie immer nehme ich dabei den beschissenen Papierbezug mit, weil er mir am Hintern klebt. Es ist kalt im Behandlungszimmer und die Pritsche hat Striemen in meine Oberschenkel gedrückt. Verstohlen reibe ich über die Furchen und bilde mir ein, meine Haut wird die harten Verformungen für immer behalten. Der Arzt zieht eine Medikamentenpackung aus dem Medizinschränkchen, dabei beobachtet er mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Besorgnis.
Bis ich mich hergetraut habe, habe ich eine Woche lang den dröhnenden Kopf herumgeschleppt. Zum Arzt gehen, eine Bearbeitungsgebühr zahlen, eine Erhöhung meiner Gesundheitssteuer, ein Trinkgeld für die Schwester, ein Bestechungsgeld für die Schnepfe am Empfang, damit ich überhaupt vorgelassen werde, dann die Behandlungskosten und das Geld für die Medikamente. Wenn ich denn welche bekomme.
Oder, wenn ich die nehmen will.
"Antibiotika", sagt der Arzt nämlich. "Sie haben eine vereiterte Kieferhöhle."
"Was geht außer Antibiotika?"
Er sieht mich an und lupft eine verstruppte Augenbraue. Ich hasse das, wenn jemand so guckt.
"Ich gehe von einer tiefgehenden Entzündung aus, das rechtfertigt die Einnahme von Antibiotika." Dann lupft er die andere Augenbraue. Er sieht ein bisschen aus wie ein Uhu.
"Ich möchte keine Antibiotika", erkläre ich. Den Grund darf ich nicht sagen, das ist mir vertraglich verboten.
Zum Glück ist er Arzt. Das heißt, er bastelt sich seine eigene Wahrheit um mich herum. "Das Antibiotikum, das ich Ihnen verschreibe, ist in der Tat nicht billig. In Ihrem Fall kann ich einen Notfall deklarieren, Sie bekommen das Medikament für die Hälfte."
Beinahe hätte ich gelacht. Ich habe noch nie irgendwas für die Hälfte bekommen, noch nie in meinem Leben, und jetzt will ich es nicht haben. "Ich möchte bitte etwas anderes."
Der Arzt lupft beide Augenbrauen gleichzeitig und sieht erst recht aus wie ein Uhu. "Hören Sie, etwas anderes wird Ihnen kaum helfen. Ihnen läuft eine Eiterstraße die Kehle hinunter, da ist eine massive Ansammlung in der Kieferhöhle. Außerdem haben Sie Schmerzen, oder nicht?"
Schmerzen habe ich, allerdings. Das Stechen hinter meinem Gesicht lässt mich nicht schlafen. Krank darf ich nicht arbeiten, und nächsten Monat lande ich auf der Straße, wenn ich das Geld für die Miete wieder nicht zusammenkriege.
"Ich kann keine Antibiotika nehmen."
Da legt er mir tatsächlich die Hand auf den Arm. Ein Arzt, der den Onkel Doktor spielt, dass es sowas noch gibt. Onkel Uhu. "Es ist vernünftig, nicht sofort mit Chemiekeulen gegen jeden kleinen Infekt vorzugehen. Sie haben keinen kleinen Infekt. Wenn die Entzündung nicht beseitigt wird - und das geht nur mit Antibiotika - frisst sich der Eiter durch den Knochen. Ihre Zähne sollten Sie auch kontrollieren lassen, möglicherweise ist eine Zahnwurzelentzündung die Ursache für ..."
"Sie verstehen mich nicht. Ich kann keine Antibiotika nehmen!", unterbreche ich ihn. Habe ich wütend geklungen? Jedenfalls nimmt er die Hand weg und blättert damit in seinem Notizblock.
"Ich mache Ihnen einen Vorschlag." Er hat in dem Block gefunden, was er gesucht hat, langt nach hinten und zieht seinen Computer zu sich heran. "Ich rechne das Antibiotikum anders ab. Sie bekommen es umsonst und beginnen sofort mit der Einnahme. Sie brauchen das, hören Sie?"
Das Antibiotikum lasse ich mir mitgeben, ist schließlich geschenkt. Das kann ich weiterverkaufen.

Jeder hat ein besonderes Talent, habe ich gehört. Ich habe meins nie finden können, oder zumindest kann ich nichts so gut, dass es gut genug wäre. Nur mit dieser einen Sache, da habe ich Glück gehabt. Ich darf eigentlich nicht darüber reden, mein Arbeitsvertrag droht mit Gefängnis und -
Anton kommt rein, ohne anzuklopfen. Er stört mich im Elend, ich hasse das. Heute bereue ich, dass ich ihm erzählt habe, wo der Ersatzschlüssel versteckt liegt. Anton hat ein Sixpack dabei, das er im Kühlschrank verstaut, noch bevor er irgendwas sagt, den fleckigen Mantel auszieht und aufs Sofa wirft. Anton stellt immer erst das Bier kalt, auch im Winter. Er bringt ein Sixpack mit und trinkt zwei, jedes Mal. Anton weiß, dass ich krank bin und in Ruhe gelassen werden will, wenn ich krank bin. Deswegen senke ich mein schmerzendes Gesicht über den Topf mit dampfendem Wasser und tue so, als wäre Anton nicht da. Der heiße Dampf ist angenehm, er betäubt das Stechen.
"Du musst Kamillentee reintun, das hilft besser." Anton steht neben mir und versucht in den Topf zu sehen. "Oder Salzwasser."
"Was willst du?", frage ich gereizt. Ich gebe mir Mühe unfreundlich zu sein, damit er wieder geht, tief beleidigt meinetwegen, aber Hauptsache er ist weg.
Anton ist schwer zu verjagen. Er breitet die Arme aus, was er für eine beschwichtigende Geste hält, und benutzt seine Kumpel-Stimme. "Ich wollte nach dir sehen. Verkriechst dich seit Wochen. Ich dachte, du verfaulst hier drin oder sowas."
Ich schiebe den Topf beiseite, ziehe das Handtuch vom Kopf und wische mein Gesicht trocken. Über der vereiterten Gesichtshälfte kann ich die Haut nur vorsichtig abtupfen. Mein Kopf ist ein geschwollener fleischiger Ballon, der beim Anfassen wehtut.
"Ich hab dir was mitgebracht."
Anton schmeißt mit Schwung etwas in meinen Schoß: eine Pappschachtel, die mir übers Bein rutscht und auf den Boden fällt. Erst bin ich sauer. Als ich mich bücken muss, kippt die stechende Masse hinter meinem Gesicht nach vorn, der Schmerz schießt durch die Augen und die Stirn und ich verfluche Anton. Dann sehe ich, was in der Schachtel ist.
"Aspirin, Paracetamol, Ibuprofen ... woher hast du so viel davon?", frage ich verblüfft. Verblüfft und ein bisschen ehrfürchtig; mir ist es seit Monaten nicht gelungen, an Schmerzmittel zu kommen. Anton lässt sich aufs Sofa fallen und verschränkt die Hände hinterm Kopf. Das Sofa quietscht, Anton grinst.
"Ah." Er grinst breit. "Kein Problem mit den Medis. Ich habe eine neue Quelle aufgetan."
"Ich will's nicht wissen, glaube ich."
"Recht hast du. Bier?"
Ich schütte mir Tabletten in die hohle Hand. "Wasser."
Anton steht auf, um mir Wasser zu bringen. Vielleicht ist es nicht so übel, dass er gekommen ist. Bevor er Zeit für das Wasser hat, kniet er sich vor den Kühlschrank und knickt eine Flasche aus dem Sixpack heraus. "Sicher, dass du kein Bier willst?"
"Nee, nicht mit dem Eiterkopf."
Anton nimmt ein Glas aus dem Küchenschrank, dreht den Wasserhahn in der Spüle auf und lässt es laufen, bis das Wasser nicht ganz so braun ist. Richtig klar wird es nie. Irgendwann gibt Anton auf und füllt das Glas mit halbschmutzigem Leitungswasser. "Sicher, dass du kein Bier willst?", fragt er nochmal.
Ich nehme drei Ibuprofen in den Mund, schließe die Augen und schlucke die Tabletten zusammen mit rostigem Wasser. Der metallische Geschmack mischt sich mit dem süßen Geschmack von Eiter. Ich muss würgen.
"Siehste", sagt Anton missbilligend. Er trinkt kaltes Bier in meiner kälteren Wohnung und seufzt vollkommen zufrieden. "Also", er lässt sich auf dem Sofa nieder mit dieser Art, die klarmacht, dass Anton hier schlafen wird, "du warst beim Arzt? Was hat der gesagt, was soll ich dir beschaffen?"
Ich schüttle den Kopf. "Nichts. Außer Antibiotika ist dem nichts eingefallen. Und die hat er mir mitgegeben."
"So mitgegeben? Antibiotika? Was ist denn das für einer?" Anton starrt mich an. "Zu dem gehe ich das nächste Mal auch. Bei welchem warst du?"
"Lass den in Ruhe, klar?"
"He", Anton tippt sich mit dem Finger an die Stirn. "Den würd ich ja nicht ausräumen. Da will ich hingehn, wenn ich selber was habe. Wenn ich einen Arzt brauche."
"Anton, du bist nie krank."
"Ich weiß. Das liegt daran, dass ich keine Medikamente nehme, nie. Du schuldest mir übrigens fünfzig für die Schmerzmittel."
Mir wird schwummrig. Mein Wohnzimmer ist mein Schlafzimmer ist meine Küche, was den Nachteil hat, dass man in meiner Wohnung nichts verstecken kann, vor allem sich selber nicht. Das Bett steht Antons Sofa gegenüber. Während ich mich auf der durchgescheuerten Matratze ausstrecke und warte, dass die Tabletten anfangen zu wirken, plappert Anton in einem fort von irgendeiner neuen Studie, für die er sich angemeldet hat. Wo sie die Medikamente unter Aufsicht nehmen, weshalb er jeden Tag kotzt, um das Zeug wieder loszuwerden. "... aber die Bezahlung lohnt sich echt", endet er. "Krieg ich dein Antibiotikum?"
"Hm?" Ich muss weggedöst sein.
"Die Dinger, die du vom Arzt hast. Du wirst die nicht nehmen, oder?"
Anton habe ich eingeweiht. Er weiß, dass Antibiotika alle Bakterien im Körper angreifen können, auch die, die da hingehören. Anton weiß, dass Antibiotika zum Beispiel die Darmflora verändern.
"Du schuldest mir fünfzig, und Antibiotika lassen sich gut verkaufen. Zeig mal, vielleicht taugt es was."
Ich stemme mich auf einen Ellbogen und fummle in dem Schrank hinterm Bett. Mit einer Hand durchwühle ich die Schublade. Die Packung mit dem Antibiotikum klemmt ganz unten, da hatte ich sie heute Morgen beerdigt. Eine unauffällige Verpackung in Weiß mit hellblauen Rändern, die Tabletten sind oval und gelblich. Sehr freundlich und harmlos alles. Das habe ich heute Morgen nachgesehen, als ich fast verzweifelt genug war, eine zu schlucken. Fast. Ich schleudere die kleine Schachtel wütend Richtung Sofa, Anton fängt sie auf.
"Cryptoplex? Für drei Wochen? Mann", er runzelt die Stirn, "Mann, du musst echt krank sein."
"Danke, es ist mir aufgefallen." Ich lasse mich zurücksinken und lege einen Arm auf die Augen. Die Deckenlampe hängt direkt über dem Bett; das Licht macht mir Kopfschmerzen.
"Nee du, ich mein das ernst. Wenn ich die verkaufe, kommen wir mit dem Geld einen Monat hin. Crypto ist ziemliches Zeug. Aber du solltest die lieber nehmen."
"Spinnst du?"
"Hör mal, im Moment lassen die dich sowieso nicht arbeiten. Du verlierst nichts."
Ich rolle mich auf die Seite, damit ich Anton ansehen kann. "Natürlich verliere ich was. Wenn ich die Antibiotika nehme, riskiere ich, dass ich nie wieder arbeiten kann, egal ob gesund oder nicht. Wenn ich den Job verliere, dann war’s das."
"Und hat der Arzt gesagt, ob du ohne die AB gesund wirst?"
"Irgendwann schon. Ist eine Frage der Zeit", behaupte ich.
"Oder das wird chronisch. Oder es bringt dich um. Mach keinen Scheiß."
"Ich mach keinen Scheiß. Verkauf das Zeug."
Anton kaut auf seiner Unterlippe. Das macht er nur, wenn er verunsichert ist – also, extrem selten.
"Verkauf es. Geld für die Schmerzmittel kriegst du nicht von mir, ich bin jetzt schon knapp."
"Ich weiß nicht." Anton wirft mir einen schrägen Blick zu. "Besser nicht."
"Bitte."
"Sagen wir: noch nicht. Ich lass das Crypto ein paar Tage hier und du guckst, wie du zurechtkommst. Wenn es nicht besser wird, schluckst du‘s."
"Das wird nicht passieren."
"Warten wir es ab."
Ich bin zu müde für sowas. Anton schaltet den Fernseher ein, das höre ich noch, dann ziehen sich neblige Vorhänge um meinen Kopf herum und ich schlafe weg.

Nach drei Tagen nützt kein Schmerzmittel mehr. Ich habe den ganzen Morgen Tabletten gegessen, überdosiert und durcheinander, mir ist speiübel und trotzdem brennt es in der rechten Wange und strahlt in alle Richtungen dicke, heiße Adern ab. Der gesamte Oberkiefer schmerzt, jeder einzelne Zahn hat Gefühl, alles ist taub und tut gleichzeitig weh. Der fleischige Ballon schwillt und schwillt und schwillt. Ich habe nicht geschlafen, ich kann nicht klar denken, ich kann nicht liegen, ich kann nicht sitzen und immerzu dieser widerliche Geruch von Fäule in der Nase. Anton hat das Cryptoplex auf dem Tisch liegen lassen. Mit diesen Kopfschmerzen kann ich die Packungsbeilage nicht lesen, ich nehme einfach eine Tablette und hoffe, dass sie sich nicht mit einer der Pillen von heute Morgen zu Sprengstoff verbindet. Ich schaffe es nicht, ein Glas Wasser zum Nachspülen zu holen, dafür ist der Weg zu weit und zu uneben. Die Zimmerschwankungen kenne ich, die sind mit Alkoholfieber nicht anders. Bloß dieser Eiter! Eiter, der süßlich und klebrig überall ist, egal ob man ihn ausspuckt oder ins Taschentuch schnaubt, da bleibt immer noch was drin, ich kann ihn nicht loswerden, der fleischige Ballon ist voll davon. Ich krieche zurück ins Bett und begrabe mich unterm Kissen. Wann hört das auf ...
Es muss ein paar Stunden später sein. Mir geht es besser! Ich kann nachlesen, dass ich eine zweite Cryptoplex nehmen darf. Ein harmloses Oval und braunes Leitungswasser, dann gehe ich schlafen. Am nächsten Morgen sind die Schmerzen erträglich, am übernächsten okay, dann winzig und lächerlich, dann sind sie verschwunden.
"Du darfst Antibiotika nie verfrüht absetzen. Da züchtest du resistente Keime. Du musst sichergehen, dass alles ausgelöscht ist. Also nimm die Tabletten weiter, auch wenn nichts mehr wehtut."
Ich hasse es, wenn Anton schulmeistert. Was Anton über Medikamente weiß, habe ich ihm beigebracht, aber das hält ihn nicht ab. Das Cryptoplex ist gerade aufgebraucht, da ruft die Klinik an und fragt, warum ich die letzten Spendetermine versäumt habe. Weil ich krank war. Was Ernstes? Neinnein, so eine hartnäckige Erkältungsgeschichte und ich wollte mich auskurieren, bevor ... ja natürlich, ich komme und lasse mich durchchecken.
Mein Herz rast, als ich auflege. Es ist gegen den Vertrag, heimlich krank zu sein. Ernsthafte Erkrankungen muss ich melden. Hätte ich melden müssen. Ich bin im Arsch, die können mich verklagen. Die können mir gar nichts, wie soll ich wissen, ab wann eine Erkrankung ernsthaft ist? Andererseits gibt es eine Klausel, die besagt, dass jede Einnahme von Medikamenten mit der Klinik abzusprechen ist. Oder? Mich durchkribbelt es heiß. Ich werde lügen. Solange ich nicht zugebe, dass ich was genommen habe, können die das nur zufällig bei der Blutuntersuchung feststellen. Oder? Wie lange bleibt Cryptoplex überhaupt nachweisbar? Eben die letzte genommen, zur Kontrolle muss ich nicht vor Dienstag, das sind vier Tage - die können mir gar nichts, die werden nichts finden. Glaube ich.

Die Klinikempfangsschnepfe ist ein Mann. Ein Mann in einem Korsett und mit geschminkten Augen, aber ein Mann. Sonst hat er mich immer durchgewinkt. Da war ich ein willkommener Gast auf der Station, ein Star sogar. Der Schnepf kannte mich mit Namen, die Ärzte haben gelächelt, wenn sie mich gesehen haben. Inzwischen hat sich rumgesprochen, dass mit mir irgendwas nicht in Ordnung ist, da lächelt keiner mehr. Da mustert man kritisch mit einer gelupften Augenbraue. Der Empfangsschnepf lässt mich nicht auf die Station, ich muss in ein Wartezimmer für staatliche Kranke. Ich komme seit zehn Jahren in die Klinik, aber in ein Wartezimmer setzen sie mich erst seit dem Schnupfen. Obwohl sie bei der Kontrolluntersuchung nichts feststellen konnten und auch nicht bei der zweiten Kontrolluntersuchung. Heute werden sie wieder nichts feststellen. Nervös bin ich trotzdem. Irgendwas müssen sie doch gefunden haben, sonst würden sie mich nicht ins Krankenzimmer abschieben?
Die Zeitschrift wellt sich zwischen meinen Fingern, das Papier ist feucht. Ich halte sie zur Tarnung, damit ich die anderen Leute im Wartezimmer nicht ansehen muss. Ich lese nicht. Ich lese nie, wenn ich warte, ich kann das nicht. Ein Neuer kommt rein, murmelt irgendwas zum Gruß und setzt sich neben mich. Keine Ahnung, was das soll. Da sind noch mindestens acht andere Plätze frei, wenn er sich da hingesetzt hätte, hätte er niemanden neben sich gehabt. Aber nein, er setzt sich neben mich, so dass ich ein Stück rücken muss. Das scheint er nicht zu bemerken. Ich hebe den Kopf nicht von der Zeitschrift, sondern beobachte ihn aus den Augenwinkeln. Er hat die Jacke anbehalten und sitzt leicht vorgebeugt, starrt angespannt geradeaus. Auf seinem Schoß hält er eine Mappe aus blauem Karton, „Markus Olsen – Patient GEnt 329 Typ Privat“ steht darauf. Das interessiert mich, GEnt ist meine Station und 329 ist meine Nummer. Und Privatpatient? Herr Olsen kann für eine Behandlung bezahlen, das ist ein richtiger Patient. Schlagartig geht’s mir besser: Dieses Zimmer ist gar nicht die Mülldeponie, für die ich es gehalten hatte. Ich blättere eine Seite um und begucke mir meinen Patienten. Ich habe noch nie einen gesehen, das ist den Spendern verboten. Olsen ist groß und schlaksig, bisschen weichlich um die Mitte rum, das glatte Gesicht sonnengebräunt, aber drunter ist er so blutleer, dass er trotz der Bräune grau und krank aussieht. So wie er dasitzt, hat er wahrscheinlich Schmerzen, da kann ich ihm den maßgeschneiderten Anzug gar nicht übel nehmen. Ich fange an, mich verantwortlich zu fühlen. Wenn er Spenden von mir kriegen soll, muss es was Ernstes sein. Ich weiß genau, dass ich der beste Spender der Klinik bin. War. Das hat mich jetzt jahrelang über Wasser gehalten, während jeder Zweite in meinem Viertel ersoffen ist. Im staatlichen Sektor der Stadt ist das so. Keine Arbeit mehr und innerhalb von ein paar Monaten steht man nachts als hohläugiges Gespenst in einer Gruppe rum und wärmt sich an einem Mülltonnenbrand, ich fühl mich mies, wenn ich nur dran denke. Ich hatte Glück, bis jetzt hab ich immer gutes Geld fürs Spenden bekommen. Mein Material heilt nicht nur CDI und IBS, sondern so ziemlich jedes bakterielle Problem, das den Verdauungstrakt befällt. Außerdem bin ich einer der Jackpots, den man einmal in 10,000 findet: aus mir kann man Medizin gegen Parkinson und mehrere Arten Krebs machen. Wobei Olsen nicht so aussieht, als wäre das sein Problem. Er hält einen Arm gegen den Bauch gepresst, ein ziemlich sicheres Zeichen.
"Clostridien?", frage ich leise.
Er fährt zusammen. "Was?"
"Kolitis?" Er sieht mich noch immer verständnislos an. "Durchfall?", helfe ich weiter.
Zu meiner Überraschung friert sein Gesicht ein. "Das geht Sie nichts an, möchte ich meinen."
Als hätte ich was Unanständiges gesagt.
Ich räuspere mich. "Ich habe gehört, meist ist die erste Behandlung erfolgreich. Sie sind das bald los."
Er rutscht unbehaglich auf dem Stuhl hin und her. "Ich weiß nicht. Ich werde seit Tagen von einem Arzt zum nächsten geschickt. Der letzte hat hierher überwiesen."
"Dann haben Sie's bald hinter sich. Die Methode hier ist todsicher."
"Woher wissen Sie das?"
Ähm. Zum Glück werde ich in diesem Moment aufgerufen. "Zimmer 2b", sagt der Lautsprecher. "Entschuldigung, das bin ich", erkläre ich, stehe auf und verabschiede mich.
Draußen auf dem Gang bin ich verwirrt, 2b ist keins der Untersuchungszimmer, in denen ich die letzten Male war. Ich muss den Flur bis fast zum Ende gehen, um den 2er-Bereich zu finden. Ich klopfe kurz an die militärgrüne Tür mit dem "B", drücke die Klinke hinunter und öffne. Das Zimmer ist vollgestopft mit Regalen und Ordnern, hunderte, tausende Mappen aus blauem Karton. Vor dem Fenster steht ein dunkler Holzschreibtisch, blankpoliert und leer bis auf eine Schreibunterlage und einen alten Computer. Dahinter sitzt ein dickes Männchen im Anzug mit Brille auf der knubbeligen Nase. Ein Verwaltungsschnepf. Ein Verwaltungsschnepf! Kein Arzt. Ich bin überhaupt nicht hier, um untersucht zu werden, die wollen mich rausschmeißen. Empört und schwer atmend bleibe ich an der Tür stehen. Der Schnepf blickt vom Bildschirm auf und lächelt mich an. "Setzen Sie sich bitte."
Danke, ich stehe lieber, will ich sagen, verbeiße es mir aber. Der Stuhl ist zu klein für mich, offenbar gebaut für die Verwaltungszwerge mit ihren knubbeligen Nasen. Die Lehne kratzt unterhalb der Schultern an meinem Rücken.
"Zuerst einmal möchten wir Ihnen für die langjährige Spendertätigkeit danken", sagt der Zwergenschnepf, dabei lehnt er sich in seinem Stühlchen zurück.
"Aber?"
"Oh", der Zwerg lächelt. "Kein Aber, Sie haben hervorragende Arbeit für uns geleistet. Ich denke, Ihnen wurde mehrfach gesagt, wie wertvoll Ihre Spende für viele Patienten war und noch ist. Da Sie so häufig gespendet haben, ist es uns gelungen, einen maximalen Vorrat anzulegen. Einzig die Lagerzeiten sind problematisch, biologisches Material ist nicht unbegrenzt haltbar, auch wenn wir es gefriertrocknen ..."
"Ich weiß", unterbreche ich ihn. "Warum bin ich hier?"
Zwerg tut mir den Gefallen und beendet das diplomatische Geblubber. "Die Spenden, die Sie in letzter Zeit abgegeben haben, haben viel an Wirksamkeit verloren."
"Was heißt das?", frage ich. Meine Stimme klingt heiser, das kann ich nicht verhindern.
"Sie haben gerade eine Erkrankung überstanden ..."
"Das war nur ein Schnupfen!"
Zwerg liest etwas vom Computerbildschirm. "Möglich. Auch leichte Infekte können den Körper dauerhaft verändern ... um es kurz zu machen, mit Ihren letzten Spenden ist es nicht gelungen, nicht-assoziierte Krankheiten zu heilen."
Ich schlucke. Mein Jackpot. Weg. Hallo Mülltonnen.
"Die Sache ist sehr bedauerlich. Eine Fäkaltransplantation mit Ihrem Stuhl ist noch immer in der Lage, eine Clostridium difficile Infektion zu heilen. Aber ... naja, das geht mit jedem gesunden Spender." Zwerg lächelt.
"Was haben Sie sonst noch getestet?"
"Von den Krankheiten, die nicht direkt den Verdauungstrakt betreffen - Parkinson, als erstes. Asthma und Neurodermitis. Es hat bei keinem Patienten angeschlagen. Erfahrungsgemäß lohnt es in diesen Fällen nicht, weitere Tests durchzuführen. Die menschliche Darmflora ist ein komplexes Wesen, das aus einer Vielzahl verschiedener Bakterienspezies besteht. Wir wissen nicht genau, welche davon den Menschen gesund erhalten und wie. Die einzigartige Zusammensetzung Ihrer Darmflora, die Ihrem Stuhl seine besondere Heilkraft verliehen hat, ist verloren gegangen. Deshalb muss ich Ihnen mitteilen, dass wir Sie nicht länger als Premiumspender führen können."
"Das bedeutet ..."
"Das bedeutet, die Klinik wird nicht länger für Ihre Spende bezahlen. Natürlich dürfen Sie weiterhin spenden, falls es Ihnen ein Bedürfnis ist."
Ja, ich verspüre ein Bedürfnis. Das Bedürfnis, den selbstgefälligen Zwerg über diesen Schreibtisch zu zerren.

"Warum regst du dich so auf?", fragt Anton. "Du bist bestimmt nicht der erste Berufsscheißer, der aus seinem Job gefeuert wird."
"Toll. Was soll ich jetzt machen, deiner Meinung nach?"
"Mal sehen", Anton runzelt die Stirn, "ich kann dir zeigen, wie man aufs Klo geht, du gewöhnst dir schrittweise ab, in diese komischen Spendeboxen zu machen - und in zwei Wochen bist du ein normaler Mensch."
Ich werfe ihm einen Joghurtbecher an den Kopf. Der Becher prallt ab und rollt über das Sofa.
"Sei froh, dass der leer war", bemerkt Anton, hebt den Becher auf und wirft ihn in die ungefähre Richtung, in der er meinen Abfalleimer vermutet.
Das Joghurt habe ich in eine Schale gefüllt und rühre Müsli unter, eine probiotische Angewohnheit aus den langen Jahren, in denen ich hauptberuflich verdaut habe. Ich streue Brennnessel-Samen dazu und muss überlegen, ob mir das Zeug überhaupt schmeckt. Also, ob es mir genug schmeckt, um jetzt noch gegessen zu werden. Eigentlich nicht. Andererseits, das Essen langt höchstens für drei Wochen noch, selbst wenn ich vorsichtig bin. Einfach irgendwas wegzuschmeißen wär schön bescheuert. Anton beobachtet mich von seinem Posten auf dem Sofa aus. Das Müsli hat er mir billig verkauft.
"Du immer mit dieser Pampe. Falls du frischen Joghurt willst, ich kenn vielleicht wen, der …"
"Kein Interesse."
"Der hat auch Beerenobst."
"Nerv mich nich."
Anton kann die Klappe nicht halten. "Meinst du, du kriegst einen anderen Job?", fragt er.
"Keine Chance."
"Woher willst du das wissen?"
"Weil ich noch nie einen hatte. Weil mich noch nie jemand für irgendwas bezahlen wollte, bis ich der Klinik im Screening aufgefallen bin. Und seitdem ... naja."
"Naja was?"
"Seitdem bin ich zehn Jahre älter."
Anton prustet los. "Ich stell mir das gerade vor. Die Klinik lädt ein paar hundert Leute ein zum Probekacken. Wozu eigentlich? Um zu sehen, ob die unter Druck arbeiten können?" Anton wiehert und fällt vom Sofa.
"Das ist nicht witzig."
"Doch, ist es. Was machen die denn bei dem Screen?"
"Die untersuchen dich. Ob du gesund bist. Ob du positiv bist für Clostridien, obwohl du gesund aussiehst. Ob du in der Lage bist, den Vertrag zu verstehen und die Schweigeverpflichtung einzuhalten."
"Wozu die Schweigepflicht?"
"Die Leute, die die Transplantate bekommen, wissen nicht, was das ist. Die Behandlung hilft, aber die Leute finden das eklig und würden das nicht machen, wenn sie rauskriegen, wie die Methode funktioniert. Das kann man kostbaren Privatpatienten nicht zumuten. Private werden gesund gemacht, Private sind Leistungsträger, weißt du ja."
"Wie kann man so ein Transplantat bekommen und nicht merken, was das ist?", fragt Anton ungläubig.
"Es ist bloß eine Kapsel. Früher gab es das als Einlauf oder Magensonde, jetzt wird das irgendwie in eine Kapsel gepresst, die man schlucken kann. Ist ein Riesengeschäft, an Clostridien sterben viele, seit Vancomycin nicht mehr wirksam ist."
"Clostridien sind ...?"
"Bakterien. Ein paar davon und sie schaden nicht, ein paar zu viele und du wirst krank. Die vermehren sich, wenn harmlose Arten im Darm fehlen. Zum Beispiel, wenn du Antibiotika genommen hast wegen irgendwas."
"Das ist dir aber nicht passiert mit dem Crypto, oder?"
"Nein, wenn ich eine Clostridien-Überbevölkerung hätte, wüsste ich das. Da kommt man nicht so leicht vom Klo runter. Mir fehlen seit dem Antibiotikum irgendwelche anderen Bakterien. Die, die gegen Parkinson helfen."
"Welche sollen das sein?"
"Was weiß ich. Das weiß niemand. Weißt du, wie viele Arten Bakterien es im Darm gibt?"
"Nein, wie viele?"
"Ach - keine Ahnung, aber viele halt. Man hat neunmal so viel Bakterien im Darm wie menschliche Zellen im ganzen Körper."
"Quatsch."
"Doch, ehrlich. Und alle zusammen wiegen über ein Kilo."
"Ein Kilo Bakterien in meinem Darm? Und sowas weißt du, weil?"
"Zehn Jahre lang das gleiche Info-Blatt neben der Spendentoilette."
Anton fährt sich mit der Hand übers Kinn. "Also, versteh ich das richtig, jemand mit krankem Darm bekommt eine Kapsel mit den Darmbakterien von jemand Gesundem, die Bakterien aus der Kapsel wachsen in dem kranken Darm und machen ihn gesund?"
"So in der Art, ja."
"Wenn du dir eine deiner Spenden zurückklauen könntest, eine, die noch gegen alle Krankheiten funktioniert hat, dann bekämst du die heilige Scheiße wieder?"
"Vielleicht. Hab ich auch schon gedacht. Aber in die Klinik einzubrechen kannst du vergessen, du weißt doch, wie der Sicherheitsdienst ist. Die putzen dich weg, bevor du piep sagen kannst."
"Ja, die haben Tüte erschossen, als sie ihn in der Apotheke erwischt haben."
"Wen? Tüte wer?"
"Kumpel von mir, kennst du nicht ... okay, also Klinik fällt flach. Heißt, du musst an die Spende kommen, nachdem sie die Klinik verlassen hat."
"Die Kapseln werden in der Klinik abgeschluckt. Die erreichen den Schwarzmarkt nie, hast du gesagt."
"Die Kapseln kommen aus der Klinik nicht raus, aber die Leute, die sie genommen haben, schon."
Anton sieht irgendwie listig aus, mir gefällt nicht, wie er rumkichert.
"Worauf willst du hinaus?"
"Jemand, der 'Medizin' von dir gekriegt hat, übernimmt der nicht automatisch deine Darmbakterien?"
Ich überlege. "Das könnte sein. Ich kenne jemanden, der heute was bekommen hat, glaube ich."
"Klasse. Alles, was wir tun müssen, ist ..."
"Oh Mann, genau! Bloß, wie soll das gehen?"
"Wir lauern ihm im Dunkeln auf und prügeln es aus ihm heraus?"
"Bleib mal ernst."
Anton setzt wieder den listigen Gesichtsausdruck auf und reibt sich mit einem Finger an der Schläfe. "Also, wenn er eine Vakuumtoilette hat, ist es einfach. Aber wir müssen zweimal hin."

Die ökologisch verantwortungsbewusste Vakuumtoilette, schulmeistert Anton, saugt in einen im Keller installierten Auffangbehälter. Das Saugrohr hat ein Knie "hinten unten, unterm Sitz", da käme er dran, da könnte er einen Filter zwischenbauen. Meine Bedenken, Olsen hat vielleicht ein ganz normales Chemieklo, wie wir auch, wischt er vom Tisch. Im privaten Sektor der Stadt hat man Vakuumtoiletten, damit das Abwasser sauberer bleibt. Das wird nämlich in die Leitungen für den staatlichen Sektor eingespeist. Ich starre ihn an. Das höre ich zum ersten Mal. Mein Leitungswasser, mit dem ich mir die Zähne putze – das Wasser ist second-hand?
"Du hast echt geglaubt, da ist bloß Rost in den Leitungen?", fragt Anton und tätschelt mir die Schulter. "Du Träumer."

"Das ist ein Scheißplan, weißt du das?"
Ich klebe an Olsens Hauswand, auf dem Rosengitter, zwei Meter unter seinem Balkon und viele Meter über dem Boden. Anton hängt neben mir und hat eben die Tasche mit dem Werkzeug fallen lassen.
"Was jetzt?"
"Ich komm nicht weiter, hier ist nichts zum Festhalten."
"Du hast das Werkzeug runterfallen lassen. Ohne das Werkzeug brauchen wir überhaupt nicht weiter", zische ich.
"Ich will ja nach unten, es geht nicht."
Ich gerate in Panik, lange kann ich mich nicht mehr halten. Das sieht das Rosengitter ähnlich, es fängt an komisch zu knirschen. Anton streckt sich und packt entschlossen die oberste Halterung. "Es müsste gehen, wenn ich ..." Da reißt die Halterung aus der Mauer, das Gitter kippt und wir rauschen nach hinten. In Olsens Naturteich, über den wir uns vorhin lustig gemacht haben und der uns jetzt das Leben rettet. Anton kann nicht schwimmen. Ich lasse mir Zeit, bis ich ihn aus dem Wasser ziehe.
"Du Idiot", sage ich. "Wie schaffst du deine Brüche, ohne selber draufzugehen?"
"Shit, da ist wer im Haus", sagt Anton.
Wir ducken uns ins Schilf. Hinter einem Fenster werden die Vorhänge zurückgezogen und das Fenster auf Kipp gestellt.
"Olsen war die ganze Zeit zu Hause." Ich bin fassungslos. "Du hast doch gesagt, um diese Zeit ist er in der Arbeit."
"Hab ich mich halt geirrt. Hör mal, lass uns warten bis es dunkel ist und vornerum einsteigen. Im Erdgeschoss, keine Kletterei ..."
"Keinen Bruch, ich hab die Schnauze voll."
"Wie willst du denn reinkommen? Klingeln und warten, bis jemand aufmacht?"
"Ja, das versuchen wir als Nächstes."
Wir hocken hinter dem jämmerlichsten aller Schilfgürtel, die je von einem Gartenarchitekten zusammengezimmert wurden, mitten in der Entengrütze. Wir müssen uns vergewissern, dass Olsen nichts mitbekommen hat. Er kommt nicht nachsehen, also hat er nichts gehört. Eine Viertelstunde warten wir ab, bevor wir uns ums Haus herumtrauen. Als könnte er den Mist mit dem Rosengitter wettmachen, schleicht Anton wie ein Ninja hinter mir her, deswegen darf ich fünf Minuten an der Haustür auf ihn warten. Sobald er mich geräuschlos, unauffällig und kriechend eingeholt hat, klingle ich. Anton schüttelt den Kopf. "Ist das dein Ernst?", fragt er.
Olsen öffnet, bevor ich es mir anders überlegen kann.
"Guten Morgen!" Ich strahle ihn an. "Wir sind von den Wasserwerken."
Olsen schweigt überrascht. Er sieht wesentlich besser aus als neulich in der Klinik. Die Behandlung braucht einen Tag um zu wirken. So sieht also ein gesunder Olsen aus.
Ich streiche mir die Haare aus der Stirn. "Wir sind hier um Abwasserbelastungsmessgeräte zu installieren. Das Wasserwerk nimmt Stichproben in ausgewählten Haushalten."
Olsen zwinkert mühsam, ich glaube, das ist kein Morgenmensch. Gut so. "Das sagt mir jetzt gar nichts."
"Wir sind eine Woche zu früh, deshalb. Wir ziehen diese Straße im Zeitplan vor, das offizielle Benachrichtigungsschreiben bekommen Sie noch. Wir sind angewiesen, die Situation zu erklären und die Anwohner um Verständnis zu bitten."
"Sie sind patschnass."
"Äh ... richtig ..." Ich drehe mich hilfesuchend zu Anton um. Der sieht mich vorwurfsvoll an und lupft eine Augenbraue.
"Ein interessanter Unfall im letzten Haushalt", sagt Anton langsam. "Wussten Sie, dass eine Toilette explodieren kann, wenn das Hohenzollernventil im oberen Thronkasten nicht geöffnet ist?"
"Das was im was?", fragt Olsen entsetzt.
Das war der Moment, in dem wir gewonnen hatten. Angesichts der unerschütterlichen Ruhe, mit der Anton vorschlägt, er könnte Olsens Thronkasten überprüfen und auch gleich die Jacksim-Kloakenklappe nachstellen, gerät Olsen ins Wanken.
"Würden Sie uns zeigen, wo das Badezimmer ist? Wir brauchen nicht lange", behauptet Anton. Olsen zeigt verwirrt den Flur entlang, da ist Anton mit der Werkzeugtasche schon halb im Haus.
"Ablenken", zischt er mir im Vorbeigehen zu.
"Das sind ja ganz tolle Fotos!", sage ich.
"Was? Wie?" Olsen schließt die Haustür hinter mir. Er tut mir ein bisschen leid.
"Diese Fotos!", wiederhole ich. Wir stehen vor einer Wand vollbehangen mit gerahmten Hochglanzaufnahmen, der Flur ist praktisch tapeziert damit. Olsen in Badehose unter Palmen mit Surfbrett. Olsen in Wollmütze mit Skiern. Olsen in weißer Kapitänsuniform mit Motoryacht.
"Ja ... das sind Urlaubsbilder." Olsen schielt hinter Anton her, der im Badezimmer die Wasserhähne bis zum Anschlag aufdreht, um sich eine unverdächtige Geräuschkulisse zu schaffen.
"Sie kommen ja ganz schön rum."
"Äh, ja."
"Spannend, wo sie überall waren. Wohin ging denn die letzte Reise?"
"Drei Wochen Brasilien, ich bin gerade erst zurück. Die Sonne, wissen Sie ..."
"Davon hat man hier nicht so viel, klar. Sie sind auch ganz braun, Sie sehen prima erholt aus."
Olsens Gesicht verdüstert sich.
"Naja … sagen Sie mal, irgendwie kommen Sie mir bekannt vor."
"Gut möglich, ich wohne in der Nähe." Ich starre hochkonzentriert diese scheußlichen Bilder an, damit Olsen nicht merkt, wie mir der Schweiß ausbricht.
Olsen, der einen Vulkan besteigt. Olsen, der mit einer Machete den Dschungel verprügelt.
Olsen, der sich anschickt, Anton ins Badezimmer zu folgen.
"Moment." Ich packe ihn am Arm. "Wo wurde denn diese Aufnahme gemacht? Die Landschaft sieht fantastisch aus." Ich zeige auf irgendein Bild.
Widerwillig wendet Olsen sich dem Foto zu. "Das war auf einer Tagung in Bochum", sagt er nach einer kurzen Pause.

Bis Anton zurückkommt, habe ich alle denkbaren Interessensheucheleien durchgespielt und Olsen davon überzeugt, dass ich entweder leicht dämlich oder schwer psychopathisch bin. Als Anton endlich aus dem Badezimmer auftaucht, sind wir beide erleichtert.
"Wir kommen dann morgen vorbei um den Probenbehälter abzu…"
Anton tritt mir auf den Fuß. "Vielen Dank, das war es schon. Auf Wiedersehen."
Ich will protestieren, aber Anton stößt mich in die Rippen und zieht mich nach draußen. Olsen sieht uns nach, dann schlägt die Tür zu.
"Wir brauchen gar nicht zurück." Anton zieht im Laufen eine Tupperdose aus der Werkzeugtasche. "Da, bitte. Hat sich rausgestellt, Olsen war eben bevor wir geklingelt haben im Badezimmer. Ich hab deine Beute aus dem Rohr kratzen können. Was jetzt?"
"Oh!" Ich nehme die Plastikdose. "Dann muss das jetzt schnell gehen. Darmbakterien können Luft nicht ab. Hast du die Sachen, die ich wollte?"
Anton zögert. "Bei mir zu Hause, ja."
"Können wir hin?"
Er rümpft die Nase. "Oh Mann. Na ausnahmsweise."

Antons Wohnung ist verdammt groß und richtig schön, damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich stelle die Dose auf der chromblitzenden Küchenzeile ab, löse vorsichtig den Deckel und versuche, mit dem Anblick Freundschaft zu schließen.
"Und jetzt?"
"Jetzt muss ich das in meinen Darm bekommen."
Anton zieht eine Schublade auf und reicht mir einen Suppenlöffel. "Hau rein."
Ihm macht das schon wieder Spaß.
"Meine Sachen?"
Er zieht einen Beutel unter dem Bett hervor. "Einweghandschuhe, Klistier und Kochsalzlösung, alles steril. Du schuldest mir was."
"Prima, Danke."
"Du hast keine Ahnung, was ich durchgemacht habe, um die Klistier-Spritze zu bekommen. Was jetzt?"
"Das ... muss verflüssigt werden. Kann ich den Mixer da nehmen?"
"Bist du irre? Hier die Salzlösung, die ist doch in einer Flasche, da drin kannst du das schütteln."
"Wofür hast du überhaupt einen Mixer?"
"Vergiss den Mixer."
Ich gebe mich geschlagen. Die Hälfte der Kochsalzlösung gieße ich ab, um die Flasche mit Kot aufzufüllen. Was sich als schwierig erweist, weil die Flaschenöffnung winzig, der Löffel groß und die Scheiße störrisch ist. Anton steht an die Wand gelehnt daneben und sieht fasziniert zu. Ich schraube den Flaschendeckel fest und schüttle. Dann halte ich die Flasche gegen das Licht, um das Ergebnis zu begutachten. Es ist ganz und gar nicht zufriedenstellend. Anton stimmt mir zu, will den Mixer aber trotzdem nicht rausrücken. Wir schütteln abwechselnd, bis die Arme lahm sind, auf die Spritze lässt sich das Zeug trotzdem nicht ziehen.
"Das wird nie was, da sind Bröckchen drin. Hast du Kaffeefilter?"
Die hat Anton nicht, dafür findet er im Badezimmer eine Damenstrumpfhose.
"Das Teil ist voll mit Keimen, das nehm ich auf keinen Fall!"
"Du kannst die Strumpfhose doch auswaschen."
"Mit dem braunen second-hand Leitungswasser, oder was?"
Dummerweise kann Anton nirgendwo eine Alternative auftun und ich kann nicht bis morgen warten. Nach vielem Hin und Her erinnert Anton sich an ein Desinfektionsmittel, das er im Altenheim gestohlen hat. Ich weiche die Strumpfhose damit ein. Während sie zum Trocknen in der Dusche baumelt, versuche ich mir vorzustellen, wie die Hose zu Anton gekommen ist und wem sie vorher gehört hat.
Als Filter funktioniert die Strumpfhose super, ich bekomme am Ende etwas, das unserem Leitungswasser sehr ähnlich sieht. Ich befülle den Ballon und setze die Klistierspitze auf. "Ich wäre jetzt gerne einen Moment allein", sage ich zu Anton. Mit Würde.
"Badezimmer", antwortet der nur. "Und hinterher machst du sauber."

Im Nachhinein: Das Schwierigste war, den Einlauf so lange drin zu behalten. Ich glaube, das war schlimmer, als die Spritze einzuführen. Und ja, als ich den Ballon zusammengedrückt habe, habe ich schreien müssen. Ich hätte den Einlauf vorher anwärmen sollen, glaube ich. Aber hinterher, als ich mit zusammengekniffenen Arschbacken und runtergelassener Hose neben dem Klo stand, mir der Schweiß vom Kopf tropfte und ich dachte, ich könnte den brennenden Druck keine Sekunde länger aushalten - das war das Schlimmste. Als ich aus dem Badezimmer kam und Anton mein Gesicht sah, verkniff er sich sein dämliches Grinsen. Er verlor den ganzen Abend kein Wort mehr darüber, was ich ihm hoch anrechne.

Ich frage mich, ob ich mich mit der Spritze verletzt habe. Komisch, die Woche danach ging es nämlich großartig. Jetzt ist mir schlecht, gestern fing das an. Erst nur ein Grummeln in den Eingeweiden, aber seit heute Morgen Durchfall. Sehr sehr flüssig und mit Blut. Ich habe stundenlang überlegt, wen ich anrufen kann. Eigentlich will ich Anton nicht schon wieder sehen, bloß habe ich keine Wahl, außer ihm wäre keiner gekommen. Es ist endlich so weit, ich habe ein schlechtes Gewissen. Anton gegenüber.
"Dein Problem ist gleich keins mehr", verkündet er noch in der Tür. Ich liege auf dem Bett. Mir kommt es so vor, als würde ich immerzu im Bett liegen und Anton zwischen der Tür und dem Sofa hin und her existieren. Er hinterlässt bei jeder Bewegung Schlieren in der Luft. Ach ja, Fieber habe ich auch. Anton zieht eine Plastikdose aus der Jackentasche und ploppt den Deckel ab. Er gibt mir eine kleine rote Pille, sie ist etwas klebrig.
"Die habe ich gesammelt", sagt er und klingt stolz dabei.
Ich befühle die Pille mit den Fingerspitzen, irgendwie ... "Das ist doch nicht eine von denen, die du bei deiner Studie geschluckt hast?", entfährt es mir entsetzt.
"Doch sicher." Völlig arglos.
Angeekelt schmeiße ich die Pille aus dem Fenster.
"Hej!"
"Das ist widerlich. Wofür sollte die gut sein?"
Anton beugt sich über das Fensterbrett. "Na toll, futsch. Das", er dreht sich zu mir um und zeigt der Pille hinterher, "war ein höchst wirksames Präparat gegen Durchfall und Erbrechen."
"Das du geschluckt und wieder erbrochen ..."
"Ein höchst wirksames Präparat! Revolutionär. Unbezahlbar. Falls ich nicht in der Placebogruppe bin."
"Das weißt du gar nicht?"
"Natürlich nicht, das weiß man nie, ist doch doppelblind, so eine Studie. Aber so schwer wie die Dinger hochzuwürgen waren, gehe ich davon aus, dass ich den Wirkstoff bekomme."

Ich weiß nicht, vielleicht lag es daran, dass wir übers Erbrechen geredet haben. Es stieg mir mit so viel Macht die Speiseröhre hinauf, ich konnte es nicht zurückhalten. Nur gerade so auf den Bauch rollen und auf den Boden kotzen. Es war alles Blut. Wie Anton mich zum Arzt gebracht hat, hab ich nicht mehr mitgekriegt.

Onkel Uhu leuchtet mir mit einer Lampe in die Augen. "Guten Morgen", sagt er. Ich weiß nicht, was los ist, ich kann mich nicht bewegen, ich kann nicht mal was sagen. "Sie sind gelähmt", sagt Onkel Uhu. "Das kommt von dem Parasiten, er hat sich in Ihr Hirn ausgebreitet. Ich wünschte wirklich, Sie könnten sprechen. Ich würde zu gerne wissen, wie Sie es geschafft haben, sich hier mit einem brasilianischen Darmparasiten anzustecken."

 

Hallo,

dabei beobachtet er mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Besorgnis und - vielleicht - Mitgefühl.
Vorschlag: dabei beobachtet er mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Besorgnis. Vielleicht ist auch Mitgefühl in seinem Blick.
Vielleicht ist auch Mitgefühl in diesem Mix.

Anton kommt rein ohne anzuklopfen
, ohne anzuklopfen – das ist ein Modalsatz, (ohne … zu, indem usw.) Auf welche Weise kommt er ins Zimmer? Ohne anzuklopfen. Da steht weiter ein Komma.
Bei zu-Konstruktionen kann ein Komma stehen, muss aber nicht, es sei denn der zu-Satz wird durch „um“ oder „ohne“ eingeleitet, dann steht weiter Komma, weil das grammatikalisch eine ganz andere Art von Nebensatz ist, die nur das „zu“ gemein hat.

Ich gebe mir Mühe unfreundlich zu sein, damit er wieder geht. Beleidigt wird und geht.
Ich glaub der zweite Satz geht grammatikalisch nicht so richtig.
Ich glaub dieser Zustand „beleidigt sein“, der geht nur als Zustand, nicht als Prozess. Nun sei nicht beleidigt, nun werd nicht gleich … sauer, schnapp nicht gleich ein.
Nun wird nicht gleich beleidigt … das geht irgendwie nicht, weil man diese Form von beleidigen anders benutzt.

frage ich verblüfft. Verblüfft und ein bisschen ehrfürchtig; mir ist es seit Monaten nicht gelungen an Schmerzmittel zu kommen.
Nicht zur Marotte werden lassen, diese nachgestellten Erläuterungen, wenn man ein Glied noch mal aufnimmt und wieder erklärt, das kann man natürlich machen, aber es ist schon eine auffällige rhetorische Figur.

Anton steht auf um mir Wasser zu bringen.
Hier wieder Komma.

kniet er sich vor den Kühlschrank und knickt eine Flasche aus dem Sixpack heraus
Bei Sixpackt denkt man an Dosen, glaub ich, wenn’s Flaschen sind, vorher sagen. Aber das ist wirklich Kleinkram. Denkt man bei Sixpack an Dosen oder an Flaschen? Wär was für eine Umfrage. Gibt auch kaum noch Dosen, stimmt ja ... hm!


Wo sie die Medikamente unter Aufsicht nehmen weshalb er jeden Tag kotzt um das Zeug wieder loszuwerden.
… nehmen, weshalb er jeden Tag kotzt, um das …

Brennnesselsamen
Glücksrad-Wort? Ich nehme ein „n“ – ding ding ding ding. Bindestrich oder so? Also da braucht man doch wirklich 3 Anläufe für das Wort.

Also, ob es mir genug schmeckt um jetzt noch gegessen zu werden.
, um
So zur Exposition: Gut geschrieben, plastisch, aber ich frag mich: Wo läuft das hin? Wo ist der Anknüpfpunkt. Man hat die Spannung „Warum nimmt der keine Antibiotika“, dann kommt die Lösung „Spender“; dann später „Berufscheißer“ und jetzt fehlt die nächste Frage in dem Moment.

"Ein Kilo Bakterien in meinem Darm? Und sowas weißt du, weil?"
"Zehn Jahre lang das gleiche Info-Blatt neben der Spendentoilette."
Da musste ich lachen, den find ich echt gut.

Anton setzt wieder den listigen Gesichtsausdruck auf und reibt sich mit einem Finger übers Kinn. „Also, wenn er eine Vakuumtoilette hat, ist es einfach. Aber wir müssen zweimal hin.“
Kennst du The Salton Sea? Da haben ein paar Drekheads die geniale Idee, Bob Hopes Kacke aus dem Krankenhaus zu klauen und auf Ebay zu verticken, die rücken mit Handstaubsaugern an. So ein bisschen erinnert mich der Plot an die Szene.

Der sieht mich vorwurfsvoll an und lupft eine Augenbraue.
Bisschen Marotten und so, mal durchschauen. Also ernsthaft: Komma vor um … zu, und ohne … zu – das zieht sich durch den Text.
Dann hast du einen Augenbraunlupf-Fetisch, hast dich ein bisschen zu sehr in diese Schnepf-Idee verliebt (die Hälfte wäre da toll) und „schulmeistern“ ohne ein Objekt ist so extravagant, dass es beim zweiten Mal schon auffällt, vielleicht einfach dozieren. Und stilistisch das nachgestellte.

wenn das Hohenzollernventil im oberen Thronkasten nicht geöffnet ist?"
Den find ich auch sehr gut. Das ist wie „Das Büro hat angerufen. Ich muss sofort hin. Es gibt Probleme mit dem Fluxkondensator.“

Olsen, der einen Vulkan besteigt. Olsen, der mit einer Machete den Dschungel verprügelt.
Olsen, der sich anschickt, Anton ins Badezimmer zu folgen.
Das ist auch sehr gut. Ich hab das Gefühl, der Text ist jetzt richtig auf Betriebstemperatur.

Ich schraube den Flaschendeckel (sorgfältig!) fest
Nee, die Klammer nicht. Das ist zu sehr Klamauk.

Wah. Was eine Po-inte!
Ich find die Geschichte hat so was junkie-mäßiges. So diese Junkie-Logik. Ich weiß nicht, ob das nur durch die Salton Sea Parallele so war, aber dieses Funktionale des Körpers, und dass man sich bestimmten absurde Ideen dann so stellt. Dass man Grenzen überschreitet, die der andere gar nicht mehr wahrnimmt (Pille wieder hochgeröchelt – das ist schon krank; und einem Freund die dann geben – wah!).

Mit welcher Konsequenz das dann gegen Ende durchgezogen wird, mit dem Einlauf – alle Achtung, ich weiß nicht, was genau da die Szene sagen will, aber das ist ein krasser Text. Er hat Anfang, Mitte und Ende, er hat wirklich was, das hängen bleibt, es ist für mich so ein bisschen eine falsche Fährte auch in dem Text. Am Anfang denkt man: Ah, Science-Fiction – das wird jetzt eine Kritik am Gesundheitssystem. Und dann so in der Mitte kippt es in so eine Junkie-Slacker-Story mit Slapstick-Elementen. Es gibt einen kleinen Hänger, wenn raus ist, dass er Berufsscheißer ist, wie es dann weitergehen soll, und ich hab noch ein paar Maröttchen gesehen, aber sonst ist das schon eine starke, amüsante Geschichte auch.
Und es ist wirklich mal asuerzählt und nicht nur angerissen, es ist eine Geschichte, keine Skizze.
Ich fand’s echt gut. Trippig, so ein bisschen. Am Anfang der Eiter, am Ende die Parasiten und der Kram dazwischen – gut, dass es kein Geruchsinternet gibt.

Gruß
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Quinn!

Vorab: Danke fürs Lesen, bei der Länge (und der Thematik ;) ) rechne ich mit einem sehr eingeschränkten Publikum. Doppel-Danke fürs Eingehen auf Sprachliches. Damit stehe ich so auf Kriegsfuß im Moment, da kann ich jeden Hinweis brauchen.

Ich hab ein paar Kommata verteilt ... das ist nicht Schussligkeit hier, ich weiß das einfach nicht besser, so peinlich das auch ist. Und ich mach sie immer wieder falsch. :dozey:

Vorschlag: dabei beobachtet er mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Besorgnis. Vielleicht ist auch Mitgefühl in seinem Blick.
Vielleicht ist auch Mitgefühl in diesem Mix.
Jaaaa ... nee ... weiß auch nicht, ich hab jetzt erstmal das Mitgefühl gekickt.

Ich glaub der zweite Satz geht grammatikalisch nicht so richtig.
Ich glaub dieser Zustand „beleidigt sein“, der geht nur als Zustand, nicht als Prozess. Nun sei nicht beleidigt, nun werd nicht gleich … sauer, schnapp nicht gleich ein.
Nun wird nicht gleich beleidigt … das geht irgendwie nicht, weil man diese Form von beleidigen anders benutzt.
Ist geändert, da war ich blind. Gemeint war "wird beleidigt" als Futur von "ist beleidigt". Das funktioniert nur in meinem Kopf, stimmt schon.

Nicht zur Marotte werden lassen, diese nachgestellten Erläuterungen, wenn man ein Glied noch mal aufnimmt und wieder erklärt, das kann man natürlich machen, aber es ist schon eine auffällige rhetorische Figur.
Whoa, okay. Das muss ich beobachten. Hier im Text lass ich's erstmal so, aber ich muss mal sehen, ob ich das generell mache. Das könnte nämlich sein.

Das Sixpack verteidige ich aber! Ein Sixpack sind doch ganz klar diese Sechserpack-Flaschen, aus Pappe, so ein Sechserträger ... ja: hm!

Glücksrad-Wort? Ich nehme ein „n“ – ding ding ding ding. Bindestrich oder so? Also da braucht man doch wirklich 3 Anläufe für das Wort.
Ja, ich hab's auch falsch geschrieben. Da war ein N zuviel. Mit Bindestrich find ich's hässlich, aber okay.

So zur Exposition: Gut geschrieben, plastisch, aber ich frag mich: Wo läuft das hin? Wo ist der Anknüpfpunkt. Man hat die Spannung „Warum nimmt der keine Antibiotika“, dann kommt die Lösung „Spender“; dann später „Berufscheißer“ und jetzt fehlt die nächste Frage in dem Moment.
Da weiß ich noch nicht, ob ich das jetzt schlimm finde. Es ist okay, sich zu fragen "was jetzt". Das weiß der Erzähler ja in dem Moment auch nicht. Noch in derselben Szene wird der Plan gefasst (am Ende). Davor kommt science babble zur Erklärung. Die Joghurt-Brennesselsamen-Stelle: Ich wollte irgendwie noch das Thema "Probiotische Nahrungsmittel" abdecken. Außerdem kriegt Anton da zwei Zeilen, die ihn als Dealer-Kreatur charakterisieren. Und ich wollte zeigen, dass der Erzähler sich tatsächlich Gedanken um seinen "Beruf" gemacht hat, all die Jahre :D
War das jetzt einfach nur langweilig oder wo ist das Problem?
Denn, dass der Leser ratlos ist: erstmal ist das doch gut, die Figuren wissen doch auch nicht weiter. Oder versteh ich dich vollkommen falsch?

Den Gag mit dem Info-Blatt, den du mochtest: Ehrlich gesagt war das eine Verlegenheitsgeste, um das science babble auf das Niveau der Figur runterzuziehen. Sonst fragt man sich doch, warum weiß der sowas?
Und der Dialog entlarvt sich selbst als pädagogisches Kasperletheater für den Leser (was er ja auch ist, aber er darf ja nicht so aussehen).

Kennst du The Salton Sea? Da haben ein paar Drekheads die geniale Idee, Bob Hopes Kacke aus dem Krankenhaus zu klauen und auf Ebay zu verticken, die rücken mit Handstaubsaugern an. So ein bisschen erinnert mich der Plot an die Szene.
Boah, nee, das kenn ich nicht, und ich bin gerade extrem angepisst, dass es sowas gibt. Da denke ich mal wieder, ideenmäßig originell wie sonstewas, sitze auf dem ganz hohen Ross, und jemand hat das Pferd erschossen. So ein Mist, echt.

Bisschen Marotten und so, mal durchschauen.
Kann ich nicht, weil ich nicht weiß, was du mit Marotten meinst. Erstmal klingt Marotte sehr nett, kann ja was Sympathisches sein. Kann aber auch nervtötend bedeuten.

Kommaregeln: ok, ich hoffe, ich hab's bereinigt.

Dann hast du einen Augenbraunlupf-Fetisch, hast dich ein bisschen zu sehr in diese Schnepf-Idee verliebt (die Hälfte wäre da toll) und „schulmeistern“ ohne ein Objekt ist so extravagant, dass es beim zweiten Mal schon auffällt, vielleicht einfach dozieren. Und stilistisch das nachgestellte.
Die gelupften Augenbrauen sieht der Erzähler immer dann, wenn er sich kritisiert fühlt. Ich dachte, ich hätte das in zwei Szenen so etabliert, das man's in der dritten versteht. Das hat offensichtlich nicht geklappt.
Einen Schnepf habe ich getötet. So viele sind's doch gar nicht ... mal sehen, wie ich in ein paar Tagen drüber denke.
Schulmeistern sollte doch auffallen, Mönsch. Das steht beide Male an den Stellen, wo Anton den Erzähler "belehrt". Anton soll ein nerviger Besserwisser sein.
Ich kann es nicht beweisen, aber ich benutze weder Augenbrauen noch das Verb "lupfen" noch "schulmeistern" in anderen Texten, das wollte ich nur diesem Text mitgeben. :D
Das nachgestellte: das muss ich sehen, da hast du vielleicht was Übles gefunden.

Die klamaukige Klammer ist geflogen und das "sorgfältig" gleich mit.

Wah. Was eine Po-inte!
Witzelst du hier ernsthaft "Po"-inte? Und wirfst mir Klamauk vor? :D :D :D

Mit welcher Konsequenz das dann gegen Ende durchgezogen wird, mit dem Einlauf – alle Achtung, ich weiß nicht, was genau da die Szene sagen will, aber das ist ein krasser Text.
Findest du die Beschreibung des Einlaufs unpassend? Also, die Passage "Im Nachhinein ..."? Der Absatz hat tatsächlich wenig Funktion. Autor dachte sich, es wäre feige, den nicht zu schreiben (ich bin öfter feige beim Schreiben und wollte gegensteuern). Und dann musste ich erstmal recherchieren, wie sich so ein Einlauf wohl anfühlen könnte ...
Wenn da jetzt Aufschreie kommen, den Absatz kann man rausnehmen, die Geschichte und die Pointe sollten trotzdem funktionieren.

Er hat Anfang, Mitte und Ende, er hat wirklich was, das hängen bleibt, es ist für mich so ein bisschen eine falsche Fährte auch in dem Text. Am Anfang denkt man: Ah, Science-Fiction – das wird jetzt eine Kritik am Gesundheitssystem.
Ha, nee, die falsche Fährte ist nicht ganz geplant. Das ist ein Relikt aus der Zeit, als die Geschichte noch paar Anspielungen auf Privatpatienten versus "Staatliche" (Kassenpatienten) hatte. Das war öde und hat die Geschichte noch länger gemacht.

Und dann so in der Mitte kippt es in so eine Junkie-Slacker-Story mit Slapstick-Elementen.
Ja, ich musste am Anfang so viel vorbereiten und erklären (science babble!), das klaut das Tempo und diktiert einen "ernsthafteren" Ton irgendwie. Ich befürchte auch, dass Leser vom Anfang verprellt werden. Aber ich hab da länger drüber gebrütet, mir fällt da nicht mehr viel ein zum Aufpeppen.

Es gibt einen kleinen Hänger, wenn raus ist, dass er Berufsscheißer ist, wie es dann weitergehen soll, und ich hab noch ein paar Maröttchen gesehen, aber sonst ist das schon eine starke, amüsante Geschichte auch.
Wie gesagt, der Hänger - ist es langweilig an der Stelle? Wirkt die Geschichte so, als wüsste ich (als Verfasser) vorübergehend nicht, wohin ich wollte? Das ist nämlich ganz sicher nicht der Fall.
Maröttchen ... das wird ja immer niedlicher und sympathischer :)
Das wär jetzt auch wichtig zu wissen, ob ich hier in dem Text speziell was versucht hab (was dann in die Hose ging), oder ob ich IMMER marottig schreibe. Hm, in ca. vier Jahren poste ich die nächste, dann können wir Stil/Sprache ja mal vergleichen.

Und es ist wirklich mal asuerzählt und nicht nur angerissen, es ist eine Geschichte, keine Skizze.
Ja klar.

Danke nochmal! Gerade Rückmeldungen zur Sprache kann ich echt gut gebrauchen im Moment.


Edit: Ich hab an zwei/drei Stellen am Anfang zwei/drei Sätze reingeschummelt in der Hoffnung, der Hänger ist jetzt überbrückt. Außerdem wurden mehrere Schnepfen durch Zwerge ersetzt jetzt, ja, vielleicht sind jetzt zu viele Zwerge drin.

 

Ich bin kein Mediziner, aber müsste es nicht heißen: Kieferhöhle? Ich meine, Kiefern sind doch Nadelbäume, oder? :D

Ansonsten habe ich nur Lob für die Story: Eine frische Idee, ein wichtiges Thema, locker geschrieben, und man kommt nicht umhin, äh... mitzufühlen.

Das gibt ne Empfehlung von mir.

 

Okay, sowas will erstmal gedacht werden. Gerade die Ekelgrenze wird von Menschen - selbst in Gedanken - selten überschritten.
Mir gefällt die leicht düstere Umwelt, in welcher sich der Protagonist bewegt. In meinem Kopf wird sie zu einer (für deutsche Verhältnisse) medizinischen Dystopie, von der wir nicht mehr allzuweit entfernt sein könnten, falls sich der Gesundheitssektor so weiter entwickelt, wie in den letzten Jahrzehnten.

Die Spannung kam recht schnell auf und blieb beinahe Konstant bis zum Ende, deine von Quinn angemerkten "Marotten" gefallen mir besonders, zumal ich selber gern ab und an mit solchen spiele ;-)

lG

Im Ursprung

 

Danke für die Blumen :)

Ich glaube, ich habe mein ganzes Leben lang Kiefernhöhle geschrieben ... und bis heute isses mir nie aufgefallen. Oh Mann.

Danke für die Empfehlung, Uwe.


Im Ursprung,

vielleicht klingt das unglaubwürdig ;) , aber ich war mit der story nicht auf Ekel aus. Ich hatte von dieser Transplantationsmethode gelesen, und wie gut die wirkt gegen CDI und IBS, und dass die evtl. gegen Parkinson (Parkinson!!!) hilft, und ich fand das einfach nur total kuhl. :D
Naja, und eine vollkommen "uneklige" Geschichte um dieses Thema herumzuschreiben, das geht einfach nicht.

Mir gefällt die leicht düstere Umwelt, in welcher sich der Protagonist bewegt. In meinem Kopf wird sie zu einer (für deutsche Verhältnisse) medizinischen Dystopie, von der wir nicht mehr allzuweit entfernt sein könnten, falls sich der Gesundheitssektor so weiter entwickelt, wie in den letzten Jahrzehnten.
Bis auf die Transplantationsmethode selber habe ich wenig recherchiert, ich hoffe, diese medizinische Dystopie ist unrealistisch. Aber klar hab ich mich von bestimmten Trends im Gesundheitssystem und Gesellschaftssystem inspirieren lassen, und dann eben übertrieben.

Die Marotten sind vielleicht auch einfach Geschmackssache :)
Freut mich, dass es dir gefallen hat.

 

Hallo Möchtegern,

gefallen haben mir bei diesem Text die gesellschaftliche Relevanz, die Figur Anton und die Pointe. Sehr gut fand ich auch, dass die medizinischen Details glaubhaft wirken. Noch besser fände ich den Text, wenn du einige Stellen kürzen würdest. Kandidaten dafür sind der erste Dialog mit dem Doktor, die erste lange Szene mit Anton, das Warten in der Klinik und das Planen und Durchführen der Gewinnung von Olsens Stuhlprobe.
Am Ende hätte ich mir etwas mehr Schilderung gewünscht. Der eine Absatz wirkt nach den ganzen ausführlichen Beschreibungen mager. Ungefähr wie ein winziger Klecks Sahne auf einer großen Schüssel Mousse au Chocolat. ;)

Ich habe diese Geschichte gern gelesen, wenn ich sie auch für dieses Format (Lesen am Bildschirm!) ein Stück zu lang fand. Quinn hat in den meisten Dingen recht. Bei diesem Auserzählen von Geschichten, das er immer lobt, bin ich aber anderer Meinung: Viele Geschichten gewinnen, wenn man Teile weglässt und manches nur andeutet, sodass die Phantasie des Lesers es ergänzen kann.

Noch ein paar Anmerkungen:

Da legt er mir tatsächlich die Hand auf den Arm. Ein Arzt, der den Onkel Doktor spielt, dass es sowas noch gibt. Onkel Uhu.
Da dachte ich an Onkel Uhu aus "Puschel das Eichhorn". :)

Jeder hat ein besonderes Talent, habe ich gehört. Ich habe meins nie finden können, oder zumindest kann ich nichts so gut, dass es gut genug wäre. Nur mit dieser einen Sache, da habe ich Glück gehabt. Ich darf eigentlich nicht darüber reden, mein Arbeitsvertrag droht mit Gefängnis und -
Das fand ich großartig!

Ich hatte Glück, bis jetzt hab ich immer gutes Geld fürs Spenden bekommen. Mein Material heilt nicht nur CDI und IBS, sondern so ziemlich jedes bakterielle Problem, das den Verdauungstrakt befällt. Außerdem bin ich einer der Jackpots, den man einmal in 10,000 findet: aus mir kann man Medizin gegen Parkinson und mehrere Arten Krebs machen.
Dafür hast du sicher recherchiert, oder?

"Mal sehen", Anton runzelt die Stirn, "ich kann dir zeigen, wie man aufs Klo geht, du gewöhnst dir schrittweise ab, in diese komischen Spendeboxen zu machen - und in zwei Wochen bist du ein normaler Mensch."
Ich werfe ihm einen Joghurtbecher an den Kopf. Der Becher prallt ab und rollt über das Sofa.
Das ist eine der Stellen mit Anton, die ich gut geschrieben, aber für die Geschichte unnötig fand.

Olsen öffnet, bevor ich es mir anders überlegen kann.
"Guten Morgen!" Ich strahle ihn an. "Wir sind von den Wasserwerken."
Olsen schweigt überrascht. Er sieht wesentlich besser aus als neulich in der Klinik. Die Behandlung braucht einen Tag um zu wirken. So sieht also ein gesunder Olsen aus.
Hier würde Olsen den Protagonisten erkennen und merken, dass etwas faul ist.

Freundliche Grüße,

Berg

 

Hallo Möchtegern

Über die Empfehlung bin ich auf deine Geschichte gestossen, und ich muss sagen, die Empfehlung besteht zurecht!

Viel Neues kann ich gar nicht hinzufügen - auch mir gefällt der Mix aus Ernsthaftigkeit und Komik, besonders gut immer die Stellen, wo eher nebenbei erzählt wird, wie sich die Gesellschaft entwickelt hat, die Trennung in private und staatliche Sektoren, die Sache mit dem Abwasser ... da hast du genau die richtige Mischung erwischt, finde ich.

Die beste Stelle ist die in Olsens Haus, wo der Erzähler Olsen krampfhaft in eine Unterhaltung über die Fotos verwickelt - da bin ich aus dem Grinsen nicht mehr rausgekommen. Einen kleinen Durchhänger hat die Geschichte mMn kurz zuvor, die Stelle mit dem Gitter und wie sie beide in den Tümpel fallen - klar, das bereitet den Gag mit dem Hohenzollernventil vor, das finde ich trotzdem ein bisschen zu viel des Guten.

Nichtsdestotrotz, die Geschichte ist sehr unterhaltsam geschrieben, also ich finde das eine der besten, die ich in der letzten Zeit hier gelesen habe.

Viele Grüsse.

 

Hi Möchtegern!

Ich hab deine Geschichte schon kurz nachdem du sie gepostet hast gelesen, und sofort gedacht, die ist so gut, da muss ich einen ganz tollen ausführlichen Kommentar dazu schreiben und eine Empfehlung.

Aber ich bin nicht dazu gekommen, weil die Woche richtig stressig war, und in der Zwischenzeit sind mir natürlich Heerscharen von Kommentatoren zuvorgekommen. :D.

Empfehlung gibt es schon, bleibt also nur noch der Kommentar.

Also, die hat mir sehr gut gefallen. Dass jemand das Thema Darmbakterien in einer Geschichte verarbeitet, habe ich noch nicht gesehen. Ich mag den Erzähler, die Figuren, und dieses dystopische Gesundheitssystem als Hintergrund. Der Text könnte wahrscheinlich ein bisschen kürzer sein, aber das möchte man als Leser eigentlich gar nicht, weil das Lesen so viel Spaß macht. :)

Ich habe ein paar Vorschläge, wo du was ändern könntest oder auch nicht, aber die meisten sind erst beim zweiten Lesen aufgetaucht, also das ist alles Rumkritteln auf sehr hohem Niveau.

Invasiv
Finde ich als Titel nicht so passend. Wenn mir ein besserer einfällt, sage ich bescheid :).

Ein Schnupfen beendete mein Leben. Als der sich grün verfärbte, kamen die Schmerzen mit Wucht und ließen meinen Kopf wachsen wie einen Riesenkürbis.
Das ist … ich weiß nicht, fast ein bisschen zu poetisch für diesen Erzähler. Würde der nicht eher so was sagen wie „Ein Schnupfen hat mein Leben zerstört“? Und im zweiten Satz, da bezieht sich das „der“ auf den Schnupfen, also hat sich der Schnupfen grün verfärbt? Da würde ich sagen: Als der Rotz sich grün verfärbte

Anton weiß, dass ich krank bin und in Ruhe gelassen werden will, wenn ich krank bin.
Der letzte Nebensatz kann raus.

Irgendwas müssen sie doch gefunden haben, sonst würden sie mich nicht ins Krankenzimmer abschieben?
Das ist eigentlich ein Aussagesatz, aber er endet in einem Fragezeichen? :)

Ein Verwaltungsschnepf.
Quinn hat ja schon so was ähnliches gesagt – irgendwann nehmen die Schnepfen in der Geschichte überhand. Bei dem Verwaltungstypen passt es nicht so gut, finde ich.

Das Joghurt habe ich in eine Schale gefüllt und rühre Müsli unter,
Bei mir ist es der Joghurt, aber das ist vielleicht so eine regionale Sache.

Grüße von Perdita

 

Hey Möchtegern,

ich verirre mich ja wirklich selten in diese Rubrik, aber diese Verirrung hat sich wirklich gelohnt. Hier mein Kommentardebüt in SF :).

Ein Schnupfen beendete mein Leben. Als der sich grün verfärbte, kamen die Schmerzen mit Wucht und ließen meinen Kopf wachsen wie einen Riesenkürbis.
Ich lasse mich von der Metallpritsche rutschen.

Also, der Einstieg hat mir jetzt nicht so gefallen, rein sprachlich, auf mich wirkt der irgendwie so gestelzt, weiß nicht wie ich das besser ausdrücken kann. Ich fand auch den Wechsel von Vergangenheit zu Präsens, da hätte man ruhig durch einen Absatz trennen können.

Ich hätte es so formuliert:
Ein Schnupfen beendete mein Leben. Als der sich grün färbte, kamen die Schmerzen mit Wucht und mein Kopf wuchs wie einen Riesenkürbis.
Ob das jetzt aber besser ist, weiß ich auch nicht :D.

Und dann hatte ich ein bisschen Angst davor, dass ich jetzt vielleicht ganz viele Sätze nicht mögen würde, war aber nicht so. Ab dem Zeitpunkt mochte ich alle Sätze!
Was ich wirklich gern hatte, war die Gesellschaftsprognose, die Du da scheinbar nebenbei entwirfst. Dieses auf die Spitze getriebene Zweiklassenmodel. Das mit dem Wasser - das ist so cool. Erinnerte mich ein bisschen an Geschwister, wo der Jüngere immer die Klamotten vom Älteren bekommt, weil die Haushaltskasse knapp ist, ober weil die ja eben noch "gut" sind.

Also, dieses Modell und die humorige Leichtigkeit, mit der der Text arbeitet und damit eigentlich an Schärfe gewinnt, weiß man doch nicht, ob man darüber wirklich Lachen sollte an manchen Stellen. Wirklich gut!

"Die Sache ist sehr bedauerlich. Eine Fäkaltransplantation mit Ihrem Stuhl ist noch immer in der Lage, eine Clostridium difficile Infektion zu heilen. Aber ... naja, das geht mit jedem gesunden Spender." Zwerg lächelt.

Alter Schwede, wie kommt man nur auf so was! Großartig.

"Es ist bloß eine Kapsel. Früher gab es das als Einlauf oder Magensonde, jetzt wird das irgendwie in eine Kapsel gepresst, die man schlucken kann.

Das spart auch Material und Personal und ist so wunderbar ekelig!

"Wenn du dir eine deiner Spenden zurückklauen könntest, eine, die noch gegen alle Krankheiten funktioniert hat, dann bekämst du die heilige Scheiße wieder?"

Heilige Scheiße - das ist toll - da bekommt die Redewendung doch mal einen Sinn :D

Die ökologisch verantwortungsbewusste Vakuumtoilette, schulmeistert Anton, saugt in einen im Keller installierten Auffangbehälter.
Das Saugrohr hat ein Knie "hinten unten, unterm Sitz", da käme er dran, da könnte er einen Filter zwischenbauen.

Da war ich kurz raus. Das habe ich nicht kapiert, was Du mir hier sagen wolltest. Oder eben Anton. Weil ich noch nie mit einer Vakuumtoilette vertraut gemacht wurde. Ich dachte, die schleppen so ein Ding mit sich und lassen ihn da hineinscheißen. Und dann so Keller - hä? Knie unterm Sitz? Saugrohr? Ich war überfordert.

"Moment." Ich packe ihn am Arm. "Wo wurde denn diese Aufnahme gemacht? Die Landschaft sieht fantastisch aus." Ich zeige auf irgendein Bild.
Widerwillig wendet Olsen sich dem Foto zu. "Das war auf einer Tagung in Bochum”, sagt er nach einer kurzen Pause.

:lol:

Ja, konsequent bis zum Ende durchgezogen. Hat mir sehr viel Spaß gemacht. Tolles Kino :)

Beste Grüße Fliege

 

Fecal transplantation is real!

Hallo Leute :)

Eigentlich hatte ich mich am Freitag damit abgefunden, dass die story wegen Überlänge wohl nicht mehr groß gelesen/kommentiert werden würde.
Klasse, dass ich falsch lag!

Bevor ich euch einzeln antworte:
Ich mach mir Sorgen, dass die Ausgangsidee als blödes Gespinne meinerseits abgetan wird, also Stuhltransplantate gibt es wirklich.

http://en.wikipedia.org/wiki/Fecal_bacteriotherapy

Das gilt als "letzte Notfall-Lösung", wenn sonst nichts hilft gegen bakteriell bedingte Formen der, äh, Scheißerei. Es wird nicht vernünftig erforscht, weil alle das so furchtbar eklig finden. Vor ein paar Jahren war die Methode in den Medien, weil bei einem Patienten, der so eine Transplantation bekam, hinterher die Symptome seiner Parkinson Erkrankung abgeschwächt wurden.
Also Fakt vs Fiktion:
- diese Transplantate gibt es wirklich, und sie werden eingesetzt gegen CDI (Clostridium difficile Infection) und seltener (nur in Australien, glaube ich) auch gegen IBS (Irritable Bowel Syndrome - Reizdarm?)
- die Standardmethode gegen CDI sind Antibiotika; im Gegensatz zu der Situation in der Geschichte ist Vancomycin heute meist wirksam, Resistenzen sind aber auf dem Vormarsch, und ja, an hartnäckiger CDI sterben Leute auch heute schon
- dass man über die Darmflora gegen Krebs, Asthma, Neurodermitis vorgehen kann, habe ich erfunden; meiner Meinung nach könnten sich alle Krankheiten beeinflussen lassen, die irgendwie mit Entzündungsreaktionen verlinkt sind ... okay, bei Krebs ist das am weitesten hergeholt, aber auch da hab ich schon was in der Richtung gelesen
- ich habe erfunden, dass es sowas wie den "magischen Spender" gibt. Das könnte aber sein, finde ich. Man hat das bisher einfach nicht untersucht (eigentlich ist nicht mal die Wirksamkeit der Methode nachgewiesen, weil es noch keine klinische Studie dazu gab). Für die bisher etablierte CDI-Behandlung nimmt man einfach "irgendeinen" Gesunden, zB den Partner oder ein Familienmitglied. Man muss nur testen, ob diese Leute vielleicht (asymptomatisch) ebenfalls mit Clostridien infiziert sind, in diesem Fall sollte man auf jemand anderes ausweichen.
- die Kapsel-Darreichungsform gibt es wohl schon (inklusive Gefriertrocknung des Materials), das ist irgendwie noch seltener als die Methode über eine Sonde
- man kann eine solche Transplantation so ähnlich durchführen, wie in der Geschichte beschrieben: man macht sich tatsächlich eine Art Smoothie mit Kochsalzlösung in einem Mixer zB und führt es hinten ein, es geht vor allem darum, sich nicht dabei zu verletzen und *sich nicht mit kranker Scheißer anzustecken*

Hej Berg,

Du hast Recht, ich find den Text auch sehr lang, aber ich bin in puncto Kürzungsvorschläge im Moment völlig beratungsresistent, leider. Du hast als Kürzungskandidaten die Stellen genannt, in denen ich erkläre ... ich weiß, dass die relativ lahm und ernsthaft sind deswegen. Im Moment bin ich aber davon überzeugt, dass ich das alles brauche

Am Ende hätte ich mir etwas mehr Schilderung gewünscht. Der eine Absatz wirkt nach den ganzen ausführlichen Beschreibungen mager. Ungefähr wie ein winziger Klecks Sahne auf einer großen Schüssel Mousse au Chocolat.
Was, echt jetzt? Du wolltest eine ausführlichere Beschreibung des Einlaufs? Wow.

Ich habe diese Geschichte gern gelesen, wenn ich sie auch für dieses Format (Lesen am Bildschirm!) ein Stück zu lang fand.
Ja, sie ist eigentlich zu lang fürs Forum, ich weiß. Aber ich wollte mal wieder was posten, und ich habe aktuell nix Kürzeres. :(

Quinn hat in den meisten Dingen recht. Bei diesem Auserzählen von Geschichten, das er immer lobt, bin ich aber anderer Meinung: Viele Geschichten gewinnen, wenn man Teile weglässt und manches nur andeutet, sodass die Phantasie des Lesers es ergänzen kann.
Ich weiß jetzt nicht genau, was Quinn mit Auserzählen meint. Für mich heißt Auserzählen erstmal, dass der Schreiber genug in die Figuren investiert, so dass die plastisch werden, und dass dem Leser Handlung gezeigt wird. Das geht beides Hand in Hand, meine ich, weil man die Figuren charakterisieren sollte über das, was sie tun und sagen, und nicht einfach schreibt "Anton ist ein Dealer und wir sind beide ziemlich arm" oder sowas ...
In dem Sinne wollte ich hier "auserzählen". Auserzählen heißt für mich nicht, dass der Leser nicht mehr denken und phantasieren muss.
Aber, kann schon sein, dass ich hier zu viel erzählt habe. Im Moment traue ich mich nicht, was wegzunehmen. Zum Beispiel die Stelle, die du "großartig" fandst, die fand ich eher schwächer ... und die Stelle, die du unnötig fandst, die sollte ein Gag sein. :shy:
Ja, dass Olsen den Protagonisten nicht erkennt, das ist natürlich ziemlich absurd. Die ganze Situation ist da absurd, dass die mit ihrer dreisten Lügerei durchkommen. Ich wollte dem Leser anbieten, dass Olsen ja offensichtlich noch ziemlich verpennt ist ("kein Morgenmensch") und sich deswegen so überfallen lässt. Außerdem schöpft er ja später Verdacht und der Erzähler kommt Olsen bekannt vor ...
Puschel das Eichhorn kenne ich nicht. Aber verdammt, ich hätte wissen müssen, dass ein Uhu schon wieder ganz ausgelutscht ist ... grummel.

Danke für deinen Kommentar!

Hi Schwups,

Einen kleinen Durchhänger hat die Geschichte mMn kurz zuvor, die Stelle mit dem Gitter und wie sie beide in den Tümpel fallen - klar, das bereitet den Gag mit dem Hohenzollernventil vor, das finde ich trotzdem ein bisschen zu viel des Guten.
ah, okay. Eigentlich ist diese ganze Szene mit dem missglückten Einbruch eine Vorbereitung für die Szene "dann klingeln wir jetzt einfach". Ich seh im Moment nicht, wie ich drauf verzichten kann. Aber gut zu wissen, dass die nicht so gut geworden ist, wie ich dachte ...

Danke!


Hi Perdita,

ich bin total verliebt in den Titel. :shy:
Da musst du mir schon was Großartiges bieten, damit ich den ändere. Ich fand das auf der Meta-Ebene so schön, wer sich da wann wie invasiv verhält gegenüber wem ...

Du hast Recht mit dem Anfang, und bis ganz kurz vorm Hochladen stand da auch zerstört und ein Synonym für Rotz. Und dann dachte ich, die story braucht nicht gleich "Ekel" in den ersten Sätzen ...

Ich beharre auch auf meinem Nebensatz, dem sächlichen Joghurt und dem Fragezeichen ...
Der Verwaltungsschnepf ist jetzt größtenteils ein Zwerg geworden ... aber öhm, okay, ich merk mir mal für die Zukunft, dass solche Spielereien nicht so gut ankommen, wie ich dachte.

Danke!


Hi Fliege,

danke fürs Fremdwildern, auch wenn's nur der "Kommentarwoche auf KG.de" geschuldet war ;)

Du hast wohl recht mit dem Anfang, und Perdita schießt in eine ähnliche Richtung. Ihr habt mich da erwischt, ich hab den Anfang neu aufgepfropft ganz am Ende, vorm Posten. Mit der Motivation, Leser nicht in der ersten Zeile zu verprellen.
Über die Tempi-Wechsel hab ich mir auch Sorgen gemacht (später bei der Einlaufszene ja auch nochmal, da hat der Erzähler einfach keinen Nerven um währenddessen zu erzählen).
Sieht ein Absatz nach nur zwei Sätzen nicht irgendwie "falsch" aus? :confused:

Ja, also die Vakuumtoilette, die Beschreibung da muss auch keiner richtig verstehen, das ist nur Gespinne von mir. Im Gegensatz zur Transplantationsmethode hab ich da kaum recherchiert (heutige Vakuumtoiletten haben nichts mit den Toiletten in der Geschichte zu tun): ich brauche diese neue ominöse Toilettenart als Krücke, damit der Plot funktioniert.

Danke!

 

Hi Möchtegern,

ich bin total verliebt in den Titel.
Da musst du mir schon was Großartiges bieten, damit ich den ändere. Ich fand das auf der Meta-Ebene so schön, wer sich da wann wie invasiv verhält gegenüber wem ...

Ja, das ist auch echt nur so ein individuelles Bauchgefühl (hihi) mit dem Titel. Bei "Invasiv" denke ich zuerst an invasive Chirurgie oder invasive Arten. Ich fand die Stelle mit "Heilige Scheiße" in der Geschichte ganz toll und musste da richtig laut lachen, aber als Titel eignet sich das nicht - du hast das ja so geschickt aufgebaut, dass erst nach und nach herauskommt, was er von Beruf macht, da kann man ja nicht mit dem Titel schon sagen: Hey Leser, hier geht's um Fäkalien.
Ach, behalt den Titel doch einfach :D

Außerdem, offtopic: Ich hab dich bis jetzt aus irgendeinem Grund immer für einen Mann gehalten und meinen Irrtum erst jetzt gerade beim Profilgucken gemerkt. Wahrscheinlich habe ich irgendwo sogar mal sowas geschrieben wie "der Möchtegern". Wenn ja, tut mir das leid :shy:

 

Der Arbeitstitel von dem Ding war auch immer Heilige Scheiße, so heißt die Textdatei mit der Vor-Version auch jetzt noch. Ganz ursprünglich wollte ich mal "Der Stuhlspender" ... aber nachdem ich diesen "Spannungsbogen" so hingetüftelt hab, geht das jetzt alles wirklich nicht mehr.

Als ich damals im Forum ankam, hatte ich mein Profil geschlechtslos gelassen, ich glaube, da wurde ich überall "der Möchtegern" - grammatikalisch stimmt das ja auch so. Bleib ruhig bei "der", klingt vielleicht besser, mir ist das wurscht.

Ich lass mir den von dir kritisierten Anfang auch immer noch im Kopf rumgehen. Aktuell hab ich wenig Nerven, was am Text zu ändern, weil ich NULL Abstand habe im Moment. Gefühlte tausendmal gelesen, das Gerät ... also mal sehen.

Aber wirklich alle Kommentare arbeiten immer in mir nach, versprochen!

 

Hallo Möchtegern,

na, dann versuche ich mich einmal an meinem Debüt als Kritiker - aber da ich ja hier nicht der Erste bin, lastet zum Glück kein riesengroßer Druck auf mir...

Auch ich finde die Geschichte großartig und zu Recht empfohlen, da sie sogar einige der bereits empfohlenen Geschichten an Qualität übertrifft. Die Idee ist super und ist mir im Gegensatz zu Quinn auch noch nie in abgewandelter Form untergekommen. Es soll also keiner sagen, man kann heutzutage keinen originellen Stoff mehr entdecken!

Ich muss sagen, dass ich die Geschichte in einem durchgelesen habe und mir dabei zwar vieles positiv, aber wenig negativ aufgefallen ist. Bevor ich hier die bereits hervorgehobenen großartigen Stellen noch einmal runterbete, möchte ich mich dann doch auf die Stellen konzentrieren, die beim Lesen vielleicht nur neunundneunzigprozentig waren sowie zu meine Meinung zu einigen kritisierten Szenen kundtun. Wohlan denn!

Ein Schnupfen beendete mein Leben. Als der sich grün verfärbte, kamen die Schmerzen mit Wucht und ließen meinen Kopf wachsen wie einen Riesenkürbis.

Auch ich habe so meine Probleme mit den ersten beiden Sätzen. Ehrlich gesagt: Wäre die Geschichte nicht empfohlen worden, hätte ich gar nicht erst weiter gelesen und mich um ein viel Lesevergnügen gebracht.

Was stört mich also? Der Ton. Das ganze klingt ein bisschen Marktschreierisch durch die Übertreibung im ersten Satz (wer stirbt schon an einem Schnupfen?) und wird danach surreal (wie kann ein Schnupfen sich grün verfärben?), sodass man sich am Ende nicht ganz sicher ist, ob der Kopf nicht wortwörtlich wie ein Riesenkürbis wächst. Alles in allem könnte es eine Groteske oder eine Satire werden, oder gar eine comichafte, bonbonbunte Science-Fiction-Phantasie direkt aus dem Kopf eines Sechsjährigen. Was ich aber bei so einem Anfang nicht erwarte, ist die realistische, leicht dystopische Schilderung eines, hm, Mitarbeiters (Mitarbeiterin?) im Gesundheitssektor, der aus Sorge um seinen Arbeitsplatz Grenzen überschreitet.

Mein Vorschlag wäre daher, die Übertreibung aus dem allerersten Satz zu nehmen und klar zu machen, dass sich NICHT der Schnupfen grün verfärbt, vielleicht etwa so:

Erst war es nur ein Schnupfen. Doch als es mir grün aus der Nase zu tropfen begann, kamen die Schmerzen mit Wucht...

"Mal sehen", Anton runzelt die Stirn, "ich kann dir zeigen, wie man aufs Klo geht, du gewöhnst dir schrittweise ab, in diese komischen Spendeboxen zu machen - und in zwei Wochen bist du ein normaler Mensch."
Ich werfe ihm einen Joghurtbecher an den Kopf. Der Becher prallt ab und rollt über das Sofa.

Das ist eine der Stellen mit Anton, die ich gut geschrieben, aber für die Geschichte unnötig fand.

Hier möchte ich Berg widersprechen: Die Stelle ist nicht nur gut geschrieben, sondern sollte auch drin bleiben. Denn es ist eine der Stellen, in der klar wird, dass Anton eine dieser Personen ist, bei denen man sich 50% der Zeit fragt, warum man mit ihnen befreundet ist (um sich die anderen 50% darüber zu freuen). Das macht Anton zu dieser plastischen Figur, die mit ein Grund dafür ist, warum die Geschichte so super funktioniert!

Überhaupt lässt mich die Joghurtszene nicht wie bemängelt mit einem "Und jetzt?" zurück, sondern gibt mir Informationen, die mir beim - im wahrsten Sinne des Wortes - Verdauen des Rätsels um den Beruf des Protagonisten Lösung helfen und danach wird durch Anton schnell der zweite Akt eröffnet: Wie holen wir uns die Untermieter wieder zurück?

Anders dagegen die Szene im Gartenteich - die ist tatsächlich etwas lang. Zwar möchte ich sie nicht komplett missen - schließlich erfahren wir hier schon wieder neues über unsere Lieblingsfigur Anton (er mag zwar gut im Organisieren sein, aber ein Stratege ist er nicht unbedingt), aber wie die beiden so im Schilf rumstehen, das nimmt leider ein wenig Schwung aus der Erzählung. Vielleicht kann man das ganze stark eindampfen und darauf reduzieren, dass Antons grandioser Plan, per Rosengitter einzubrechen, mit einem unfreiwilligen Bad im Zierteich endet, um dann den Protagonisten entnervt in Richtung Haustür gehen zu lassen?

Olsen öffnet, bevor ich es mir anders überlegen kann.
"Guten Morgen!" Ich strahle ihn an. "Wir sind von den Wasserwerken."
Olsen schweigt überrascht. Er sieht wesentlich besser aus als neulich in der Klinik. Die Behandlung braucht einen Tag um zu wirken. So sieht also ein gesunder Olsen aus.

Hier würde Olsen den Protagonisten erkennen und merken, dass etwas faul ist.

Und nochmal muss ich Berg an dieser Stelle widersprechen (sorry!). Olsen kennt den Erzähler nur aus dem Wartezimmer. Okay, sie haben miteinander gesprochen und es ist auch erst einen Tag her, aber trotzdem: Ich merke mir normalerweise nicht, mit wem ich mich im Wartezimmer vom Krankenhaus unterhalte, zumal wenn mir besagter Mensch versucht, ein Gespräch aufzudrängen. Natürlich sollte Olsen mit der Zeit etwas dämmern, aber das tut es ja auch. Sicherlich ist es fragwürdig, ob Olsen nicht schneller klar werden müsste, woher er die seltsame Type kennt, aber ich würde es nicht gleich als Logikfehler abtun...

Das waren also meine Anmerkungen zu der Geschichte. Zum Schluss bleibt mir nur noch, noch einmal deine Arbeit zu loben: Die Arbeit, die du da reingesteckt hast, hat sich wahrlich gelohnt!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Möchtegern,

normaler Weise schreibt man das Positive zum Schluss, kann ich nur gerade nicht. Also: Die Geschichte ist komplex, baut sich langsam, aber sicher und gut auf, bietet eine Menge falsche Pfade, um den Leser bei der Stange zu halten, aber ohne ihn zu verarschen. Du hast da eine Menge Arbeit reingesteckt und die hat sich auch gelohnt, weil inhaltlich und aufbaumäßig alles Hand und Fuß hat. Mich hat sie unterhalten und der Schluss war gut.

Das andere ist, sie ist nicht schlecht geschrieben, aber ich habe im Ganzen nur einen Satz gefunden, den ich wirklich toll fand:

Zum Glück ist er Arzt. Das heißt, er bastelt sich seine eigene Wahrheit um mich herum.

Die Geschichte lebt schon vom Inhalt hauptsächlich, es ist eine Story, die man liest. Man will wissen, wie sie sich entwickelt, man will auch dahinterkommen, was das alles soll, es ist spannend. Trotzdem bleibt der Leser Zuschauer - was aber besser ist, als Leser zu bleiben. Für mich muss aber halt die Sprache mehr leisten, damit mich ein Text mitnimmt. Zum Beispiel die ganze Szenerie da, die wird schon irgendwie beschrieben, nur Stimmung kommt trotzdem nichtwirklich auf. Was wiederum auch nicht heißen soll, dass man da ganze Stilleben-Beschreibungen reinpacken soll.

Als Beispiel: Am Anfang fand ich den Vergleich Kopf-Kürbis gleich schon mal scheiße. Weil der so ausgelatscht ist. Gleich am Anfang in den ersten paar Sätzen ist der Schnupfen grün und macht den Kopf zum Riesenkürbis, der wiederum eher an die Farbe Orange oder Gelb denken lässt. Das klingt vllt. pedantisch, aber schließlich hat man sogar Fontane vorgeworfen, dass wenn er vom Winter spricht, keine Kastanienallee so ohne weiteres erwähnen darf, weil dann sicher keine Winteratmosphäre aufkommt. :D

Oder "Wie immer nehme ich dabei den blöden Papierbezug mit, weil er mir am Hintern klebt". - 'blöd' ist da vollkommen überflüssig. Erstens ist das Umgangs- wenn nicht schon Kindersprache und es nimmt auch von der Wirkung was weg. Der Leser kann "blöd" von allein an der Stelle reinsetzen. Insgesamt fand ich den ersten Abschnitt aber an sich schwächer als den Rest. Von da an hält sich die Geschichte zumindest bedeckter mit solchen Sachen, kunstvoll wird sie zwar nicht, aber Stories haben eben auch ihre Daseinsberechtigung. :)

Gruß
Kasimir

EDIT: Der Schnupfen darf sich grün verfärben!

 

Hi MuGo,

Bevor ich hier die bereits hervorgehobenen großartigen Stellen noch einmal runterbete, möchte ich mich dann doch auf die Stellen konzentrieren, die beim Lesen vielleicht nur neunundneunzigprozentig waren sowie zu meine Meinung zu einigen kritisierten Szenen kundtun.
Was mich angeht ist das perfekt, ich merk mir sowieso nur immer das, was den Lesern nicht gefallen hat.

Auch ich habe so meine Probleme mit den ersten beiden Sätzen. Ehrlich gesagt: Wäre die Geschichte nicht empfohlen worden, hätte ich gar nicht erst weiter gelesen
Das ist echt bitter und es ist gut, dass ich das hier so gesagt kriege. Mittlerweile ist immerhin der zweite Satz geändert. Von dem ersten kann ich mich nicht lösen, weil das eigentlich schon der erste Hinweis auf die Pointe ist ... bisher finde ich meinen ersten Satz immer noch interessant und nicht doof. Vielleicht ändert sich das noch, vielleicht bleib ich stur.
Auch der surreal verfärbte Schnupfen gefällt mir irgendwie ... noch ...

Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen, wenn du eine andere Meinung hast als Kritiker vor dir. ;)
Die Stellen, die du da "verteidigst", die haben bei dir anscheinend so funktioniert, wie sie von mir geplant waren (und das hat mich echt gefreut). Aber ich muss und kann damit leben, dass die bei Berg zum Beispiel nicht geklappt haben. Die Stelle, die Berg unnötig findet: ich wollte an der Stelle witzig sein (und ja, der Spruch sollte auch Anton charakterisieren), aber wenn Berg den Gag nicht lustig findet, ist es klar, dass er die Stelle lieber gestrichen hätte.
Bei der Joghurtstelle und vorher sind inzwischen ein paar zusätzliche Sätze drin um zu zeigen, wie dringend der Erzähler diesen Job braucht und wie kurz er davor ist, in der Gosse zu landen. Ich hoffe, dass deswegen das Und-jetzt-Gefühl nicht mehr aufkommt.

Dass die Teich-Szene so schlecht ankommt, überrascht mich, aber ich nehme es zur Kenntnis. Ideen zur Kürzung hab ich noch nicht.

Vielleicht kann man das ganze stark eindampfen und darauf reduzieren, dass Antons grandioser Plan, per Rosengitter einzubrechen, mit einem unfreiwilligen Bad im Zierteich endet, um dann den Protagonisten entnervt in Richtung Haustür gehen zu lassen?
Joah, also eigentlich steht doch nur genau das drin? :hmm:

Mitarbeiters (Mitarbeiterin?) im Gesundheitssektor
Nee, der Erzähler ist schon ein Mann. Hattest du an manchen Stellen den Eindruck, es sollte eine Frau sein?
Und: genauso hätte der Erzähler seinen Beruf umschrieben, wenn man ihn gefragt hätte. "Ich bin im Gesundheitssektor tätig." :D

Danke für deinen Kommentar! (Sogar deinen Erst-Komm, ich fühle mich geehrt.)

Hallo Kasimir,

du hast mir echt was zu knabbern gegeben. Es ist immer toll, wenn mal ein Leser mit einer ganz anderen Lesart dazukommt, auch/gerade wenn der Text dann scheiße aussieht.

Das Problem des ausgelatschen Kürbisses habe ich eingesehen und den Kürbis operativ entfernt. Hinter dem blöden Papierbezug stand ich eigentlich, aber ich fand deinen Vorschlag aus dem Chat gestern so witzig, dass ich den übernommen habe. Wahrscheinlich hattest du das nicht mal ernstgemeint, aber ich mag Doppeldeutigkeiten immer ...

Ja, ansonsten, tut mir leid, dass ich sprachlich nicht überzeugen konnte. Ich glaube, die Art Sprache, die du forderst, habe ich auch gar nicht drauf. People-pleaser, der ich bin, hat mich das natürlich deprimiert. :(
Aber ich denke, dass die Sprache zu meinem Erzähler, den Gags und dem Inhalt passt, Umgangssprache und alles. Klar, ich will den Inhalt an den Mann bringen, nicht irgendwelche Sprachbilder und atmosphärische Schilderungen.
Also, selbst wenn ich es anders könnte, ich hätte es in diesem Text wohl nicht anders gemacht.
(Okay, ich hatte natürlich auch hier versucht, Stimmung und Atmosphäre zu erzeugen, aber leider nicht auf eine Art, die dir gefallen konnte.)

kunstvoll wird sie zwar nicht, aber Stories haben eben auch ihre Daseinsberechtigung.
Ja eigentlich steht da ja, Hundefutter hat eben auch seine Daseinsberechtigung, aber ich gehe lieber richtig essen. :D
Damit muss ich wohl klarkommen ... obwohl ich natürlich auf der Suche nach einer Schreibweise bin, die ALLE Leser befriedigt. People-pleaser eben. ;)

Zumindest werde ich ab jetzt meine Vergleiche genauer hinterfragen, dafür vielen Dank!

 

Hallo Möchtegern,

Fragen soll man nicht unbeantwortet lassen, sonst entstehen nur wilde Gerüchte...

Dass die Teich-Szene so schlecht ankommt, überrascht mich, aber ich nehme es zur Kenntnis. Ideen zur Kürzung hab ich noch nicht.
Vielleicht kann man das ganze stark eindampfen und darauf reduzieren, dass Antons grandioser Plan, per Rosengitter einzubrechen, mit einem unfreiwilligen Bad im Zierteich endet, um dann den Protagonisten entnervt in Richtung Haustür gehen zu lassen?
Joah, also eigentlich steht doch nur genau das drin?

Ja, aber eben in epischer Breite, während ich dafür nur einen Satz gebraucht habe...

Ne, worauf ich hinaus wollte - vielleicht kann man das ganze in zwei bis drei Sätze packen à la "Antons grandioser Plan, über das Rosengitter ins Haus einzubrechen, endete mit einem unfreiwilligen Bad im Zierteich, über den wir uns vorher noch lustig gemacht hatten. Entnervt und durchnässt stapfte ich in Richtung Haustür. 'Wohin willst du denn jetzt?', fragte mich Anton. 'Na, zur Haustür, siehst du doch!' usw. usf." Naja, so in der Art, du kannst das besser. Aber die grundlegende Idee sollte angekommen sein...

Nee, der Erzähler ist schon ein Mann. Hattest du an manchen Stellen den Eindruck, es sollte eine Frau sein?

Nö, aber da ich es leichter finde, mich in einen Mann hineinzudenken, wähle ich nach Möglichkeit immer männliche Protagonisten. Und darum dachte ich, bei dir könnte es genau anders herum sein. Außerdem gibt es im Text auch keinen Hinweis, der einer weiblichen Hauptfigur zwangsläufig widersprechen würde. Da dachte ich mir halt, bevor ich jetzt hier wieder ganz chauvinistisch davon ausgehe, dass es hier um einen Mann geht, sollte ich vielleicht zumindest in Erwägung ziehen, dass auch Frauen Exkremente spenden können...

 

Hi MuGo nochmal :)

Ne, worauf ich hinaus wollte - vielleicht kann man das ganze in zwei bis drei Sätze packen à la "Antons grandioser Plan, über das Rosengitter ins Haus einzubrechen, endete mit einem unfreiwilligen Bad im Zierteich, über den wir uns vorher noch lustig gemacht hatten. Entnervt und durchnässt stapfte ich in Richtung Haustür. 'Wohin willst du denn jetzt?', fragte mich Anton. 'Na, zur Haustür, siehst du doch!' usw. usf." Naja, so in der Art, du kannst das besser. Aber die grundlegende Idee sollte angekommen sein...
Ja okay, ich gebe zu, so in der Art könnte ich das machen ...
Aber ich bin immer noch in der Phase, wo Kürzungsvorschläge an mir abprallen, mir gefällt auch die Rosengitterszene zu gut. Mit mehr Abstand (also: in ein paar Wochen oder Monaten) seh ich das vielleicht ganz anders, ich bin auch schon gespannt. Im Moment find ich's sehr interessant, dass diese Szene bei mindestens zwei/drei Lesern so gründlich baden ging. Ich dachte, endlich passiert mal was, das müsste dem Leser doch gefallen.
Aber ansonsten, ok, die Szene erklärt keinen science babble und ist vermutlich auch nicht so witzig wie die Szene danach ... jo, ich beginne zu begreifen, warum Leser die am schwächsten finden ... :)

Da dachte ich mir halt, bevor ich jetzt hier wieder ganz chauvinistisch davon ausgehe, dass es hier um einen Mann geht, sollte ich vielleicht zumindest in Erwägung ziehen, dass auch Frauen Exkremente spenden können...
Unsinn, Frauen sind strahlendschöne Lichtwesen, die überhaupt gar keine Verdauung haben ... :D

Danke für die Rückmeldung!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Möchtegern,

wenn ich eine derart lange "Kurz"-Geschichte lese, ohne das Gefühl zu haben, dass sie lang ist, so ist das für mich immer gleich das erste Zeichen für die Qualität einer Geschichte. Ich habe mich nicht gelangweilt ;-)

Im Gegenteil, ich fühlt mich sehr kurzweilig und gut unterhalten. Dein Stil ist professionell und lässt sich gut "konsumieren" und hilft einem selbst über ein paar kleine Längen in der Story hinweg.

Deine Figuren leben, deine Dialoge überzeugen, und du beherrscht die Grundregeln von "Show, don't tell". Ich halte das besonders bei SF-Stoffen für wichtig, weil die Autoren da noch etwas mehr gefordert sind, und die Gefahr von zu vielen Beschreibungen extrem groß ist. In deiner Geschichte ist das wirklich sehr gut gelöst.

Ich empfinde die Empfehlung als gerechtfertigt.

Rick

 

Hallo Rick!

Schön, dass es dir ganz gut gefallen hat.

Deine Figuren leben, deine Dialoge überzeugen, und du beherrscht die Grundregeln von "Show, don't tell". Ich halte das besonders bei SF-Stoffen für wichtig, weil die Autoren da noch etwas mehr gefordert sind, und die Gefahr von zu vielen Beschreibungen extrem groß ist. In deiner Geschichte ist das wirklich sehr gut gelöst.
Ja, was will man mehr. Wobei ich zugeben muss, der Hintergrund ist hier wenig ehrgeizig und wird nur so angedeutet. Wenn man eine futuristische Stadt, einen neuen Planeten, eine neue Spezies erfindet, dann kommen zwangsweise mehr Beschreibungen.

Du siehst also Längen in der story? Das ist natürlich nicht gut. Lange story ist kein Problem, aber Längen in der story ist ja etwas anderes ... vermutlich bist du auch kein Fan des Rosengitters und findest die erste Hälfte des Textes zu langatmig ...
Ich hab immer noch nicht den Wunsch an dem Text rumzuschneiden. Einerseits erkenne ich an, dass da Längen sind, es schlagen ja mehrere Kritiken in diese Bresche. Andererseits habe ich mir wirklich bei jedem (Ab)satz sehr viel gedacht, aus meiner Sicht steht nichts Überflüssiges drin sondern es müssen Sachen sein, die bei manchen Lesern nicht gut funktioniert haben - und dann frage ich mich natürlich, ist es jetzt eine Geschmackssache? Oder funktioniert irgendwas "objektiv betrachtet" nicht? Letzteres sollte wirklich entfernt werden, aber ich habe noch nichts derart identifiziert ... mal sehen.

Danke für deinen Kommentar!

 

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