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Das traurige Leben eines Poolarbeiters

jbk

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17.06.2003
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428
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Das traurige Leben eines Poolarbeiters

Ich bin Poolarbeiter und sitze in der Todeszelle.
Man sagte mir, dass ich übermorgen hingerichtet werde. Mit einer Giftinjektion.
Es wirke schnell, sagte man mir. In wenigen Minuten versage mein Nervensystem. Außerdem würde ein Beruhigungsmittel gespritzt, so dass ich das Ersticken nicht spüre.
Und das alles wegen dreihundert Dollar.

Mein Name ist Roberto. Ich bin fünfundvierzig Jahre alt. Ich habe Kenia nie verlassen. Über dreißig Jahren habe ich in vielen Hotels gearbeitet.
Jeden Morgen, wenn die Sonne gerade erwacht, stand ich am Pool. Der Geruch von Chlor hat sich in meine Nase gebrannt. Ich vermisse ihn hier.
Hier, in meiner Zelle, riecht es nach Urin.

Mein Vater hat mich als Kind in die Hotels mitgenommen. Er sagte, wir würden einer guten Zeit entgegen gehen. Jeder wusste, dass mit den ganzen neuen Hotels auch Urlauber kommen. Und mit ihnen Devisen.
Jeder hoffte, seinen Teil davon zu bekommen.
In der Tat reichte es, die Familie zu ernähren.
Fünf Dollar pro Tag sind viel Geld.
Dreihundert Dollar ein Vermögen!

Über Jahrzehnte lebten wir gut vom Tourismus.
Vor einigen Jahren kam die Ernüchterung.
Malaria, politische Verwerfungen – die Touristen blieben aus.
Viele Hotels schlossen.
Die Poole wurden trocken.
Ich hatte Mühe, Arbeit zu finden. Wie Tausende andere auch.
Meine Familie litt. Wir hungerten.
Ich musste mir etwas einfallen lassen.
Also führte ich die wenigen Touristen, die noch kamen, an spezielle Orte.
Mombasa hat derer viele. Man kann hier alles bekommen: Elfenbein oder auch junge Mädchen. Alles ist möglich, wenn man Dollars hat.
Waren die Touristen dann einmal dort, bezahlten sie. Fünf Dollar für ein Mädchen. Zehn für gutes Elfenbein. Ich bekam zehn Prozent. Meine Familie hatte wieder etwas zu essen.

Eines Tages hatte ich Glück. Ich durfte wieder in einem Hotel arbeiten, weil mein Vorgänger schlampig gearbeitet hatte. Zuviel Chlor im Wasser hatte die Augen eines Jungen verätzt.
Ich bekam drei Dollar pro Tag.
Nebenbei führte ich meinen Nebenverdienst fort.
Ich kam auf ungefähr 15 Dollar pro Tag.
Dann kam eine Gruppe Männer in das Hotel. Sie sahen reich aus. Und sie waren reich.
Ich bot ihnen an, eine Stadtrundfahrt der besonderen Art zu machen.
Sie waren sofort einverstanden.
Sie mussten 20 Dollar pro Mädchen bezahlen.
Sie zahlten.
Die Schreie der Mädchen sind bares Geld. Ihr Leiden eine Investition.
Warum ich keine Skrupel habe? Der Grund liegt auf der Hand: Dollars.

Es war ein lauer Abend letzte Woche. Ich erinnere mich an die Gruppe Männer noch genau. Sie kamen mir komisch vor. Es waren ihre Blicke, die mich stutzig machten.
Trotzdem führte ich sie zu jenem speziellen Ort.
Dann ging alles sehr schnell.
Ich und zwei andere wurden verhaftet.
Es war eine Razzia.
Mein Gefühl hatte sich bestätigt. Doch die Gier ließ mich unvorsichtig werden.
Die Mädchen schwiegen.
Aber man nahm mich mit. Der Verdacht reicht bereits aus.
Der Richter fällte sein Urteil schnell.
Ich konnte die dreihundert Dollar Kaution nicht zahlen.
Jetzt sitze ich hier, allein.
Ich erinnere mich an die Worte meines Vaters: „Du bist für dich verantwortlich“, sagte er einst.
Ich spüre keine Reue. Ich schäme mich nicht.
Ich habe getan, was ich wollte, was ich musste.
Ich habe Angst. Nicht um mich, sondern um die, die ich zurück lasse.
Meine Frau, meine Kinder.
Für manche werden meine Worte wie Hohn klingen.
Sie werden sich fragen, was für ein Mann ich sei, der mit Kinderprostitution Geld verdiente.
Dabei habe ich es mir nicht ausgesucht.
Es waren die Männer, die Geld dafür bezahlten.
Nicht ich.

 

Hallo jbk,

gefällt mir ziemlich gut, deine Geschichte. Vor allem der lakonische Tonfall des Ich-Erzählers, den du konsequent durchziehst, hats mir angetan. Es wirkt viel stärker, als wenn der Mann seine Gefühle explizit zum Ausdruck brächte. Man kann ihn sich richtig gut vorstellen, wie er in seiner Zelle sitzt und ohne Reue seine Geschichte mitteilt.

Zu Meckern hab ich hab auch was:

- Die äußere Form. Für meinen Geschmack machst du entschieden zu viele Absätze, fast hinter jedem Satz einen neuen ... liest sich fast wie ein Gedicht. Vielleicht wolltest du die abgehackte Sprechweise des Protagonisten dadurch verstärken, aber das brauchts mM nach nicht.

Seit über dreißig Jahren habe ich in vielen Hotels gearbeitet.
Besser gefiele mir: "Über dreißig Jahre lang habe ich in vielen Hotels gearbeitet." Kanns nicht genau begründen, ich finde das "seit" an der Stelle unpassend.

- Der Titel: Hm. Mir fällt spontan kein besserer ein, aber er klingt auf mich fast ironisch, irgendwie belustigend. Weiß nicht, ob das so gemeint war. Die Formulierung hat sowas Naives, läst mich an Kinderbücher denken. "Die kleine traurige Raupe" oder so.

Ansonsten gefällt mir der Text: Kurz, prägnant, trocken und hart.

Ginny

 

Hi Ginny-Rose,

hatte schon die Befürchtung, der Text sei zu hart in der Thematik. Aber that's life.

Die Form soll die Erzählung unterstreichen. Er erzählt ja eine Entwicklung, ohne an einer Stelle zu verweilen.
Deshalb dieser "abgehackte" Stil.

Der Titel war als eine Bewertung meinerseits gedacht. Werde aber nochmals drüber nachdenken.

Ansonsten danke für die prompte Antwort.

Gruß Jan

 

hi jbk,

auch ich muss sagen, dass mir die schilderung gefallen hat - irgendwie. der erzählstil ist nüchtern und kurzatmig. auf reue oder moral wurde verzichtet.
trotzdem ... für einen menschen in der todeszelle ist diese schilderung zu wenig. es mag sein, dass es auf dem afrikanischen kontinent zügiger mit der anklage und verurteilung von verbrechern vonstatten geht, es mag auch richtig sein, dass die strafen dort drakonisch sind. auch die tötungsart widerspricht eigentlich dem rohen charakter des landes. trotzdem darf er mehr und detailierter erzählen.

trotzdem, es war angenehm zu lesen!

bis dann

barde

 

Hi Barde,

gegen eine detailierte Erzählweise ist nichts einzuwenden: es hätte mehr über die Kindheit geschrieben werden können - ein Leben zwischen Blechhütten und Poollandschaften; zwischen Leid und Luxus.
Es hätte über den kulturellen Wandel geschrieben werden können - traditionelle Lebensweisen, die im Zuge der Tourismusindustrie einschneidend gewandelt werden.
Es hätten die speziellen Orte Mombasas als dunkle Ecken, als stickige Puffs mit ausgeleierten Matrazen und brutalen Zuhältern beschrieben werden können.
Das alles hätte "irgendwie" gepasst, wenn, ja wenn die Geschichte personal erzählt worden wäre.

Indes trifft dies ja nicht zu. Der Protagonist und sein Verhalten stehen im Vordergrund. Er soll innerhalb kürzester Zeit hingerichtet werden. Da schien mir kein Platz für ausschweifende Beschreibungen. Eine stringente, kalt-rationale Schilderung passt mMn formal sehr gut zu seinem Charakter, zu seiner kleinen, kargen Zelle.

Und dies war es, was ich heraus arbeiten wollte.
Eine Erweiterung um die von mir im oberen Abschnitt genannten Themen hätte die Geschichte wohl auch eher zu einer gesellschaftskritischen gemacht.

Gruß Jan

 
Zuletzt bearbeitet:

Du drückst beinhart aus, was für die Geschichte als solches von Bedeutung ist. Du verschleierst nichts in einem Umhang von schönen Worten und zeichnest eindeutig ein moralisches und zynisches Bild der Gesellschaft.

Fazit: Ein nüchtern-trockener und dadurch ein schonungsloser, realistisch-harter Text, dessen Moralbotschaft unmittelbar an den Mann gebracht wird.

 

hey jan,

die geschichte hat mir gut gefallen , es gibt fast nichts zu meckern.
das fast bezieht sich auf den titel, der geht meine erachtens gar nicht. ich hätte zwar ein paar ideen, bin aber gespannt ob dir nicht ein guter einfällt.

eine weitere anmerkung habe ich noch. es ist zwar geschmackssache aber es ist ein wenig fad(es fehlt etwas), das der poolarbeiter in der zelle sitzt. du sollst nicht in den personalen erzähl stil fallen, der monolog ist gut aber es fehlt der kick der die härte des textes unterstreicht.

(ich hab gerade die idee, dass er dies einen priester erzählen könne)

lg pia

 

Hallo Jbk,

ich muss sagen, die Storie hat was!
Sie hält sich zwar an einigen Stellen beschränkt, doch verliert sie das Ziel nicht aus den Augen. In den verschiedenen Diskussionen, die sich um die in ihr enthaltenen Themen gegenwärtig verbreiten, ist sie aussagekräftig und bezeichnend. Schnell holst Du viele wichtige Faktoren auf einen Punkt und setzt sie recht unkompliziert (nehme mich als abschreckendes Beispiel) in Beziehung. Daher auch der fast glatte Leitfaden, der sich fast ohne Störungen bis zum Ende ausrollt.

Gruß

Friedrich

 

Hallo zusammen und danke an jeden für die Kritik.

@Jingles:
Dein Fazit gefällt mir :)

@kakaotesschen:
Wow, ich fühle mich geschmeichelt (ob dieses Vergleiches). Werde mir ihn mal zur Brust nehmen, wenn ich wieder mehr Zeit zum Lesen habe.

@Pia:
Hallo mal wieder :bounce:
Du bringst mich da auf eine wirklich interessante Idee (hoffe, wenn ich deinen Vorschlag umsetze, dass es nicht unter Plagiatismus fällt ;))
Gefällt mir echt gut, deine Idee.

@Friedrich:
So war das gedacht.
Aber warum "fast glatt"?
Bitte um Konkretisierung (zwecks Bearbeitung).

Grüße euch allen
Jan

 
Zuletzt bearbeitet:

hey jan,

ach quatsch, bin gespannt auf die umsetzung und fühl mich ein wenig gechmeichelt *g*.

(p.s wähl doch eine andere krankheit als malaria)

lg pia

 

Hi pia,

lange nichts mehr gehört.
Gehts dir gut?
Wenns mir besser geht, setzte ich das Vorhaben (s.o.) in die Tat um!

Lg
Jan

 

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