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Das Häuschen im Grünen
Die Schatten in der Küche werden länger, der Aschenbecher vor mir quillt über. Ich warte. Wie man wartet, musste ich in den letzten Jahren lernen.
Sie ist nicht Kurts erste. Auch nicht die zweite oder dritte.
Es gab einmal eine Frau, die er auf der Toilette im Rhein Energie Stadion gevögelt hat. Dass muss man sich mal vorstellen. Hannes kann einfach nie seine Klappe halten. Zwei, drei Bierchen und er würde seine eigene Mutter verkaufen.
Als es anfing, hat es mich verletzt. Danach war ich Jahre lang wütend. Wie ich mich jetzt fühle, weiß ich selbst nicht genau.
Diesmal ist es anders. Er erfindet sich gerade neu: Anderer Haarschnitt, neue Jeans, grellbunte Shirts, ein anderes Aftershave. Fehlt bloß noch ein Cape, das er sich verkehrt herum auf den Kopf setzt. Er würde lächerlich wirken, wenn da nicht der Rest wäre: Diese Energie, die plötzlich in allem liegt, was er tut. Der federnde Schritt, mit dem er jeden Morgen das Haus verlässt. Die Mühelosigkeit, mit der alles erledigt: Abwasch, Rasen mähen, die Post sichten. Wenn er mit dem Auto fährt, dreht er die Musik auf Anschlag. Er ist wie ein Schwarzweißfernseher, der plötzlich auch bunt kann.
Ich knipse das Licht an und hole mir eine Flasche Schwarzriesling aus dem Kühlschrank. Das Glas ist blank poliert. Wo ist der Korkenzieher? Fluchend reise ich eine Schublade nach der anderen auf. Endlich! Da liegt er – fast verborgen zwischen Nudelzange und Parmesanreibe.
Ich traf mich mit Hannes auf ein Bierchen. Es war nicht schwer, ihm alles zu entlocken.
„Wir waren auf einer Vernissage. Nigel hieß der Künstlicher. Jung, gut und ziemlich unverbraucht.“
„Und da hat er diese Frau kennengelernt?
Er nickte.
„Wie ging es weiter?“
„Sie haben sich ein paar Mal getroffen und dann wurde wohl etwas Festes daraus.“
Hannes starrte auf den Tisch und wagte nicht mich anzusehen.
„Wie sieht sie aus?“
Hannes nahm einen großen Schluck Bier.
„Die Wahrheit?“, fragte er mich.
„Die Wahrheit.“
„Hübsch. Lange, schwarze Haare. Sehr dünn. Und jung, richtig jung.“
„Weißt du wie sie heißt?“
„Anna.“
Seine Hand lag plötzlich auf meinem Bein. „Kirsten“, sagt er. „Kirsten, das hast du doch gar nicht nötig, oder? Der Kurt, weiß doch gar nicht mehr, was er an dir hat!“
Ich schob seine Hand von meinem Bein. Einen Moment lang sahen wir uns an, ich schüttelte leicht den Kopf und er seufzte.
„Was wirst du jetzt machen?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich.
Anna.
Ich habe keine Tränen mehr, die hatte ich schon vor Jahren geweint. Damals, als Kurt zum ersten Mal aus unserem Schlafzimmer ausgezogen war und ich mir sicher war, ohne ihn nicht leben zu können.
Trotzdem wollte ich diese Frau sehen.
Es war nicht schwer, ihre Adresse herauszufinden. So sorgsam Kurt auch darauf achtete, sein Smartphone nicht herumliegen zu lassen, so naiv ging er mit seinem Navi um.
Vor drei Tagen machte ich mich schon früh auf den Weg nach Köln. Ich setzte mich auf eine Bank und wartete. Etwa eine Stunde später kam eine junge Frau aus dem Haus und ich wusste sofort, dass sie es war. Ich hatte sie nur sehen wollen, aber als sie dann plötzlich so dicht an mir vorbeilief, musste ich sie sprechen.
„Entschuldigung“, sprach ich sie an.
Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Ihre Augen hatten die Farbe von flüssigem Honig.
„Ja bitte?“, fragte sie.
„Ich bin Kurts Frau.“
„Oh Shit.“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und trat einen Schritt zurück.
„Was willst du?“, fragte sie schließlich.
„Nur reden.“
„Ich weiß nicht“, murmelte sie, sah die Straße hinauf und trat von einem Bein auf das andere.
„Bitte“, bat ich. „Das bist du mir schuldig.“
„Ich weiß nicht, ob ich dir etwas schuldig bin.“
Sie sah mich herausfordernd an und ich hatte große Lust, ihr mit meinen Fingernägeln das Gesicht zu verkratzen.
„Aber okay, lass uns reden. Ich kann das verstehen“, sagte sie schließlich.
Ich deutete auf das Café auf der anderen Straßenseite: „Kaffee?“
Sie strich sich die Haare zurück.
„Warum nicht?“
Ich konnte nicht aufhören sie anzustarren. Sie war so hübsch. Was konnte ein Mädchen wie sie an einem Mann finden, der sicherlich mehr als 25 Jahre älter war. Was wollte sie von Kurt?
Beinahe konnte ich uns nebeneinander sehen. Ihre Haar schwarz, meines blond. Sie sehr schlank, beinahe dünn und ich mit weiblichen Rundungen. Ihre Nase gefiel mir nicht, viel zu groß für ihr Gesicht.
Wir bestellten unseren Kaffee. Sie musterte mich verstohlen.
Was sah sie wohl? Eine verbrauchte Mittvierzigerin mit zu breiten Hüften?
„Liebst du ihn?“, fragte ich sie schließlich.
Sie drehte die Tasse in ihren Händen.
„Ich bin jetzt einfach ehrlich, okay?“
„Ich bitte darum.“
„Er hat mich total geflasht. Es war einfach der richtige Moment, verstehst du? Ich habe ihn gebraucht und er mich. Das konnte nicht anders kommen.“
Meine Hände zitterten und ich hielt mich an meiner Tasse fest.
„Wenn mit euch alles okay wäre, hätte er sich doch nie auf mich eingelassen“, sagte sie. „Das muss dir doch klar sein?“
Ihr Blick war trotzig, sie reckte das Kinn vor.
„Zwischen euch ist es doch schon lange aus.“
Ich hasste mich dafür. Wirklich. Aber ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen feucht wurden.
Sie nestelte an ihrer Halskette herum, wirkte zum ersten Mal schuldbewusst.
Hastig stürzte sie ihren Kaffee herunter: „Ich muss los, sonst komme ich zu spät zur Uni.“
Uni. Klar.
Sie bezahlte meinen Kaffee mit und ich hatte den verrückten Gedanken, dass sie damit eine Schuld begleichen wollte. Sie stand auf und strich sich das schwarze Kleid glatt.
„Echt ne scheiß Situation. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Sie zuckte mit den Schultern, drehte sich um und ging davon. Kurz vor der Tür hielt sie nochmal inne und kam zurück.
„Ich sag das jetzt nicht, weil ich ihn will. Echt nicht. Das hier sage ich nur zu dir – von Frau zu Frau. Hör mal ganz tief in dich rein, da sind alle Antworten, die du brauchst! Du hast doch auch nochmal was ganz anderes verdient, oder?“
Dann ging sie. Ich sah sie durch das große Fenster. Sie rieb sich die Schläfen und kramte in ihrer Tasche herum. Und noch während sie da stand, entspannte sie sich wieder, lächelte einen Passanten an und ging davon.
Ich nehme einen tiefen Zug von meiner Zigarette.
Sie ist so jung. Wenn Kurt sie langweilt, wird sie sich in einen anderen verlieben. Wenn sie die Stadt satt hat, wird sie woanders hingehen. Sie lebt ihr Leben ohne Kompromisse. Irgendwann, und es erscheint mir verdammt lang her, war ich auch einmal so.
Ich war 22 und hatte mich gerade von meinem Ex getrennt, weil ich nach etwas Wahrhaftigem suchte. Und da traf ich ihn auf einer Party. Die Musik war schlecht, die Leute langweilig und ich stand draußen auf dem Balkon, um eine zu rauchen. Da traf ich ihn.
„Hast du auch manchmal das Gefühl, du musst ganz weit weg?“, fragte er mich.
Ich glaube, ich habe mich schon bei diesen Worten in ihn verknallt.
Wir kannten uns noch nicht einmal 24 Stunden, als er mich in seinem alten Ford nach Paris entführte. Es war heiß. Klimaanlage gab es nicht. Meine Beine lagen auf dem Armaturenbrett. Er sah mich ständig an und seine Augen leuchteten.
Ein paar Jahre lang machten wir einfach, worauf wir Lust hatten. Wir fuhren auf Festivals oder blieben Tage lang im Bett. Wir mieteten eine winzige Wohnung in der Innenstadt, weil uns die Dachterrasse so gut gefiel. Wir wechselten unsere Jobs und trampten ein halbes Jahr lang durch die USA. Wir hatten Sex. Viel Sex. Ich dachte, dass das niemals aufhört. Dass ich niemals aufhören würde, ihn zu begehren.
Aber man ist nicht ewig Anfang 20. Irgendwann passiert das Leben. Wir wollten etwas Festes, träumten vom eigenen Häuschen im Grünen und Kindern.
Selbst die Suche nach einem neuen Heim war für uns ein Abenteuer. Dieses Haus erschien uns perfekt. Vor uns nur Wiesen und Wälder. Großer Garten. Fünf Zimmer.
„Zwei für die Kinder“, hatte Kurt gesagt.
Dass die monatlichen Raten viel zu hoch waren, merkten wir schon ein paar Monate später. Wir mussten oft leere Nudeln essen. Ich arbeitete viel, er noch mehr.
Und die Kinder blieben auch aus. Bald diktierte uns mein Ovulationskalender die Leidenschaft. Später kam das Kinderwunschzentrum. Viele Tests. Alles in Ordnung, bloß mit uns Gemeinsam schien irgendwas nicht zu stimmen. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich mich nicht so auf dieses Kind versteift hätte. Drei Mal In-Vitro-Fertilisation, drei Fehlgeburten. Wir waren am Ende. Auch finanziell.
Irgendwann akzeptierte ich, dass es für uns nie ein Kind geben würde. Ich orientierte mich neu – auf meine Karriere, auf das Haus. Ich renovierte, strich die Zimmer jährlich neu und pflegte den Garten. Alles war gut, solange ich nur beschäftigt war.
Wie es um uns stand, habe ich erst viel zu spät begriffen. Zu dieser Zeit hatten wir schon längst keine Worte mehr. Wir lebten hier wie in einer WG. Und dann zog er letzten Sommer plötzlich aus. Wollte Abstand. Er hauste mehrere Wochen in einem Wohnwagen. Irgendwann kam er wieder zurück, wir schliefen miteinander und ich dachte, es könnte alles wieder gut werden. Kurz darauf traf er Anna.
Der Schwarzriesling steigt mir langsam zu Kopf.
Es muss heute passieren. Sonst schaffe ich es nie mehr.
Oder soll ich es einfach laufen lassen? Mir geht es nicht schlecht. Das Haus ist schön und – endlich – abbezahlt. Die Nachbarn sind freundlich. Wir haben beide so etwas wie beruflichen Erfolg.
Wer kann erwarten, dass Leidenschaft ewig anhält? Und abgesehen von seinen Affären, kann ich mich auf ihn verlassen. Es gibt da immer noch diese Ebene, auf der wir funktionieren. So wie letzten Winter, als sein Vater starb und ich ihn die ganze Nacht im Arm hielt. Er hat geheult wie ein Baby.
Aber dann denke ich wieder an Anna. An ihre Worte. Das kann doch nicht alles sein, was ich mir vom Rest meines Lebens erwarte?
Ich höre einen Motor. Das ist er. Er bleibt noch einen Moment lang im Auto sitzen. Wahrscheinlich wundert er sich, dass ich noch wach bin.
Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, ehe er in die Küche kommt. Obwohl das Licht ihn gewarnt haben muss, zuckt er zusammen, als er mich sieht.
„Wie war das Spiel?“, frage ich.
„Was?“
„Wie hat der FC gespielt?“
„Unentschieden.“
Er geht zur Spüle, dreht den Wasserhahn auf und hält die Hände darunter.
„Ist das Blut?“
Er nickt.
„Bist du nicht ein bisschen zu alt dafür?“
„Ich hab' mich nicht geprügelt. Ist von `nem Stück Fallwild. Oben an der Talsperre. Ich habe es von der Straße gezogen, die Ecke da ist ziemlich gefährlich.“
Er nimmt sich ein Bier aus dem Kühlschrank und setzt sich an den Tisch. Er setzt sich einfach zu mir und verzieht keine Miene.
„Modeste“, sage ich. „Modeste und Schaub.“
Ich lächle.
„Zwei Null.“
„Zwei Null“, wiederholt er.
„Du hast das Spiel nicht gesehen.“
Um Zeit zu gewinnen, nehme ich einen Schluck Wein.
„Du warst … es gibt da jemand anderen, so ist's doch, oder nicht?“
Er schweigt.
„Weißt du eigentlich, dass du ein richtiger Feigling bist? Warum sagst du es nicht einfach? Warum sagst du nicht die Wahrheit? Ich meine, du musst es nicht sagen. Ich weiß, dass es so ist. Ich weiß es!“
„Nicht. Ich will nicht streiten.“
„Wir streiten nicht. Wir reden.“
„Ja?“
„Ja.“
„Es gibt jemand anderen …“
„Ich weiß.“
„Okay, dann weißt du es …“
„Nigel“, sage ich. „Auf der Vernissage von diesem Nigel.“
„Was war da? Was soll da gewesen sein?“
„Hannes hat erzählt, dass er dich mitgenommen hat. Und ich dachte noch, du und Kunst?“
„Hannes“, wiederholt er.
Und ich frage mich, ob er das jetzt den ganzen Abend machen will. Plötzlich widert mich alles an.
„Ja. Sie soll ziemlich jung sein.“
„Sie mag weiße Wände.“
„Weiße Wände?“
Wieso erzählt er mir diesen Schwachsinn?
„Ja, die Klarheit.“
„Wir, wir bräuchten auch mal Klarheit, oder? So kann das einfach nicht mehr weitergehen. Hörst du mir überhaupt zu?“
„Ich höre dir zu.“
„Ist alles nicht so einfach, ich …“
„Doch“, fällt er mir ins Wort. „Ist so einfach.“
Er trinkt einen Schluck, stellt seine Flasche auf den Tisch und holt seine Zigaretten aus der Hemdtasche.
„Ich zieh wieder in den Wohnwagen, und dann … dann suchst du dir was, in Ruhe, so was braucht Zeit. Ich glaube, das wäre die beste Lösung, bevor wir zu irgendwelchen Anwälten gehen. Brauchen Abstand von allem. Von uns. Muss nicht schmutzig werden, das willst du nicht, und ich will das auch nicht. Mit dem Haus und alles, das sehen wir dann.“
„Einfach so?“
„Ja.“
„Nach all den Jahren … und das war`s, das ist alles?“
„Manchmal ist das so. Manchmal muss man eine Entscheidung treffen.“
„Ja“, sage ich. „Ja, da hast du Recht.“
Wir sehen uns schweigend an.
„Und du willst wirklich in diesem Wohnwagen leben?“
Ist doch der Wohnwagen von meinem alten Freund Hannes … nein, schon okay, ich mag es, und ist ja auch nicht für ewig.“
„Nein“, sage ich.. „Ist nicht für ewig.“
Es wird schon hell. Ich höre ihn im Wohnzimmer schnarchen. Ich liege da. Nackt. Und dann lächle ich. Wir werden das Haus verkaufen. Und ich werde diesen ganzen Scheiß loswerden. Das gute Geschirr. Die Servierplatten von seiner Großmutter. Diese grottenhässlichen Vorhänge, die nur noch da sind, weil sie irgendwann eine Stange Geld gekostet haben.
Ich werde mir eine kleine Wohnung in der Stadt mieten und, wer weiß, sogar die Wände weiß streichen.