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Dein Mitbewohner ist ein Alien
Nichts geschieht durch Zufall.
Nichts ist so, wie es scheint.
Alles ist miteinander verbunden.
Der Anblick von Aliens ist für dich mittlerweile alltäglich geworden. Du siehst sie über die Straße laufen, Bus fahren, ja, einer sitzt sogar im Supermarkt, in dem du regelmäßig einkaufst, an der Kasse. Er wirkt ganz harmlos, aber nein, dich täuscht er nicht! Allein, wie er deine Payback-Karte einscannt. Schon der Gedanke daran lässt dich erschaudern.
Es sind verdammt raffinierte Biester, dass must du neidlos anerkennen. Dank hochmoderner Tarntechnologie kommen sie ganz anders daher als in Filmen, Videospielen oder Büchern dargestellt: keine grüne Haut, keine feingliedrige Fühler, keine schnabelartigen Mäuler. Sie kreischen auch nicht schrill, wenn sie kommunizieren. Alles Bullshit aus den Lügenmedien.
Im Grunde sehen sie aus wie du und ich. Gehen langweiligen Berufen nach, führen auf den Gehweg scheißende Hunde Gassi, gucken Tagesschau, haben Bierbäuche, Tattoos und S.Oliver-Pullover.
Du durchschaust sie natürlich trotzdem, bist aber zu klug, es dir anmerken zu lassen. Warum ausgerechnet du diese Gabe hast, weißt du nicht. Höchstwahrscheinlich besitzt du einfach den 8. Sinn. Geschickt spielst du die Ahnungslose und gehst ihnen aus dem Weg, wo du nur kannst. Öffentliche Verkehrsmittel meidest du, ignorierst Fake-News, informierst dich nur noch auf Spezialkanälen im Internet und auf Telegram und schwänzt seit anderthalb Semestern die Uni. Ja, sogar deinen geliebten Zumba-Kurs hast du gekündigt, denn nein, so grazil bewegt sich kein Mensch, Marion Lüdke-Laxen!
Durch deine Vorkehrungen gelingt es dir, außerirdischen Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren. Alles in allem klappt das ganz gut, nur bei einem Alien nicht.
Dem, mit dem du dir die Wohnung teilst: Fred.
Dir ist selbstverständlich klar, dass er … dass es … nicht wirklich so heißt, aber der Name steht nun mal auf seinem Klingelschild. Als du dich für die WG beworben und ihn zum ersten Mal gesehen hast, wollte der Groschen bei dir einfach nicht fallen. Er war total nett. Zu nett, dass ist dir jetzt klar. Du weißt noch, dass du dachtest, er sähe aus wie Channing Tatum. Nur in viel moppeliger. Der Typ megalieber Schmusebär halt.
Dass Fred eigentlich ein Reptiloider ist, hast du erst viel später begriffen. Die Erkenntnis tat unglaublich weh und zunächst wolltest du es partout nicht wahrhaben. Liebe macht halt doch blind. Verdammte Scheiße: Anzeichen gab es mehr als genügend. Du hättest nur wie sonst logisch denken und eins und eins zu drei zusammenzählen müssen.
Wobei: Genaugenommen bist du schon am Tag nach deinem Einzug misstrauisch geworden. Als du das Poster gesehen hast, dass Fred an die Wand über seinem Bett gepinnt hat.
Keine Witz: Über Freds Bett hängt das personifizierte Böse.
„Bill Gates?“, hast du ihn gefragt und dich bemüht, deine Stimme nicht allzu schrill klingen zu lassen. „Aber der trinkt Kinderblut!“
Fred hat nur irritiert gezwinkert, schief gegrinst und dann anerkennend etwas in der Art von „Scheiße, bist du witzig“ gemurmelt. Und die ganze Zeit hat er dich währenddessen voll lieb angeguckt.
Ja, und blöde Kuh hast dich davon täuschen lassen und tatsächlich geglaubt, dass er nicht durch und durch böse, sondern bloß total ahnungslos, strunzendumm und mega leichtgläubig ist. So wie 98,72 Prozent der Menschheit eben. Und in diesem Moment hättest du ihn am liebsten sogar umarmt, weil er dir wegen seiner offenkundigen Beschränktheit so schrecklich leidgetan hat.
Trotzdem hätte dir irgendwann auffallen müssen, dass kein Mensch so dumm sein kann. Mal ehrlich, sogar der Wendler hat es irgendwann begriffen. Aber Fred behauptet ernsthaft, dass AIDS eine natürliche Virus-Krankheit ist und nicht ein in US-Laboren entwickelter militärischer Kampfstoff. Er bestreitet vehement, dass überall in Deutschland Kinder qualvoll sterben, weil sie von den Regierungsfaschisten aus Berlin dazu gezwungen werden, wegen einer ausgedachten Pandemie im Unterricht Masken zu tragen. Er will partout nicht wahrhaben, dass diese so-called Energiesparlampen giftige Gase aus Quecksilber abgeben und überhaupt einen Scheiß umweltfreundlicher sind als normale Glühbirnen. Und er glaubt wirklich, dass Bielefeld existiert.
Damit hat Fred den Bogen überspannt. Das ist selbst für ein Schlafschaf too much. Bei Bielefeld hattest du Fred und seine Show endgültig durchschaut.
Gott, in diesem Moment bist du echt panisch geworden. Hattest die pure Todesangst. Schnell hast du das Notwenigste zusammengepackt und wolltest Hals über Kopf ausziehen. Einfach nur raus. Du weißt noch, wie du im Hausflur gestanden und mit vor Angst zitternden Händen deine Lieblingskappe aufgesetzt hast. Nein, du trägst keinen Aluhut, wie es die Propagandisten der Gegenseite über euch Sehende nur zu gern behaupten. Als geschichtsbewusste Deutsche trägst du natürlich Baskenmütze! So wie einst Sophie Scholl als sie mit der Résistance gegen die Nazis gekämpft hat.
Um dich zu beruhigen hast du schließlich einen Xavier-Naidoo-Song gepfiffen und dann noch einen und noch einen – und wirklich, die Musik des Meisters hat dir Note für Note deinen inneren Frieden und neue Kampfkraft zurückgebracht und dein messerscharfer, analytischer Verstand konnte wiedereinsetzen. Das hat dich vor einem fatalen Fehler bewahrt, ja, wahrscheinlich sogar dein Leben gerettet, denn plötzlich ist es dir wie Schuppen von den Augen gefallen, wie auffällig eine übereilte Flucht gewesen wäre. In deiner Vorstellung konntest du schon das Fahndungsplakat mit deinem Gesicht darauf hängen sehen. Überall. Offiziell wegen Bankraubes oder so. Irgendein Lügengrund. Aber die Aliens hätten natürlich einen für Menschen unsichtbaren QR-Code auf dem Teil platziert, der der ganzen verfluchten Brut verraten hätte, dass du die Fähigkeit hast, sie gnadenlos zu entlarven.
Also bist du geblieben und spielst weiterhin die Ahnungslose. Es fällt dir nicht leicht, aber vielleicht findest du so sogar ihre Schwachstelle. Das eine brüchige Glied, dass die ganze Kette aus Trug und Lug reißen lässt. Ja, es stimmt, du hast schreckliche Angst! Weißt nicht, wohin mit dir und deiner Panik. Fühlst dich wie Jana aus Kassel. Aber dir ist klar, dass du keine Wahl hast und du dieses Risiko eingehen musst. Nicht nur für dich, sondern für die gesamte Menschheit. Vielleicht ist das deine Bestimmung.
Alles wäre so viel leichter für dich, wenn du Fred nicht so sehr mögen würdest. Es ist dir total peinlich das zuzugeben, aber seiner unnatürlich natürlichen Ausstrahlung hast du nichts entgegenzusetzen. Wenn er dich anlächelt, ist das toxischer als jeder Chemtrail. Natürlich weißt du, dass auch das bloß ein teuflischer Reptiloiden-Trick ist. Irgendein extraterrestrisch Pheromon wahrscheinlich, das dich zur Paarung mit ihm zwingen soll, damit sich seine und deine Art durchmischen können und eine neue außerirdisch-humanoide Superrasse entsteht. Aber es wirkt so krass. Auch wenn es schwerfällt, musst du dir eingestehen: Wenn du nicht an Fred, das Alien denkst, dann denkst du an Fred, den Lover. Nacht für Nacht. Und du fragst dich, ob er an einer ganz bestimmten Stelle wohl menschlich gebaut oder vielleicht doch eher mit einem großen, stählernen Tentakel bestückt ist. Mein Gott! … Du verbietest dir jeden weiteren Gedanken daran. Aber es ist kein Wunder, dass diese Ausgeburten des Weltalls die Erde so ratzfatz übernehmen konnten.
Mit Schauern erinnerst du dich an den einen Abend zurück, als du und Fred … beinahe … also fast … na ja, ihr hattet Tequila getrunken, viel Tequila und ganz romantisch über 9/11 geplaudert (aber ganz leise, so dass die amerikanische Regierung nicht mithören konnte) und schließlich habt ihr beschlossen, zusammen einen Film zu sehen. So wie das WG-Kumpel eben machen, hat Fred gesagt.
Du hast was Leichtes vorgeschlagen, „JFK – Tatort Dallas“, typisches Popcorn-Kino halt, aber Fred wollte unbedingt etwas mit Weltall und Raumschiffen. Wahrscheinlich hatte er Heimweh. Um ein Haar hättest du ihn in deinem angeschickerten Zustand gefragt, ob er und die seinen vom Mond kommen und sich als winzige, außerirdische Sporen 1969 in den Falten der Raumanzüge von Neil Armstrong und Co. eingenistet und sich so zur Erde haben mitnehmen lassen. Aber dann ist dir eingefallen, dass die Mondlandung ja auch nur ein riesengroßer Fake war, der in einem TV-Studio in Hollywood produziert worden ist. Und du hast dich innerlich geschämt für deine Naivität und zum Glück den Mund gehalten.
Fred hat dann die „Rückkehr der Jedi-Ritter“ angemacht. Mit Luke Skywalker, Darth Vader und diesen kleinen, ultrasüßen Alien-Bärchen. Die ein bisschen so aussehen wie Fred, wenn er morgens in der Küche seinen ersten Kaffee trinkt. So irre niedlich!
Jedenfalls saßt ihr irgendwann dicht an dicht, sein Bein berührte deines, du konntest die Wärme seines Körpers spüren, – er ist übrigens verdammt heiß für einen Kaltblüter –, und als Han Solo endlich Prinzessin Leia seine Liebe gestand, da ist es aus dir herausgebrochen und du hast lallend gebrüllt: „Scheiß auf Menschlichkeit! Ich würde jetzt sogar einen Ewok ficken!“
Gerettet hat dich der Tequila.
Bevor du Fred leidenschaftlich küssen konntest und er so die lang von ihm herbeigesehnte Chance gehabt hätte, irgendeinen außerirdischen Parasiten in dich zu pflanzen, der dich ebenfalls in eine willfährige Marionette verwandelt hätte, musstest du kotzen. Schotten auf und volles Rohr. Und direkt darauf kotzte auch Fred. Vielleicht weil er es für ein typisches, ihm unbekanntes irdisches Ritual hielt und er seine Tarnung nicht auffliegen lassen wollte. Vielleicht auch nur, weil es zugegebener Maßen total eklig war. Sogar aus Alien-Perspektive. Wie auch immer: Sofa, Teppich und Stimmung waren komplett ruiniert.
Und die Menschheit gerettet.
Und trotzdem: Damals ist die Welt noch irgendwie in Ordnung gewesen. Inzwischen jedoch hat sich die Lage dramatisch geändert. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es zum großen Knall kommt, dass spürst du genau. Zwei Dinge sind dafür verantwortlich: der Kater und Judith Lutter.
Aber der Reihe nach. Der Kater ist dir zugelaufen. Saß irgendwann auf dem Balkon und hat sich intensiv im Schritt geleckt. Als er nach zwei Tagen immer noch dort war, hast du ihm etwas zu fressen hingestellt und ihm einen Namen gegeben. Als politischer Mensch wolltest du damit selbstverständlich eine Haltung ausdrücken. Bonhoeffer war in der näheren Wahl. Stauffenberg auch. Und Gandhi natürlich. Schließlich hast du dich aber für den aktuellsten aller Widerstandkämpfer entschieden und ihn Hildmann genannt.
Fred fand das ziemlich lustig. Und er hat Hildmann gleich ins Herz geschlossen. Was man von Judith Lutter nicht behaupten kann. Oh man, wie sehr du diese Schlampe hasst.
Judith ist vier Tage nach dem vermasseltem Filmabend in dein Leben getreten. Sie ist extrem blond, extrem zierlich und extrem scheiße. Fred hatte das Luder eines Nachmittages nach der Uni aus heiterem Himmel mit zu euch gebracht und rumgedruckst, dass er jetzt eine Freundin hätte. Als ob!
Natürlich war dir sofort klar, was hier wirklich läuft. Du bist Fred zu nah gekommen. Diese Erkenntnis hat dich auf eine merkwürdige Art und Weise sehr glücklich gemacht. Fred empfindet etwas für dich! Und jetzt haben die Aliens Angst. Angst, dass du ihn auf deine Seite ziehst. Angst, dass er zur Menschheit überläuft. Angst, dass er aus Liebe zu dir den ganzen großen, perfiden Plan verrät.
Also haben sie ihm eine Aufpasserin zur Seite gestellt. Judith ist lange nicht so gerissen wie Fred. Aber viel skrupelloser. Ein einziger, kurzer Blick und du wusstest sofort, dass sich unter diesem Gesichtsteppich aus Schminke nasskalte Reptilienhaut verbirgt. Böse Aura deluxe! Angeblich ist sie 23. 23! Ja, klar.
Eure erste Konversation war eine beidseitige Kriegserklärung. Du erinnerst dich genau daran. Wort für Wort.
„Du bist dann wohl diese Verschwörungstussi. Fred hat ja schon jede Menge von dir erzählt.“
„So, hat er das?“
Natürlich hat er. Natürlich redet dein Fred ständig von dir!
„Und die Erde ist also eine Scheibe?“
Ha! Selbstredend hast du die Fangfrage direkt durchschaut. Die Erde ist selbstverständlich keine Scheibe. Du bist ja keine dumpfe Verschwörungstheoretikerin. Nein! Die Erde ist rund. Und hohl. Hohl wie der Kopf von Judith Lutter, und in ihrem Inneren haben sich Aliens gemeinsam mit Nazis eine geheime Parallelwelt aufgebaut, von wo sie all ihre Aktionen hier oben koordinieren.
Aber du hast die Fresse gehalten und nur gelächelt und ,möglich` gesagt.
Klar, dass es Judith darauf nicht beruhen lassen konnte.
„Aber du glaubst tatsächlich, dass Angela Merkel eine Tochter von Adolf Hitler ist?“
„Nichts geschieht durch Zufall.“
„Was?“
„Nichts ist so, wie es scheint.“
„Hä?“
„Alles ist miteinander verbunden!“
„Und was heißt das jetzt? Konkret?“
„Dass Angela Merkel eine Tochter von Adolf Hitler ist!“
Fred hat noch versucht zu retten, was zu retten ist. Hat gestottert, dass das jetzt vielleicht dann doch eine Nummer zu krass wäre, aber dass du eigentlich echt unterhaltsam seist und ihn, als jemand der seine Zigaretten selbst dreht, zumindest mit deiner Theorie zum öffentlichen Rauchverbot nachhaltig ins Grübeln gebracht hättest.
Fred zuliebe hast du dann Judith erklärt, dass dadurch das Rauchen erheblich erschwert werden soll, um Nikotinabhängige auf diese Weise zu stärkeren und vor allem tödlicheren Drogen zu treiben – mit dem Ziel, die Rentenkassen zu entlassen.
Geendet hast du mit: „Natürlich wird das alles durch zionistische Hintermänner gesteuert. Wie so ziemlich jede Schweinerei, die auf diesem Planeten passiert.“
Als ob Judith (allein schon der Name verrät sie schließlich) das nicht selbst am besten wüsste.
Und was hat diese Bitch gemacht? Blöd ihr strahlendweißes Zahnpastalächeln gelächelt und gesagt: „Und zionistische Hinterfrauen! Wenn schon, denn schon!“,
Da hast du die Augen verdreht und bist wortlos in dein Zimmer gegangen. Weil es so derartig sinnlos war. Wie soll man mit jemanden ernsthaft diskutieren, der freiwillig gendert!
Hast du eigentlich schon erwähnt, wie sehr du Judith hasst? Ja?
Aber du bist nicht die Einzige. Weiß Gott nicht! Denn hier kommt Hildmann wieder ins Spiel. Hildmann verabscheut Judith. Sobald sie sie im selben Raum sind, faucht er und macht einen Buckel. Er versucht sie zu kratzen, wann immer es nur geht. Ja, zu deiner größten Genugtuung kannst du berichten, dass es Judith unmöglich ist, sich dem Kater auch nur einen halben Meter zu nähern, ohne Gefahr zu laufen, mit seinen Krallen schmerzhaft Bekanntschaft zu machen.
Es hat ein bisschen gedauert, bis du dir die Hintergründe dafür zusammengereimt hast. Aber dann war alles klar wie Kloßbrühe. Offenbar hat Hildmann dieselbe Gabe wie du und kann durch seinen animalischen Instinkt Aliens entlarven. Hildmann hat die Wahrheit erkannt.
Kurzzeitig warst du irritiert, warum nicht auch Fred Opfer seiner Attacken geworden ist. Immerhin ist auch er eines dieser Monster in Menschengestalt. Also müsste doch eigentlich auch er …
Die Antwort darauf, erfüllt dich mit Hoffnung. Ja, mehr noch, sie sollte die ganze Menschheit mit Hoffnung erfüllen!
Denn es kann keinen Zweifel mehr geben: Durch dich ist Fred dabei, mehr und mehr sein reptilodides Ich zu verlieren. Das spürt Hildmann. Durch dich wird Fred zunehmend menschlich. Ein neuer, besserer Fred. Erwacht und erlöst. Das ist also das schwache Glied in ihrem Plan. Liebe! Denn die Liebe ist das größte von allem. Und du, du hast ihren wunden Punkt entdeckt. Du kannst sie aufhalten. Gemeinsam mit Fred. Das ist deine Bestimmung!
Und nur aus diesem einzigen Grund stehst du jetzt hier. In einem heruntergekommen Industriegebiet am Ufer der Elbe. Um zu tun, was getan werden muss. Du bist allein. Niemand ist dir gefolgt, da hast du genauestens drauf geachtet. Nur du also. Und Hildmann! Der gute, brave, sehende Hildmann. Gott, wie du diesen Kater liebst. Du verdankst ihm alles. Er ist der Schlüssel zu allem. Einzig und allein er kann für immer einen Keil zwischen Fred und Judith treiben, denn Fred liebt das Tier abgöttisch und jeder weiß, dass Judith dem Vieh am liebsten lieber jetzt als gleich den Hals umdrehen würde. Hildmann wird Fred endgültig und ewig zu dir führen.
Du schaust auf den Sack, in dem Hildmann wild strampelt. Die Steine darin klackern laut gegeneinander. Das Geräusch klingt beinahe rhythmisch. Zusammen mit Hildmanns panischen Maunzen ist es wie Musik. Die Hymne für ein neues Zeitalter. Du weißt, dass man manchmal auch Opfer bringen muss. Auch wenn es schmerzt. Und das hier schmerzt höllisch. Aber Hildmann ist ein Märtyrer. Er trägt seinen Namen zurecht, tapferste aller Katzen. Es war Schicksal, dass er sich ausgerechnet auf deinem Balkon die Eier geleckt hat. Im Kopf wiederholst du wieder und wieder dein Credo.
Nichts geschieht durch Zufall.
Nichts ist so, wie es scheint.
Alles ist miteinander verbunden.
Dann wirfst du den Sack ins schwarze Wasser. Für einen Moment überlegst du, ob du salutieren sollst, als er langsam untergeht. Aber irgendwie erscheint es dir zu pathetisch. Ein letztes Mal hörst du Hildmanns Miauen. Es klingt jetzt beinahe wie ein menschlicher Schrei. Dann ist es ruhig.
Du wischt dir eine Träne aus dem Auge. Aber in deinem Kopf rattert es schon. Du überlegst, wie du den Verdacht an Hildmanns Verschwinden am besten auf Judith lenken kannst. Ein Kinderspiel. Da bist du dir sicher. Du hast schon ein halbes dutzend Ideen im Kopf. Erst gestern hat Hildmann Judith einen tiefen, neuen Kratzer verpasst, von dem Fred noch nichts weiß. Das Motiv für die Tat ist somit quasi auf ihrem rechten Unterarm eintättowiert.
Fred wird ausrasten und Judith für immer aus seinem Leben verbannen. Und dann bist du da. Wirst ihn trösten. Ihn auffangen. Ihm zeigen, was Menschlichkeit bedeutet. Vielleicht werdet ihr euch einen Film sehen, so wie das WG-Kumpane eben machen. Etwas mit diesen Weltraum-Bärchen. Wein trinken statt Tequila. Und danach werdet ihr euch lieben, leidenschaftlich und wild, Tentakel hin, Tentakel her.
Ihr werdet eine Rasse zeugen, die keine Angst mehr haben muss. Nicht vor Chip-Implantaten, Fake-Impfungen, Islamisierung, nicht existentem Klimawandel oder jüdischen Weltmachtansprüchen. Sie muss keine Angst haben, weil sie das Beste aus euren beiden Welten vereint.
Und weil sie die Wahrheit kennt. Für immer sehend ist. ENDLICH SEHEND!
Das ist der Gedanke, der durch deinen Kopf wirbelt, als du volle Kanne über den leeren Ölkanister stolperst.