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Das Verlies
Es ist dunkel und kalt hier, in diesem Verlies tief unter der Erde. Sie haben mich hier eingesperrt. Ich war ihnen zuwider. Sie sagten mir, ich sei krank.
„Schafft ihn fort!“ hallt es noch jetzt in meinem Kopf.
Sie sagten, ich könne wieder an das Licht – wenn ich mich geändert habe.
Sie gaben mir den Schlüssel für die Tür dort vor mir. Sie gaben mir Feuer und Kerzen, damit ich den Weg nach oben erhellen kann. Sie gaben mir Brot, damit ich nicht verhungere. Sie gaben mir Wasser, damit ich nicht verdurste. Dann ließen sie mich zurück.
So saß und stand ich hier, allein mit meinen Gedanken. Fauliges Wasser tropfte von der Decke, immerfort, rann die Mauersteine hinunter, vereinigte sich auf dem lehmigen Boden zu stinkenden Pfützen.
Meine armselige Kleidung, sie konnte die Kälte nicht abwehren, die sich Totenfingern gleich mit eisigem Griff in meine Haut krallte.
Irgendwann drohte ich zu erfrieren. Dabei wollte ich leben, so gerne leben. Also dachte ich nach. Ich war hier unten alleine, sie waren da oben, weit über mir, ungezählt.
War ich nicht vielleicht doch krank? War ich es nicht gewesen, der in dieses Verlies kroch, während sie mich vergebens zu halten suchten? Hatte ich ihre Hände nicht mit Tritten zurückgestoßen, so daß ich wie ein Tier in diese Dunkelheit kriechen konnte? Nur meinem Instinkt folgend...
Ich beschloß, wieder an das Licht zu treten. Alles war besser als das hier. Aber als ich den Schlüssel dann in das rostige Schloß führen wollte, da paßte er nicht. Sie hatten mir den falschen Schlüssel gegeben. Ich versuchte es, immer und immer wieder, aber es war ein sinnloses Unterfangen.
Vielleicht gab es ja einen anderen Weg als diese Tür. Einen Ausweg, versteckt und verborgen, irgendwo in diesen Mauern um mich herum.
Es war so dunkel, daß ich nichts zu erkennen vermochte. Also griff ich nach den Streichhölzern. Aber ich trug sie nicht mehr bei mir. Sollte ich sie etwa verloren haben? Diese Unachtsamkeit erfüllte mich mit Entsetzen. Auf allen Vieren kroch ich in meinem Verlies umher, verzweifelt, betend, tastete hier, fühlte dort, bis ich sie schließlich fand. Sie waren durchnäßt. Wie sollte ich sie hier unten jemals trocknen?
Ich wurde wie rasend. Ich mußte hier raus. Ich mußte zurück, zurück an das Licht.
Ein quälender Hunger kam in mir auf. Seit Ewigkeiten hatte ich keine Nahrung mehr zu mir genommen. War völlig matt, kraftlos. Wilde Krämpfe peinigten meine Eingeweide. Ich brauchte Nahrung. Aber wie das Wasser um mich herum, so war auch das Brot verfault. Maden krochen daraus hervor. Warum nur hatte ich nicht früher gegessen?
Durst – ich hatte Durst. Ein Schluck aus der unberührten Flasche. Nur ein Schluck. Nur ein einziger Tropfen. Welch Labsal mußte das sein. Aber als ich die Flasche an meine Lippen führte, da roch ich das Gift. Das Wasser dieser Elenden war verseucht.
Angewidert goß ich den Inhalt der Flasche zu seinem stinkenden Bruder zu meinen Füßen. Dann umarmte ich mich selbst und gab mir etwas Wärme.
Es ist dunkel und kalt hier, in diesem meinem Verlies tief unter der Erde. Ich bin hier eingesperrt. Und manchmal ist mir, als hörte ich Schritte jenseits der Tür. Schritte, die von den Wänden der dunklen Gänge widerhallen. Immer wieder rast dann mein Herz, wartet auf das erlösende Geräusch eines sich drehenden Schlüssels, einer sich öffnenden Tür.
Aber dann kommt die Stille zurück.
Ich sitze hier in meinem Verlies und bin eingesperrt.