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Der Ausbruch

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26.07.2019
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Der Ausbruch

Es läuteten die Kirchenglocken. Es läuteten immer irgendwo die Glocken irgendeiner verdammten Kirche, oder wenn nicht, dann bimmelte ein Kloster oder es gab eine Prozession bei der - man glaubt es kaum, irgendwelche Glöckchen bimmelten und Holzratschen klapperten. Das war die Hintergrundmusik seines Lebens, des Lebens von jedem Menschen in Luchtahinna.

Besonders schlimm war es aber am Abend des Bæntages, dem offiziellen Ruhe- und Gebetstag. Dann strömten alle in die Kirchen, besser war es auch, denn an diesen Tagen war die Religionspolizei besonders aktiv und kümmerte sich um diejenigen, die den Weg nicht von allein in ein Gotteshaus fanden. Trotz der freundlichen Begleitung durch mindestens zwei Männer kamen die Leute meist ziemlich zerschunden in ihren Gemeinden an, sie waren meistens gestürzt oder ganz dumm gegen Türen gelaufen, manchmal gleich mehrfach. Manchmal kamen Menschen aber auch nie in der Kirche an, sie gingen irgendwie und trotz der fürsorglichen Aufsicht einfach verloren. Manchmal tauchten die Verschwundenen Monate, ja Jahre später wieder auf. Sie sprachen niemals über das, was geschehen war – und gingen brav und regelmäßig in den Gottesdienst und erwiesen sich auch sonst als äußerst gläubige und treue Untertanen.

Wie viel Zeit auch er in den Kirchen verbracht hatte. Was für eine Verschwendung von Lebenszeit. Die kalten, großen, dunklen Gemäuer. Die harten Bänke. Die geifernden, keifenden Prediger, die Hass gegen alles und jeden verspritzten. Das endlose Aufsagen von bedeutungslosen Texten toter Männer, die offensichtlich zu größten Teilen ein sehr einsames Leben geführt und ihre Wut auf alle fröhlichen und glücklichen Menschen dieser Welt in sinnlose, nervenaufreibende Regeln gefasst hatten, mit denen ein ganzes Volk geknechtet wurde.

Bis vor einem Jahr hatte er jeden Tag in einem der dunklen Gotteshäuser gesessen und den ganzen Müll, den ganzen Hass, dieses Geseier und Gelaber, diesen Dreck über sich ergehen lassen – und er hätte am liebsten dem Priester vor die Füße gekotzt. Drastisch. Aber genauso war es. Jetzt endlich hatte er einen eigenen Beruf als Schreiber im Amt für Bürgererfassung der Hauptstadt. Nichts Besonderes, aber sein eigenes Geld. Er konnte sich jetzt ein kleines Zimmer in einem der großen Mietshäuser am Stadtrand von Luchtahinna leisten. Das bedeutete zwar auf der einen Seite einen fast einstündigen Fußmarsch zur Arbeit, denn sein Büro lag im Stadtzentrum, im Schatten der monströsen Kathedrale, andererseits gab es hier, direkt um die Ecke, keine große Kirche.

Die Bewohner dieser Häuser, meist waren es Häuschen der Unterschicht, daneben einige größere Anwesen, in denen Zimmer vermietet wurden, gingen zu einer der kleinen Kapellen, die in der Nachbarschaft verteilt lagen. Wenn man einen Nachbarn nicht sah, hieß das also noch lange nicht, dass er nicht doch irgendwo in einem Gottesdienst saß.

Das war das Beste an dieser Wohnlage. Außerdem kannte hier niemand irgend wen. Man lebte still vor sich hin, noch stiller als sonst üblich. Freundschaften außerhalb der Familie waren etwas sehr Seltenes in Luchtahinna, denn man wusste nie, wer für die Religionspolizei arbeitete, ob man dem Gegenüber wirklich vertrauen konnte. Das Misstrauen war hier, in dieser gesichtslosen Siedlung am Stadtrand noch viel größer. Hier lebten Neuankömmlinge, Außenseiter – und sogar ein paar Ausländer, auch wenn die selten länger als ein paar Monate hier blieben. Das klang jetzt alles ganz schrecklich – und das war es auch.

Aber andererseits war es ideal für ihn, ja perfekt. Hier achtete niemand darauf, ob er wirklich einen Gottesdienst besuchte. Er musste nur, eine Stunde vor der üblichen Gebetszeit war perfekt, auf die Straße gehen, frisch gewaschen und gekämmt, ein wenig hin und her laufen, und konnte dann zügig nach Hause zurückkehren und dort seinen Gottesdienst feiern. Er kicherte ein wenig. Es war nicht seine Idee , diese Zeit ihren Gottesdienst zu nennen, sondern Mikels.

Mikel. Schon der Name ließ ihn lächeln und näher an das Fenster treten, in der Hoffnung ihn schon ganz bald zu sehen. Sie hatten kein besonders großes Zeitfenster. Die Gottesdienste dauerten zwar mindestens zwei Stunden, aber es gab immer ein paar Menschen, die zu spät kamen, dann die Patrouillen der Religionspolizei etwa 45 Minuten nach Beginn.

Ah, da sah er ihn. Ein huschender Schatten vor dem Haus, der sich in der Dämmerung bewegte. Kurze Zeit später umarmten und küssten sich die beiden Männer leidenschaftlich. Das war ihr Tag. Sie sahen sich auch an den anderen Tagen der Woche, denn sie waren Arbeitskollegen, aber nur an Gebetstag waren sie wirklich frei, Zeit miteinander zu verbringen. Natürlich stand die Todesstrafe auf ihr Verhalten – widernatürliche Unzucht zwischen Männern war eine Abscheu Gottes – aber dieser Gott Himlar verabscheute so ziemlich alles:
Fisch am zweiten Tag der Woche, Abscheu.
Die Farbe rot bei der Kleidung von Männern, Abscheu.
Männer ohne Vollbart. Abscheu.
Frauen ohne Schleier. Abscheu.
Musik und Tanz – meistens auch Abscheu.
Sex – pfui, nein, nur im Dunkeln, unter der Decke und mit dem Zweck, Kinder zu zeugen.

Naja, also das konnte ihnen schon mal nicht passieren. Im Dunkeln passierte es meistens schon, damit niemand durch die Fenster hereinsehen konnte, aber definitiv nicht unter der Decke. Auf dem Küchentisch oder dem Fußboden gab es ja auch gar keine. Ein Gutes hatten all die seltsamen, irrationalen und äußert störenden Vorschriften schon, hatte Mikel einmal halb im Scherz gesagt:

Alle Männer in Luchtahinna sahen mehr oder weniger gleich aus – die Frauen auch, aber das interessierte sie beide ja grundsätzlich erst einmal weniger. Alle Männer trugen lange Vollbärte, die ihnen bis auf die Brust reichten und eine seltsame Frisur, die sie wie Pilze aussehen ließ. Ein Topfschnitt, ganz gerade, einmal um den Kopf herum. Im Nacken und über den Ohren hoch rasiert und eine Tonsur, die fast den halben Oberkopf einnahm. Nur wer an Haarausfall litt oder einen mickrigen Bartwuchs hatte, sah ein bisschen anders aus. Im Grunde waren doch alle Männer austauschbar. Fast 90 % der Bevölkerung waren auch noch blond, das half nicht dabei, sich als ein Individuum zu fühlen. Warum das ein Vorteil war? Verliebte man sich in eine Person, so konnte man ganz sicher sein, dass es dem Gegenüber nicht um das Aussehen gehen konnte, sondern um den Charakter.Das zumindest Mikels Standpunkt.

Jetzt saßen die beiden Männer auf dem schmalen Bett, die Hände ineinandergeschlungen und schweigend. „Magst du was essen?“, fragte er dann und Mikel nickte. Er hatte nicht viel im Haus, ein wenig Käse, Brot und Räucherfisch, aber er richtete es appetitlich auf einer Holzplatte an, er gab sich immer Mühe, denn dieser Tag war der wichtigste und schönste in der Woche. Während in den Kirchen das Hohelied angestimmt wurde, aßen sie auf dem Boden sitzend, mit einer Kerze, ihr kleines Picknick. Ein echtes wäre ihnen lieber gewesen, aber das war, ja, genau, Abscheu. Davon abgesehen war es auch zu kalt und zu feucht.
„Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?“ sagte Mikel irgendwann zwischen zwei Häppchen geräuchertem Lachs. Er knabberte unsicher an seinem Knäckebrot.
„Gib mir bitte noch eine Woche Bedenkzeit, ja?“
Mikel wirkte enttäuscht, hatte sich aber gut im Griff.
„Gut, eine Woche, aber dann entscheide dich auch. Du weißt, ich gehe nicht allein. Wenn du nicht gehst, gehe ich auch nicht.“
Er griff nach seinen Händen und blickte ihm tief in die Augen:
„Willst du den Rest deines Lebens hier verbringen? Wo wir uns verstecken müssen? Wo wir nie glücklich sein können?“

Er kramte in der Tasche seines langen, sackförmigen Oberhemdes und zog einen zerknitterten Zettel heraus. Er faltete ihn langsam auseinander und legte ihn feierlich auf die Decke. Einar wusste, was es war. Er kannte den Zettel. Er zeigte oben ein offizielles Wappen, eine rote Flagge mit einem weißen Kreuz, in der Mitte des Kreuzes eine Krone und in jedem der vier roten Felder eine Lilie. Es war eine öffentliche Verlautbarung aus Dikamik, einem der westlichen Luchta-Königreiche. In knappen und sachlichen Worten teilte der Text mit, dass das Parlament des Landes entschieden hatte, dass auch gleichgeschlechtliche Paare den Bund der Ehe eingehen könnten – sogar mit dem Segen der Landeskirche von Dikamik. Weiß Gott, wie Mikel an dieses Schriftstück gekommen war. Schon sein Besitz war strafbar, der Inhalt hätte ihn aber auch entlarvt und für dieses Verbrechen verhängte man eben die Todesstrafe. Er trug es stets bei sich wie ein Schatz, in einer versteckten Innentasche seines Hemdes – das er übrigens gerade ausgezogen hatte. Ah. Sex um ihn zu überzeugen, als wenn das funktionieren würde, na gut, es funktionierte fast immer, aber er … ach verdammt.

Er lag auf seiner nackten Brust. Mikel schnarchte ein wenig, aber Einar blickte aus dem Fenster. Es war jetzt Nacht und die Sterne funkelten am Himmel. Ein kleiner, perfekter Moment. Ein Augenblick, der ewig dauern könnte, in einem anderen Leben – oder in einem anderen Land. Er griff vorsichtig nach dem Zettel, der vor dem Bett auf dem Boden lag und betrachtete ihn. Er war jetzt sicherer als jemals zuvor, dass sie gehen mussten. Aber er würde sich trotzdem noch einmal eine Woche Zeit nehmen, um darüber nachzudenken. Erst vor wenigen Monaten hatte ein Arbeitskollege versucht, das Land zu verlassen. Er war nicht sehr weit gekommen und auf der Beerdigung hatte es vor Polizisten nur so gewimmelt.

Wie immer hatte Mikel ihn noch in der Nacht verlassen, leise, aber nicht heimlich. Es war üblich, nach dem Gottesdienst Nachbarn, Familienmitglieder oder Arbeitskollegen zum Essen einzuladen und da dies zu den ganz wenigen Freuden im Alltag Luchtahinnas gehörte, konnten solche Abendessen manchmal auch bis spät in die Nacht dauern. Erstaunlich eigentlich, denn besonders viel gesprochen wurde aus Angst vor Spitzeleien und Denunziationen nicht. Er beobachtete ihn noch vom Fenster aus und Mikel war sogar mutig genug, ihm zuzuwinken. Das war nicht verboten, aber schon fast ein zu großer Ausbruch von Emotionen.

Der Rannsókn-Tag war für ihn noch schlimmer, als der vorherige. Er diente dem Studium der Heiligen Schriften und dem Vorführen der Sünder. Man erwartete, dass alle Einwohner eines Hauses auf der Straße waren und dem Sünderzug zusahen, der durch die Stadt getrieben wurde. Er hasste es und fühlte sich schlecht und schmutzig. Aber an diesem Tag klopfte die Religionspolizei wirklich an jede Tür. Also rasierte er seine Tonsur, zog eines der schlichten Hemden an, streifte einen Umhang über und ging dann in den kühlen Nachmittag. Die meisten seiner Nachbarn waren schon da. Unzählige Tonsuren und verschleierte Frauen, die stumm am Straßenrand standen.

Und immer wieder dieses verdammte Geläute. Da erschien auch schon die Prozession . Wie immer gingen Priester voran, dann Mönche und Nonnen, die Kirchenlieder sangen und mit Rasseln klapperten. Dann kam der Schandpriester der mit einer Glocke bimmelte – ja Glocken waren die wahren Folterinstrumente dieser Kirche! – und hinter ihm, ordentlich und in Zweierreihen die Büßer, so nannte man sie. In weiße, knöchellange Gewänder gehüllt, immer zwei Männer, zwei Frauen, zwei Männer, schön sortiert nach den Verbrechen, die sie begangen hatten.

Heute gab es sechsmal „Ungebührliches Verhalten während des Gottesdienstes“, sechzehnmal Stockhiebe, viermal „lüsterne Blicke“, Strafe zwanzig Peitschenschläge, zwei Tritte in den Schritt, zehnmal „Unkeusches Verhalten in der Öffentlichkeit“ (alles Frauen, natürlich! Diese ekelhaften Huren hatten bestimmt eine Haarsträhne gezeigt, oder noch schlimmer, den Knöchel! Das war doch wirklich absurd!), Schur des Kopfes (als ob man das unter dem Tuch sehen könnt) und das Tragen eines Schildes mit der Aufschrift „Hure“ für zwei Monate.

Aber dann gab es auch einmal „unnatürliche Unzucht zwischen Männern“, Strafe, öffentliche Enthauptung. Er konnte kaum Luft holen. Der Mann, der ja an ihm vorbei getrieben wurde, war das, war das Mikel? Er drängte sich nach vorne, erfüllt von Panik. Sein Herz pochte bis zum Hals, kalter Schweiß brach auf seiner Stirn aus. Sein Leben wäre vorbei, alles vorbei. Der Mann war fast heran, blondes Haar, das jetzt wirr Abstand, eine unrasierte Tonsur, ein wilder, schmutziger Bart, blaue Augen in einem geschwollenen Gesicht. Einem vage bekannten Gesicht, aber es war nicht Mikel. Fast hätte er laut aufgeschrien, als die Angst von ihm abfiel, aber es war einer von ihnen, der da mit gefesselten Füßen und Händen an den Gaffern vorbei getrieben wurde. Einige zischten oder spuckten vor ihm aus. Ihm wurde schlecht.

„Das ist ein Mann, der einfach einen anderen Mann liebt, wenn ihr doch alle an euren verdammten Gott glaubt, dann muss er ihn doch so gemacht haben, verdammt. Ihr seid alle bigotte Heuchler!“ brüllte er, aber nur in seinem Kopf.

Er schluckte die Wut, die als stachliger, bitterer Kloß in seinem Hals saß, herunter. Es gab eine Möglichkeit das Leben des Mannes zu retten, eine, aber die könnte ihn in Gefahr bringen, ihren Plan in Gefahr bringen. Es war sein Recht, bei der Hinrichtung um Gnade zu bitten, mit dem Verweis auf das Alte Buch, in dem das Mitleid eines einzigen Mannes als ausreichend bezeichnet wird, um eine schwere Strafe zu mildern. Den Verurteilten drohten dann noch immer schlimme Strafen, aber alles war besser als öffentlich enthauptet zu werden, oder? Es geschah aber fast nie, dass sich jemand so für einen Sünder einsetzte, denn damit machte man sich in den Augen der Kirche selbst verdächtig. Man wurde noch mehr beobachtet, observiert und wenn die Religionspolizei wollte, fand sie immer irgendeinen Vorwurf, irgendein Nachbar würde immer irgendetwas erzählen, nur um selbst nicht in den Fokus der Geheimpolizei zu geraten.

Denunziation war interessanterweise kein Abscheu Gottes, ein wirklich charmanter Gott, den sie da erwischt hatten. In Aerath, so hieß es, habe man tausend Götter, vielleicht könnte man sich ja einen leihen, einen kleinen, unbedeutenden, dessen Fehlen man gar nicht bemerken würde. Es müsste auch kein besonders mächtiger oder intelligenter Gott sein, vielleicht ein Walddämon oder ein Gott der Musik; selbst ein Gott kopulierender Ameisen oder für in Schubladen feststeckende Dinge wäre besser als dieser offensichtlich geisteskranke Himlar, der bei der Lotterie der Götter Luchtahinna gewonnen hatte. Und jetzt saßen sie fest in ihrem kalten, felsigen Land im Norden, mit einem wahnsinnigen Gott und einer noch wahnsinnigeren Kirche. Einer Institution, die das Leben unerträglich machte, alles vergiftete, wo auch immer sie auftauchte und das ganze Volk mit unsichtbaren Ketten aus Angst und Verzweiflung versklavt hatte. Nicht einmal Mütter wagten es in den meisten Fällen, um Gnade für ihre Söhne oder Töchter zu bitten, so tief saß die Angst.

Der Himlar im Alten Buch hatte wohl irgendwann aufgegeben, das Geschäft an seinen gleichnamigen Sohn abgetreten und war in die Westkönigreiche umgezogen. Anders ließ es sich ja kaum erklären, dass der Gott, den der erste Prophet Jökull im Alten Buch beschrieben hatte, ein freundlicher, ausgeglichener Kerl war, der sich für die Menschen ein glückliches und sorgenfreies Leben gewünscht hatte, der Gott der jüngeren Prophetenbücher war ein immer unausstehlicheres Miststück geworden war, der es scheinbar darauf anlegte, die Gläubigen in den Wahnsinn zu treiben und möglichst unglücklich zu machen.

Er konnte doch nicht zulassen, dass man einen Mann hinrichtete, der nichts anderes getan hatte, als einen anderen Menschen zu lieben. Er musste etwas sagen, auch wenn er damit ein Ziel der Geheimpolizei werden sollte. Mikel würde ihn umbringen. Ihr Plan. Mit der Polizei im Nacken konnten sie ihren Plan wohl vergessen. Sie würden warten müssen, bis sich die Wogen geglättet haben würden. Wie lange das wohl dauern würde? Einen Monat? Ein halbes Jahr? Ein Jahr? Was wenn es noch länger dauerte, wenn er von nun an immer eine verdächtige Person wäre.

Er war jetzt vierundzwanzig Jahre alt und noch immer unverheiratet, es gab keine Verlobte, keine Heiratspläne. Das machte ihn schon einmal grundsätzlich verdächtig. Dann traf er sich regelmäßig mit einem Arbeitskollegen zum Essen in seiner Wohnung, Mikel war den Nachbarn bestimmt das eine oder andere Mal aufgefallen. Mikel war dreiundzwanzig Jahre alt, ebenfalls nicht verheiratet. Das klang alles nicht gut. Wenn er sich jetzt auch noch für den Mann einsetzen würde, dessen Leben mehr oder weniger sowieso vorbei war, was wäre dann nicht alles für ihn verloren.

Der Zug war jetzt an ihnen vorbei und sie reihten sie, wie fast alle Bewohner der Stadt, hinter der Prozession ein. Alle wussten, die Hinrichtung fand immer direkt im Anschluss an die Schuldprozession statt – und jeder musste teilnehmen. Irgendwo in der Masse war also auch Mikel. Mikel, der leidenschaftlich gerecht war. Was wenn er etwas sagen würde. Er durfte gar nicht daran denken.

Er trottete noch immer in Gedanken der Masse an Menschen hinterher, dumm und willenlos wie all die anderen. Bärtig und geschoren, wie alle Männer. War er genau wie alle? Ging ihnen vielleicht gerade das Gleiche durch den Kopf? Wie viele der Menschen hier glaubten wirklich all die Sprüchlein, die man brav aufsagte? Er ahnte, dass die meisten nicht an Gott glaubten, sondern an die Angst. Ihr Gott war die Furcht, ein mächtiger Gott, der die Seele umklammert hält. Wenn er jetzt doch etwas sagen würde, wenn er doch den Mut haben würde… vielleicht wären dann mehr Menschen bereit, auch ihren Mund aufzumachen. Ja, ein schön pathetischer Plan. Der eine Mann, der die Revolution auslöst. Es war deutlich wahrscheinlicher, dass auch sein Kopf binnen Monaten in einem Korb enden würde, vielleicht auch Mikels. Das konnte er nicht riskieren. Ginge es nur um sein Leben, vielleicht – ehrlich gesagt, wohl eher nicht, aber Mikel konnte, durfte und wollte er nicht in Gefahr bringen.

Sie hatten fast den Hinrichtungsplatz, nahe am Friedhof, erreicht. Ziemliche Ironie, denn wer hingerichtet wurde, durfte hier gar nicht beerdigt werden. Plötzlich packte ihn eine Hand am Arm und zog ihn unsanft zur Seite. Er wollte gerade protestieren, als er unter der Kapuze Mikels Gesicht erkannte. Er presste einen Finger auf den Mund und Einar folgte ihm. Hier, an der Ausfallstraße zum Friedhof, gab es viele Bäume und Hecken, Felder und Kuhlen. Er zog Einar weiter, runter von der Straße und hinein in den Graben. Niemand schien Notiz zu nehmen. Gefühlte Stunden lagen sie, eng aneinandergepresst, in dem Graben und rührten sich nicht. Sie wagten kaum zu atmen. Gleich würde die Polizei auftauchen. Aber niemand kam. Der endlose Zug der Stadtbewohner trottete an ihnen vorbei zum Schlachtplatz, aber niemand bemerkte sie.

Dann endlich, machte Mikel ein Zeichen und sie schlichen geduckt in dem Graben neben der Straße in Richtung Stadt zurück. Irgendwann lugte Mikel über den aufgeworfenen Erdwall. Niemand war mehr zu sehen. Die Straße war wie leer gefegt. Schnell huschten sie über den gepflasterten Weg und tauchten dann in das Dickicht auf der anderen Seite ein. Mikel war bereits hier gewesen, denn er zog plötzlich eine große Tasche aus einem der Büsche. Einar wollte etwas sagen, aber Mikel deutete ihm wieder zu schweigen. Er kramte in der Tasche und entnahm ihr dann zwei Garnituren von Kleidung. Nicht die üblichen langen, sandfarbenen Leinenhemden, sondern farbenfrohe Hemden, Wamse, Hosen und Gürtel, dazu Stiefel aus weichem Wildleder.

Einar war völlig überrascht. Er wusste, dass Mikel über irgendwelche Kanäle Kontakt zu den Westkönigreichen hielt. Hin und wieder brachte er ein Stück Gebäck mit, eine Flasche Wein oder andere verbotene Güter, die er über diese Kontakte erhalten hatte.
„Anziehen!“ sagte er und war selbst schon dabei, sein Hemd über den Kopf zu ziehen.
Verdattert zog auch Einar sein Hemd aus, schlüpfte aus den Sandalen und den dicken Wollsocken, dann aus der Hose. Fröstelnd schlüpfte er in die ungewohnte und fremde Kleidung. Ganz weich. Zart. Flauschig. Du meine Güte, so konnte sich Kleidung anfühlen? Die weichen Lederstiefel waren bequem und warm zugleich. Mikel grinste ihn an und hielt plötzlich ein Messer in der Hand und kam auf ihn zu.
„Was… Mikel… bitte…!“
Er griff nach ihm und zack! War sein halber Bart ab. Er starrte auf das lange Haarbüschel in Mikels Hand. Er hatte den Bart wachsen lassen, seit er 14 Jahre alt war. Nicht, dass er ihn gemocht hätte, aber das war schon ziemlic krass!
„Jetzt zappel nicht rum, sonst ist nachher noch ein Ohr ab!“
Einar gehorchte und stand wie versteinert da, als Mikel seinen Bart erst kurz schnitt und dann mit einer Rasierklinge, die er ebenfalls mitgebracht hatte, rasierte. Er hatte sich noch nie rasiert und Mikel niemals jemand anderes. Er schnitt ihn zwei, drei Mal, aber am Ende war nur ein hufeisenförmiger Schnurrbart übrig von dem langen Vollbart.
„Jetzt die Haare!“ sagte er und Einar hockte sich vor Mikel hin, der ihm dann vorsichtig die Tonsur abrasierte.

Ein wenig später standen die beiden jetzt kahlen und schnurrbärtigen Männer im kühlen Abend und rieben ihre Köpfe.
„Das ist gerade die große Mode in Dikamik mit diesen Bärten“ hatte er nur kurz erklärt.
Die Verwandlung war ziemlich überzeugend, das musste Einar zugeben. Mikel legte die Kleidung zusammen und bedeckte sie mit Gras und Erde. Sehr provisorisch, aber das musste reichen. Sie mussten weg, schnell weg.

„Wohin?“
Da, deutete Mikel und sie gingen parallel zur Straße weiter in Richtung Stadt, bogen dann nach links, nach Westen ab. Im Westen lag das Meer. Wollte Mikel nach Dikamik schwimmen? Die Türme der Kathedrale kamen immer näher, schwarz und bedrohlich gegen den violetten Himmel und natürlich Glocken. Nicht nur die Türme des Bischofssitzes waren zu sehen, auch die der unzähligen anderen Kirchen. Und jetzt, man hörte schon das Rollen und Donnern der Wellen im Westen. Ein Klang, so ganz anders als der von Kirchenglocken. Freiheit, so musste Freiheit klingen.

Dann kam auch die Burg des Königs in den Blick die auf einem Felsvorsprung direkt am Wasser stand. Noch so ein düsteres Gemäuer. Plötzlich kam jemand auf sie zu. Einar stockte der Atem. Aber der Mann war kein Polizist, es war Björg, ein junger Mann von achtzehn Jahren, den Mikel unter seine Fittiche genommen hatte. Er absolvierte gerade eine Ausbildung im königlichen Archiv – und er war einer von ihnen.

Einar hatte nicht gewusst, dass Mikel auch ihn mitnehmen wollte, aber gut, warum eigentlich nicht? Björg hatte sich schon seines fusseligen Bartes entledigt und sah jetzt bart- und haarlos viel jünger aus, eher wie ein Sechzehnjähriger. Die Männer begrüßten sich kurz, aber herzlich. Mikel hielt sie zurück, griff in die kleine Ledertasche und entnahm ihr drei Schriftstücke.
„Reisepapiere aus Dikamik!“
Einar traute seinen Augen nicht. Da war die Freiheit in der Hand seines Geliebten, ganz real. Er erkannte das Wappen des Königreichs, alle notwendigen Stempel. Wie praktisch wenn man in der Staatsverwaltung arbeitete. Es waren volle Reisegenehmigungen, Ausreisepapiere und Beglaubigungen der Handelskammer von Dikamik, dass die drei Männer, Olafur, Sigur und Gunnram Bleigardson, im Auftrag des Handelskontors Gustavsson und Söhne Stoffe in Luchtahinna verkaufen sollten. Es gab sogar Quittungen.
„Also, wir gehen jetzt wieder auf den Weg. Ihr verhaltet euch ganz normal, das ist ganz wichtig. Nicht reden, man erkennt sonst sofort euren Dialekt. Lasst mich einfach machen.“

Die beiden Männer nickten. Einar, nein Olafur, war trotzdem nervös. Er nahm seine Dokumente an sich und presste sie wie einen Schatz an seine Brust. Dann gingen sie auf die Straße und passierten schon nach wenigen Augenblicken eines der großen Stadttore in der gewaltigen Ringmauer, die den Altstadtkern Luchtahinnas noch immer umgab. Die Wachen am Tor blickten kurz auf, aber Sigur nickte ihnen zu und die Männer beachteten sie nicht weiter. Mikels Herz klopfte bis zum Hals, seine Hände waren nass und seine Knie zitterten, als er in den Schatten des Tordurchgangs trat.

In der Altstadt war es jetzt auch schon dunkler, die engen Gassen, die steinernen Häuser, alles überragt von den Türmen der Gotteshäuser. Es war fast gespenstisch still in der Stadt, denn der größte Teil der Einwohner war noch immer außerhalb der Siedlung und wohnte der Hinrichtung bei. Olafur wäre beinahe stehen geblieben. Der Unbekannte. Er hätte sein Leben retten können. Aber vielleicht musste er sein Leben zuerst retten, und das von Mikel und jetzt auch das von Gunnram. Trotzdem versetzte es ihm einen Stich ins Herz. Der unbekannte Mann war wohl ein wenig älter gewesen als er, jetzt war er sicherlich schon tot. Vielleicht war tot sein gar nicht das Schlimmste was einem passieren konnte, wenn man als Alternative in Luchtahinna leben musste.

Es wurde kälter, ein scharfer Wind wehte vom Hafen durch die engen Gassen der Stadt. Da stapfte eine Patrouille der Polizei an ihnen vorbei, blickte kurz auf, Sigur nickte ihnen freundlich zu und nach einigen bösen Blicken war die Truppe vorbei. Sie näherten sich jetzt dem Hafenbezirk. Da wo in anderen Städten Bordelle und billige Gaststätten für die Unterhaltung der Seeleute sorgten gab es in Luchtahinnas Hafen nur Lagerräume und einige billige und schmutzige Unterkünfte. Alles umgeben von einem hohen Metallzaun mit bewachten Toren. Niemand durfte einfach dort hinein- und hinausspazieren. Die Einwohner der Hauptstadt durften diesen Bereich nicht passieren, denn der eigentliche Hafen galt als internationales Gebiet, das stand in den Handelsverträgen mit den Westkönigreichen. Wer hierhin gelangte, der war dem Arm Himlars entkommen.

Große Gasflammen vor Spiegeln beleuchteten das Tor, zu dessen Seiten Wachen mit Hunden standen.
„Jetzt nicht die Nerven verlieren!“ schärfte ihnen Sigur ein. Er blickte Olafur tief in die Augen und lächelte. Dass beruhigte ihn ein wenig. Sein Freund war so zuversichtlich und hatte nicht übertrieben, als er ihm gesagt hatte, dass er sich sehr gut auf die Flucht vorbereitet hatte.

Näher und näher kamen sie dem hellen Licht, dem Tor. Dahinter, hinter dem Zaun, vorbei an den Waffen, lagen einige große Segelschiffe, eines davon war auch im Dunkeln als eine große Handelsfregatte Dikamiks zu erkennen. Männer trugen Kisten an Bord, es gab Rufe und Gelächter. Das Schiff wurde also für die Abreise vorbereitet, ihre Chance, ihr neues Leben. Die Wachen wurden auf sie aufmerksam und einer der Hunde begann zu knurren. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Einfach weiter gehen und so tun, als ob das alles ganz normal ist. Sigur war als erster bei den Wachen.
„Papiere!“ schnauzten sie und Mikel reichte ihnen freundlich lächelnd seine Dokumente und bedeutete ihnen, das Gleiche zu tun. Erst jetzt bemerkte er, wie fahrig und nervös ihr junger Begleiter war. Er musste zugeben, dass er bisher kaum einen Gedanken an ihn verschwendet hatte. Er zappelte von einem Bein auf das andere. Er würde noch alles kaputt machen.

Die bulligen Männer überprüften Sigurs Papiere sehr gründlich. Sie ließen sich soviel Zeit, die Vielzahl von Stempeln, Siegeln und Unterschriften schien sie zu überzeugen, trotzdem blickten sie immer wieder zu den beiden Wartenden herüber. Der Junge wirkte immer nervöser, spielte mit seinem flauschigen Versuch, einen Oberlippenbart zu imitieren und wand sich wie unter Schmerzen. Er trat dichter neben ihn.
„Reiß dich zusammen, Mann. Wir fliegen wegen dir noch auf!“
Der Junge schluckte krampfhaft aber er versuchte tatsächlich, sich zusammenzureißen. Nach einer gefühlten Ewigkeit winkten die Wachen Mikel durch. Er durfte nicht warten, sondern musste gleich weiter gehen in den Transitbereich, der durch eine weitere, nur von außen zu öffnende Tür, abgetrennt war. Sie deuteten auf Olafur, der jetzt auch nervöser wurde und den beiden Wachen entgegentrat.

Sie nahmen das Schriftstück und überprüften es auf das Genaueste. Immer wieder blickten sie ihn dabei an, prüfend, fragend, misstrauisch.
„Was handelt ihr?“ fragte einer plötzlich.
„Stoffe!“.
Schweigen. Weiteres Studium. Dann, endlich durfte auch er durch. Er musste sich sehr beherrschen, nicht laut zu schreien. Bisher hatte alles gut geklappt. Mikel wartete auf der anderen Seite der Tür, die eine der Wachen gerade öffnete. Im Grunde hatten sie es bereits geschafft. Die Gerichtsbarkeit der Religionspolizei endete hier, im so genannten internationalen Teil des Hafens.

Sie wollten sich in die Arme fallen, am liebsten gleich hier, jetzt sofort. Und wäre da nicht noch ihr junger Begleiter, sie hätten es wohl auch getan, demonstrativ ein Kuss direkt vor den Augen der Wachen, die dann hilflos hätten zusehen müssen. Aber das wäre das Todesurteil für den Kleinen gewesen, also warten, sich noch wenige Minuten zusammenreißen. Der stand jetzt sichtlich nervös vor den beiden Riesen in Uniform. Sie untersuchten seine Papiere mindestens so gründlich wie die der beiden anderen.
„Name?“ fragte dann einer. Was sollte denn das jetzt?
„Guntram“ sagte der und Mikel sog scharf die Luft ein.
„Verdammt“ presste er zwischen den Zähnen hervor.
Einar sah ihn verständnislos an.
„Was? Was ist denn?“
Guntram, er hatte Guntram gesagt, aber auf den Papieren stand Gunram, nicht Guntram. Dabei hätte da Guntram stehen sollen, stehen müssen. Gunram war die übliche Namensform in Luchtahinna, Guntram die desselben Namens in Dikamik. Das hätte nicht passieren dürfen!“

Die Männer wirkten auch sofort misstrauisch.
„Wiederhole das!“
„Guntram?“
„Ist das eine verdammte Frage oder eine Antwort!“
„Eine Antwort?“
Das wurde immer schlimmer.
„Mikel, mach doch was, sag irgendwas. Du hast die verdammten Papiere besorgt. Hilf ihm schon!“ Aber sein Liebhaber stand nur wie angewurzelt da.
„Mach irgendwas!“

Aber, was sollte er schon machen. Er hätte gar nicht zurückgehen können, selbst wenn er gewollt hätte. Die Wachen wirkten jetzt nicht mehr im Geringsten amüsiert über die Situation und einer packte den Jungen am Arm. Als dabei der Ärmel des Gewandes hochgeschoben wurde, sag man ein schmales Lederband an einem Unterarm, das Þvengur.

Mikel konnte es nicht fassen. Das bekamen alle Jungen bei ihrer Tonsur zum vierzehnten Geburtstag geschenkt, aber kaum einer trug diese Armbänder wirklich, man sah sie ja unter den langen Gewändern sowieso nicht und mit zunehmendem Alter wurden sie eben eng und schnitten ins Fleisch. Das war bei dieser Kirche sicherlich genau einkalkuliert worden. Aber der Junge war so dürr, das Lederband saß noch genauso locker wie am Tag seiner ersten Tonsur. Das Problem: Nur in Luchtahinna war diese Sitte verbreitet, kein Ausländer hatte diese Art von Lederband. Der Fehler mit dem Namen, da wären sie vielleicht noch irgendwie herausgekommen, aber das war zu viel. Einer der Wachmänner blickte sie jetzt direkt an.

„Hey, ihr…“

Den Rest hörten sie schon nicht mehr, denn sie rannten, rannten einfach los, ließen den Jungen zurück, einfach rauf auf das Schiff. Niemand folgte ihnen, aber sie rannten und rannten, stürzten fast auf dem nassen und glitschigen Stein. Sie waren fast am Schiff, hinter ihnen, weit hinter ihnen erklang Hundegebell, es gab einige Aufregung, hier waren sie sicher, gerettet.

Der Kleine, der Kleine hatte es nicht geschafft. Es war seine Schuld! Das dumme Lederarmband. Aber hätten sie ihn kontrolliert, wenn Mikel nicht der Fehler mit dem Namen unterlaufen wäre? War es überhaupt Mikels Fehler, oder hatte er schon ein fehlerhaftes Dokument erhalten?

Sie erreichten die Planken des Schiffes, Mikel nickte einem Mann zu, der etwas Unverständliches rief und schon stürmten sie über die wackligen Bretter und Einar setzte seinen Fuß auf die Planken des Schiffes, lehnte sich an die Reling, dann brach er zusammen. Es überwältigte ihn einfach. Er war frei, Mikel war frei. Endlich, ein neues Leben, nein, ein LEBEN. Tränen rannen über seine Wangen und auch Mikel hatte ein Glitzern in den Augen und seine Schultern bebten.

Aber dann war da noch der kleine Björg. Fast glaubte er ihn schreien zu hören, sein anklagendes Rufen, obwohl das bei dem Lärm des jetzt ablegenden Schiffes kaum möglich war. Während die Anker gelichtet wurden und das Schiff knarzend aus dem Hafen von Luchtahinna auslief, da trat er am Bug des Schiffes neben Mikel, fasste seine Hand und schaute ihn an. Über ihnen blähten sich bereits die Segel in einem frischen Wind, der den Gestank der Verwesung, der über Luchtahinna hing, vertrieb.

Wie verändert er aussah ohne Bart und Tonsur.
„War das dein Fehler mit dem Namen?“
Mikel starrte nur auf das Meer. Er sagte nichts. Irgendwann trat ein Offizier der Mannschaft an die beiden heran.
„Ich sehe, es hat gut geklappt. Das freut mich. Wir mussten uns mit den Papieren ziemlich beeilen, die waren nicht ganz perfekt, tut mir leid. Aber dein Plan scheint ja aufgegangen zu sein! Na, dann jetzt willkommen in der Freiheit meine beiden Turteltäubchen. Ihr habt eine Kabine unter Deck, Abendessen in einer Stunde!“
Dann war er weg. Sollte er ihn fragen? Plan? Hatte er etwa durch die schlechten Papiere von Björg von sich ablenken wollen? Das war aber doch ein dummer Plan, was wenn ihnen der Fehler zuerst aufgefallen wäre, hätten sie dann nicht ihre Papiere noch sorgfältiger geprüft? Wäre ihnen dann nicht aufgefallen, dass auch mit ihren irgendetwas nicht stimmte? Würde Mikel, sein Mikel, tatsächlich das Leben eines jungen Mannes opfern, um sich zu retten?

Eine kleine Stimme in seinem Kopf flüsterte ihm zu, dass er es im Grunde auch getan hatte. Er hatte nichts gesagt bei der Schandprozession. Aber das hatte er ja gar nicht gekonnt, nein, Mikel hatte ihn vorher abgepasst, er hatte also gar keine Chance gehabt, etwas zu sagen. Du hättest doch auch nichts gesagt, du wolltest deinen Hintern retten. Und Mikels. Alle anderen waren dir doch ehrlich gesagt verdammt egal, oder? Nein, nein, so konnte man das aber nun wirklich nicht sagen. Es war doch auch etwas anderes, jemanden so in eine Sache zu verwickeln, als nicht den Mund aufzumachen, oder? Warum hast du dann unten darauf gewartete, dass Mikel etwas sagt, hm? Du hättest doch auch was sagen können, irgendetwas, du warst doch in Sicherheit. Aber du hast gehofft jemand anderes würde den Mund aufmachen, Mikel, irgendjemand, Hauptsache du musstest es nicht selbst tun, du feige Sau du.

„Ihn erwartet nicht die Todesstrafe. Sie wissen nur, dass er Landesflucht begehen wollte, nicht warum. Wenn er den Mund hält kommt er mit einer Zwangseinweisung in ein Kloster davon, aber sie werden ihn nicht hinrichten.“ sagte Mikel plötzlich, umarmte ihn und zog ihn an der Hand in das Innere des Schiffes. Zeit sich frisch zu machen für das Abendessen, das erste Abendessen in Freiheit. Eigentlich hatte er aber keinen wirklichen Appetit.

 

Nur ganz kurz zwischen Mittag und Abwasch, Verschlüsselungen scheinen Dein Lieblingsspiel zu sein,

liebe/r Aerath (~ a(n) earth, eine Erde),

und so bedienstu Dich aber bei der Kritik an autoritären Systemen (wie institutionalisierte Religionen oder Ideologien überhaupt – die katholische Kirche lieferte von Anfang an das Modell des Staates mit dem Staatsvolk (die Gläubigen), Staatskirche (die auch mal wie im Faschismus eine bloße Ideologie sein kann) und der Staatsgewalt in Form des Klerus (Erzbischöfe z. B. waren Teil der Kurie und der Kurfürsten im Heiligen Römischen Reich – die teutsche Nation kam erst später als Appendix dazu) und seiner Mannen und missbrauchst den Sabbat (üblicherweise von Freitag- bis Samstagabend) für ein unbenanntes autoritäres System, wenn es heißt

Besonders schlimm war es aber am Abend des sechsten Wochentages1, dem offiziellen Ruhe- und Gebetstag. Dann strömten alle in die Kirchen, besser war es auch, denn an diesen Tagen war die Religionspolizei besonders aktiv und kümmerte sich um diejenigen, die den Weg nicht von allein in ein Gotteshaus fanden.

Wobei die mosaische Religion(en) keine Organisation der Geistlichen kennt, wie die christlichen Kirchen.

Du verwendest einen Fantasynamen Luchtahinna (~ Lucht/Lux „Licht“, „Lichtdahinten“?). Nun gut, als die vielen Götter Abbilder der je aktuellen Gesellschaft waren (Zeus als Haushaltsvorstand ist ein schönes Beispiel für Affairen noch und nöcher), wurde nicht so sehr um den einzig wahren Glauben gerungen, wie in Folge der Monotheismen, die sich alle auf Abraham beziehen (witzig, dass ein Ägypter – Echnaton – als erster am Experiment Monotheismus scheiterte – aber die Macht der ägyptischen Priesterkaste war wohl zu gewaltig. Wirklich kurios ist dagegen, dass etwa die Rassenlehre wie des NS-Regimes den ganzen Flachsinn aufzeigt: Arisch war in der frühen Zeit der griechische Adel und der Arier der Iraner, Perser, der ja auf seinem Zug nach Osten die indoeuropäischen Sprachen weit in den Osten hineinbrachte. Aber – wenn wir die Probleme angefangen bei der Beschneidung oder der gleichgeschlechtlichen Liebe oder auch der Abtreibung betrachten, ist das eher ein Problem des Konservativen und an keinen bestimmten Staat gebunden.

Aber der Flusen sind viele, dass ich dazu heut nicht mehr kommen werde.

Ich würd' mir das mit dem Sabbat noch mal überlegen ...

Tschüss von dem,
dem der Magen knurrt!

1Klingt sehr nach Schabbes (der Sabbat – der siebente Tag der Schöpfungswoche und -geschichte dauert von Freitagabend bis Samstagabend, der Sonntag als Ruhetag ist eine kirchliche Einrichtung).

 

Hallo,
bei den Namen brauchst du dir gar nicht so viele Gedanken zu machen :D Ich hab hier gar nicht aufgeklärt, dass ich Weltenbau betreibe für einen Roman und aus dieser Welt stammen all die seltsamen Namen. Luchtahinna heißt in der Sprache der Leute da schlicht Heimat der Luchta (und das ist ein Volk :D) und Aerath ist ein Imperium neben an. Sabbat, du hast recht, da habe ich beim Schreiben gar nicht dran gedacht, da die Woche in Luchtahinna aus religiösen Gründen gar nur sechs Tage hat. Ich will mit der Geschichte nicht vordergründig irgendeine Religion kritisieren, aber du hast gut erkannt, dass ich so meine Probleme mit institutionalisiertem Monotheismus habe. Ich dachte beim Schreiben allerdings eher an einen kalten Iran. Als Ägyptologe nur ein kleiner Hinweis: Echnaton war kein Monotheist, aber das führt jetzt zu weit :D

 

Halli Kahasimir,

erst einmal vielen Dank für die zahlreichen Anmerkungen. Ich bin gerade etwas im Stress, daher erstmal nur diese kurze Anmerkung! Ich muss mich noch mal ransetzen und einige Stellen verändern. Kurze Dinge: Das mit dem Kalender wäre in dieser Geschichte zu kompliziert zu erklären :D spielt für mich hier auch keine Rolle. Es ging bei dem vorherigen Kommentar mit dem Hinweis nur darum zu sagen, dass ich gar nicht an das Judentum und den Sabbat gedacht habe, als ich die Geschichte geschrieben habe. Zum Hohelied, das ist ein fester Ausdruck, den gibt's auch in der Bibel, das ist in Luchtahinna auch ein fester Ausdruck (ich kann hier schlecht meinen Weltalmanach publizieren - fand man *grins), in dem solche Dinge dann ausführlich erklärt werden. Meine Kurzgeschichten spielen alle in meiner Welt und sollen quasi Lust auf diese zahlreichen Länder machen!

Nochmal: Hat mir jetzt keine Ruhe gelassen, habe mich nochmal rangesetzt. Ich habe viele deiner Vorschläge übernommen oder so umgesetzt, wie ich sie verstehen wollte :Pfeif:. Ich würde ja zu dieser Geschichte gerne was zur Luchta-Religion posten, ich weiß aber nicht, ob das zugelassen werden würde. Muss ich mal irgendwie in Erfahrung bringen.

 

Du schreibst:
... Ich hab hier gar nicht aufgeklärt, dass ich Weltenbau betreibe für einen Roman und aus dieser Welt stammen all die seltsamen Namen. Luchtahinna heißt in der Sprache der Leute da schlicht Heimat der Luchta (und das ist ein Volk :D) und Aerath ist ein Imperium neben an. Sabbat, du hast recht, da habe ich beim Schreiben gar nicht dran gedacht, da die Woche in Luchtahinna aus religiösen Gründen gar nur sechs Tage hat. Ich will mit der Geschichte nicht vordergründig irgendeine Religion kritisieren, aber du hast gut erkannt, dass ich so meine Probleme mit institutionalisiertem Monotheismus habe. Ich dachte beim Schreiben allerdings eher an einen kalten Iran.

Ja, das muss man erst mal alles wissen, dass da nicht nur ein Geschichte(n)schreibender, sondern zugleich ein Stammes-, vielleicht sogar Völkergründer und zudem Staaten- oder doch besser Reichsgründer am Werke ist, obwohl ich bei unserer ersten Begegnung ähnliches gedacht habe, sind doch die Name von Erzähler und genanntem Reich identisch.
Und dem Erzähler ist es durch einen einzigen Satz gelungen, mich meines Moses Romans des Sigmund Freud zu erinnern. Da ist es praktisch, einen Ägyptologen an Bord zu wissen ...
Aber zunächst zu Deinem Text,

lieber Aerath!

aus dem Muttertext:
Trotz der freundlichen Begleitung durch mindestens zwei Männer kamen die Leute meist ziemlich zerschunden in ihren Gemeinden an, sie waren meistens gestürzt oder ganz dumm gegen Türen gelaufen, manchmal gleich mehrfach. Manchmal kamen Menschen aber auch nie in der Kirche an, sie gingen irgendwie und trotz der fürsorglichen Aufsicht einfach verloren. Manchmal tauchten die Verschwundenen Monate, ja Jahre später wieder auf. Sie sprachen niemals über das, was geschehen war – und gingen brav und regelmäßig in den Gottesdienst und erwiesen sich auch sonst als äußerst gläubige und treue Untertanen.

Nun, selbst wenn Fantasy (oft allein wegen der wundersamen Dinge, die darinnen geschehen - aber dafür genügen mir eigentlich Mythen, Legenden, Sagen und Märchen) von mir i. d. R. gemieden wird, es ist ja nicht die Pest, nun hab ich es einmal angefangen und zieh‘s durch, denn die Flusen sollen ja zu keiner Staublunge führen.
Schon der erste Absatz zeigt trndentiell alles, was einem so widerfahren kann:
Es läuteten die Kirchenglocken. Es läuteten immer irgendwo die Glocken irgendeiner verdammten Kirche, oder wenn nicht, dann bimmelte ein Kloster, oder es gab eine Prozession bei der… man glaubt es kaum, irgendwelche Glöckchen bimmelten und Holzratschen klapperten. Das war die Hintergrundmusik seines Lebens, des Lebens von jedem Menschen in Luchtahinna.

Es läuteten die Kirchenglocken. Es läuteten immer irgendwo die Glocken …
Ein schöner, geradezu poetischer Anfang, selbst wenn er manchem gestelzt vorkommt wegen des Subjekttausches „es“ gegen „...glocken“. Aber auch die alttestamentarische Lutherübersetzung nimmt das Neutrale und umso umfassendere „es“ für die Schöpfung, „es werde“ und „es ward ...“ (Buber/Rosenzweig verwandeln die Schöpfung subjektlos in den Imperativ „Licht werde!“ und mit Satzsubjekt das Ergebnis „Licht ward!“), um dann im „irgendwo“ und somit „überall und nirgends“ zu enden. Und das sind die überflüssigen Kommas vor der ausschließenden vergleichenden Konjunktion „oder“, die ganz hervorragend die Kommas ersetzt zwischengleichrangigen Wörtern, Satzteilen und Sätzen (seien es nun Haupt- oder Nebensätze). Also weg mit den Kommas!

Wie viel Zeit auch er in den Kirchen verbracht hatte[...]… was für eine Verschwendung von Lebenszeit.
Auslassungspunkte direkt am Wort behaupten, es fehle wenigstes ein Buchstabe an dem Wort. Da wäre die Ästhetik des Apostrophs allemal ratonellier und sparsamer …

Kommt öfter vor – musstu selbst weitersehn. Am besten die Maschine selbst suchen lassen mit dem Suchbegriff „...“

Die geifernde[n], keifende[n], Prediger, die Hass …
Wahrscheinlich hattestu ursprünglich „den“ einen „Prediger als dann aber unterliegende Formulierung im Kopf. Da muss man höllisch aufpassen, wenn konkurrierende Formulierung auftauchen … Die unterliegende rächt sich oft durch kleinste Spuren … Da hilft meist nur Korrekturlesen!

Und dann ein bisschen viel man „hatten“ und anderer Hilfskräft

Das endlose Aufsagen von bedeutungslosen Texten toter Männer, die offensichtlich zu größten Teilen ein sehr einsames Leben geführt hatten und ihre Wut auf alle fröhlichen und glücklichen Menschen dieser Welt in sinnlose, nervenaufreibende Regeln gefasst hatten, mit denen ein ganzes Volk geknechtet wurde.
Aber genauso war es gewesen.

Aber auch unnötige Adjektive
Die Bewohner dieser Häuser, meist waren es kleine Häuschen der Unterschicht, daneben einige größere Anwesen, in denen Zimmer vermietet wurden, gingen zu einer der kleinen Kapellen oder Kirchlein, die in der Nachbarschaft verteilt lagen.
Auf sowas musstu unbedingt achten – die unterschiedlichen gram. Geschlechter, die Kapelle/n, aber das Kirchlein, also „einer ...Kapelle oder dem Kirchlein

Es war nicht seine Idee gewesen, diese Zeit ihren Gottesdienst zu nennen, sondern Mikels.
Ist es nicht noch immer nicht seine Idee? Dann weg mit dem Gewese!

Natürlich stand die Todesstrafe auf ihr Verhalten – unnatürliche Unzucht zwischen Männern war eine Abscheu Gottes – aber so ziemlich alles war eine Abscheu Gotte:
a) zwomal die Vorsilbe un-, warum nicht „widernatürliche Unzucht“?
b) Du hast einen Hang zur Substantivierung – wenigstens einmal lass den Gott dergleichen „verabscheuen“

Fast 90 % der Bevölkerung waren auch noch blond, …
Aha, „Einar“ hats an sich schon verraten: Nortland, und der zum Mikel gestraffte Michael eigentlich auch.
Thule?

„Magst du was essen?“[,] fragte er dann und Mikel nickte.
Da musstu aufpassen, immer wenn ein Begleitsatz (wie hier) folgt, Komma zwischen Gänsefüßchen und erstem Wort. Das müsste sonst regelkonform nach einem Punkt mit Majuskel beginnen …
Musstu einiges hierselbst korrigieren ...

„Ok, gut, eine Woche, a…
Was sucht Oklahoma in dieser Geschichte? „Okay“ (vier Buchstaben!, warum die erwähnt werden, wirstu sogleich erfahren), abgekürzt o. k. (oder O. K., zumindest an Satzanfängen) hat fünf Zeichen (Zwo Buchstaben und Punkten nebst einer Freitaste zwischen erstem Punkt und zwotem Buchstaben, macht fünf Zeichen – was soll das für eine Abkürzung sein?)

… Wenn du nicht gehst, gehe ich auch nicht. Aber Einar“.
Da musstu den Punkt einfangen …

In knappen und sachlichen Worten teilte der Text mit, dass das Parlament des Landes entschieden hatte, dass auch gleichgeschlechtliche Paare in den Bund der Ehe eingehen könnten – sogar …
wieder zwo Formulierung, wo die unterliegende (in den Hafen … einfahren) ihre Spur hinterlässt

..., der Inhalt hätte ihn aber auch entlarvt und auf dieses Verbrechen stand eben die Todesstrafe.
M. W.lässt die Präposition „auf“ auch im übertragenen Sinn nur Dativ oder Akkusativ zu … selbst wenn mancher so redet ...

Er trug es stets bei sich wie ein[en] Schatz, in einer versteckten Innentasche seines Hemdes – das er übrigens gerade ausgezogen hatte. Ah. Sex[,] um ihn zu überzeugen, als wenn

... und Mikel war sogar mutig genug, ihm zu zuwinken.
Im „winken“ passiert was interessantes, „zuwinken“ ist eine Zusammensetzung aus dem richtungweisenden (Adverb oder Präposition) „zu“ und „winken“ und wird mit dem infinitivbildenden „zu“ (Konjunktion) zusammengeschrieben, also besser und korrekt „zuzuwinken“

Du merkst hier zur Halbzeit, das wird ein längerer Vortrag, aber ich denke, Du hast genügend Anregungen, die zwote Hälfte (denn mehr ist m. E. noch nicht geschafft) selbst zu meistern (einiges wird sich wiederholen). Was aber noch auffällt ist die Sprache, das pingelige Erklären, was im Roman Zeit und Raum fände. Aber wenn Du hier in der Kurzfassung „Kurzgeschichte“ „show, don‘t tell“ einhalten würdest, Du fändest kein Ende, selbst unter der Prämisse, dass es kein bestimmtes Maß für die Länge einer Kurzgeschichte gibt (sie kann also durchaus länger als eine Novelle werden …) Wichtiger aber ist, dass Du lernst, Fehler selber aufzufinden. Dich zu konzentrieren, auf das, was Du da gerade tust und – korrekturlesen. Wenn‘s alleine nicht hinhaut, einen Freund oder guten Bekannten ran lassen … dem grammatische Festigkeit nachgesagt wird.

Selbertun erfordert auch eine gewisse Art von Sturheit gegenüber der ablenkenden Umwelt.
Schriftstellerei ist eine einsame Tätigkeit, der die hier herrschende Geselligkeit allerdings ein Schnippchen schlägt.

Und jetzt noch danke für den Hinweis, mich mit meiner eigenen Vergangenheit hierort zu beschäftigen, was Quasi über eine Rezension (Freuds Auslassungen über den Monotheismus und den Mann Moses, also mit dem Stand 1930-er Jahre zue Mythenbildung beitragen kann.

Als Ägyptologe nur ein kleiner Hinweis: Echnaton war kein Monotheist, aber das führt jetzt zu weit

Bis bald

Friedel

 

Hallo Friedel,

vielen Dank für die Anmerkungen, einige Fehler sind bereits behoben, andere werden noch eliminiert! Ich habe gerade bei den Moderatoren angefragt, ob es gestattet wäre, längere Anmerkungen zur Luchta-Religion zumindest als Kommentar an die Geschichte anzuhängen, wenn du Interesse hast, schicke ich dir das aber auch gerne einfach als Nachricht.

 

Klärende Informationen zur Religion der Luchta

Die allerersten Luchta, die um 236 die Stadt Luchtahinna (damals noch Ljósheimili) gründeten, hatten wohl eine schamanisch geprägte Naturreligion, allerdings ist das Wissen über diese Zeit systematisch unterdrückt und verfälscht worden, um eine Heilsgeschichte Luchtahinnas erzählen zu können. Da die Besiedlung fast aller Luchta-Gebiete erst nach den ersten Kultreformen einsetzen, findet man nur auf der Ostinsel des Vereinigten Königreichs noch Spuren der ursprünglichen religiösen Lehre. Ausgrabungen, wie z.B. in Wowor, sind in Luchtahinna nicht gestattet – obwohl fast alle Kirchen wohl auf den älteren Heiligtümern errichtet worden sind.

Nachweisbar ist, dass Haukur I., der als erster König Luchtahinnas gilt, um 327 eine Urkunde für den Bau einer Burg bei Ljósheimili ausstellte, deren Beginn lautet:

Í nafni föðurins himinn og móðir jörðin, guði af skóginum og rennsli, draugar vatnið og álverið, vera steinar og loft og forfaðir, Ég,Haukur, byggi þetta kastala.

Im Namen des Vaters Himmel und der Mutter Erde, den Göttern des Waldes und der Flüsse, der Geister der Seen und Pflanzen, der Wesen der Steine und der Luft und den Ahnen baue ich, Haukur, diese Burg".


Dies zeigt deutlich den polytheistischen und naturverbundenen Urglauben der Luchta, der sich in weiten Zügen noch im Vereinigten Königreich als gömul trú erhalten hat.

Noch im Krönungsedikt Stymirs III. zum König von Luchtahinna erscheinen neben dem Himmlischen Vater die Göttin móðir jörðin und zum ersten mal ein Gott Oskor (Oskurri) als Herr des Totenreiches:

Ég sver við föðurhimna og móðir jarðar að ég vil vernda fólkið gegn hættum og sektum, að ég vili heiðra guðin og að ég muni ríkja réttlætanlega og vel! [...]ef ég brýt þennan eið, þá refsar Oskur, herra myrkurs og dauða


Ich schwöre bei Vater Himmel und Mutter Erde, dass ich das Volk schützen will vor Gefahren und Feinen, dass ich die Götter ehren will und dass ich gerecht und gut herrschen werde!
[...] Wenn ich diesen Schwur breche, dann strafe mich Oskor, der Herr der Dunkelheit und des Todes.


Der Ahnenkult scheint aber bereits keine große Rolle mehr gespielt zu haben, denn die ältesten erhaltenen Friedhöfe, so der an der Kathedrale von Luchtahinna, zeigen bereits Grabsteine ohne individuelle Namensnennung.

479, in der Regierungszeit Håkoons I., wird die Lehre des Jökull, des ersten sicher belegten Propheten, als neuer Staatskult verkündet. Das „Alte Buch", das die Schöpfung der Welt durch Himla und Oskor beschreibt, wird zum zentralen Heiligen Buch. Der sehr erfolgreiche Prediger kann eine große Gemeinde um sich scharren und gründet das erste Kloster des Landes. Schnell wird auch der König von den Lehren des Propheten angezogen, da sie eine Reduktion des komplizierten Pantheons und eine mögliche Erlösung der ewigen Seele durch gute Taten beinhaltet.

Über das Leben des Jökull gibt es wenig historische Fakten, auch wenn gesichert ist, dass es sich um eine tatsächliche historische Person handelt, die um 412 geboren worden ist. Die erhaltenen Viten des Propheten, so die berühmte Lög um skýrslur og kenningar spámannsins Jokull von Sigurd von Rangarping, sind sämtlich Jahrhunderte nach dem Tod des Jökull verfast worden. Einzig die anonyme Schrift Jökull. Líf og verk spámanns scheint nach sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten nur wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Propheten verfasst worden zu sein.

Allen Viten gemeinsam ist die Tatsache, dass man den Geburtsort des Jökull mit Hráfnagil im Osten Luchtahinnas angibt. Über die Familie sind nur vage Informationen erhalten, sie war aber wohl wohlhabend, denn übereinstimmend heißt es, dass das Erweckungserlebnis des jungen Jökull der Tod der Mutter gewesen sein soll. Obgleich der Vater fast sein ganzes Vermögen in Opfergaben an die Götter investiert habe, sei diese dann doch gestorben, was dem späteren Propheten die Sinnlosigkeit der Opferhandlungen vor Augen geführt habe. Die unbefriedigenden Antworten der Priester, was dies denn zu bedeuten habe und ihre Kälte gegenüber der Familie hätten ihn dazu veranlasst, selbt die heiligen Texte zu studieren. Die Vita des Sigurd weiß von einem Studium in Àrborg, allerdings ist das eher nicht zutreffend, da man bis 578 an dieser Hochschule nur Rechtswissenschaften studieren konnte.
Bei seinen Studien der erhaltenen Kultanweisungen, Gebete und Hymnen sei ihm dann eines Nachts im Jahr 431 der Engel Prédikari erschienen, der ihm dann in mehr als 200 Tagen das Alte Buch diktiert habe. In dieser Zeit, so heißt es, seien dem jungen Mann alle Haare bis auf einen grauen Haarkranz in Form einer Tonsur ausgefallen und sein Bart ebenfalls ergraut. Der Engel habe ihm zudem aufgetragen, Klostergemeinschaften zu gründen, in denen die wahre Lehre verbreitet werden solle und die sich der Hilfe und Seelsorge der Menschen in den Städten und Dörfern annehmen solle. Man bezeichnet dies traditionell als die Erste Verkündung (Fyrsta tilkynningin). Jökull verließ daruf die Stadt seiner Studien und zog durch das Land, wo er der Bevölkerung seine neue Lehre verkündete. Eckpunkte seiner Predigten war die Tatsache, dass nur ein gerechtes und gutes Leben die Seele der Menschen retten könne, nicht aber aufwendige Opfer. Er lehnte den Kult an den heiligen Hainen und Tempeln als Verblendung ab und baute selbst zahlreiche Guðs hús, Gotteshäuser. Der Kult sollte in Form einer Gemeindefeier abgehalten werden, in der man der Gottheit dankte und ihre Größe lobpreisen und feiern sollte. Im Alten Buch sind dann auch eine Vielzahl von Gebeten und Liedern erhalten geblieben, di

im Alten Buch, es kommt aber an insgesamt 345 Stellen auch der Plural guði vor und es gibt kein explizites Verbot der Anbetung anderer Gottheiten neben Himla und Oskor.

Besonders bebedeutsam für die Förderung der neuen Religion, denn als solche muss man den Kult des Jökull wohl einordnen, war die Tatsache, dass ein Arzt des 434 gegründeten Kloster Himninn den bei einem Reitunfall 444 schwer verletzen König Håkoon I. rettete. Der Herrscher war in der Nähe des Klosters auf die Jagd gegangen und dabei vom Pferd gestürzt. Der erst ein Jahr zuvor gekrönte König machte dabei auch die persönliche Bekanntschaft des Jökull, der ihn in seine Lehren einwies und ihm die Erlaubnis abrang, weitere Klöster im ganzen Land bauen zu dürfen. Das erste neue Kloster entstand 447 in Luchtahinna und wurde zugleich zur ersten theologischen Hochschule des Landes ernannt. In den nächsten 30 Jahren entstanden mehr als 300 Klöster im ganzen Land, von denen 30 das Recht erhielten, als theologische Hochschulen zukünftige Priester auszubilden. Zudem entstanden überall neue Gotteshäuser, so dass 478 ein Rat von Priestern der alten Kulte zu einer Synode zusammentrat und den König offiziell aufforderte, dem Treiben der „Ketzer und Lügner" ein Ende zu bereiten. Der König antworte 479 mit einer eigenen Synode, auf der er zusammen mit Jökull und den Äbten der 50 wichtigsten Klöster des Landes mit dem úrskurður trú umbætur die neuen Lehren als verbindlich für das ganze Reich anerkannte und zugleich mit dem Aufbau von Bistümern und einer Kirchenhierarchie begann. Der Nachfolger des 498 verstorbenen Håkoon, Bjørg II., ist der erste König, der nach einer völlig neu gestalteten Liturgie in einem Gotteshaus in Luchtahinna, dem Vorgängerbau der stór dómkirkjur von Luchtahinna, gekrönt worden ist. Er fördert die Klöster durch großzügige Spenden und baut in den wichtigsten Städten des Landes große neue Kirchen. In seiner Regierungszeit starb Jökull, der in der Gruft der Hofkirche von Luchtahinna beigesetzt worden ist, die bereits Håkoon in Auftrag gegeben hatte. 503 ernennt der König Einhårdi zum ersten Erkibiskup von Luchtahinna, es folgen die Erzbistümer von Laugar (506) und Höfn (510).

Theologisch bedeutsam ist, dass Jökull die Idee des do ut des ablehnt und damit verbunden auch den bis zu diesem Zeitpunkt wohl üblichen Opferkult. Das Gamla Bókin ist eine der wichtigsten Quellen für die Religion vor den Kultreformen, da in ihm bestimmte Praktiken beschrieben werden, die der Prophet als falsch zurückweist. So heißt es über die Opfer an die Götter:

Guðirnar eru boðin alls konar hluti, mat, bjór, ull, klæði og gull. Og maður gerir ráð fyrir að guðirnir séu þakklátur fyrir þessar litlu hlutir sem þeir hafa búið til og að gefa gjafir til manns. Sjá, það er bull. Af hverju ætti Guð að fá gjafir þínar, þar sem hann skapaði hluti fyrir þig til að lifa! Hann gaf okkur nautið, kornið, fiskinn og allt sem við þurfum. Að fórna Guði er eins og að færa hveiti til mölva eða brauðs til bakarans. Guð vill ekki hlutina þína, hann vill hjörtu þína og sálir þínar. Hann vill ekki að þú kastar gulli inn í vatnið og svelta börnin þín, hann vill ekki að þú slátra svínum og borða prestana og brenna restina og svelta bræður þína. Hann vill að þér sé annt um hvert annað, að vera gott fólk og að elska og vernda hver annan!

„Man opfert den Göttern allerlei Dinge, Lebensmittel, Bier, Wolle, Gewänder und Gold. Und man erwartet, dass die Götter für diese Kleinigkeiten, die sie doch selbst erschaffen haben, dankbar sind und dem Menschen ihrerseits Geschenke machen. Seht aber, dass das Unsinn ist. Warum sollte Gott eure Gaben brauchen, wo er die Dinge doch erschaffen hat, damit ihr leben könnt! Er gab uns das Vieh, das Getreide, die Fische und alles was wir brauchen. Gott Opfer zu geben, das ist als ob ihr dem Müller Mehl bringt oder dem Bäcker Brot. Gott will nicht eure Dinge, er will eure Herzen und eure Seelen. Er will nicht, dass ihr Gold in den See werft und eure Kindern hungern, er will nicht, dass ihr Schweine schlachtet und die Priester davon essen und den Rest verbrennen und eure Brüder hungern. Er will, dass ihr euch umeinander sorgt, dass ihr gute Menschen seid und einander liebt und schützt!"

Wohl noch zu Lebzeiten des Jökull kommt es zu ersten Zerstörungen alter Heiligtümer, die meist mit Kapellen oder Kirchen überbaut werden.

Die neuen Kulte werden sicherlich nicht überall auf Zustimmung gestoßen sein, die luchtenische Geschichtsschreibung hat aber mögliche Gegenbewegungen in ihren Texten stets verschwiegen. Ein einziges Dokument gibt ein wenig Auskunft über mögliche Zusammenstöße zwischen Anhängern der alten und des neuen Kultes. Es handelt sich um den Brief eines sonst nicht näher bekannten Graf Haråld Grindwøldi an den Abt eines Klosters bei Olafsvík, in dem er berichtet, mehr als vierzig Bauern und 100 freie Männer und Frauen seien bei der Erstürmung eines alten Heiligtums in einem Hain getötet, weitere 400 Personen eingekerkert worden. Zudem seien die Priester des Tempels getötet worden, als diese versucht hatten, sich an Holzpfeiler des Heiligtums zu ketten.

Der Übergang vom alten auf den neuen Kult verlief demnach sehr viel weniger glatt und friedlich, als dies die offizielle Geschichtsschreibung Luchtahinnas vermitteln möchte.

Schon kurz nach dem Tod des Propheten Jökull trat der Abt des Klosters von Luchtahinna, Gunnam, für eine Vereinheitlichung der Klosterregeln ein, die dann auch 512 verabschiedet worden ist. Sie sieht unter anderem vor, den vorbildlichen Lebenswandel des Propheten so gut wie möglich zu imitieren. Aus diesem Grund wurden auch Vorschriften zum Äußeren der Priester, Ordensbrüder und Ordensschwestern erlassen, die bis heute zumindest in Luchtahinna und Teilen Nørskims gelten. Dazu zählen der lange Bart und die Tonsur bei Männern und ein das Haar bedeckendes Kopftuch bei den Frauen. Daneben umfassen die Regeln aber auch Vorschriften zu Gebetszeiten, gemeinsamem Essen und den wichtigsten Arbeiten, die ein Ordensbruder auszufüllen hat. Zum ersten Mal werden dabei auch drei obligatorische Gottesdienste am Tag genannt, die zumindest in Luchtahinna bis heute in allen Klöstern und Kirchen des Landes begangen werden. Zudem wurde auch den Laien empfohlen, mindestens einen Gottesdienst am Tag zu besuchen und die beiden übrigen Gebetszeiten zu Hause einzuhalten. In Luchtahinna ist dies auch in modernen Zeiten noch üblich und viele Menschen beten auch während ihrer Arbeitszeit.

Ethisch gesehen ist das Buch Jökull nicht sehr genau, auch wenn es immer wieder Passagen gibt, in denen die Nächstenliebe und der Respekt zu den Mitmenschen betont werden. Was genau aber ein gutes Leben eigentlich sein sollte, wird in ihm nicht näher ausgeführt. Der Gottesbegriff des Jökull bleibt zudem etwas schwammig, läuft aber wohl bereits auf einen Dualismus zwischen Himla und Oskor hinaus.

538, unter Stymir V., tritt mit der zweite Prophet auf, der das 1. Prophetenbuch verkündet. Dieses besteht aus Erläuterungen des Alten Buches, Gebeten und neuen Regeln für das menschliche Zusammenleben, die Gesellschaft, den Klerus und die Kultausübung. Nach Eyþor sei es die Rolle der Kirche, dem Staat bei der Herrschaftsausübung zu diensten zu sein, was später zu einem großen Problem werden sollte.

Eyþor ist oftmals sehr viel deutlicher, aber auch radikaler als sein Vorgänger. Über das Leben des zweiten Propheten gibt es sehr viel bessere Quellen, da es gut dokumentiert ist. 503 wurde Eyþor als Sohn des Eyþorfjall und der Snilla in Vesturland geboren. Der Vater war Handwerker, wohl Schuhmacher, denn er gehörte zur Ledergilde der Stadt. Ein Unfall im Jahr 516 machte den Vater arbeitsunfähig und er wurde von diesem Zeitpunkt an mit einer Rente durch die Gilde versorgt. Das Einkommen der Familie war entsprechend gering, zumal Eyþor noch mindestens sechs Geschwister hatte. 518 reiste Eyþor zu einem Bruder seiner Mutter, der als Schneider in Borgarnes tätig war. Dort kam er mit dem Prediger Jonna in Kontakt, der für das Kloster Jökullfjöll außerhalb der Stadt nach Novizen suchte. Genaueres über die Treffen der beiden Männer ist nicht bekannt, sicher ist aber, dass Eyþor 519 als Novize in das Kloster Jükullfjöll eintrat und 521 die volle Tonsur erhielt. Er galt als glänzender Student der heiligen Schriften und man sagt ihm nach, bereits ein halbes Jahr nach seinem Klostereintritt das gesamte Alte Buch auswendig gekannt zu haben. Auch ihm sei dann 521 ein Engel erschienen, als er die Nacht mit Meditation und Gebet in der Klosterkirche verbracht habe. Diese Zweite Verkündung resultierte im Ersten Prophetenbuch. Der Abt des Kloster, Einhård von Seltjarnes, sowie drei weitere Brüder, darunter Jonna, leisten einen Eid, sie haben selbst den Engel gesehen und bezeugen dies in mehreren Schreiben an Bischöfe, Nachbarklöster und letzendlich auch an den Erzbischof von Luchtahinna und den König. 523 wird Eyþor an den Königshof berufen, kann sich vorerst aber mit seinen radikalen Thesen und seiner strengen Auslegung des alten Buches nicht durchsetzen.

Eyþor wendet sich ausdrücklich gegen die Verehrung niederer Götter, die er als Aberglaube zurückweist. Auch die vielen noch immer weit verbreiteten magischen Handlungen des Volksglaubens wie Fieberzauber oder Losorakel, kritisiert er scharf. Schon die von Gläubigen in die Kirche gebrachten Blumen seien als Opfer an den Gott abzulehnen. Bei einer Predigt in der Stor Kirken in Luchtahinna 529 spricht er sich auch gegen die bildliche Darstellung der Götter aus, insbesondere gegen Statuen, die ein Zeichen der „alten und dunklen Tage" seien und nur dazu dienten, einfache Geister zu beeindrucken. Der Erzbischof von Luchtahinna verweist ihn daraufhin der Stadt, da es nach der Predigt zu Vandalismus in mehreren Kirchen gekommen ist. Dennoch 530 zum Abt seines Klosters gewählt, beginnt er umfassende Korrespondenzen mit Priestern und Äbten im ganzen Land und findet zahlreiche Unterstützer. Teilweise reisen bis zu 15.000 Personen zum binnen einer Woche zum Kloster Jökullfjöll und es kommt immer wieder zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den Zuhörern, so dass sich der Bischof von Borgarnes, bereits ein glühender Anhänger Eyþors, entschließt, seine Kirchentruppen zum Schutz des Klosters und zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu entsenden.

Insbesondere seine Vorstellungen davon, was ein gutes Leben eigentlich heißt, sind für die Priester von großem Interesse, da diese Frage offenbar auch viele Gläubige immer wieder beschäftigte. Eyþor zeigt sich dabei als moralisch streng, so lehnt verweist er darauf, dass Mann und Frau nur in der Ehe beieinander liegen dürften, man sich stets demütig gegenüber der Gottheit zeigen solle, strebsam und arbeitssam unnötiges Vergnügen wie Tanz und Musik zur reinen Freude vermeiden müsse, Luxus als Zeichen der Abkehr vom rechten Weg zu verstehen sei und Frauen auch im Alltag ihr Haar mit einem Tuch bedecken sollten. Zudem verwies er darauf, dass das Vorbild des Jökull nicht nur für Priester gelten solle, sondern für alle und forderte die Männer auf zum Zeichen ihres Glaubens ebenfalls einen Bart und eine Tonsur zu tragen. Während der Adel sich gegen Eyþor stellt, da er besonders ihren ausschweifenden Lebensstil kritisiert und bei den adligen Männern langes Haares als Zeichen des Reichtums und des Standes angesehen wird, vebreitet sich seine Lehre besonders unter der einfachen Bevölkerung. 538 besucht die Ehefrau König Stymirs V., Ådalgård, Eyþor und stellt sich danach hinter ihn. Auf ihr Betreiben hin werden mehrere Bischöfe ersetzt, die sich besonders vehemt gegen Eyþor stellen. In der Öffentlichkeit erscheint die Königin seit 540 stets ohne sichtbaren Schmuck und nur in einfache Leinenkleider gekleidet, das Haar stets durch einen Schleier bedeckt. Sie erwirkt auch, dass 542 der Jonna als Jünger des Eyþor zum Erzieher der königlichen Prinzen ernannt wird und besucht betont Gottesdienste der neuen Ordnung in der Hauptstadt, trotz scharfer Proteste seitens des Erzbischöfs und großer Teile des Hofes. 542-544 amtiert Eyþor als Hofkaplan des Königs, 544 ernennt Stymir V. auf Drängen seiner Frau Eyþor zum Erzabt seines Klosters, das damit rechtlich einem Bistum gleichgestellt wird und es dem Propheten erlaubt, den Vorsitz des für 545 angesetzten Konzils in der Haupstadt zu leiten.

Der Adel, der traditionell auch im Klerus stark vertreten war, stellte sich fast geschlossen gegen Eyþor, insbesondere gegen seine Forderungen nach einer Reduzierung des Luxus, der Idee der Gleichheit aller Menschen vor Gott und Gericht und Laientonsur und Bart. Da aber auf Betreiben der Königin bereits zwölf Bistümer und zwei Erzbistümer neu an Anhänger des Eyþor vergeben worden waren, darunter das wichtigste Erzbistum Luchtahinna, konnte sich der Prophet auf dem Konzil knapp durchsetzen, zumal ihm die entscheidende Stimme des Königs sicher war. Verankert in der Ny undirstöðu röð waren auch die Laientonsur, das Tragen eines Bartes und der Schleier für die Frau, belegt mit schweren körperlichen Strafen bei Missachtung. Nachweislich wurden diese aber nur sehr selten verhängt, obwohl sich diese drei Vorschriften kaum im Land durchzusetzen vermochten. Der junge König jedenfall liess sich zusammen mit 120 Männern des Hofes in einer Zeremonie in der Hofkirche des Palastes scheren und trug danach bis zu seinem Lebensende Tonsur und Bart. Kurz nach Ende des Konzils und der Kanonisierung des Zweiten Prophetenbuches stirbt Eyþor mit nur 43 Jahren und wird in der Kathedrale von Luchtahinna bestattet.

Die erneute Reduktion des Kultes, eine Ablehnung von Götterstatuen und die teilweise sehr strengen moralischen Vorgaben des Propheten führen in Norodom zur Entstehung eines eigenen Königsreichs unter Führung von Bischof Hilmar, der sich auf dem 545 abgehaltenen Konzil gegen die Annahme des neuen Buches und seiner Regeln ausspricht. Hilmar selbst war in Luchtahinna umstritten, da er den Zöllibat auch in den Klöstern ablehnte und selbst mit einer Frau zusammenlebte. Hilmar, jüngster Sohn des Grafen Huldiin von Brack, verstieß zudem nach luchtenischen Gesetzen gegen die Kirchenordnung, da er nach dem Tod seiner beiden älteren Brüder selbst die Verwaltung der Grafschaft des Vaters übernahm. Er war daher breits 541 mit dem Kirchenbann belegt worden, konnte aber durch Versprechen, nach Ablauf einer Frist von 4 Jahren von seinen gräflichen Ämtern zurückzutreten, diesen Bann wieder lösen.

Ihm schließen sich vier von sieben Bischöfen in Norodom an, dort herrscht darauf 40 Jahre lang ein religiös motivierter Bürgerkrieg, bis sich Hilmars Nachfolger Barne I., sein leiblicher Sohn, durchsetzen kann. Ein scheinbar unbedeutender Punkt war dabei ein zentrales Motiv des Konflikts: Die Bevölkerung Norodoms war zu diesem Zeitpunkt bereits enge kulturelle und politische Bündnisse mit dem Nachbarn Suamin eingegangen. Insbesondere der Adel und das gehobene Bürgertum orientierten sich am östlichen Nachbarn. Lange, gepflegte Haare waren hier ein Zeichen der besitzenden Schicht, ebenso wie ein glattrasiertes Gesicht während man Sexualstrafstätern als Zeichen der Schande den Kopf rasierte. Für den Adel Norodoms war daher der Vorschlag, eine Tonsur un einen Bart zu tragen, nicht mit ihrer Position vereinbar, zumal viele Untertanen Suamin waren.

Barne I. musste allerdings eine Kompromisslösung finden, da viel Anhänger Eyþors auch in seinem Herrschaftsgebiet lebten. Daher wurde die von Hilmar aufgegebene Priester- und Ordenstonsur wieder eingeführt und der Zöllibat für die Klöster durchgesetzt. Der jüngere Sohn Barnes, Nilla, rebellierte offen gegen den Vater und trug selbst die Tonsur als Zeichen seines Glaubens an die Lehren des Eyþor, er wurde allerdings zusammen mit seinen Anhängern hingerichtet. Seitdem steht die Laientonsur in Norodur unter Strafe.

In Luchtahinna selbst nahmen besonders die Bischöfe der vier westlichen Bistümer Seltjan, Olfus, Vagar und Olafsvík die neuen Lehren nicht an, was zwischen 545 und 678 immer wieder zu teilweise gewalttätig ausgetragenen Konflikten führte und 678 die erste luchtenische Landnahme auslöste in deren Verlauf die östliche Insel des Vereinigten Königreichs besiedelt worden ist. Hier sind es aber andere Gründe als in Norodum: Die Bischöfe lehnen zwar einen großteil der strengen moralischen Vorschriften ebenso ab, wie den Vorschlag der Laientonsur, besonders aber sind sie gegen die Verengung des Kultes auf Himla und Oskor. Nach der ersten luchtenischen Landnahme 678 kommt es nach weiteren Protesten in anderen Bistümern zu einem weiteren Konzil, auf dem dann mildere Formulierungen gefunden werden: Es sei gut, dem Vorbild des Propheten zu folgen, aber jeder müsse sich selbst fragen, in wie weit er dies tun könne. Der damals amtierende König Håkoon IV. selbst trug zwar eine Tonsur, aber nach den Darstellungen aus seiner Zeit nur einen kurzgeschnitten Kinnbart. Die ihm folgenden Könige sind dann meist glattrasiert und ohne Tonsur dargestellt, während die Königinnen durchgängig mit Schleiern bedeckt erscheinen. Es ist allerdings zu bedenken, dass ein Großteil der Bilder das Königspaar beim Gebet zeigt, ob der Schleier bei den Frauen der Oberschicht auch im Alltag verbreitet war, muss eher bezweifelt werden.

In den Kirchen selbst sind ab 648 verstärkt gemalte Bilder der ersten beiden Propheten zu finden, die von den Gläubigen als mynd af sannleikanum verehrt werden, zudem entstehen in den Bistümern immer größere und prächtigere Kirchen, so wird 700 die große neue Kathedrale von Luchtahinna eingeweiht. Neben den Propheten werden auch Heilige verehrt, so der erste Bischof von Luchtahinna, dem man eine prunkvolle Prozession im Sommer widmete.

712 tritt dann mit Gunnåram/Guntram der 3. Prophet auf. In seiner Offenbarung wird auf den dualen Charakter der Gottheit verwiesen und die dienende Rolle des Klerus nochmals unterstrichen. Die Verehrung Heiliger, auch der Propheten, sei auf ein Minimum zu beschränken und das Leben soll in schlichter Demut vor der Gottheit begangen werden. Zu großer Luxus sind ebenso abzulehnen wie ein überbordener Kult oder der Bau prunkvoller Gotteshäuser.

Guntram selbst war Priester einer kleinen Gemeinde im Norden und zog durch seine Predigten zahlreiche Gläubige, besonders der Unterschicht, an. Seine Lehre war deutlich milder formuliert als dies des Eyþor. Er betont aber nochmals, dass es nur zwei Gottheiten gebe, Himla und Oskor, und das ein prächtiger Kult nicht notwendig sei. Zudem betonte er die wichtige Rolle der Fürsorge und des Schutzes für die Ärmsten und forderte die Einrichtung von öffentlichen Schulen und Krankenhäusern. Seinem Aufruf folgten viele der kleineren Klöster auf dem Land, unter den größeren und reicheren Abteien gab es dagegen Widerstand, so dass Guntram 721 vor ein Konzil zitiert wurde. Überraschend wird er dort von einer großen Gruppe von Höflingen um König Gjorn II. und den Landadel unterstützt, die durch den wachsenden Reichtum der Klöster und Kirchen ihre eigene Machtgrundlage gefährdet sehen. Zudem scheint der deutlich gemäßigtere Guntram auch noch bestehende Spannungen wegen der Lehre des Eyþor zu beseitigen, denn zum Thema der Kleider- und Haartrachten äußert sich Guntram nur am Rande. „Das Herz ist wichtiger als das Kleid". Auch interpretiert er das Luxurverbot des Eyþor vor allem als eine kultische Vorgabe und unterstreicht die dienende Rolle des Klerus. Wenn sich die Besitzenden gut um die Armen kümmerten und ihren Reichtum zum Wohle aller einsetzten, sei privater Luxus keine Sünde. Zu diesem Zeitpunkt kommt das Gerücht auf, Guntram habe ebenfalls seine Weisungen von einem Engel erhalten, doch äußert sich der Prophet selbst nie zu diesen Spekulationen. Auf Druck des Königs und des Adels, aber auch durch einige gewalttätige Ausschreitungen in den Provinzen, nimmt das Konzil die Lehre mit großer Mehrheit an und das Buch des Guntram wird als 2. Prophetenbuch anerkannt.


Im Jahr 797 kam es zu schweren Sturmfluten an den Küsten Luchtahinnas, begleitet von Stürmen, Starkregen und Hagel im Sommer und einem schneereichen Herbst. Zehntausende Menschen kamen ums Leben, später verhungerten mindestens 100.000 Menschen, 70.000 weitere starben an Seuchen. 798 zogen daher hunderte von Propheten durch das Land, die die Abkehr von den Sünden forderten. Von den so genannten „1000 Propheten" sind 12 durch das Konzil von 804 als wahre Propheten aufgenommen worden, 78 wurden heilig, 134 selig gesprochen.

Die meisten Bücher enthalten nur Kommentare zu den bereits bestehenden, sie alle betonen aber die Rolle der Kirche und deuten das Wort dienen um zu unterstützen, beistehen. Zudem wird die Bedeutung der Verehrung von Heiligen im richtigen, also kirchlichen Rahmen, herausgearbeitet. Teilweise berühren die Bücher sehr intime Details auch des Privatlebens, so das Buch Hjölgi, dass sich lange mit der Sexualmoral und der untergeordneten Rolle der Frau beschäftigt oder das Buch Vettø, dass genaue Vorschriften zu Haar- und Barttracht der Männer und Kleidervorschriften für beide Geschlechter enthält. Im Buch Árni sind zudem strenge Speisevorschriften enthalten, so unter anderem ein Verbot alkoholischer Getränke, insbesondere von Wein.

Erneut werden die Laientonsur und der Bart für Männer und der Schleier für Frauen, die zudem keine eigenen Recht mehr haben und auf einen männlichen Vormund angewiesen sind, als verbindlich durchgesetzt. Ein angestrebtes Alkoholverbot im ganzen Königreich scheitert zwar, der Ausschank wird aber streng reglemengtiert und in Sichtweite von Gotteshäusern ganz untersagt. Zugleich wird die Rolle des Klerus neu definiert, die aus den Worten der Propheten jetzt ein Mitspracherecht in der Politik und Verwaltung ableitete. Tatsächlich werden die alten Grafschaften nun den Bistümern untergeordenet, die zugleich kirchliche Organisationseinheit als auch Provinz sind. Den Klöstern wird volle Steuerfreiheit gewährt und der Kirche die Einrichtung eines Kirkjan Evrópudómstóllinn zugestanden, dass Vergehen gegen religiöse Vorschriften ahnden kann.

Eine große Zahl luchtenischer Adliger empfindet die neuen Regeln zunehmend als belastend. So wandern ab 865 mehrere zehntausend Personen in der Zweiten Luchtenischen Landnahme auf den Kontinent aus, einige tausend verbleiben in Summum, die meisten ziehen aber weiter und gründen im Westen 878 das Fürstentum Dikamik, vorerst noch nominell als Vasallenstaat des Königs von Luchtahinna.

Die Auswanderung religiös Andersdenkender nach Summum und Dikamik ist zwar eine Belastung für Luchtahinna, insbesondere da viele gebildete Mitglieder der Oberschicht das Land verlassen, andererseits erleichtert es die Durchsetzung der religiösen und damit verbundenen politischen Veränderungen deutlich, die der Kirche immer mehr Macht zubilligen.

Seit den 920er Jahren ist aus Briefen und anderen Dokumenten eine wachsende Unruhe sowohl in der Bevölkerung als auch im Klerus herauszulesen. Kritisiert wurde der Reichtum der Kirche und ihr enormer politischer Einfluss, das üppige Leben der Bischöfe und Äbte, der immer prunkvollere Heiligenkult. An mehreren Orten im ganzen Reich tauchen seit 939 Prediger auf, die in verschiedener Form Kritik am bestehenden System äußern. Bevor einzelne Positionen näher beleuchtet werden, soll zuerst auf die allen gemeinsamen Punkte eingegangen werden:

Die Kernfrage war, wie viele Propheten nach Guntram noch anerkannt werden sollten.

Daneben waren es vor allem Fragen der Interpretation des Alten Buches, die aber bisweilen sehr massive Folgefragen lostraten.

1. Wie ist der Satz „tveir eru allt guðir" zu verstehen? Auf Grund der Grammatik der luchtenischen Sprache kamen nämlich drei Interpretationen in Frage:

Zwei sind alle Götter, verstanden als „alle Götter haben einen zweiseitigen Charakter"

Zwei Götter sind alle, verstanden als „es gibt nur zwei Götter" (Staatskirche)

Zwei ist Gott, verstanden als ein bipolarer, monotheistischer Gott.

2. Ist der Bilderkult durch den Satz Stytta eru guðir svívirðilega verboten?

Auch hier gab es verschiedene Richtungen:

Alle Bildnisse sind verboten, innerhalb und außerhalb des sakralen Rahmens

Alle Bildnisse sind im sakralen Rahmen verboten

Statuen sind verboten, innerhalb und außerhalb des sakralen Rahmes

Statuen sind im sakralen Rahmen verboten

Jede Dekoration im sakralen Rahmen ist verboten

Statuen und Malereien von Lebewesen sind generell verboten

Schmuck und Dekorationen sind generell Sünde

Schmuck und Dekoration sind auf ein Minimum zu reduzieren

Bilder, Bauornamentik und andere Dekorationen sind von den Gebot ebensowenig betroffen wie Statuen außerhalb von Kirchen (Staatskirche)

Statuen sind verboten, Kultbildnisse aber nicht, aller übriger Schmuck ist erlaubt (Förkin)

3. Ist die Rolle des Klerus in der Gesellschaft zu rechtfertigen? Darf es nach dem Alten Buch überhaupt einen Klerus geben? : Prestur eru hjarta einhver

Gestützt auf die ersten beiden Prophetenbücher vertraten die meisten die Ansicht, dass es grundsätzlich einen Klerus geben dürfe, ja sogar müsse. Allerdings lehnten einige die Klöster ab, da sie nicht explizit in der Schrift genannt seien, während die Staatskirche die Auffassung vertrat, Klöster seien durch die Handlungen Jökulls klar als gottgewollt anzusehen.

Daneben gab es aber die Ansicht, dass es gar keine Priester sondern nur Laienprediger geben dürfe. Hier gab es Befürworter und Gegner von Klostergemeinschaften.

4. Darf es außer dem Wortgottesdienst andere Formen der Liturgie geben?

Orðið guaðir spádómurinn eru allt

Es gab zum einen Vertreter der Ansicht, dass jede Form von ritueller Handlung während des Gottesdienstes zu unterlassen sei. Es solle nur aus dem Buch gelesen werden und gemeinschaftlich gebetet werden.

Andere setzten die Predigt in den Mittelpunkt.

Es gab Befürworter einer Aufwertung der Predigt innerhalb der kanonischen Liturgie.

Bei anderen wurde die Stelle gegen jede Form von Gesang intepretiert.

Unter den diversen Predigern, die besonders viele Anhänger um sich versammeln konnten gehörten Klårs von Trøda, damals einer der Hauskaplane des Königs, Ludram von Vidabørg, Gildi von Borø und Gålvein von Huggastina zu den bedeutendsten.

942 predigt von Trøda in der Guntram-Kirke zum ersten Mal zum Thema der „Dreizehn Dringlichen Dinge „þrettán brýn hlutir", die noch im gleichen Jahr in einer kleinen Schrift „Zu den dreizehn notwendigen und dringlichen Dingen in der Reformation der Heiligen Kirche", að þrettán nauðsynlegt brýn hlutir í siðbót heilög kirkjan. In diesen positioniert er sich ganz deutlich zu allen wichtigen Fragen:

1. Es gibt nur einen Gott, der sowohl das Licht, als auch die Dunkelheit ist.

2. Alle „Kleinen Propheten" (lítið profet) sind als falsch abzulehnen. Ihre Schriften sind nichtig.

3. Kein Priester kann die Gnade Gottes vermitteln, dies kann nur im Herzen geschehen.

4. Der Kult an Bildern jeder Art ist im Gottesdienst nicht gestattet, Dekorationen zum Ruhme der Gottheit und Kunst im Alltag, die einen Zweck erfüllt, sind aber gestattet, wenn sie nicht ausschweifend und moralisch verwerflich sind.

5. Der Klerus als leitende Instanz für die Gemeinde ist wichtig, aber der Priester steht nicht über dem Herzen des Einzelnen. Er darf daher auch nicht zu Gericht über ihn sitzen. Der Klerus hat eine dienende Funktion, da seine Aufgabe die Seelsorge ist.

6. Der Klerus darf nicht herrschen und nicht besitzen, was er nicht zum überleben braucht.

7. Kein Bischof darf dem Klerus vorstehen als Herr. Entscheidungen müssen alle Mitglieder der Kirche gemeinsam treffen.

8. Klöster als Orte der inneren Einkehr und Hinwendung zu Gott sind gut und richtig.

9. Das Wort muss im Mittelpunkt jedes Gottesdienstes stehen. Es muss vorgelesen und durch den Priester in der Predigt erläutert werden.

10. Kultische Handlungen sind nicht notwendig.

11. Gesang dient der Reinigung des Herzens und der Befreiung der Seele.

12. Die Verehrung von Heiligen und Reliquien ist abzulehnen.

13. Jeder Mensch wird rein und ohne Sünde geboren und muss anstreben, diesen Zustand der ursprünglichen Reinheit so gut zu erhalten wie möglich

Etwa zeitgleich publizierten auch Gildi von Borø und Gålvein von Huggastina die Schrift „Wege aus der Finsternis", leiðin frá myrkur, in der sie die in ihren Augen notwendigen Reformschritte beschreiben. Schon in dieser ersten Schrift ist zu sehen, dass die beiden Reformatoren deutlich radikalere Vorstellungen hatten als Klårs von Trøda, insbesondere was seine Position zum Klerus anging, dem er selbst angehörte. Gildi und Gålvein beschreiben die Kirche in einem Zustand des völligen Zusammenbruchs:

Sjá, kirkjan er rotna hvernig gamall brauð og óþefur hvernig mýri viður, þeirra grunnur er rotnun, þeirra vegg sveiflast og ógna falla á okkar höfuð.

Siehe, die Kirche ist verfault wie altes Brot und modrig wie sumpfiges Holz, ihr Fundament ist zerfallen, ihre Mauern wanken und sie droht auf unser aller Häupter zu stürzen!

Ihrer radikalen Diagnose entspringt dann auch eine radikale Therapie:

· Es gibt nur einen Gott und ihm allein gehört jede Anbetung und Verehrung. Der Kult von Heiligen und Seligen, Reliquien und Amuletten sind böse Magie und falsche Religion und müssen verboten werden.

· Alle Propheten nach Guntram sind falsch und müssen verworfen werden.

· Der Mensch wird beschmutzt geboren und muss sich durch ein moralisch strenges und gläubiges Leben in Demut und Schlichtheit von dieser Befleckung reinwaschen.

· Weil alle Menschen Sünder sind, kann keiner als Priester über dem anderen stehen. Ein Klerus darf nicht existieren. Die Gemeinden sollten selbst aus ihren Reihen einen Prediger bestimmen, der aus dem Buch liest und darüber spricht.

· Jede Form von klösterlichem Leben ist als selbstsüchtig abzulehnen. Jeder Mensch muss im Dienst der Gemeinschaft sein Bestes geben und sich für den Erhalt der Gemeinschaft einsetzen.

· Kunst ist generell ein Weg weg von einem moralischen Leben, da sie keinem unmittelbaren Zweck dient. Kirchen dürfen daher nicht geschmückt werden, Statuen sind auch im alltäglichen Leben als Anmaßung von Schöpfungskraft durch den Menschen eine Sünde.

· Außer dem Wort der Schrift, der Predigt und dem Gemeindegebet darf es keine andere Form der Anbetung geben, außer das private und stille Gebet. Gesang und rituelle Handlungen sind falsch und Sünde.

Beide Denkschulen können binnen kürzester Zeit zehntausende von Gläubigen überzeugen. Klårs bereist als Redner sogar die Luchta-Siedlungen in Huggastina und Dikamik, wo er viele Anhänger gewinnen kann. Allerdings bilden sich in Dikamik bald darauf eigene Reformströmungen unter Ludram von Vidabørg, die besonders bei der Kultgestaltung mehr Konzessionen an die Staatskirche machen wollen, aber wie Klårs z.B. die untergeordnete Rolle der Frau, die Laientonsur und die politische Macht des Klerus ablehnen.

Gildi von Borø und Gålvein von Huggastina finden dagegen vor allem in Norodur und Suamin Anhänger wo mit Håbbåd noch ein weiterer Reformator auftritt, der als radikalster Prediger zu verstehen ist, da er eine wörtliche Auslegung der Schrift vertritt und jede Form weltlicher Herrschaft ablehnt. Er findet vor allem in Norodur Anhänger und wird sogar heimlich von den lokalen Grafen gestärkt, um Luchtahinna zu schwächen. Da aber die luchtagläubigen Menschen in Norodor und Suamin nur eine kleine Minderheit im Land darstellen, sind dies vor allem Nebenschauplätze der Reformation.

952 ist der Aufruhr im ganzen Reich so groß geworden, dass der Erzbischof von Luchtahinna das Konzil von Luchtahinna einberuft, an dem alle Bischöfe und Äbste, ausgewählte Priester und vor allem die fünf führenden Reformatoren auftreten sollen.

Nach hitzigen Debatten, die mehrfach handgreiflich werden und einmal in einem Mordversuch an Gildi von Borø und Gålvein von Huggastina enden, verlassen die Bischöfe Dikamiks, Førkirs und Huggastinas trotz massiver Drohungen des Erzbischofs das Hauptkonzil und tagen als kleines Konzil weiter in Kobahøvå. Durch die Initiative Ludram von Vidabørgs, kommt es zum „Erlass der Vereinigung der Kirchen von Dikamik, Huggastina und Førskin zur nyhet skole" im Jahr 953.

Kernpunkte des neuen Kirchenprogramms sind:

· Es gibt nur einen Gott

· Guntram war der letzte wahre Prophet

· Der Klerus hat eine dienende Funktion und soll nicht herrschen

· Dem Wort kommt im Gottesdienst die größte Bedeutung zu

· Statuen der Gottheit sind verboten

· Die Gemeinschaft der Gläubigen hat ein Mitspracherecht in der Kirche

· Der Erzbischof von Luchtahinna ist nur der Erste unter Gleichen

· Der Mensch kann nur durch ein gutes Leben sein Seelenheil erlangen

· Der Mensch muss der Gemeinschaft nützlich sein.

· Klöster als Orte der Besinnung auf Gott sind gut und richtig.

· Der Prunk in den Kirchen soll reduziert werden.

· Gesang ist Ausdruck der Herzensfreude und soll einen wichtigen Platz im Gottesdient einnehmen.

Ludram von Vidabørg bietet dem Erzbischof in wochenlangen Verhandlungen an, dass er noch bestimmte Rechte bei der Ernennung von Bischöfen behalten könne, droht aber insgeheim damit, wieder in das Lager der radikaleren Reformatoren abzuwandern. Kurz vor Ende des Jahres 953 kommt es zu einem Abschluss des Konzils, das in einem Eklat endet und die Beziehungen zwischen der nyhet skole und der konservativ skola bis heute belastet:

Der Erzbischof von Luchtahinna erklärt die Gründung der Kirchengroßprovinz Dikamik, Førkir und Huggastina unter dem Vorsitz des zum Erzbischof ernannten Bischof von Kobahøvå mit „eigener lokaler Tradition, die wir als nyhet skole bezeichnen". Zugleich verkündet er das Reformprogramm für die Staatskirche, die konservativ skola:

· Reduktion ritueller Handlungen im Kult

· Verbot, im ganzen Reich Statuen aufzustellen

· Festlegung des Dogmas der Zwei Götter, die einer sind

· Ablehnung der Verehrung von Seligen, Verbot der Reliquienverehrung

· Anerkennung von fünf Großen und drei Kleinen Propheten nach Guntram

· Reduktion der Prophetenverehrung

· Verbot für den Klerus, politische Ämter zu bekleiden

· Laientonsur und Bart als verpflichtend für alle Staatsbürger Luchtahinnas

· Schleier für Frauen

Zugleich verkündete der Erzbischof aber auch den Kirchenbann gegen die Reformatoren und ihre Verurteilung als Ketzer, was zu Tumulten auf der Versammlung führte. Ein Versuch der Bischofsgarde, die fünf festzunehmen scheiterte, da die Leibwache des Fürsten von Ligahimma, Norodur, eingriff.

Da der König von Norodur sich gegen das Konzil stellt und den Reformatoren Unterschlupf bietet, fordert der Erzbischof von Luchtahinna den König auf, dem Nachbarn den Heiligen Krieg zu erklären, was dieser auch aus politischen Gründen gerne annimmt, so dass 953 der I. Nordische Krieg zwischen Norodur und Luchtahinna beginnt. Um nicht in den Krieg hineingezogen zu werden und auf Grund der guten Beziehungen zu Klårs von Trøda erklärt sich der Fürst von Dikamik zum König, Tjark III./I., und trennt so auch die letzten politischen Bande zur alten Heimat. Bezeichnenderweise verweigert auch jarl Bjarki II. auf der Ostinsel die im folgenden Jahr geforderte militärische Unterstützung des Königs von Luchtahinna und bereitet auch den Austritt seiner Insel aus der Staatskirche in vollem Umfang vor, der allerdings erst 1030 offiziell vollzogen wird.

Anfangs kann sich, bei wechselndem Schlachterfolg, die Nordkoalition mit dem so genannten Reformationsheer, siðbót her, gegen die Reichsarmee, rik hær, durchsetzen. Allerdings schwindet in den folgenden drei Jahren die Unterstützung der Adligen in Norodur für die Reformatoren, insbesondere für Gildi von Borø und Gålvein von Huggastina, die sich auch mehr und mehr mit den Anhänhegern Klårs' von Trødes überwerfen. Als Auslöser offener Feindseligkeiten gilt ein Dankgottesdienst nach der gewonnen Schlacht von Hjølbakka: von Trøde stimmte ein Dankeslied an, woraufhin Gildi von Borø und Gålvein von Huggastina und ihre Anhänger aus Protest das Gotteshaus verließen und am nächsten Tag über das sündige Verhalten von Trødes Predigten halten und ihn einen Bakover nennen. Der zur Schlichtung angerufene Ludram von Vidabørg, jetzt Erzbischof von Kobahøva und Primas der nyhet skole, kann die Gemüter nur oberflächlich beruhigen. Politisch neuer Druck entsteht, als einzelne Grafen Separatfrieden mit Luchtahinna schließen und das nordische Reformationsbündnis so massiv unter Druck setzen. 957 bedroht eine Luchtahinna-Armee sogar die Hauptstadt Ljóshöfnin. In den besetzten Gebieten werden die Anhänger der Reformation zu Zwangskonversion gezwungen oder gefoltert und getötet, so dass sich Klårs von Trøde entschließt, dem Angebot Ludgrams zu folgen und mit seinen Anhängern das Land zu verlassen. In Huggastina stirbt er allerdings, so dass die Führung der etwa 123.000 Personen seinem Stellvertreter Knådur, dem ehemaligen Bischof des neuen Bistums in Ljóshöfnin und zweitältester Sohn des Herzogs von Kumbåland, zufällt. Stärker noch als von Trøde selbst beharrt er auf der Einhaltung der 13 Vorschläge als Grundlage der neuen Kirche, was ihn in einen Konflikt mit Ludram und einigen tausend Anhängern bringt. Etwa 28.000 Menschen lassen sich daraufhin in Huggastina nieder, die übrigen bekommen von König Tjark I. das unbewohnte Land im Norden seines Königreichs zugewiesen, wo sie das Fürstentum Nørskim gründen, dass vorerst noch als ein Lehen Dikamiks gilt.

959 endet der I. Nordkrieg mit einem Friedensvertrag zwischen Luchtahinna und Norodur. Der Grenzverlauf von 953 wird wieder hergestellt und Reformierte aus Norodur dürfen nicht mehr nach Luchtahinna einreisen. Der Besitz reformatorischer Schriften oder das Feiern reformierter Gottesdienste wird in Luchtahinna seitdem mit dem Tod bestraft. Ein Gesetz das noch heute gültig ist.

Die Reformation führte demnach zu folgenden Kirchen und Teilkirchen

· die konservativ skole als Staatskirche von Luchtahinna

· die Forent og assosiert nyhet skole von Dikamik, Grånland, Huggastina und Šeringen

· die Frie nyhet skola als Staatskirche von Nørskim

· die fornyet radikalet frie kirke in Norodur

· die Vekke kirke in Norodur und Suamin

· zahlreiche frie lokalsamfunn stark reformierter Richtung in Norodur, Suamin und Dikamik

· sowie die nur noch lose mit den verschiedenen Kirchen verbundene gömul trú in Førkir.

Offiziell waren alle Kirchen bis auf die frie lokalsamfunn bis 1851in einer Union mit der Kirche von Luchtahinna verbunden, der Ezbischof von Luchtahinna gilt als Repräsentant der ganzen Kirche, nur Førkir hatte die Union bereits früher verlassen. 1851 entschieden sich dann auch Šeringen, Dikamik und Grånland für einen völligen Austritt aus der Kirchenunion. Auf einem Kirchentag in Kobahøvå wurde die Loslösung von der Kirche Luchtahinnas offiziell bestätigt und zugleich die uafhængigt kirke/ uavhengig kirke/ oberoende kyrka gegründet, die sich stark am Modell der Staatskirchen von Dikamik und Šeringen orientiert und aus der Reihe ihrer Bischöfe jeweils für fünf Jahre einen Vorsitzenden des Rates für Religion wählt. Der König von Nørskim erklärte bei zunehmendem religiösen Druck in seinem Land, der von Luchtahinna befördert wurde, 1852 ebenfalls seinen Austritt aus der Kirche, konnte sich aber mit seinem Plan der Unabhängigen Kirche beizutreten nicht gegenüber seinen Bischöfen durchsetzen, so dass in Nørskim die Gammel troende kult felleskap og rik kirke entstand. Es ist daher grundsätzlich gerechtfertigt, von einer gemeinsamen religiösen Grundlage aller Luchta zu sprechen.

 

puh, mein lieber Mann,

Aerath -

erster Eindruck - wie schon über die Namen Einar und Mikel behauptet - nordisch. Aber warum eine eigene Sprache entwickeln mit all den Risiken? Althochdeutsch und Gotisch sind doch viel einfacher. Gut, die Edda hab ich in der Übersetzung Tolkiens (also englisch) gelesen, aber alt-Isländisch (was ja auch nur ein norwegischer Dialekt ist) puh ... Obwohl man danach die engl. Grammatik besser verstehen wird (Dänen und andere Nordmänner - ob der Eroberer sich noch als solcher fühlte ... wer weiß das schon, wenn zum pig pork kam).

Ich hab in meiner Anfangszeit hier viel Mittelhochdeutsch verwendet und das war den meisten schon zu hoch, zu schwierig. Einige haben aber kapiert, nachdem ich vorgeschlagen hab, einfach laut vorzulesen, was man da sah nach den Regeln des Deutschen mit zB der Ausnahme - jetzt auf die Schnelle - dem "h", das kein Dehnungs-h, sondern unser heutiger ch-Laut ist.

Ich komm auf jeden Fall darauf zurück, sehn wir mal von ab, dass nächste Woche der Enkel aus dem Sauerland in flachere kommt. Es kann also dauern.

Bis bald und ein schönes Wochenende wünscht der

Friedel

 

Die luchtenischen Sprachen umfassen folgende regionale Ausprägungen und Varietäten einer ursprünglich gemeinsamen Ur-luchtenischen Sprache[1]:


Staðall tungumál und standard språk sind künstliche Sprachen, die als bewusste Mischformen der diversen Dialekte als Verständigungsmedien geschaffen worden sind. Nur in Huggastina wird standard språk auch im privaten Rahmen als Muttersprache gesprochen, da es während der I. Dynastie von Huggastina als einzige Amtssprache definiert und hier die Anzahl verschiedener Dialekte besonders hoch gewesen ist. Allerdings ist die standard språk im Wortschaft stark durch das Summum beeinflusst. Zudem wurde standard språk als dritte Verwaltungssprache nach Aerathisch und Summum in der Provinz Huggastina-Summum festgelegt und ist einzige luchtenische Unterrichtssprache.

Das moderne Høy-Luchtansk, das Westenisch, die rige sprog, die rik språk und standard språk sind sich immer noch recht ähnlich, wobei die Verständigung zwischen Sprechern zweier dieser Sprachen je nach dem gesprochenen Dialekt oft einfacher sein kann als die zwischen den Sprechern verschiedener Dialekte einer einzigen dieser Sprachen.

Das staðall tungumál und das Oustenische stehen dagegen dem klassischen Hochluchtenischen und dem Altluchtenischen noch sehr nahe und unterscheiden sich deutlich von den anderen Varietäten des Luchtenischen. Es wird daher auch als Insel-Luchtenisch bezeichnet.

Luchtenisch wird traditionell in einer Runenschrift geschrieben, der fallegur letur oder smuk skrift, wobei die altluchtenische Schrift noch nicht in der Lage ist, die zahlreichen Sonderlaute des Luchtenischen abzubilden, was eine Lesung alter Texte oft deutlich erschwert. So kann die traditionelle Schrift den Unterschied zwischen ð und d (d) oder å und a (a) nicht darstellen. Auf Førkir entwickelte man eine eigene Runenschrift, die ný letur, während man in den Westkönigreichen auf die hesstische Standardbuchstabenschrift des internationalen Schriftverkehrs auswich, da dies den Handel und Umgang mit den Nachbarn erleicherte, die diese Schrift neben der aerathischen ebenfalls verwenden. In Huggastina wurde lange die Summum-Schrift verwendet, phasenweise immer wieder auch die alte Runenschrift, jetzt hat sich eine Schreibung in hesstischer Normalschrift durchgesetzt.


[1] Die folgenden Ausführungen zur Sprache basieren auf dem Standarwerk zum luchtenischen Sprachraum, Sigurð Sigurðsson, Tungumál og skáldsögur á Luchtenisk svæðinu. Rannsókn á setningafræði, lexíu og formgerð, Stugahølm 1823.


 

… allerdings ist das Wissen über diese Zeit systematisch unterdrückt und verfälscht worden, um eine Heilsgeschichte Luchtahinnas erzählen zu können. Da die Besiedlung fast aller Luchta-Gebiete erst nach den ersten Kultreformen einsetzen, findet man nur auf der Ostinsel des Vereinigten Königreichs noch Spuren der ursprünglichen religiösen Lehre.

Notizen zu den klärenden

Informationen zur Religion der Luchta

im Umfange – sofern mich mein System nicht betrügt - von ca. 25 Seiten Normseiten zu 30 Zeilen à 60 Zeichen/Zeile in courier 12 pt., der Type der guten alten Schreibmaschine, was nur bestätigt was mir vor meiner Konfirmation im Unterricht aufgefallen ist: Heilige Schriften zu studieren und das Studium zu verinnerlichen erfordert Sitzfleisch und braucht Raum unter der Schädeldecke, und richtig interessiert hat mich eigentlich nur der historische Teil des Alten Testamentes, was sich dann dereinst im Mosesroman austoben sollte,

lieber Aerath.

Doch der Reihe nach!

Die allerersten Luchta, …

„Luchta“ („der Leuchtende“ erweist sich als eine keltische Sagengestalt (walisischen oder irischen Ursprungs, Jacke wie Hose, wenn man dem „Hexenherd“ trauen darf), die gelegentlich mit der Sonne in Verbindung gebracht wird – wenn es etwa heißt „„Die Existenz einer Sonnengöttin wird manchmal anerkannt, und zwar als ‚Ausnahme‘ der nordischen Völker, weil dort die Sonne eben schön warm und sanft war.“ (HexenHerd), womit wir wieder im „nordischen“ Raum sind und unter der zitierten Adresse des Hexenherdes (schon der Name schreckt mich ab):

ahd.: hagzissa, hag(a)zus(sa),
mhd. abgeschliffen zu: hecse, hesse (wobei ich Hessen (kommt weiter unten nochmals vor) auch ohne Äppelwoi und Handkäs natürlich ausnehmen werde)
a) der „hag“ Flechtwerk/Zaun, synonym Gehölz, Hain, umfriedetes Gebiet (bishin zu den Städten, die den "Hag" im Namen tragen). Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache klärt da auf knappste Weise auf, wenn es heißt „weibliches Wesen, dem Verbindung zu bösen Mächten und Zauberkräfte zugeschrieben werden, nach früherem, religiösem Aberglauben (vom 15. Jh. an) eine mit dem Teufel im Bunde stehende Frau, als Schimpfwort ‘böses, häßliches Weib’. Die in den westgerm. Sprachen bezeugten Formen ahd. hazus, hazussa (10. Jh.), hazas(sa), hazis(sa), hagazussa (11. Jh.), mhd. hecse, hesse, mnl. haghetisse, -tesse, nl. heks, aengl. hægtesse, hegtes, engl. hag zeigen in ihrer unterschiedlichen Lautgestalt offensichtlich affektisch bedingte Veränderungen und Verkürzungen. Es scheint sich um ein Kompositum zu handeln, dessen Bestimmungswort aus dem unter ↗Hag (s. d.) behandelten Substantiv besteht. Das Grundwort bleibt unklar. Man bringt es allgemein mit norw. (mundartlich) tysja ‘Elfe’," immerhin mal ne gute Seite„ tusul ‘Gespenst’, lit. dvasià, aslaw. duchъ, russ. duch (дух) ‘Geist, Hauch, Atem’, mhd. getwā̌s ‘Gespenst’, gall. dusius ‘Dämon’, westfäl. Dūs ‘Teufel’ in Verbindung, so daß Anschluß an die s-Erweiterung ie. *dheus-, *dhū̌s- der Wurzel ie. *dheu-, *dheu̯ə- in Wörtern für ‘stieben, stäuben, wirbeln; verwirrt, betäubt, albern; blasen, keuchen; Geist, Gespenst’ möglich ist (wozu auch ↗dösig, ↗Dunst, ↗Tier, s. d.). Unter Hexe wäre also eine Unholdin zu verstehen, die, auf Zäunen lauernd (vgl. anord. tūnriða ‘Zaunreiterin’), die eingehegte geschützte Wohnstätte zu gefährden sucht. Andere erschließen germ. *hagahatusī, sehen im zweiten Bestandteil eine aus dem Part. Prät. von ↗hassen (s. d.) hervorgegangene Bildung und interpretieren das Kompositum als eine Art ‘Walddämon’, wobei die Kurzform ahd. hazus als Repräsentation des zweiten Gliedes gelten könnte. de Vries Nl. 248 hält eine Beziehung des Grundworts zu aengl. tāda, tādige, engl. toad, dän. tudse, schwed. tossa ‘Kröte’ für möglich, da auch der Kröte die Fähigkeit zugeschrieben wird, Krankheiten zu verursachen und die Gestalt zu wechseln. Zum Komplex vgl. Polomé in: Ahd. 2 (1987) 1107 ff. Im 15./16. Jh. wird das Wort Hexe durch die Hexenverfolgung aktualisiert und vom christlichen Standpunkt her (s. oben) umgedeutet. Hexenschuß m. plötzlicher Schmerzanfall im Bereich der Lendenwirbel (16. Jh.), wegen des plötzlichen Ausbrechens mit einem Schuß von Zauberhand verglichen (vgl. aengl. hægtessan gescot). Hexenprozeß m. ‘Gerichtsverfahren gegen eine als Hexe verdächtigte Frau’ (17. Jh.). Hexenkessel m. nur bildlich ‘Unruheherd, explosive, gefährliche Region, Situation’ (19. Jh.), im Anschluß an die Vorstellung eines brodelnden, Zaubermixturen von Hexenhand enthaltenden Kessels. hexen Vb. ‘von Zauberkräften Gebrauch machen, übernatürliche Dinge vollbringen’ (16. Jh.). behexen Vb. ‘mit Zauberkraft auf jmdn. einwirken’, verhexen Vb. ‘jmdn. mit Zauberkraft in bestimmter Weise entstellen, jmdn. dämonischer Macht ausliefern’ (beide 17. Jh.). Hexerei f. ‘Zauberkunst, übernatürliche dämonische Wirkung’ (15. Jh.)“ (vgl. „DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache“, zitiert am 07.08.2019, 11L56 Uhr)

Und ganz unter uns, die einzige Hexe, die ich kenne, reitet auf keinem Besen und auch keiner Hecke (woher der deutsche Name der Hexe ja kommt), sondern steht auf vier Pfoten, bellt oder knurrt gelegentlich (wie jeder) und ihr an sich schwarzes, mittellanges Fell glänzt in der Sonne hennafarben: ein weibl. belgischer Schäferhund, Groendaele (ein Name, der weniger in Deiner Geschichte auftaucht als eine reale belgische Ortschaft meint).

Tatsächlich lassen sich Isländische Brocken im Text nachweisen, etwa wenn es etwa heißt

… die Göttin móðir jörðin…
wo die Nähe zur engl. Mother (das „ð“ steht für unser altes „th“, das noch im „Thron“ weiterlebt) aufblinzelt und halt Isländisch ist
Über das Leben des Jökull (isl. Gletscher, Anm. von mir) gibt es wenig historische Fakten, auch wenn gesichert ist, dass es sich um eine tatsächliche historische Person handelt, die um 412 geboren worden ist.
und – „Island“ (= Eisland) mag in den Sigurd/Siegfriedsagen und dem Nibelungenlied vorkommen, wurde aber erst im 9. Jh. unserer Zeitrechnung entdeckt – natürlich von Nordmännern, die das „Godentum“ begründeten. „Etymologisch wird das Wort zu guþ und goþ = Gott gestellt. Das Wort goði ist auch im Ostnordischen belegt. Es steht auf zwei Runensteinen aus der Wikingerzeit auf Fünen bei Odense. Das Wort goðorð ist hingegen nur auf Island belegt und zeigt, dass dort eine Sonderentwicklung stattgefunden hat. Darüber hinaus gibt es noch eine althochdeutsche Glosse im Abba-Glossar, die das Wort goting (oder cotinc bzw. goding mit lat. tribunus (Tribun, Vorsteher) übersetzt: ciliarcus. uueraltkhraft. tribunus. cotinc. qui mille uiros. habet. ther thusunt manno. habet. edho camano. (Gl I: 88, 15; 'Chiliarch : Tribun, der 1000 Männer hat')“usw. usf. (? Godentum) ...

Nahezu selbstverständlich passt dann auch der Städtename

die um 236 die Stadt Luchtahinna (damals noch Ljósheimili) gründeten, …
das den nordischen Klang verstärkt.

Ja, „Island“ und eine „Isenburg“ tauchen schon in den zunächst mündlich verbreiteten Siegfriedsagen (die auf historische Ereignisse der Merowingerzeit im 6./7. Jh. zurückgreifen) auf und tatsächlich gibt es die auf Island behauptete „Isenburg“ tatsächlich, wobei nicht eine eisige Eisburg“ („Island“ = Eisland) gemeint ist, sondern eine „Eisenburg“ - eine bei Hattingen an der Ruhr, zur Merowingerzeit sächsisches (heute noch Westfalen, die Dialekte weichen von den rheinischen des westlichen Nordrhein-Westfalen erheblich ab) Gebiet und eine zwote im Westerwald (unweit Neuwieds, wo heute noch rheinfänkische Dialekte, wie etwa das Hessische vorherrschen), doch keine Burg des Namens gabs schon zu Zeiten der Merowinger … und Island war noch nicht entdeckt.

Da wirkt – jetzt aus der fernen Erinnerung – Jürgen Lodemanns „Siegfried und Krimhild“ (wo eine Isenburg an der Ruhr auftaucht) schon geradezu schlitzohrig, wenn er den jungen Siegfried mit dem heiligen Viktor (der Dom zu Xanten ist nach ihm benannt) in Verbindung bringt. Viktor starb aber bereits im vierten Jh. den Märtyrertod , da waren Burgunden unter Gibica (die erst 406 den Rhein bei Mainz mit dem „Vandalenzug“ überquerten, und die Vorfahren der „Merowinger“ im Hennegau verdingten sich bestenfalls als Föderaten der Römer, können also durchaus am Untergang der Nachkommen Gibikas eigenhändig teilgehabt haben.

Die mündliche Überlieferung und die schriftstellerische Fantasie klauben sich sozusagen etwas zusammen.

Nun gut, das Nibelungenlied – der erste Antikriegsroman deutscher Zunge, wie ich finde – verwendete auch die alten Sagen und verknüpfte sie mit dem Untergang der (rheinischen) Burgunden 436 f. (deren Reste an den Genfer See umgesiedelt wurden und von dort aus das heute noch bekannte "Burgund" begründeten) mit dem Kreuzzug des Barbarossas Ende des 12. Jh. Und jeder, der im 13. Jh. das Lied vernahm, wird gewusst haben, dass es im Hessischen keine Löwen (die Siegfrid gejagt haben könnte) gab, weder zur Merowinger- noch zur Stauferzeit, dass aber Heinrich der Löwe der unbotmäßige Cousin des Barbarossa war.

Die Vita des Sigurd weiß von einem Studium in Àrborg, ...
da fehlt mir dann der im 13. Jh. ,öbliche Rückschluss hier und jetzt.

Aber das alles sei nur am Rande erwähnt, soll aber mein Interesse bekunden, und dennoch geht meine Frage dahin, was Deine Intention sein könnte, eine schon im Netz stehende Geschichte (Der neue Weltalmanach 1853) hierorts einzustellen.

Fehlende Resonanz?
Nun gut, ab und an schreib ich Mittelhochdeutsch (Althochdeutsch würd‘ die meisten richtig verwirren, schon allein weil der Buchstabe „w“ tatsächlich noch ein dabbelju ist, obwohl es die klangvollere deutschsprachige Zeit war, das man fast eine romanische Sprachmelodie zu hören vermeint) und greif auf gotische Brocken zurück (als älteste schriftliche Zeugnisse germanistische Zunge). Fantasy, die zudem altnordisches Sprachgebaren (manche – mit denen Du hoffentlich nix am Hut hast - verwechseln die alten Nordmänner mit „Ariern“) verwendet, ist mir ein Gräuel und bleibt es auch. Selbst Tolkien Universum werd ich nicht betreten, nicht mal lesen (außer der Edda, aber das weißtu ja schon), was mich auf einen Gedanken bringt, wenn es heißt

Theologisch bedeutsam ist, dass Jökull die Idee des do ut des ablehnt ….
der alten Rechtsformel des „do ut des“ für gegenseitige Verträge (volksmündig etwa „wie du mir, so ich dir“) dran ändern, sind doch „tauschen“ und „täuschen“ etymologisch im Deutschen (nicht nur des Reimes wegen) verwandt.

Im Grunde bin ich also raus aus der fantastischen Konstrukt, bin aber auf jeden Fall für gramm. Probleme ansprechbar. Und – nur so am Rande, dass auch mal ein anderer sich Deiner annehme, kommentier ruhig auch selbst beim einen oder andern. Das Prinzip des „do ut des“, Gegenseitigkeit wirkt immer …

Nix für ungut

Friedel

 

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