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Schneeflöckchen, Wießrüschen

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05.10.2016
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Schneeflöckchen, Wießrüschen

Es war unser erstes Treffen. Wir kannten uns einige Zeit, fanden uns sympathisch. Dann eine Verabredung, wie es so kommt. Eine Kneipe am Freitagabend. In der Vorweihnachtszeit. Alle Tische sind besetzt. Wir drängen uns stehend in die Ecke und finden das ganz gemütlich, man redet dieses und jenes: Was machst du so, kennst du den? Ah, interessant. Ja, die Musik höre ich auch gern. Obwohl das nicht stimmt. Aber man will ja Wege offen lassen, sich nichts verbauen am Anfang. Lieber vorsichtig sein. Ich finde sein Lachen schön. Er wirft dabei den Kopf weit in den Nacken und beugt sich dann nach vorn und schüttelt ihn, als wollte er etwas aus den Haaren herausbeuteln. Ich krame dafür meine lustigsten Geschichten aus dem Gedächtnis.
Dann aus dem Lautsprecher dieses Lied: „Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommst du …“, und das schnürt mir sofort die Kehle zu, und die witzigen Storys, die Pointen, die ich geplant habe, lösen sich auf und ich sehe sie wieder vor mir, die verschmierten Wände und ich will nur noch raus. „Können wir gehen?“ Ich warte die Antwort nicht ab, ziehe meine Jacke an und dränge mich durch die Leute zum Ausgang. An irgendetwas bleibe ich hängen, vielleicht eine Weihnachtsdeko, ich schaue mich nicht um und reiße mich los. Nur an die frische Luft. Wie kommt das, dieses Lied in der Kneipe? Wahrscheinlich ein Weihnachtsscherz, wahrscheinlich ein sentimentaler Anfall des Wirts. Egal. Möglichst das nicht in den Ohren haben.

Er kommt aus der Kneipe und stellt sich neben mich. Dann fragt er: „Und was war das, bitte?“ Er klingt ernst, aber nicht beleidigt.
„Dieses Weihnachtszeug, das Geplüsche und Gesülze, die Rührseligkeit. Ich kann das nicht mehr hören.“
„Sieh das doch nicht so eng“, sagt er ruhig. „Das ist doch auch mal schön, sich reinhängen in den Christmas-Kitsch. Ich mag das. Lichterketten, Plätzchenduft, Zimt und Anis, hm, Stille Nacht.“ Und er argumentiert weiter und ist ein wirklich eloquenter Advokat für den Weihnachtscheiß, dass ich mich beruhige und ihm am liebsten beipflichten möchte: Ja, sprechen wir Weihnachten frei von aller Schuld, euer Ehren! Der Anwalt hat in sämtlichen Belangen Recht. Und jetzt schmücken wir gemeinsam den Baum! Ja, das würde ich gerne tun.
„Können wir ein wenig gehen?“, schlage ich vor, und er willigt ein und biegt seine Schulter kurz zu mir herüber, dass wir uns leicht berühren.
Wir schlendern durch die mittelalterlichen Straßenzüge der Innenstadt. An einer Fassade bleibe ich stehen. Der Sockelbereich ist frisch gestrichen. Die Weihnachtsbeleuchtung taucht den Hauptplatz, auf den wir zugehen, in ein fahles, gelbliches Licht.
„Schau“, meint er, „ist das nicht schön?“, und zeigt mit einer ausladenden Geste auf die Häuser am Platz, die ein Ensemble bilden, das man sich nicht weihnachtlicher vorstellen kann, wie aus einem Werbeprospekt. Er macht eine kurze Pause und sagt dann fast beiläufig: „Aber, das ist nicht alles, oder?“
„Ja. Also, nein. Das ist nicht alles“, fange ich an zu erzählen. „Ich habe letztes Jahr Syrer unterrichtet. Die aus der Traglufthalle. Es war in der Stunde vor Weihachten. Und da haben wir ‚Schneeflöckchen, Weißröckchen‘ gelesen.“
„Okay“, sagt er wieder ganz ruhig. „Interessant. Syrern hast du Schneeflöckchen gelehrt? Gute Pädagogik. Altdeutsches Liedgut. Intakte Gesinnung.“
„Ja, total bescheuert. Idiotisch“, sage ich peinlich berührt. „Ich weiß. Kein passendes Material für Leute, die nur zweieinhalb deutsche Wörter kennen: Deutschland, gut Land. Aber es war die Vorweihnachtsstunde und ich dachte mir: Machen wir traditionelle Weihnachten. Ich hab Stollen mitgebracht, und es war eine schöne Runde.“
„Wo habt ihr euch getroffen?“
„In der Stadtbücherei. Da gab es einen großen Rundtisch. Im Hintergrund Romane und Hörspiele in den Regalen, und wir daneben mit ersten Schritten in der deutschen Sprache. Im Neonlicht.“
„Hm, sehr romantisch“, sagt er.
„Ja, das war es wirklich“, sage ich. Und die Erinnerung an die letztjährigen Ereignisse wühlt mich auf: „Es war so eine Aufbruchsstimmung. Als hätten so viele darauf gewartet, endlich dieses hohle Gerede von Empathie, Großmut und Sozialdenken mit etwas Konkretem füllen zu können. Spenden für den örtlichen Kindergarten. Ja. Für Kinder im fernen Afrika. Dafür schon. Aber sonst alles sauber und quadratisch.“

Während wir langsam den Kirchberg hinter dem Stadtgraben hinaufgehen, erzähle ich von meinem Helferdienst. Dass viele redeten und wenige etwas taten. Und ich mich in der Pflicht fühlte. Dass ich mit den Flüchtlingen vertraut wurde im Lauf der Stunden. Mit Harun, Hilal und Zafer und den anderen, die zu den Stunden aus dem Camp in die Stadt kamen, um der tristen Atmosphäre dort zu entfliehen. Zafer, der als Schiffbauingenieur an die Ostsee wollte. Lang und schlaksig und immer zu Späßen aufgelegt. Oder Harun, der Wirtschaftsstudent, der so bescheiden und doch standesbewusst auftrat und mit seiner noblen Blässe fast zerbrechlich wirkte. Wenn er sich konzentrierte, neigte er den Kopf leicht zur Seite, kniff die Augen zusammen und spitze den Mund, als würde er lächeln. Als würde er alles Neue und Unbekannte ohne Angst in sich aufnehmen wollen.

Ich seufze kurz auf. Ihn habe ich vorhin deutlich gesehen. In der Bar. Im Schneegestöber hob er die Hand, vielleicht zum Abschied, vielleicht zum Gruß. Das Lied dudelte dazu. Im Hintergrund rote Parolen. Harun.
Er merkt es nicht.

Ich erzähle weiter von der Weihnachtsstunde, wie ich das Diminutiv an „Schneeflöckchen“ erklärte. Kompletter Unsinn. Viel zu kompliziert. Aber unterhaltsam. Am Ende sollte jeder als Ausspracheübung den Anfang lesen, was allen schwer fiel. So, wie Arabisch für uns kaum auszusprechen ist.
„Lakhma arabb hackma“, imitiert er den Tonfall mit kehliger Stimme. Und wir lachen kurz.
Dann erzähle ich weiter: „Und etliche haben dann das Gesicht so verzogen beim Sprechen: ‚Schnieflüchen, Weichruchen‘. Andere zwickten den Kopf in den Nacken und schoben die Kieferlade vor, so: ‚Schnüflüschen, Wießrüschen‘. Sie machten sich über die Schwierigkeit der Aussprache lustig und verarschten sich gegenseitig. Es war so heiter und unbeschwert.“
Er wirft wieder lachend seinen Kopf zurück und dann stößt er mit der Stirn gegen meinen Arm und hält ganz kurz inne, dass ich seine Haare ganz dicht vor Augen habe und seinen Duft wahrnehme. Ein guter Duft, den ich einatme. Während er den Kopf wieder hebt, sagt er mit einem milden, versöhnlichen Ton: „Ich finde das schön. Du hast sie jetzt nicht gerade unterfordert. Aber ihr hattet Spaß. Und du hast ihnen in der traurigen Situation Freude gegeben.“
„Ja“, bestätige ich. „Das war gut. Stimmt. Wir haben uns dann herzlich verabschiedet. Und dann war Weihnachtspause über Silvester.“

Wir sind auf dem Kirchberg angelangt. Von oben sieht man auf die Autobahn, die nahe am Stadtrand vorbeiführt. Hier ist es nie still. Das beständige Rauschen und Dröhnen wird wellenartig lauter und leiser, aber es verschwindet nicht. Ein heiliger Lärm. Ein kosmisches Rauschen. Es gibt hier keine Laternen und am Himmel kann man jetzt unzählige Sterne sehen.
„Irgendwie sieht sie aus, wie ein Ufo.“ Er deutet auf die Traglufthalle, die neben der Autobahn steht und die man im Halbdunkel erkennen kann.
Ich sage: „Ja, irgendwie waren sie auch von einem anderen Stern. Aber nach Neujahr war alles anders.“
„Wegen Köln.“
„Ja.“ Und jetzt habe ich die Schmierereien an den Wänden in der Innenstadt wieder ganz deutlich vor Augen: „Nein zum Asylantenheim“. „Haut ab“. “Verpisst euch, Assis“. „Hier keine Asylaten“.
Dazwischen die Weihnachtsseligkeit in den aufgetakelten Schaufenstern und duftender Glühwein.

„Ich kann mich gut erinnern“, sagt er. „Die Berichte über Köln. Dann ging es bei uns mit dem Parolengeschmiere los. War nicht das Fernsehen da?“
„Ja, stimmt. Wir haben damit eine traurige Berühmtheit erlangt. Aber die Polizei konnte nichts aufdecken. Man weiß nicht, wer das war.“

Wir lehnen uns an die Brüstung und unser Blick wechselt zwischen Autobahn und Sternenhimmel hin und her.
„Im Ort“, sage ich „haben die Leute die Köpfe zusammengesteckt, wenn Flüchtlinge vorbeigingen. Manche haben sie auch ganz offen attackiert. Und dann ganze Häuserzeilen voll mit den Sprüchen. Harun und die anderen kamen noch einmal in der Stunde nach Silvester. In ihren Augen konnte man lesen, dass etwas passiert war. Von den Ereignissen in Köln wussten sie nichts Genaues. Aber das veränderte Klima spürten sie. Sie waren ernst und eingeschüchtert. Von unserem Weihnachtsspaß war nichts mehr übrig.“

Ich sage nicht, dass ich im Unterricht das Bild von den antanzenden Männern auf der Domplatte in Köln nicht aus dem Kopf bekomme, die ihre Finger triumphierend in die Höhe halten, wie Trophäen, weil sie eben diese Finger gerade erfolgreich einer Passantin zwischen die Beine gesteckt haben, dicht an der Möse vorbei, und sie berauschen sich an dem Mösengeruch, der wahrscheinlich gar nicht da ist, aber sie riechen es trotzdem und halten sich eben diese Finger unter die Nase und saugen den Dunst wie ein Narkotikum ein. Dieses Bild habe ich im Kopf.

Ich sage: „Das war es dann irgendwie. Die Euphorie des Anfangs war dann vorbei.“
„Verstehe.“
„Ja, aber bei mir nicht. Ich habe es immer für richtig gehalten und tue das immer noch. Aber es gab so viele Stimmen, so viele Meinungen. Es war so konfus alles. Ich wurde als ‚Gutmensch‘ beschimpft. Als naiv und weltfremd.“
Er klopft mit seiner Hand aufmunternd auf meinen Rücken. Und ich stehe da und denke an meine Mutter, wie sie nach Neujahr die leicht verstaubten Christbaumkugeln vom Baum nimmt und in Schachteln packt. Und ich als Kind daneben und kann es nicht fassen, dass der Weihnachtszauber vorüber ist. Der Weihnachtszauber an Heiligabend, an dem ich mir immer wünschte, dass alles eins wäre und ich wünschte es so fest, dass es vielleicht sogar eins war. Aber jetzt war nichts mehr eins. Jetzt war da ein Riss, und die Teile, die der Riss trennte, passten nicht mehr zusammen.

Wir stehen noch eine Weile, hören dem Rauschen der Autobahn zu und gehen dann langsam und schweigend den Berg hinunter. Hinter den Fenstern blinken kitschige Lichterketten in allen möglichen Farben. Die Straßen sind menschenleer. Unter der Weihnachtsbeleuchtung verschwinden die Sterne am Himmel. An der Kreuzung vor dem Hauptplatz bleiben wir stehen.
„Sehen wir uns?“, fragt er und nimmt meine Hand und streicht mit der anderen darüber.
„Auf jeden Fall“, sage ich. „Und dann erzählst du.“
Im Gehen wendet er sich kurz um und ruft mir hinterher: “Ich hoffe, es schneit nicht.“

 

Hallo rieger,

ich habe deine Geschichte gelesen. Formale Fehler oder Mängel sind mir nicht aufgefallen. Das Thema ist ja, auch wenn Köln bald ein Jahr her ist, sehr aktuell. Die Betroffenheit der Prota bringst du gut rüber. Ansonsten eine Geschichte mit open end, aber das ist in Ordnung.

Der Weihnachtszauber ist vorüber - nur dass der jedes Jahr wieder kommt. Aber dieser Riss jetzt, der wird wohl nicht so einfach heilen. Und das tut weh.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hallo rieger,

ich habe deine Kurzgeschichte gerne gelesen und war auch angenehm überrascht, weil ich mir unter Weihnachtsgeschichten oft kitschige Erzählungen vorstelle. Desto sarkastischer in Bezug auf deine Erzählung wirkt auch der Titel. Dafür gibt es am Ende einen Hoffnungsschimmer (zu zweit ist man immer stärker). Das ist zwar eine persönliche Präferenz, aber ich liebe es, wenn manche Geschichten politisch angehaucht sind, denn oft verfolgen sie die Intention, den Leser über gewisse Sachverhalte aufzuklären. Du hast uns hier zwei Seiten einer Münze dargelegt (positive und negative Erfahrungen im Umgang mit Flüchtlingen/Menschen). Sagen wir lieber Mensch, denn ich benutze den Begriff Flüchtling zurzeit nicht, weil er negativ belagert ist. Das finde ich gut, denn das ist wichtig. Literatur ist irgendwo der Spiegel unserer Zeit.
Was dein Schreibstil angeht, fand ich ihn elegant (es gab auch einige schöne Formulierungen. Ich weiß nicht, wie man auf dieser Seite zitiert aber ich hoffe, du verstehst, welche ich meine. Naturbeschreibungen etc.). Irgendwie hat sich das ganze für mich wie eine erlebte Rede lesen lassen. Ich weiß nicht warum. Aber es war nicht schlimm, denn dadurch wirkt die Erzählung authentischer.

Insgesamt : Daumen hoch!

MfG

Nova

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jobär,
besten Dank für Deine Zeit und für den Kommentar!

Hallo Nova,
auch Dir Dank für die Zeit, die Du Dir genommen hast. Ich wollte eigentlich weder positiv noch negativ etwas darstellen. Die Grundidee war, der Komplexität dieser Problematik nahe zu kommen, in der es manchmal schwer ist, zu sagen, was richtig und falsch ist, weil sich Ängste, Bedürfnisse und ethische Maximen überlagern. Und das aus dem ganz persönlichen Blickwinkel, der nochmal eine eigene Perspektive darstellt.
Ja, auch mir ist das am Ende nicht wie eine Geschichte vorgekommen. Eher wie ein Spaziergang, bei dem geredet wird. Im Grunde ohne Handlung. Freut mich aber, dass Du es nicht schlimm empfunden hast.
Herzlich
rieger

Hallo Ronnie,
besten Dank fürs Lesen und Kommentieren.
Deine Antwort beunruhigt mich und ich befürchte, dass ich nicht den richtigen Ton gefunden habe, wenn das so gelesen wird. Es war in keiner, in überhaupt keiner Weise intendiert, Weihnachten zu diskreditieren. Was die Absicht war: Vor dem Hintergrund, den ich schon Nova geschildert habe, Weihnachten in einer in manchen Aspekten saturierten Gesellschaft in der Konfrontation mit wirklicher Not als brüchig und fragil darzustellen. Aber das ist ein uraltes Thema. Ein Thema, das in der Weihnachtsgeschichte selbst schon steckt in den Polaritäten Stall - König und so weiter. Wenn es also so verstanden wird, dass damit Leute verarscht werden sollen, die Weihnachten bruchlos als Fest der Freude und des Lichts erleben, möchte ich den Text sofort löschen.
Die Passage über Köln ist aus der Perspektive einer verunsicherten Frau geschrieben, die in den emotionalen Strudel der Ereignisse gerät. Das ist auch in keiner Weise verurteilend gedacht. Das soll sich der Text nicht anmaßen, das ist Sache der Justiz. Ich habe überlegt, noch eine Erklärung einzufügen, dass sie sich mit den Dingen beschäftigt hat, dass in Köln in erster Linie Marokkaner verantwortlich waren, keine Syrer. Aber das war zu umständlich. Aber so ist es wohl missverständlich. Und, wie gesagt, wenn ich da irgendeiner Richtung und Verurteilung Vorschub leiste, bitte ich das rauszunehmen.
Herzlich
rieger

 

Hallo rieger,

ich habe grad ein bisschen Herzklopfen dabei, dir auf deine Geschichte zu schreiben, denn wegen des Umgangs mit genau diesem Thema habe ich mich aus einem anderem Forum abgemeldet ...

Bevor du einen Schreck bekommst: Deinen Text finde ich klasse, gute Idee, deine Gedanken in eine 'Flirtgeschichte' zu verpacken und dem Leser damit die Möglichkeit zu geben, auch einmal den Blick vom eigentlich Thema gedanklich abzuwenden und das Geschriebene wirken zu lassen. Auch deine 'Kulisse' bietet diese Möglichkeit und rahmt den Inhalt in eine schöne Stimmung ein.
Die 'roten Parolen' würde ich vielleicht zu 'linken Parolen' verdeutlichen, aber das war's auch schon mit den literarischen Anmerkungen.

Inhaltlich lese ich drei Dinge heraus: Dass dein Prot junge Flüchtlinge unterrichtet und Spaß dabei hat. Dass die Vorkommnisse in Köln sie schockiert haben. Dass der zunehmende Hass gegen Flüchtlinge in ihrer Stadt sie verunsichert.
Na ja, vielleicht viertens: Dass sie das alles zusammenmischt, obwohl weder Harun, Hilal oder Zafer in Köln waren, keine Flüchtlinge beschimpft oder Wände beschmiert haben.

Aber es gab so viele Stimmen, so viele Meinungen. Es war so konfus alles. Ich wurde als ‚Gutmensch‘ beschimpft. Als naiv und weltfremd.

Ronni schreibt dazu:

Nach den Ereignissen in Köln braucht sich auch keiner mehr zu wundern, wenn die so genannten Gutmenschen angefeindet werden. Welches Volk in welchem Land würde denn so etwas ohne vehemente Gegenreaktion und Verurteilung der Täter hin nehmen (außer Deutschland)?

Kann ich dir sagen, Ronni: In den USA hat man so einen Grabscher gerade zum Präsidenten gemacht.

Riegers Ant hingegen reagiert goldrichtig: Erst einmal zuhören. So jemanden wünscht man sich.

Ebenso wie deine Prot möchte ich mir nach wie vor das Recht herausnehmen, mir die Menschen, mit denen ich mich gerne (kulturell) austausche oder eben nicht, unabhängig von Glauben oder Herkunft auszusuchen. Ohne dafür beschimpft zu werden, als Gutmensch oder sonst wie.

Viele Grüße

Willi

 

Besten Dank, Willi, für Deine Zeit und Deine Antwort.
Herzklopfen hatte ich, als ich von den Deinen las. Ja, es ist ja auch ein Thema, das polarisiert, das so kontrovers diskutiert wird, dass es schwer ist, sich eine Meinung zu bilden. Wenn man alles zusammenwirft, aktuelle Gegebenheiten und dann noch historische der letzten hundert Jahre, dann ist das alles wirklich kompliziert.
Was Du mit "linken Parolen" meinst, verstehe ich nicht ganz. Gut, rot ist im Text eine dramaturgische Note, weil ja eh nicht viel passiert, sondern mehr innerlich. Da dachte ich an Signalwirkung.

Besser hätte ich die Schichten des Textes nicht beschreiben können, als Du es mit Deiner Zusammenfassung gemacht hast. Besten Dank dafür.
Herzlich
rieger

 

Hi rieger,

Deine Geschichte gefällt mir gut, sprachlich und inhaltlich. Die Begegnung der beiden, das vorsichtige Herantasten, ist nicht zu wenig, um Gegenstand für eine Geschichte zu sein, finde ich, da geschieht innerlich genug. Und das ist auch wichtig, damit die Handlung nicht zur Schablone für das wird, was der Frau auf dem Herzen liegt.

Allerdings habe ich genau in dieser Hinsicht trotzdem etwas zu kritisieren: An einigen Stellen wird die Gesprächssituation eben doch zu sehr zur Staffage oder Kulisse für das, was sie ihm sagen möchte. Ich habe den Eindruck, dass das letztlich an ziemlich kleinen Einzelheiten liegt, aber weil solche Einzelheiten wiederkehren, fällt es mir insgesamt schon auf. Ich versuche gleich, ein paar Beispiel zu finden. Erst mal aber was anderes, weil es im Text früher kommt:

Ja, die Musik höre ich auch gern, obwohl das nicht stimmt.
Diese wörtliche Rede ohne Markierung, so dass sie zugleich konkret Gesagtes bezeichnen kann als auch für Sätze stehen kann, die man halt so sagt in dieser oder einer ähnlichen Situation, funktioniert gut. Nur in dem zitierten Satz finde ich einen Punkt passender. Der Obwohl-Satz gehört ja nicht mehr zu dem, was laut gesagt wird, eine klarere Abgrenzung fände ich hilfreich.

Ich krame dafür meine lustigsten Geschichten aus dem Gedächtnis.
Das klingt vielleicht ein bisschen blass, gerade weil Humor für jeden anders ist. Ich kann nicht vermeiden mich automatisch zu fragen: na, ob das wohl wirklich so lustige Geschichten sind? (Nachher ist ja von den witzigen Storys und Pointen die Rede, das könnte evtl. auch genug sein.)

Draußen wird mir bewusst, wie mein Verhalten auf ihn wirken muss. Ich könnte verstehen, wenn er empört gehen würde. Ich würde das an seiner Stelle tun. „Das war wohl nichts“‚ „das hatten wir schon mal besser“, darauf mache ich mich gefasst.
Könnte vielleicht auch weg? Mir scheint fast, dass diese Erklärung den Schwung rausnimmt. Wenn das folgenden
Er kommt aus der Kneipe und stellt sich neben mich. Dann fragt er: „Und was war das, bitte?“
unmittelbar auf die Flucht prallt, könnte es vielleicht stärker wirken.

„Sieh das doch nicht so eng“, sagt er ruhig. „Das ist doch auch mal schön, sich reinhängen in den Christmas-Kitsch.
Das ist jetzt so eine Stelle, da würde ich sagen: Staffagen-Alarm ;) Das ist mir zu sehr Bilderbuchantwort. Wenn das weg wäre und nur das Folgend stehen bliebe, fänd ich’s besser.

„Können wir ein wenig gehen?“ schlage ich vor,
Schöner schnörkelloser Übergang, finde ich.

Der Himmel ist wolkenlos aber Sterne sieht man keine. Dafür ist es zu hell.
Hm, das ist eigentlich selbstverständlich. Später sehen sie mal Sterne, die dann verschwinden, wenn sie wieder in den Umkreis der Beleuchtung kommen. Das wirkt stärker, kann ich mir vorstellen, wenn du die beiden hier zitierten Sätze streichst.

Er macht eine kurze Pause und sagt dann fast beiläufig: „Aber, das ist nicht alles, oder?“
Und weil er das so nebenbei fallen lässt, trifft es mich umso mehr und ich merke plötzlich, dass mir kalt ist.
Mir gefällt gut, wie er so aus dem Nichts fragt. Aber ich verstehe nicht, warum sie das trifft. Es ist doch nett, wenn er nachhakt. Verstehen könnte ich allerdings, wenn es ihr unbehaglich ist, weiter darüber zu sprechen.

„Ja, total bescheuert. Idiotisch“, sage ich, peinlich berührt.
Ja, das kommt nicht überraschend nach seinem Kommentar. Das kann er doch eigentlich nicht wollen. Ziemlich gewagt, seine Einlassung, finde ich.

„Wo habt ihr euch getroffen?“
„In der Stadtbücherei. Da gab es einen großen Rundtisch. Im Hintergrund Romane und Hörspiele in den Regalen, und wir daneben mit ersten Schritten in der deutschen Sprache. Romantisch im Neonlicht.“
„Hm, sehr romantisch“, sagt er.
Das hört sich für mich wieder nach Staffagendialog an. Warum sollte ihn interessieren, wo sie sich getroffen haben? Und dann die BEschreibung: das weiß er doch sicher, wie es in der Stadtbücherei aussieht.

Aber sonst alles sauber und quadratisch.“
„Praktisch, gut“, ergänzt er.
Aus meiner Sicht schöner ohne Ergänzung…

Dass viele redeten und wenige etwas taten.
Da sehe ich ein bisschen die Gefahr, dass man da eine Tendenz zum Selbstlob herauslesen könnte - anders z.B.: "Dass wir alle redeten und nichts taten" oder sogar: "Dass ich auch nur redete und nichts tat".

Nun folgt die kurze Beschreibung der Deutsch-Schüler. Das klingt wirklich etwas nach Klischee. Warum nicht tatsächlich Ronnies Anregung aufgreifen: Sie könnte doch davon erzählen, dass nicht alle so gut ausgebildet sind, einige nicht einmal einen Pass haben. Das macht die Leute ja nicht zu schlechteren Menschen und ich sehe keinen Grund, warum sie deswegen weniger willkommen erscheinen sollten. Keine Gefahr für deine Grundaussage also und die Leute treten plastischer hervor. (Das war jetzt vielleicht nicht ganz in Ronnies Stoßrichtung, aber sei’s drum)

Als würde er alles Neue und Unbekannte ohne Angst in sich aufnehmen wollen.
Das ist zwar einerseits ein schöner Verweis auf das worum es in der Geschichte geht: Das Neue ohne Angst aufnehmen. Aber an der Stelle klingt es mir etwas zu dick aufgetragen: Mir leuchtet nicht ein, warum er in der Situation Angst haben sollte. Diese Deutschstunde ist bisher als ein Raum voll Geborgenheit erschienen.

Ihn habe vorhin deutlich gesehen. In der Bar. Im Schneegestöber hob er die Hand, vielleicht zum Abschied, vielleicht zum Gruß. Das Lied dudelte dazu. Im Hintergrund rote Parolen. Harun.
Er merkt es nicht.
Da steh ich auf dem Schlauch, das kann ich nicht deuten. Was war denn da mit Harun? Was wäre schlimm, wenn der Mann etwas merken würde?

„Aber das ist doch cool. Du hast sie jetzt nicht gerade unterfordert. Aber ihr hattet Spaß. Und du hast ihnen in der traurigen Situation Freude gegeben. Das ist gut.“
Hm, ist mir auch etwas zu sehr Bilderbuch, wie er ihr da auf de Schulter klopft. Es klingt fast schon - belehrend?, finde ich.

Ich sage: „Ja, irgendwie waren sie auch von einem anderen Stern. Aber nach Neujahr war alles anders.“
„Wegen Köln?“
Er dürfte eigentlich sofort wissen, was sie meint, oder?

Harun, Hilal und Zafer kamen noch einmal in der Stunde nach Silvester. In ihren Augen konnte man lesen, dass etwas passiert war. Von den Ereignissen in Köln wussten sie nichts Genaues. Aber das veränderte Klima spürten sie. Sie waren ernst und eingeschüchtert. Von unserem Weihnachtsspaß war nichts mehr übrig.“ [/QUOTE] Das ist schön dargestellt, finde ich. Einzig die drei Namen irritieren mich etwas. Sind das alle ihre Schüler? Ich hätte gedacht, sie hat weiter oben halt nur von den dreien erzählt, es gäbe aber mehr. So oder so: Ohne Namen fänd ich irgendwie besser, z.B. „Meine/Die (drei) Schüler“ oder sowas, wenn es wirklich nur diese drei sind. Oder auch: „Harun und so“. Ich weiß eigentlich nicht genau, warum es mir mit den drei Namen merkwürdig vorkommt, aber irgendwie wirkt es auf mich künstlich. Vielleicht weil der Mann die Leute eh nicht kennt?


Die Euphorie des Anfangs war dann vorbei.“
„Bei dir?“
„Bei mir nicht.
Das ist wieder so eine Stelle, wo seine Rede wie Staffage wirkt. Einleuchtender fänd ich wenn er z.B. antwortet: „Verstehe.“ (Und sie dann: „Nee, halt, bei mir ja nicht“ oder so)

Ich wurde als ‚Gutmensch‘ beschimpft. Als naiv und weltfremd.
Ich leg gleich nochmal nach. Da kann sie doch eigentlich selbst mal richtig schimpfen oder? „Ich wurde als ‚Gutmensch‘ beschimpft“ klingt brav, da berichtet sie einfach nur. Sie könnte ja auch sagen: „Und dann muss man sich dieses bescheuerte Geschimpfe anhören…“ usw. So wie es jetzt dasteht, klingt es nämlich, finde ich gerade, sogar etwas wehleidig. Das passt eigentlich gar nicht zu ihr.

„Auf jeden Fall“, sage ich. „Und dann erzählst du.“
Da denke ich dann automatisch: Ja stimmt, sie hat ihn wirklich ziemlich zugelabert. Wenn das eh der Effekt ist, wäre es vielleicht eine Überlegung wert, es sogar einen Schritt offensiver zu wagen, so wie „O Mann, und dann laber ich dich auch nicht mehr so zu“ oder „Und dann lass ich dich auch mal zu Wort kommen.“ (Und dann lachen sie vielleicht.) Aber vielleicht passt das zum Schluss auch nicht.
Jedenfalls an sich ein schöner halboffener Schluss, den du da hingesetzt hast.

Also, saubere Geschichte, würde ich sagen. An der einen oder anderen Stelle nochmal dran zu gehen könnte sich aber schon lohnen.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
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erbeerschorsch! Dein Kommentar ist länger als der Text. Das ist echt beste Textkritik. Danke für die Zeit.
Ich nehme die Punkte sehr gerne an und setze Etliches im Text um. Ja, die Problematik mit der Staffage der Rahmenhandlung ist mir wohl bewusst gewesen. Ebenso das Entlangschlittern am Lehrstück, in dem der oberlehrerhafte Zeigefinger immer wieder aufscheint. Aber Deine Anregungen sind ein guter Kompass, was dann tatsächlich zu viel ist.

- Punkt. Obwohl... Guter Hinweis. Besser für die Binnendramaturgie. Stimmt.
- Ich krame ... lasse ich mal stehen. Ich dachte, es ist für den Kontrast wichtig, wenn hinterher die Atmosphäre kippt.
- Draußen wird mir ... habe ich mal rausgenommen. Es wirkt unmittelbarer.
- Sieh das doch nicht so eng: Ich wollte ihn etwas zu Wort kommen lassen, damit er ein wenig Kontur bekommt. Da versuche ich, das anders zu formulieren. Aber der Umweg über eine allgmeine Ansicht auf Weihnachten schien mir wichtig. Bilderbuchantwort stimmt allerdings. Das ist schon recht konstruiert.
- Der Himmel ist wolkenlos: Hab ich gestrichen und verlagere damit die Atmosphäre auf später.
- Er macht eine kurze Pause ... Lasse ich mal stehen. Ich denke, es ging um die Ambivalenz zwischen "lieber Schweigen" und "gern Erzählen"
- Stadtbücherei: Stimmt, das klingt sehr nebenbei. Allerdings kommt der Übergang mit dem Hochspülen der Erinnerung aus der "Staffage" der Bücherei. Vielleicht kann man es anders formulieren, stärker einbeziehen.
- Ritter Sport habe ich gestrichen.
- Die kurze Vision von Harun in der Kneipe. Ja, das dachte ich mir auch, dass das nicht verständlich wirkt. Aber es sollte die intensivere emotionale Bindung zu ihm zeigen. Und sie will in der aktuellen Situation nicht von einem anderen schwärmen. Deshalb die Heimlichkeit.
- Aber das ist doch cool. Stimmt. Das klingt sehr nach: Setzen, 1. Hab ich anders formuliert.
- Bei dir? Da hab ich jetzt Deine Variante ausprobiert.
- Gutmensch: Weil das eine mittlerweile so plattgetretene Charakterisierung ist, wollte ich das einfach so stehen lassen und auch den Dialog ausdünnen, damit er dann später ins Schweigen übergeht. Von daher lasse ich das erst mal so karg.
- Aus dem gleichen Grund habe ich am Schluss auf wortreiche Verabschiedung verzichtet.

Cool, um das gestrichene Wort zu benutzen, was Du alles aus dem Text an Unstimmigkeit rausfilterst. Hab ich viel damit anfangen können. Besten Dank nochmal!
Herzlich
rieger

 

Hallo rieger,

nur noch einmal kurz: Unter 'roten Parolen' verstehe ich kommunistische Parolen und ich weiß nicht, wie zeitgemäß das noch ist ... deshalb der Gedanke, es in 'linke Parolen einzutauschen', wobei der Farbeffekt dann tatsächlich verloren ginge.

Viele Grüße

Willi

 

Hallo rieger,

ich habe mir die anderen Kommentare noch nicht durchgelesen, deshalb verzeih, wenn sich etwas doppelt.

Nach Silvester in Köln und den anderen Städten ist die Stimmung in Deutschland heftig gekippt, was deine Protagonistin aus der Bahn wirft. Das ist, glaube ich, die Kernaussage deines Textes. Was ich an deiner Hauptfigur nicht ganz verstehe, ist, warum sie deshalb Weihnachten nicht mehr leiden kann. Sie hat weder traumatische Erfahrungen an Silvester noch mit den Flüchtlingen in ihrer Gruppe gemacht. Oder habe ich da etwas nicht verstanden? Ich verstehe ihre Verunsicherung aufgrund der plötzlichen deutschen Feindseligkeit, aber ihre Abneigung gegen die Feiertage nicht. Verurteilt sie, dass die Menschen eine besinnliche Zeit feiern, obwohl die Stadt voller Hetzparolen ist? Ist es das? Ich steige nicht dahinter.

Sprachlich sind mir nur ein paar Kleinigkeiten aufgefallen:

„Hier keine Asylaten
- Asylanten (oder ist der Fehler Absicht?)

„Vestehe“
- Verstehe

An manchen Stellen erscheinen mir die Dialoge ein bisschen zusammengeschustert, damit es passt. Zum Beispiel hier:

„Schau“, meint er, „ist das nicht schön?“, und zeigt mit einer ausladenden Geste auf die Häuser am Platz, die ein Ensemble bilden, das man sich nicht weihnachtlicher vorstellen kann, wie aus einem Werbeprospekt. Er macht eine kurze Pause und sagt dann fast beiläufig: „Aber, das ist nicht alles, oder?“

Sein "Das ist nicht alles, oder?" bezieht sich ja auf ihre Aussage weiter oben, dass sie den ganzen Weihnachtskitsch nicht mag. Dass er dann in dieser Situation damit anfängt, obwohl er eben betont hat, wie schön er alles findet, passt mir irgendwie nicht zusammen. So ging es mir ein paar Mal.

Diesen Absatz hingegen finde ich stark:

Ich sage nicht, dass ich im Unterricht das Bild von den antanzenden Männern auf der Domplatte in Köln nicht aus dem Kopf bekomme, die ihre Finger triumphierend in die Höhe halten, wie Trophäen, weil sie eben diese Finger gerade erfolgreich einer Passantin zwischen die Beine gesteckt haben, dicht an der Möse vorbei, und sie berauschen sich an dem Mösengeruch, der wahrscheinlich gar nicht da ist, aber sie riechen es trotzdem und halten sich eben diese Finger unter die Nase und saugen den Dunst wie ein Narkotikum ein. Dieses Bild habe ich im Kopf.

Da klingt sie stark, expliziter. Ich glaube, sie ist mir davor einfach zu konturlos. Keine Ahnung, ist vielleicht auch meine heutige Leselaune, wer weiß das schon.

Dein Ende finde ich ebenfalls sehr gelungen. Da nimmst du dem Ganzen ein wenig die Schwere mit seinem "Ich hoffe, es schneit nicht", ohne dabei den Ernst der vorher Gesagten zu vergessen.

Generell konnte ich mir diese Szene zwischen den beiden gut vorstellen, aber wirklich berührt hat es mich nicht.

Liebe Grüße
RinaWu

 
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Hallo rieger,

die Geschichte deiner sensiblen Prota hat mir gut gefallen. Sie hat ja ein ganzes Jahr seit Köln darunter gelitten, dass die Akzeptanz für Flüchtlinge in der Bevölkerung abgenommen hat, dafür aber der Hass sich ausbreitet. Da braucht es nur ein Liedchen, um Trauer, Furcht und Zweifel nach oben zu spülen. Zumal der Kontrast ja auch groß ist zwischen dem zum Teil verkitschten Weihnachten, bei dem die eigentliche Botschaft ins Hintertreffen gekommen ist, nämlich einem Paar, das ein Kind erwartet und keine Zuflucht gefunden hat (aber später auf der Flucht ist) und den aktuellen Flüchtlinge, denen viele in Europa sagen: Es ist kein Platz in der Herberge.

Deine Prota hat das Glück, jemanden gefunden zu haben, der ihr zuhört und, wie es dein Schluss nahelegt, auch noch weiter zuhören wird.

"Wegen Köln?"
"Ja." Und jetzt ...

Hier würde ich hinter Köln kein Fragezeichen setzen, sondern einen Punkt. Damit wird deutlich, dass ihr Begleiter ganz bei der Sache ist und wahrscheinlich ihre Befürchtungen teilt.

Gerne gelesen, auch als wichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion ("Obergrenze")

Liebe Grüße
wieselmaus

 
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Hallo RinaWu,
danke für Deinen Kommentar. Du sprichst einen Punkt an, der mir selbst nicht klar war, ob man es der Figur abnimmt, dass ein Lied nach einem Jahr so schocken kann. Ob die läppische Erfahrung, mal ein paar Syrer zu unterrichten schon ausreicht, um so sensibilisiert zu sein, geradezu traumatisiert. Ja, da ist der Boden durchaus etwas dünne, da bringt der Text für Dich zu wenig und zu softige Info, dass er nicht wirklich eine Wucht bekommt und dann mal krachend durchschlägt. Dadurch bleibt auch eine gewisse Konturlosigkeit. Es funktioniert wohl in dem Text mal so, mal so, wie ich aus den Kommentaren lese, aber nicht mit einem Rumpstata. Einzig die Phrase mit dem Kölnbild ist drastischer, das hast Du ja vermerkt. Herzlichen Dank also für Deinen Blickwinkel!
rieger

Hallo wieselmaus,
Deine Anregung mit dem Fragezeichen habe ich übernommen. Für Dich ist die Story wohl plausibel. Freut mich. Interessant ist auch, ohne dass ich das irgendwie gegeneinander ausspielen will, dass manche die Figur des Mädchens sensibel finden, andere sie als Sensibelchen sehen, als Wohlstandspflanze vielleicht, die zum ersten Mal ein wenig Elend mitbekommt und dann gleich aus den Latschen kippt. Ich finde allerdings beide Sichtweisen nicht verkehrt. Es gibt durchaus Leute mit Elefantengedächtnis, die Irritationen länger speichern und davon langfristiger verunsichert sind. Andererseits gibt es auch die Variante der saturierten Trude, die erschüttert ist, weil ihre heile Welt zerbröselt. Wobei ich den zweiten Ansatz zu pejorativ finde.
Jedenfalls hat mich Dein Kommentar gefreut!
Herzlich
rieger

Hallo
maria.meerhaba,
besten Dank auch Dir für Zeit und ausführliche Textkritik. Habe Etliches übernommen.
Der Anfang war ein Versuch, durch das Satzstaccato schnell in eine Atmosphäre zu kommen, die sich zum Lied hin beschleunigt und dann auf Null zurückfährt. Deine Lesart ist ganz anders. Ein wichtiger Aspekt. Ich weiß selbst nicht mehr, wie es wirkt. Da habe ich die Distanz zum Text mittlerweile verloren.
Der Kern Deines Kommmentars trifft sich mit dem, was ich wieselmaus geschrieben habe. Man kann die Figur von zwei Seiten her sehen. Wenn ich es richtig verstehe, siehst Du sie als verzogene Trine, die schon verschreckt ist, wenn man kurz mal "Hu" macht und die sich in ihre Barbiewelt zurückzieht, in der es keine Fürze und ähnliche erschreckende Sachen aus der schlimmen Welt gibt. Und dann wird sie halt hier gelinde konfrontiert mit realen Schrecken und bricht gleich zusammen. Und dann sagt sie eben so und so und so. Also, was ich sagen will, ich kann Deine Sichtweise auch gut nachvollziehen.
Herzlich
rieger

 

Hallo rieger,

zunächst fällt mir auf, dass du gar keine Stichworte für deine Geschichte gewählt hast …

Ich habe die anderen Kommentare nicht gelesen.
Du erzählst die Geschichte einer Frau, die Geflüchtete unterrichtet hat, baust die Ereignisse in Köln mit ein. Alles sehr schön. :thumbsup:

Allerdings finde ich, dass der Mann und die ganze Randgeschichte mit dem Treffen/Kennenlernen relativ austauschbar sind, da sie irgendwie nur Mittel zum Zweck sind, nämlich als Gegenpart der Prota, damit sie die Geschichte überhaupt erzählen kann.
Das hätte sie auch alles ihrer Mutter am Telefon erzählen können :D
Aber irgendeine zweite Person brauchtest du für deine Art des Erzählen ja.

Erinnert mich auch an einen meiner Texte, wo ich einem Prota extra einen Wellensittich gegeben habe, damit er ihm gegenüber seine Gedanken in der / für die Geschichte äußern kann :Pfeif:

Vielleicht hätte es auch die Möglichkeit gegeben, deine Geschichte in der Art eines Livegeschehens mit kleinen Rückblicken zu erzählen.

Und dann dachte ich anfangs auch noch, dass sich die Geschichte hauptsächlich um die „neue“ Beziehung dreht ...

Sprachlich habe ich nichts auszusetzen. Das ist einfach super geschrieben. :thumbsup:

Hat mir gut gefallen.

Schönen Abend und liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo GoMusic,
besten Dank für Deine Eindrücke!
Zum Stichwort: Habe ich schlichtweg vergessen.
Ja, das mit der Kulissenhaftigkeit haben schon andere Kommentatorinnen und Kommentatoren angesprochen. Und der Effekt ist dann auch so, dass das nicht so direkt wirkt, weil es aus der zweiten Reihe geschildert wird, nicht als Frontbericht. Als Livegeschehen wäre es sicher ungnädiger in die Totale gegangen, was auch seinen Reiz hätte. Aber das hat sich irgendwie so entwickelt. Ein Gehen durch die Nacht und das Thema dazu.
Sehr schön Dein Vergleich mit dem Wellensittich. Ja, der arme Bursche, der da so vollgeschwallt wird, kommt über den Status Sittich gar nicht hinaus und darf immer nur brave Antworten plappern, damit die Story weitergeht. Das hat mir dann am Schluss so Leid getan um ihn, dass ich sie dann sagen ließ: Aber dann erzählst du. So als Trost für den Leser, dass er zumindest in der gedachten Fortsetzung nicht nur als Sorgenbriefkasten fungieren muss.
Schön, dass Du Dir Zeit genommen hast. Das Sprachlob freut mich natürlich!
Herzlich
rieger

 
Zuletzt bearbeitet:

Zeitgeschichte, pur, gibstu da schlaglichtartig, wenn in den heimeligen Wohnungen bereits eine semitische Kleinfamilie unter erbärmlichsten Verhältnissen (einem Stall) gefeiert wird, die alsbald nach Ägypten fliehen muss (von wo Isis mit dem Horus mit den römischen Eroberern als Madonna nebst Kind an den Rhein kommen wird), weil ein Despot im Größenwahn fürchtet, vom Thrönchen gestoßen zu werden von einem Kleinkind, gar Säugling, da wird die ganze Absurdität der aktuellen Weltlage sichtbar, wenn Semiten vor einem anderen Despoten flüchten müssen, der wie seinerzeit Herodes (d. Große!) vom Imperator zu Rom gestützt wird, wie heute das Assadregime vom aktuellen Zaren.

Die Welt ist Meschugge!

Dass da im Strom nicht nur Schafe und Opfer mitschwimmen, sollte auch niemand verwundern. Das politische Drama mit dem privaten, kleinen Glück zu verbinden, ist Dir allemal gelungen,

rieger - (der/die/das liebe/r?)
und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts
(wofür solche Veranstaltungen gut sind, wenn man einen Text nach dem andern näherungsweise nach Erscheinungsdatum abarbeitet, hat was, obwohl einen – zumindest mich – diese Inflation und der Eifer dann doch fast erschlagen will und zu diversen Verstößen verführt gegen die eigene Regel, eine Stund maximal Internet am Tag!)

Dazu hab ich dann auch noch „herausbeuteln“ kennengelernt – dem ich zunächst skeptisch gegenüberstand – sinnigerweise über to shake something out in der "öterr. Übersetzung dann fand… und meinen Wortschatz auf 301 erhöht. Warum eigentlich „Christmas-Kitsch“, wennst auch Weihnachtskitsch gibt?)

Was mir besonders auffällt ist, dass dieser Genderkitsch (...*in(en), Geflüchtete, weil die Endung ...ling eine Verniedlichung darstelle etc.) nicht verwendet wird, als würde Gende außer Buchstabensuppe was ändern.

Bissken Trivialeres

An irgendetwas bleibe ich hängen, vielleicht eine Weihnachtsdeko, ich schaue nicht um und reiße mich los.
Hier fehlt mir im „ich schaue nicht um ...“ was. Das Reflexivpronomen, meine ich. Oder sollte nicht und mch verwechselt worden sein?
„Können wir ein wenig gehen?“[,] schlage ich vor, und er willigt ein und …

„Ok“, sagt er wieder ganz ruhig.
O. K. (ansonsten Oklahoma, Ok)

... wenn die Flüchtlinge vorbei gingen.
„Vorbeigehen“ besser zusammen, warum der Artikel, der mir eher entbehrlich erscheint.

sage: „Das war es dann irgendwie. Die Euphorie des Anfangs war dann vorbei.“
„Verstehe[./Besser vllt. sogar „!“]“

Gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedel,
vielen Dank für Deinen bildreichen und originellen Kommentar. Deine Einwände schienen mir plausibel. ich habe sie gerne angenommen.
Wie Du in mit ein paar Federstrichen am Anfang historische Verflechtungen und ihre aktuelle Parallelen skizzierst, finde ich außerordentlich treffend und führt mir die Geschichte in den vielen Ebenen wieder vor Augen. Wenn ich dann die Zeitung aufschlage und vom Kampf um Aleppo und Mossul lese, bin ich mitten drin. Vor dem Hintergrund finde ich auch die unterschiedlichen Sichtweisen der Frau in dem Text interessant. Manche finden sie zu sensibel, andere können es nachvollziehen. Ich denke, Dein "Meschugge" bringt es auf den Punkt. Wenn man nichts ausblendet und sich in diese historischen und zeitgeschichtlichen Verstrickungenen begibt und versucht, sie irgendwie zu klären, kann man schon selbst meschugge werden, gerade in der Spannung zwischen wohlbehüteter Industrienation und kompletten Zerfall eines Staates.
Beste Grüße
rieger

 

Liebe rieger,

ich habe deine Geschichte gelesen und es gefällt mir, was und wie du schreibst, wie du dieses letzte Jahr der Flüchtlingskrise in deinen Dialogen Revue passieren lässt, die Entwicklung vom ‚Willkommen’ über ‚Köln’ zum Erstarken der Ausländerfeindlichkeit darstellst.

Dein Text ist dabei im Wesentlichen eine Szene, ein Spaziergang, bei dem die beiden das Geschehen des letzten Jahres dialogisch aufarbeiten, Realität vermischt mit persönlichen Erlebnissen der Ich-Erzählerin. Dabei dienen sie sich gegenseitig als Stichwortgeber für ihre Gedanken über das Weihnachtsfest und die Flüchtlingskrise.

Typisches Beispiel:

Ich sage: „Ja, irgendwie waren sie auch von einem anderen Stern. Aber nach Neujahr war alles anders.“
Wegen Köln.“
„Ja.“ Und jetzt habe ich die Schmierereien an den Wänden in der Innenstadt wieder ganz deutlich vor Augen: „Nein zum Asylantenheim“. „Haut ab“. “Verpisst euch, Assis“. „Hier keine Asylaten“.
Dazwischen die Weihnachtsseligkeit in den aufgetakelten Schaufenstern und duftender Glühwein.

„Ich kann mich gut erinnern“, sagt er. „Die Berichte über Köln ein paar Tage nach Neujahr. Die Übergriffe, das Begrabschen. Dann ging es bei uns mit dem Parolengeschmiere los. War nicht das Fernsehen da?“
„Ja, stimmt. Das Ausmaß war auch spektakulär. Wir haben damit eine traurige Berühmtheit erlangt. Aber die Polizei konnte nichts aufdecken. Man weiß nicht, wer das war.“


Das ist für mich kein echter Dialog, so sprechen wir nicht miteinander, zumal, da uns die Ereignisse ja allen bekannt sein dürften und die beiden sich hier nur das erzählen, was jeder von ihnen eh schon weiß. Und ich halte den zweiten Absatz auch für überflüssig: ‚Köln’ ist Synonym für das geworden, was an diesem Silvesterabend geschehen ist. Da reicht das ‚Wegen Köln’ im vorhergehenden Absatz mMn völlig aus.

Und ich habe noch ein Problem mit deinem wirklich gut geschriebenen Text: Mir wird seine Intention nicht klar. Möchtest du uns noch einmal alles ins Gedächtnis zurückrufen? Möchtest du uns den Spiegel vorhalten? Was soll ich aus deiner Geschichte mitnehmen, was ich als politisch interessierter Mensch nicht eh schon weiß? Dass wir mit unserer deutschen Weihnachtsduseligkeit die Asylanten nur selten erreichen, dass sich mit Köln alles geändert hat, dass nach der Euphorie des Anfangs die Ernüchterung eintrat? Was ist daran neu, was soll es bei mir als Leser bewirken? Ich lese deine Szene, finde sie gut geschrieben mit vielen fein beobachteten Details, aber was soll’s? Die beiden unterhalten sich, es scheint so etwas wie Nähe zu geben, dann gehen sie auseinander in der Hoffnung, sich demnächst wieder zu treffen. Ein persönliches Resümee des letzten Jahres – aber ist das auch eine Geschichte?

Noch ein paar Anmerkungen:

„O.k.“, sagt er wieder ganz ruhig. „Interessant. Syrern hast du Schneeflöckchen gelernt? Gute Pädagogik. Altdeutsches Liedgut. Intakte Gesinnung.“

Er ist ja gebildet, also kennt er sicher den Unterschied zwischen lernen und lehren. Vielleicht besser: ‚beigebracht’ oder etwas Ähnliches.

Während wir langsam den Kirchberg hinter dem Stadtgraben hinauf gehen,
hinaufgehen

rieger, dein Text hat für mich die Qualität, dass er mich an das Geschehen im letzten Jahr erinnert und mir alles noch einmal vor Augen führt - in seiner ganzen Problematik.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe barnhelm,
besten Dank für Deinen Kommentar!
Ja, das mit dem, was die Geschichte soll oder ob das überhaupt eine Geschichte ist, das kam in den anderen Kommentaren auch schon zur Sprache. Ehrlich gesagt, ich weiß es selbst nicht. Das ist meine dritte Story, oder vielleicht die zweieinhalbte und jedes Mal war eben ein Thema da und dann hat sich das eben so ergeben, der Sprachstil, die Form. Über einen tieferen Sinn habe ich nicht nachgedacht. Sollte man vielleicht. Jedenfalls ist da eben die Idee eines Spaziergangs gewesen. Als Grundidee im Hintergrund stand vielleicht doch die Verunsicherung, die Erfahrung von Brüchigkeit einer vermeintlich sicheren Welt. Die erschreckende Erfahrung, dass die Verlässlichkeit unserer Gesellschaft materiell und emotional in keiner Weise selbstverständlich ist, sondern fragil erscheint. Spontan fällt mir das Eichendorff-Gedicht Zwielicht ein: Dämmrung will die Flügel spreiten, schaurig rühren sich die Bäume. Die Beschreibung des Vagen, Unheimlichen, Unverlässlichen, was eben die Existenz grundsätzlich ausmacht. Sicher, vor dem Hintergrund musste es eine Figur sein, die entsprechend empfindlich und vielleicht sogar hypersensibel auf diese Dinge reagiert, was in den Besprechungen manchem unwahrscheinlich oder auch wahrscheinlich erschien.
Klar auch, der Spaziergang ist ein Aufhänger. Aber auch ein wenig mehr. Wie eine nach außen verlagerte Topographie der Seelenlandschaft vielleicht, welche die beiden durchwandern. Aber, das wurde auch schon besprochen, zuweilen fassadenhaft und gewollt, wie Du bei dem Dialog ja ganz richtig feststellst. So quatscht wirklich keiner. Mich erinnert es an ein Buch, das ich gerade lese. Eine hochinteressante Abhandlung über "Das Ende der Demokratie", worin die Rolle künstlicher Intelligenz in den nächsten Jahrzehnten beschrieben wird. Da findet auch ein Dialog statt zwischen Wissenschaftlern, eine Spielszene, die komplett Aufhänger für den Inhalt ist. Das wirkt fast ulkig zwischendurch.
So, so ein plapperhafter Kommentar zu Deinem Kommentar. Aber mir hat das jetzt einfach Spaß gemacht, zu antworten. Besten Dank nochmal fürs Lesen!
Beste Grüße
rieger

 

Hallo rieger

was ich an deiner Geschichte sehr gerne mag, ist wie sich verschiedene Ebenen verschränken. Weihnachten mit all seinem Zuckerguss, seinen Sentimentalitäten, Friede, Freude, Eierkuchen, und dann der harte Einbruch einer anderen Seite der Realität. Das Fest der Liebe schlägt in Hass um. Illusionen werden enttäuscht. Aus den "nur guten, hilfsbedürftigen Flüchtlingen" werden die "nur bösen Vergewaltiger". Und deine Prot. steht fassungslos daneben, verunsichert, zweifelnd, aber auch tief enttäuscht von ihren Mitbürgern.

Und ich stehe da und denke an meine Mutter, wie sie nach Neujahr die leicht verstaubten Christbaumkugeln vom Baum nimmt und in Schachteln packt. Und ich als Kind daneben und kann es nicht fassen, dass der Weihnachtszauber vorüber ist. Der Weihnachtszauber an Heiligabend, an dem ich mir immer wünschte, dass alles eins wäre und ich wünschte es so fest, dass es vielleicht sogar eins war. Aber jetzt war es nicht mehr eins. Jetzt war da ein deutlicher Riss, und die Teile, die der Riss trennte, passten für mich nicht mehr zusammen.

Sehr schön ausgedrückt.
Vielleicht will deine Geschichte beide Seiten zusammenbringen, deine Protagonistin ringt darum unter den einfühlsamen Fragen ihres Freundes und wird ein bisschen erwachsener dadurch. Zugleich thematisiert dein Text auch die Gefahr, wie schnell eine Stimmung gegen eine Bevölkerungsgruppe kippen kann und deutet das Leid und die Ängste an, die das bei den Betroffenen auslöst.

Ja, ich denke es ist vor allem eine Geschichte der Enttäuschung.

Ich hatte die ganze Situation, wie sie dieses Weihnachtslied bespricht ganz deutlich vor Augen, ihren Spaß, die Gedanken, die sie sich macht, dieses warme, freudige Gefühl etwas Sinnvolles zu tun.

Für den Freund hätte ich mir doch noch etwas mehr gewünscht, als die Rolle des Stichwortgebers. So hatte ich am Ende trotz ihrer Einladung das Gefühl, er hat seine Schuldigkeit getan. Ich spüre nicht richtig, dass sich durch das Erzählen etwas zwischen den Beiden verändert hat, vielleicht auch, weil er so sehr souverän ist. Lass seine Schwester am Dom gewesen sein oder so was.

Er macht eine kurze Pause und sagt dann fast beiläufig: „Aber, das ist nicht alles, oder?“
„Ja. Also, nein. Das ist nicht alles“, fange ich an zu erzählen. „Ich habe letztes Jahr Syrer unterrichtet. Die aus der Traglufthalle. Es war in der Stunde vor Weihachten. Und da haben wir ‚Schneeflöckchen, Weißröckchen‘ gelesen.“

Hier würde ich mir noch eine kleine Verzögerung wünschen. Das sie noch einmal tief Luft holt oder noch drei Schritte geht.

Ich seufze kurz auf. Ihn habe ich vorhin deutlich gesehen. In der Bar. Im Schneegestöber hob er die Hand, vielleicht zum Abschied, vielleicht zum Gruß. Das Lied dudelte dazu. Im Hintergrund rote Parolen. Harun.
Er merkt es nicht.

Das einzige Mal, dass du son bisschen metaphysisch wirst, das fällt etwas raus. (Also, ich gehe davon aus, das sie ihn nicht wirklich gesehen hat.)

Er klopft mit seiner Hand aufmunternd auf meinen Rücken.

Das ist mir zu kumpelhaft, dafür, dass sich da was anbahnt, oder fast schon so väterlich.


Liebe Rieger, das ist eine nachdenkliche Geschichte mit schönen, stimmungsvollen Bildern. Vielen Dank!

Wir sind auf dem Kirchberg angelangt. Von oben sieht man auf die Autobahn, die nahe am Stadtrand vorbeiführt. Hier ist es nie still. Das beständige Rauschen und Dröhnen wird wellenartig lauter und leiser, aber es verschwindet nicht. Ein heiliger Lärm. Ein kosmisches Rauschen. Es gibt hier keine Laternen und am Himmel kann man jetzt unzählige Sterne sehen.

Wunderschön!

Liebe Grüße von Chutney

 

Hej rieger,

der Titel hat mich eine ganze Zeit davon abgebracht, deine "Wintergeschichte" zu lesen.
Weil ich aber alle Challenge-Stoories lesen möchte, tat ich es dann natürlich doch und habe es nicht bereut.
Der Ton ist gut gewählt und den Frust, das Hin- und Hergerissene der Protagonistin erfasse ich dadurch von Anfang an.

Wir lehnen uns an die Brüstung und unser Blick wechselt zwischen Autobahn und Sternenhimmel hin und her.

Das erscheint mir eine tolle Metapher, sowohl für das Thema als auch für die leichte Problematik des Kennenlernens der beiden. Die Dialoge sind greifbar, klingen realistisch und sind dennoch nicht "handelsüblich". Ein Ausflug für mich in eine andere Ebene.

Danke dafür und freundlicher Gruß, Kanji

 

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