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Allein in der Nacht

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02.04.2004
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Allein in der Nacht

Ein eisiger Luftstoß streifte ihren Nacken, ließ sie aufschrecken. Gerade hatte sie sich einen Moment lang entspannt, hatte sie ihrem Körper nach all der Anstrengung nur eine Sekunde lang erlaubt, sich nicht mehr auf jedes Geräusch und jedes Anzeichen von Gefahr zu konzentrieren. Aber ihr wurde keine Pause gegönnt und das Adrenalin schoss erneut ins Blut, ließ sie wieder aufmerksam lauschen, mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit starren, die ihr doch kein Zeichen der Entwarnung gönnte.
Resignierend richtete sie sich wieder auf. Ihre sorgfältig geflochtenen Zöpfe verfingen sich in den unteren Ästen der riesigen Eiche, an die sie sich zuvor gelehnt hatte, und sie quiekte bei dem Versuch, sich zu befreien. Trotzig stampfte sie mit dem Fuß auf den feuchten Waldboden, doch natürlich reagierte niemand darauf. Wer auch. Es war niemand hier außer ihr, das hatte sie in den letzten Tagen, vielleicht auch Wochen, herausgefunden, hatte sie doch nichts als das Echo ihrer verzweifelten Schreie und Wutausbrüche vernommen. Dieser Ort war selbst für die Tiere zu unheimlich, hatte sie festgestellt, doch jetzt, wo es wieder Nacht war, war sie sich auf einmal gar nicht mehr so sicher, ob sie tatsächlich allein war. Natürlich, an die vielen Schatten, die das Mondlicht zeichnete, die Bäume, die sich über sie beugten als wollten sie sie verschlingen, an das Rascheln des toten Laubes unter ihren Füßen, hatte sie sich längst gewöhnt, aber seit ein paar Nächten fühlte sie, als begleite sie etwas, schwebte über ihr und beobachtete sie.
Heute war es näher als sonst, bedrängte sie von allen Seiten. Panisch begann sie zu laufen, ziellos, sich immer wieder umdrehend. So hatte sie nur an den ersten paar Tagen auf ihre Angst reagiert, fraß eine Flucht ins Leere schließlich so viel ihrer kostbaren Energie, doch jetzt war ihr das alles egal. Sie stolperte los, über den unebenen Waldboden, die hohen Baumwurzeln, die ihr den Weg erschweren wollten. Dornen schnitten ihre nackten Beine, aber es wollte sie einfach nicht verlassen, glitt lautlos mit ihr durch die Nacht.
Entkräftet und außer Atem blieb sie stehen. Sie fühlte sich schrecklich machtlos und Wut stieg in ihr hoch. Egal, ob sie jemand hören würde oder nicht, ob es Zeitverschwendung war, ob sie sich selbst damit in den Wahnsinn treiben würde, es musste raus. Ihre Fäuste ballten sich, sie legte den Kopf leicht in den Nacken und öffnete den Mund, setzte zum Schrei an, aber was war nun los? Plötzlich war es in ihr!
Kein Ton kam jetzt über ihre Lippen und ihre großen Kulleraugen füllten sich mit Tränen. Das hatte sie nicht verdient. Die Wut kochte noch immer in ihr, doch auf einmal bemerkte sie, wie sie die Kontrolle über ihren Körper langsam verlor, oder eher abgab, denn sie wollte sich gar nicht dagegen wehren. Es war ein erleichterndes Gefühl und sie fühlte sich geborgen, als sei sie endlich angekommen. Nur noch ein kurzes Lächeln blitzte auf ihren Lippen, dann gab sie sich von Wärme erfüllt ganz hin. Sie war zu Hause.

Ziel gerichtet fuhren ihre Hände den Körper hinauf bis zum Hals. Mit sicheren Fingern tastete sie ihn ab, spreizte schließlich die Finger und bohrte die Nägel in ihr Fleisch, so dass das Blut pulsierend herausspritzte. Tiefer und tiefer gruben sie sich hinein und es gab keinen Schmerz der sie aufhalten konnte.
Sanft glitt ihr blasser Körper zu Boden. Seine Aufgabe war erfüllt und der Gast schlich sich lautlos wie er gekommen war zurück in die Nacht.

 

hallo peanutmonster!

ich finde deine geschichte sprachlich und inhaltlich sehr gelungen! vor allem
die panik des mädchens wird gut beschrieben.
ein paar kritikpunkte hätte ich da trotzdem noch:

-aber was war nun los? Plötzlich war es in ihr!

das ist irgendwie zu wenig. während ihrer flucht baut sich eine spannung auf, die einen höhepunkt braucht und diesem höhepunkt, dem eindringen, widmest du nur einen satz, der auch noch recht lapidar dahingesagt klingt.
man erwartet einfach mehr.

- "kulleraugen" klingt nicht gut. meiner meinung nach reicht "ihre großen augen" völlig hin

das ende klingt ein wenig, als hättest du keine lust mehr gehabt oder noch irgendwo hingemusst :D gerade die wichtigsten ereignissen, dem eindringen, ihre selbstaufgabe, beschreibst du sehr kurz und eilig.
der letzte absatz ist wieder hervorragend gelungen, gerade formulierungen wie
"Tiefer und tiefer gruben sie sich hinein und es gab keinen Schmerz der sie aufhalten konnte. " oder der letzte satz.

also, wie gesagt, teilweise wirklich gut, aber du steigerst die geschichte und brichst dann ziemlich abrupt (schreibt man das so :susp: ) ab.

 

Hi Mike!
Hatte ehrlich gesagt schon Angst, is ja meine erste Geschichte hier, also danke für die sanfte Kritik.
Das mit dem Höhepunkt stimmt, ich glaub aber nich, dass mir da noch was besseres zu einfällt, hab nämlich selbst keine wirkliche Vorstellung, was das Etwas sein soll und was es tut. Und das eindringen genauer beschreiben? Hm, weiß nich...
Mit den Kulleraugen (und den Zöpfen) wollte ich ein Bild vom unschuldigen Mädchen zeigen, is vielleicht aber echt unpassend.
Hast recht, am Ende wollt ich schnell fertigwerden, aber anstatt das Ende ausführlicher zu schreiben, kann ich auch einfach vom Anfang was wegkürzen? *g* das gleicht das vielleicht aus...
LG Peanut :-)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi peanutmonster,

im Großen und Ganzen fand ich Deine Geschichte ganz in Ordnung, aber irgendwie fehlt ihr der Knalleffekt, die Überraschung.

Dieser Ort war selbst für die Tiere zu unheimlich, hatte sie festgestellt, (...)

Wie hat sie das denn festgestellt? Und unheimlich ist so ein lari-fari-Ausdruck, besser würde mir z.B.

"Nicht einmal die Asseln trauten sich dorthin."

gefallen.

Panisch begann sie zu laufen, ziellos, sich immer wieder umdrehend.
... und rannte *pock* gegen einen Baum.

Kein Ton kam jetzt über ihre Lippen und ihre großen Kulleraugen füllten sich mit Tränen. Das hatte sie nicht verdient.

Das ist mir für Horror zu sehr die Mitleidsmasche. Außerdem, wenn irgendwas in meinen Hals schlüpft, was mich vorher wochenlang gejagt hat, denke ich nicht "Das habe ich nicht verdient...", sondern fange an zu würgen oder versuche mir das Vieh irgendwie anders vom Hals zu schaffen: Ich habe Todesangst! Schon gar nicht steigt Wut in mir auf.

Tiefer und tiefer gruben sie sich hinein und es gab keinen Schmerz der sie aufhalten konnte.

Hier bitte mehr Details. Man bedenke die Kategorie. ;)

Seine Aufgabe war erfüllt (...)

Welche Aufgabe? Insgesamt erfährt man zu wenig über den Verfolger, als dass man wirklich Angst haben könnte. Der "Gast" bleibt zu abstrakt. Wenn Du ihn selbst nicht beschreiben willst könntest Du die Auswirkungen beschreiben, die er auf die Umwelt hat, etwa

"Durch die Bäume ging ein zunächst leises Rascheln, das zunehmend lauter wurde, bis seine Richtung nicht mehr auszumachen war. Schließlich knackte es in einer der Kronen, und ein oberschenkeldicker Ast verfehlte das Mädchen nur knapp."

Ich denke wenn Du noch ein bisschen an den Details tüftelst wird eine ganz ansehnliche Story draus!

Gruß

MisterSeaman

 

also, das mit dem am anfang wegkürzen ist ja mal ne gute idee :D darf ich die klauen, mir passiert das nämlich auch des öfteren.

das bild vom unschuldigen mädchen kommt gut rüber, finde ich. vor allem die "sorgfältig geflochtenen zöpfe" finde ich sehr passend.

zum eindringen würde mir schon noch etwas einfallen..
du könntst z.b. beschreiben wie ihr kiefer auseinander gepresst wird, sie nach luft ringt etc. kalte spinnenfinger, die sich um ihr herz schließen, sie fühlt, wie ihr körper ausgefüllt wird, es ihr den atem nimmt..und dann kann das mit der aufgabe kommen:
irgendwie so in der art, mit jedem atemzug den "es" ihr nimmt, fühlt sie statt grauen erleichterung, ihr wird schwindelig (sauerstoffmangel etc.), doch sie
empfindet es als glückstaumel.
naja, oder so was in der art.

"es" musst du gar nicht weiter beschreiben, finde das namenlose grauen viel besser :)

 

Servus,

ich bin begeistert!
Ich finde, dass es dir durchaus gelingt, die Atmosphäre rüberzubringen - ein kalter, unheimlicher, dunkler Ort, schutzlos und abweisend, und irgendwo lauert das namenlose Grauen (das immer noch das beste ist).
Besonders interessant wird es durch die Beschreibung deiner Protagonistin, mit den Zöpfen und so. Spätestens beim Wort "Kulleraugen" musste ich automatisch an japanische Zeichentrickfilme denken, deren Regisseure es verstehen, hilflose, anständige Mädchen mit Zöpfen irgendwo von irgendwelchen (meist missverstandenen) Wesen aus der westlichen Mythologie gehetzt werden zu lassen.
Jedenfalls wenn man davon absieht, dass Manga-Regisseure auf kurze Röcke fixiert sind. Die restlichen eins komma fünf Prozent der Filme beinhalten aber eine ähnliche Figurendarstellung.

Auch wenn meine Vorredner mit ihren Kritiken vielleicht richtig liegen, kann ich an deiner Geschichte eigentlich keine negativen Aspekte finden. Außer vielleicht das pulsierende Blut... der Horror hier ist subtiler Natur, entsprechend subtil sollte der "Gast" vorgehen.
Ansonsten bin ich von der Geschichte begeistert, wahrscheinlich aber aus reinem Narzißmuss, da ich selber was ähnliches geschrieben habe und mir auch eine längere Geschichte dieser Art vorschwebt.
Mit Zöpfen vielleicht, aber ohne kurze Röcke, also wirklich. :D

Grüße,
Artnuwo

 

Ja mei!
@MisterSeaman: Ich glaub nicht, dass Horror=blutrünstig heisst, ich denk das subtile is wirksamer!?
Die Mitleidsmasche hast du anscheinend falsch verstanden. "Das hatte sie nicht verdient" sollte aus der Sicht des Mädchens sein! Ich hab sie mir einfach als ein trotziges, verwöhntes Mädel vorgestellt, und als sie sagt dass sie das nicht verdient hat, hat sie schon resigniert. Ich find jedenfalls, das passt.
Die Auswirkung von "ihm" auf die Natur ist sicher auch interessant (glaub aber nich, dass ich da nachträglich was machen kann...)

@Mike: deine Beschreibungen sind ne gute Idee!

@Artnuwo: *räusper* Vielleicht hast du's überlesen, aber ich hab mir das Mädchen doch auch in kurzem Rock vorgestellt! ("Dornen schnitten ihre nackten Beine") (was natürlich nichts über mich aussagt...*g*)

Danke für die Kritiken!

Peanutmonster :-)

 

Horror muss nicht blutrünstig sein - aber zum subtilen paßt

Mit sicheren Fingern tastete sie ihn ab, spreizte schließlich die Finger und bohrte die Nägel in ihr Fleisch, so dass das Blut pulsierend herausspritzte.

nicht, finde ich.

Auch eine verwöhnte Göre denkt nicht "Das habe ich nicht verdient.", wenn ihr Jäger in ihren Hals schlüpft. Das ist so wie "Mist, jetzt werde ich sterben..." ;)

 

Dornen schnitten ihre nackten Beine
Soviel noch zum Thema kurze Röcke...

Die Geschichte ist sprachlich ganz okay, aber was die Subtilität angeht, kann man geteilter Meinung sein. Wenn etwas zu subtil ist, ist es ganz sicher nicht gruselig. Das Gefühl der Bedrohung muß schon durch etwas gerechtfertigt werden, und für manche mag da ein Wald, in dem man sich verirrt hat, schon reichen, aber das gilt wohl nur für sehr zartbesaitete Seelen.
Ein Ort, wo sich die Tiere nicht hintrauen, ist für uns Menschen gar nicht so übel, wenn ich so drüber nachdenke. Da kann man dann schlafen, ohne belästigt zu werden.

Was mir ganz und gar nicht gefällen würde, wenn das eine gedruckte Geschichte wäre, ist die Eindimensionalität. Da ist jemand im Wald, wird verfolgt, und am Ende wird ins Gras gebissen. Nein, das ist mir zu wenig, sowas zu lesen lohnt nicht. Irgendwas Besonderes soll schon sein. Was, das ist fast egal.
Wenn ich in einer Geiserbahn sitze, will ich erschreckt werden. Es ist aber nicht erschreckend, lange auf ein Monster zuzufahren, daß dann wie erwartet ab einer kritischen Nähe aktiviert wird. Viel witziger ist es, wenn der Leser vorher schon von der Seite erschreckt wird oder der Wagen abbiegt, und man denkt, man kommt gar nicht am Monster vorbei - und plötzlich ist es doch da.
Sowas halt wird auch von einer Gruselgeschichte erwartet.

r

 

@ peanutmonster & relysium:

Dornen schnitten ihre nackten Beine

Vielleicht hat sie ja auch nur kurze Hosen an! :p
:baddevil:
HUARHARHARHAR hab ich mich aus der Affäre gezogen HARHARHARHARHARdasreicht
:bla:
lg, Artnuwo

 

@relysium: Ja, du hast recht *schäm*. Aber was würdest du als Wendung vorschlagen? Mir fällt da nicht wirklich was zu ein, vielleicht dass sie erst eine Eule/irgendein Tier entdeckt und denkt, dass das das war was sie verfolgt hat? Oder sie trifft n Polizisten mit Taschenlampe, der sie gesucht hat, und dann stellt sich heraus, als sie mit ihm mitgeht, dass in ihm der "Gast" auch ist, und sie jetzt verführt irgendwohin mitzukommen? Hm.

@Artnuwo: Nein, sie hatte keine kurzen Hosen an. Hatte sie niiiieccccht! Ansonsten: Lass deinen Gefühlsausbrüchen ruhig freien Lauf, wir verstehen das.

 

Hi peanutmonster!

Also für deine erste Geschichte mal ein dickes Respekt!

Ich finde sie spannend, kurzweilig und durchaus gruselig, also wirklich so wie eine Kurzgeschichte sein soll. Was mich überrascht hat, war die Aussage das du selbst nicht weisst was du dir unter dem "Bösen" (das Etwas) vorgestellt hast. Ich hatte die ganze Zeit den Gedanken im Kopf das dieses Mädchen unter Drogen steht und zum Schluss an eben diesen Drogen stirbt. :confused:

Du siehst, mit dieser Geschichte regst du zum nachdenken an.

Etwas negativ finde ich das du alles ein wenig im dunkeln lässt. Warum ist sie im Wald, warum läuft sie umher? Klar, es ist eine Kurzgeschichte aber etwas mehr Informationen hätten nicht geschadet.

Schöne Grüße aus Hannover!

Palanfin

 

peanutmonster schrieb:
vielleicht dass sie erst eine Eule/irgendein Tier entdeckt und denkt, dass das das war was sie verfolgt hat? Oder sie trifft n Polizisten mit Taschenlampe, der sie gesucht hat, und dann stellt sich heraus, als sie mit ihm mitgeht, dass in ihm der "Gast" auch ist, und sie jetzt verführt irgendwohin mitzukommen? Hm.
Na, das ist doch für den Anfang durchaus eine Idee, oder?

r

 

@Palafin: stimmt, das mit den Drogen könnte man sich tatsächlich denken, nur hatte ich sie mir ziemlich jung, so 8 oder so, vorgestellt.
Ich dachte eigentlich dass schon viele Mädchen dem "gast" zum Opfer gefallen sind, er sozusagen aus ihnen besteht und sich durch das Mädchen-fangen immer weiter vergrößert...zuerst hatte ich auch mit drin, warum das Mädchen im Wald ist, aber das war total unpassend fand ich. Mädchen verlaufen sich halt manchmal, wir wissen alle wie's um den weiblichen Orientierungssinn bestellt ist. *g*

@relysium: mal sehn, vielleicht kann ich da noch was machen...im nachhinein trotzdem schwer!

LG Peanutmonster

 

Da hab ich ja noch was von Dir gefunden...
Und ich muß sagen, das ist dem Salem alles ein bißchen zu schnell und oberflächlich.
Du schaffst es, trotz der Kürze, Spannung aufzubauen, doch kommt der latente Horror hier nicht so ganz rüber. Du versuchst dann noch durch das "blutige" Ende ein wenig Horror zu erzeugen, aber irgendwie gelingt es nicht.
Auch mir fehlt hier ein bißchen das Umfeld. Warum ist sie dort? Wurde sie denn noch nicht vermißt oder gar durch eine großangelegte Suchaktion entdeckt (blöde Frage, natürlich nicht)
Aber verstehst Du, was ich meine? Zu viele offene Fragen bedeuten für mich Unlogik.
Klar kann man etwas Unlogisches logisch darstellen, so dass es auch gruselig oder spannend wird; das sollte Sinn und Zweck von Kurzgeschichten sein. Aber ich denke, sie sollten nicht zuuu viel offen lassen.

Dein Schreibstil ist wie immer hervorragend, nur überarbeite die Geschichte doch noch mal. Nimm von mir aus ein paar Deiner Ideen mit rein und poste sie neu. Würde sie dann sogar noch mal lesen (Drohung) :baddevil:

Bis dahin! Salem

 
Zuletzt bearbeitet:

Überarbeitete Version:

Ein eisiger Luftstoß streifte ihren Nacken, ließ sie aufschrecken. Gerade hatte sie sich einen Moment lang entspannt, hatte sie ihrem Körper nach all der Anstrengung nur eine Sekunde lang erlaubt, sich nicht mehr auf jedes Geräusch und jedes Anzeichen von Gefahr zu konzentrieren. Aber ihr wurde keine Pause gegönnt und das Adrenalin schoss erneut ins Blut, ließ sie wieder aufmerksam lauschen, mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit starren, die ihr doch kein Zeichen der Entwarnung gönnte.
Resignierend richtete sie sich wieder auf. Ihre sorgfältig geflochtenen Zöpfe verfingen sich in den unteren Ästen der riesigen Eiche, an die sie sich zuvor gelehnt hatte, und sie quiekte bei dem Versuch, sich zu befreien. Trotzig stampfte sie mit dem Fuß auf den feuchten Waldboden, doch natürlich reagierte niemand darauf. Wer auch. Es war niemand hier außer ihr selbst, das hatte sie in den letzten Tagen, vielleicht auch Wochen, herausgefunden, hatte sie doch nichts als das Echo ihrer verzweifelten Schreie und Wutausbrüche vernommen. Und dabei plagte sie ständig die Ungewissheit, ob überhaupt jemand an diesem unwirtlichen Ort nach ihr suchen würde. Hatte vielleicht sogar niemand bemerkt, dass sie verschwunden war? Nein, sie schüttelte den Kopf. Ihrer Mutter tat inzwischen der furchtbare Streit sicher leid, und sie hatte bestimmt eingesehen, dass sie im Unrecht war und ihr ihre Fernsehgewohnheiten selbst überlassen sollte. Obwohl ihr schimmerte, dass es ein Fehler war, über diese Lappalie und aus purer Sturheit reiß aus zunehmen, wollte sie diese Gedanken jetzt nicht zulassen. Sie schüttelte energisch den Kopf und schaute sich um. Doch selbst wenn es Tag wäre, sie hätte nichts und niemanden erblickt, denn sie war hier völlig allein. Dieser Ort war selbst für die Tiere zu unheimlich. Aber jetzt, wo es wieder Nacht war, war sie sich auf einmal gar nicht mehr so sicher, ob sie tatsächlich allein war. Natürlich, an die vielen Schatten, die das Mondlicht zeichnete, die Bäume, die sich über sie beugten als wollten sie sie verschlingen, an das Rascheln des toten Laubes unter ihren Füßen, hatte sie sich längst gewöhnt. Seit ein paar Nächten fühlte sie jedoch, als begleite sie etwas, schwebte über ihr und beobachtete sie.
Heute war es näher als sonst, bedrängte sie von allen Seiten. Nachdem sie einige Zeit lang versucht hatte, es zu ignorieren und sich unauffällig zu verhalten, begann sie nun panisch zu laufen, ziellos, sich immer wieder umdrehend. So hatte sie nur an den ersten paar Tagen auf ihre Angst reagiert, fraß eine Flucht ins Leere schließlich so viel ihrer kostbaren Energie, doch jetzt war ihr das alles egal. Sie stolperte los, über den unebenen Waldboden, die hohen Baumwurzeln, die ihr den Weg erschweren wollten. Dornen schnitten ihre nackten Beine, aber es wollte sie einfach nicht verlassen, glitt lautlos mit ihr durch die Nacht.
Entkräftet und außer Atem blieb sie stehen. Sie fühlte sich schrecklich machtlos und Wut stieg in ihr hoch. Egal, ob sie jemand hören würde oder nicht, ob es Zeitverschwendung war, ob sie sich selbst damit in den Wahnsinn treiben würde, es musste raus. Ihre Fäuste ballten sich, sie legte den Kopf leicht in den Nacken und öffnete den Mund, setzte zum Schrei an, aber was war nun los? Sie konnte den Mund nicht mehr schließen, fühlte sich wie umklammert. Etwas Kaltes erreichte ihren Rachen. Einen Moment lang konnte sie nicht mehr atmen, kämpfte würgend gegen das Unsichtbare an. Vergeblich. Der Gast war in seinen Wirt eingedrungen.
Kein Ton kam jetzt über ihre Lippen und ihre großen Kulleraugen füllten sich mit Tränen. Das war nicht fair, befand sie, doch diesmal konnte sie nicht Schutz am Rock ihrer Mutter suchen und petzen. Die Wut kochte noch immer in ihr, doch auf einmal bemerkte sie, wie sie die Kontrolle über ihren Körper langsam verlor, oder eher abgab, denn sie wollte sich gar nicht dagegen wehren. Es war ein erleichterndes Gefühl und sie fühlte sich geborgen, als sei sie endlich angekommen. Nur noch ein kurzes Lächeln blitzte auf ihren Lippen, dann gab sie sich von Wärme erfüllt ganz hin. Sie war zu Hause und bemerkte nicht mehr die kleinen Lichtkegel, die die Taschenlampen der Suchtruppe über ihr Kleid, ihr kühles Gesicht tanzen ließen. Bald kamen dutzende uniformierter Männer auf das unbewegte Mädchen zugelaufen. Doch wenige Meter vor ihr blieben sie alle stehen, wie in Erfurcht erstarrt. Eine unheimliche Aura umgab dieses Ding, das nicht den Eindruck erweckte, gerettet werden zu wollen. Die Männer glotzten sie regelrecht an, als sie plötzlich ein erstes vermeintliches Lebenszeichen abgab und begann, sich marionetten-ähnlich zu bewegen.
Ziel gerichtet fuhren die Hände des Mädchens den Körper hinauf bis zum Hals. Mit sicheren Griffen tastete sie ihn ab, spreizte schließlich die Finger und bohrte die kleinen Nägel in ihr Fleisch, zerriss dabei Fasern wie Gefäße, doch sie blinzelte nicht einmal. Tiefer und tiefer gruben sich die zart anmutenden Fingerchen in ihren Hals hinein, so dass das Blut pulsierend herausspritzte und es gab keinen Schmerz der sie aufhalten konnte.
Sanft glitt der blasse Körper zu den Füßen der Retter. Seine Aufgabe war erfüllt, alle Energie aus dem Wirt heraus gesogen, und der Gast schlich sich lautlos wie er gekommen war zurück in die Nacht, die noch einige erquickende Uniformträger für ihn bereithalten würde.

 

Wow, peanutmonster!

Hatte eigentlich vor, zunächst die neue Version zu lesen, und sie dann mit der alten zu vergleichen. Aber Letzteres brauch ich gar nicht mehr.
Selbst wenn ich die alte Version nicht kennen würde, könnte ich Dir für diese nur ein ganz großes Lob aussprechen. Alle Fragen (fast alle) sind geklärt; und auch das Ende ist genial. :thumbsup:

Zwei Dinge hab ich da noch (bin mir aber nicht hundertprozentig sicher):

Trotzig stampfte sie mit dem Fuß auf den feuchten Waldboden, doch natürlich reagierte niemand darauf. Wer auch. Es war niemand hier außer ihr,
Das reimt sich ja sogar. Besser: "Es war niemand hier außer sie selbst, ..."
ob überhaupt jemand an diesem unwirtlichen Ort nach ihr suchte.
Meiner Meinung nach: "nach ihr suchen würde"

Super Geschichte; perfekt überarbeitet! :thumbsup: :thumbsup:

Lieben Gruß! Salem

 

Ja, das ist eine erhebliche Verbesserung. Zwar nicht die ursprünglich angekündigte Idee einer scheinbaren Rettung, aber immerhin eine interessante neue Nuance weiterer Opfer.

Das letzte Wort ist falsch. Es muß entweder "bereithielt" heißen oder "bereithalten würde".

@Salem: "außer sie selbst" ist übles Deutsch. "außer ihr selbst", wenn schon.

r

 

Mannomann,
das is toll dass euch die story nu besser mundet...*supi-freu*
Mochte mich da erst ja so lang nicht ans überarbeiten dranwagen, danke für die Ermutigung! :bounce:
Die Fehler hab ich auch korrigiert.

LG
Peanutmonster :shy:

 

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