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An der Uschi ihre Wurstbude
„Ich finde ja, dat man dat alles gar nich so eng sehen sollte und so“, sagte Herbert und biß herzhaft in seine Thüringer vom Grill. Ein wenig Senf tropfte ihm vom Mundwinkel auf das Feinripphemd, aber Herbert kümmerte das herzlich wenig - zumal der Fleck sich dort in bester Gesellschaft befand.
„Du meinst also...“
„Nein, dat hab ich nich gesagt. Wat ich meinte war, dat man dat eben nich so eng sehen sollte.“ Herbert unterstrich seine Worte mit einigen ausholenden Gesten, wobei er wild mit seiner Wurst in der Gegend herumfuchtelte. Instinktiv zog ich den Kopf ein, um nicht von umherfliegenden Senfspritzern getroffen zu werden.
„Frikadelle, Jochen?“ Ich nickte und Uschi nahm eine ihrer berühmten Hausmacherbulletten vom Rost und servierte sie mir kunstvoll angerichtet auf einem kleinen Pappteller.
„Naja, auf jeden Fall is dat ja so. Die Leuten stellen sich hin und sagen, wie schlimm dat doch alles is und so. Weißte ja selber am besten. Aber eigentlich... eigentlich...“ Herbert steckte den letzten Zipfel der Wurst in den Mund und spülte mit einem kleinen Schluck kronsberger Hopfentee nach. „Also, wat ich damit eigentlich sagen will, is dattat eigentlich gar nicht so schlimm is... ja.“
„Was denn, Herbert?“
„Warum hörst du mir eigentlich nie zu, du Klappspaten?“
„Na hör mal...“, sagte ich empört. Klappspaten wollte ich mich nun wirklich nicht nennen lassen - schon gar nicht von Herbert. „Du hast ja noch gar nicht gesagt, was du überhaupt sagen wolltest.“
„Wenn du mir zugehört hättest, dann wüßtest du jetz auch, worum dat hier geht. Ummet Prinzip nämlich. Aber nein, der Herr is sich ja zu fein, mir zu lauschen und glotzt lieber der Uschi in den Ausschnitt.“ Uschi kicherte, wie ein Schulmädchen und mein hochroter Kopf verriet, daß Herbert vollkommen Recht hatte. Ihr Ausschnitt war ja auch wirklich sehr einladend.
„So, der Herbert geht jetzt mal schön gepflegt ne Runde pissen und du denkst derweil über deine Sünden nach“, sagte Herbert, stellte sein Bier auf den kleinen Tisch und machte sich auf den Weg ins Gebüsch hinter Uschis Wurstbude. Ich nutzte die Zeit und tunkte hastig meine Bullette in Ketchup. Wenn Herbert das gesehen hätte, hätte er mir sicher einen stundenlangen Vortrag über die Ausbeutung chilenischer Tomatenpflücker gehalten oder so. Klar, das Problem war allgegenwärtig, aber trotzdem schmeckte mir der Ketchup immer noch besser, als dieser labbrige Tütensenf. Zugegeben, es war achtlos, den dreckigen Pappteller hinterher einfach so auf den Boden fallen zu lassen, aber manchmal geht es halt nicht anders.
„Ey, du Arsch! Paß doch auf!“, hörte ich auf einmal eine Stimme hinter mir. Als ich mich umdrehte, konnte ich dort aber niemanden sehen. Nur Uschi, aber die stand eingehüllt in dicken Rauschschwaden vor ihrem Grill und summte vergnügt irgendeinen alten Schlager von Wolle Petry aus dem Radio mit.
„Hier unten, du blinde Nuß.“ Ich senkte den Kopf und sah eine Taube, die versuchte, sich einen roten Fleck aus dem Gefieder zu putzen. Der Vogel schenkte mir einen grimmigen Blick und sprang dann wild mit den Flügeln schlagend auf den Tisch. „Kuck dir den Scheiß doch mal an hier!“, schimpfte er. „Wie steh ich denn jetzt da? Mann, so ein Mist.“
„Du... du bist eine Taube, oder?“
„Nein, ich bin ein Pferd.“
„Aber...“
„War nur Spaß. Im Wirklichkeit bin ich ne Taube.“
„Aber Tauben können doch gar nicht...“
„Verdammt, du hast mich mit deinem Ketchupding aber voll getroffen.“
„Ich meine... euch fehlen... Stimmbänder und so...“
„Hier, genau am Flügel. Mann, das ist gerade die Stelle, wo die Weiber am meisten drauf stehen!“
„Und... der Mund... also... das ist doch total unmöglich.“
„Ja natürlich.“ Die Taube schien sich aber nicht weiter für mein Weltbild zu interessieren, sondern verrenkte sich stattdessen beinahe den Hals, als sie die Ausmaße des Ketchupflecks auf ihrem Rücken ausmachen wollte. „Och nee... auf das Muster da bin ich immer besonders stolz gewesen. Und dann kommst du Sack daher und... ach verdammt!“
„Das tut mir leid. Ehrlich, ich hab dich einfach nicht gesehen.“
„Niemand sieht uns. Und wenn, dann werden wir in den Arsch getreten. Dabei sind wir eigentlich in der Überzahl.“
„Ich hab noch nie einer Taube in den Arsch getreten“, sagte ich.
„Aber gefüttert hast du uns auch noch nie. Weißt du eigentlich, wie das ist, wenn man kurz vor dem Verhungern ist, weil man sich wochenlang nur von Zigarettenkippen und Bockwurstwasser ernähren kann?“
„Ja.“ Wie es der Zufall wollte, wußte ich das tatsächlich. Damals im Spätherbst 94, als... naja, das ist eine andere Geschichte. Ich glaube aber, daß Herbert damals die alleinige Schuld an dieser Sache getragen hatte. Aus Solidarität reichte ich dem Vogel daher eine meiner Fritten.
„Schmier dir deinen Kartoffeldreck in die Haare... obwohl... na, gib schon her!“ Beinahe glaubte ich, ein Lächeln im Gesicht des Vogels ausgemacht zu haben, als der vergnügt an der Fritte rumknabberte. Vermutlich waren das aber nur Mayospuren.
„Boss... Boss, der Kurt hat es schon wieder getan...“ Eine weitere Taube kam atemlos angeflogen und redete auf meinen Gesprächspartner ein.
„Oh Mann! Sind denn heute alle bekloppt hier? Ich hatte doch gesagt, der Kurt soll nicht mehr fliegen, wenn ihm davon immer übel wird.“
„Ja, schon... aber er hat da dieses halbe Brötchen liegen gesehen und war so aufgeregt, daß er... naja, er hat halt nicht dran gedacht.“
„Entschuldigt bitte“, sagte ich „aber was hat der Kurt denn gemacht?“
„Na, was wohl? Gereihert wird er haben, stimmts Hagen?“ Die andere Taube nickte eifrig.
„Sowas können Vögel?“, fragte ich.
„Hast du ne Ahnung, was wir alles können. Wenn du eines Tages mal aus Versehen knietief in einem Kuhfladen landest, weil irgendein Trottel dich nicht rechtzeitig gewarnt hat...“ die Taube warf einen strafenden Blick auf ihren Artgenossen „dann bleibt dir eigentlich gar nichts anderes übrig, als zu...“
„Moment mal... du bist mal in einem Kuhfladen gelandet?“, unterbrach ich ihren Redeschwall. „In dem Fall kannst du meine Fritten aufessen. Ich meine, jetzt wo du eh schon drin stehst...“
„Danke. Du bist ja doch ganz in Ordnung, Mann. Hagen, flieg zu den anderen und sicher das Brötchen! Ich komm gleich nach und dann verteilen wir die Beute.“
„Is gut, Boss“, sagte der andere Vogel und flog davon.
„Sag mal...“, sagte ich, „was ich schon immer mal wissen wollte... warum wackelt ihr eigentlich immer so komisch mit dem Kopf beim Gehen?“
„Reine Gewohnheit“, sagte die Taube und breitete die Flügel aus „Ich muß weg, sonst verputzen die das Brötchen ohne mich.“ Mit diesen Worten hob sie ab und verschwand hinter einem Gebüsch.
Wenig später, Uschi war inzwischen bei Strophe drei von Hölle, Hölle, Hölle angekommen – wobei mir bis dahin nie aufgefallen war, daß dieses Lied überhaupt Strophen hatte – kam Herbert vom Pinkeln zurück. Mit einem kleinen Ruck zog er den Reißverschluß zu und stellte sich zu mir an den Tisch.
„Uschi, mach mir nomal ne Krakauer feddich, wo du eh grad stehst. Mit Pommes Mayo dabei“, rief er Uschi zu und popelte sich mit dem linken kleinen Finger am Ohr rum.
„Mann, du warst aber lange weg.“
„Ja logi. Da war ja auch ne Menge wat drin“, sagte er und klaute mir eine Fritte vom Teller. „Hab ich wat Wichtiges verpaßt?“
„Nö, Herbert, alles wie immer... alles wie immer...“