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Der Boxer
Heute kennen nur mehr wenige Insider den Namen des australischen Profiboxers Sammy Foster, der zu seiner Zeit genauso gefürchtet war wie vor ihm Muhammad Ali und Mike Tyson.
An den Tagen vor den Kämpfen bangte Sammys Team immer, ob er die erforderlichen 90,72 kg auf die Waage brachte. Prüfende Blicke von allen Seiten hefteten sich an den Zeiger an der Waage. „91,2 Kilo“, sagte der Mann von der Boxkommission.
Alle atmeten auf. Der Trainer legte seine Hand auf Sammys schmale Schulter. Sammy führte spielerisch eine Serie von Schlägen aus.
Sein Oberkörper hatte etwas schlangenhaft Bewegliches, der Unterkörper war kompakt. Mit seinen großen Füßen konnte er sich fest wie ein hundertjähriger Eukalyptusbaum im Boden des Rings verankern.
Alle Gegner, die ihm Auge in Auge gegenüberstanden, fanden, dass er verschlagen aussah. Das Publikum folgte seinem leicht hüpfenden Gang, wenn er sich, begleitet von seinem Einmarschlied „Thunderstruck“, dem Ring näherte. Bemerkenswert dabei waren seine großen Ohren, die den ganzen Raum sondierten. Im Kampf wirkten sie wie ein Radar. Abergläubische Box-Fans behaupteten, dass Sammy Foster die Taktiken seiner Gegner hören konnte.
Sein Gesicht war ebenfalls markant. Die sehr kräftige Nase und die ganze Mundpartie wirkten unempfindlich wie ein lederner Boxsack. Er selbst konnte mit bisher nie gesehener Kraft und Geschwindigkeit austeilen. Die Menge der bierseligen australischen Fans, die oft um die halbe Welt nach New York, Paris oder Schanghai anreiste, jubelte, wenn er wieder einen Gegner mit seinem Donnerschlag niederstreckte: „Yeah Mate Yeah! Wo der hinschlägt, wächst kein Gras mehr.“
Nach den Kämpfen, im endlosen Flackern der Blitzlichter, wenn die Reporter ihm banale Fragen stellten, sagte er kaum etwas. Nur ein Grummeln und manchmal ein erfreutes Klicken kamen über seine Lippen. Dafür schwadronierte sein Trainer mit breitem australischem Akzent über den Verlauf des Kampfes und mögliche Gegner, die sich warm anziehen konnten. Mit bärtigem Mondgesicht und weit ausladenden Gesten beschwor er eine Zukunft, in der die Titelverteidiger aller Verbände K.O. geschlagen auf dem Boden des Rings lagen, während Sammy beidbeinig im Kreis hüpfte, die Arme in die Luft reckte und sich feiern ließ.
Diese Drohungen beschäftigten die Teams der amtierenden Weltmeister von WBA und WBC. Wie die Dinge lagen, waren ihre Tage gezählt. In der Atmosphäre der Ratlosigkeit gab es nur einen kleinen Hoffnungsschimmer: ein Gerücht, das nicht weniger als den Ausschluss des Unbesiegbaren von allen gewerteten Kämpfen versprach.
Der Ausschnitt aus der Sendung Sportsday, der danach millionenfach um die Welt ging, zeigte einen in Cambridge ausgebildeten Zoologen im Tweed-Jackett. Die BBC hatte ihn für ein Interview zugeschaltet. In schönstem Oxford-Englisch erklärte er anhand einer Grafik, der Boxer Sammy Foster sei in Wirklichkeit ein Rotes Riesenkänguru (Macropus rufus).
„Okay, Mann! Da könnte was dran sein. Ich fand ja schon immer verdächtig, dass der Typ hinten einen so langen Schwanz hat.“
„Als ich ihn geboxt habe, hat er gestunken wie ein wildes Tier.“
Diese und ähnliche Äußerungen zu lange gehegten Vermutungen machten in den Teams der führenden Schwergewichtsboxer die Runde. Auch alle Sportmagazine brachten Bilder von Sammy Foster in Großaufnahme und verglichen sie mit Aufnahmen von Kängurus in freier Wildbahn.
Die Manager des Australiers sahen sich schließlich gezwungen, eine Pressekonferenz im Melbourne Convention and Exhibition Centre zu geben. Hunderte Journalisten und Kamerateams flogen aus der ganzen Welt herbei, um die Verteidigungsrede aus dem futuristischen Kongresszentrum südlich des Yarra-River live zu übertragen.
„Ladies and Gentlemen“, sagte der führende Rechtsberater in Sammy Fosters Team. Er trat in das Licht der Scheinwerfer. Auch die Journalisten ganz hinten konnten ihn trotz der geschäftigen Geräuschkulisse gut hören.
„Wir können zu den erhobenen Beschuldigungen nur äußern, dass es im Boxsport nicht verboten ist, ein Rotes Riesenkänguru zu sein.“
Überraschtes Gemurmel in der Wand aus Kameras und Notizblöcken. Wer sich mit den Regelungen der führenden Boxverbände auskannte, dachte nach, ob das stimmen konnte. Hastige Anrufe bei führenden Juristen und fieberhaft in Notebooks getippte Suchanfragen suchten nach Antworten.
Es gab in den von spitzfindigen Juristen ausgedachten Regelwerken alle möglichen Vorschriften zur Lizenzierung und Registrierung, medizinischen Untersuchungen, Gewicht und Management. Alles hatten die Verbände berücksichtigt, aber es stand nirgends, dass der Sportler der menschlichen Spezies angehören musste.
Natürlich drängten die Teams aller Konkurrenten ihre Anwälte, das schnellstmöglich zu ändern. Letztlich war es aber Sammy Fosters Tatendrang, der die Entscheidung herbeiführte.
Da machte Sammy in seiner Begeisterung den Fehler, hochzuspringen und ihm mit beiden Hinterbeinen den Rest zu geben.
Ein Raunen ging durch das Publikum. Die ersten Zuschauer schrien empört: „Foul! Foul!“
Der Ringrichter brach den Kampf ab. Kurz danach entschied ein Komitee, Sammy Foster für ein ganzes Jahr von allen Profikämpfen auszuschließen.
Traurig murrte, klickte und klackerte er in die Mikrofone, die die Journalisten ihm nach dem Kampf vor die Schnauze hielten. „Er sagt, er ist sehr traurig, dass... wegen einem so kleinen Ausrutscher...“
Der Trainer konnte nicht weiterreden, weil er haltlos schluchzte. Tränen rannen seine bärtigen Wangen hinunter. Die Journalisten verzichteten auf weitere Fragen.
Sammy Foster kehrte dem Boxsport den Rücken. Er verbrachte den Rest seines Lebens als normales Känguru in den trockenen Ebenen von Barcoo im Bundesstaat Queensland.