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Der Gevatter
Der Gevatter
Die im Nebel gemächlich dahin ruckelnde Postkutsche hatte fast das nächste Königreich erreicht, als jäh die Gäule sich aufbäumten und die Kutsche in eine gefährliche Schräglage brachten. Ursache waren zwei schemenhaft auftauchende Gestalten. Sie trugen weit wehende schwarze Umhänge, die tänzerisch mit den Nebelschleiern verschmolzen. Nur im letzten Moment kam das aus massivem Eichenholz gebaute Gefährt lotrecht auf seinen vier Rädern zum Stillstand. Unbeeindruckt von dem Gewieher der Pferde schritten die geheimnisvollen Wanderer jedoch in ihren nach Landsknechtart hochgeschnittenen Stulpenstiefeln weiter. Auf ihren Köpfen wippten die Krempen breiter, tief ins Gesicht gezogener Schlapphüte. Aufgeschreckt durch das Hufegetrampel der Pferde war der Kutscher erwacht. Beinahe wäre er kopfüber vom Bock gestürzt. Während der Fahrt schlief er gewöhnlich, denn seine Pferde kannten nicht nur jeden Weg und Steg, sondern sie wichen behutsam auch jedem Schlagloch aus. Der völlig ahnungslose Passagier schob mit einer Hand sich die dicke Beule am Kopf haltend mit der anderen das Fenster herunter und schaute verstört zu dem Wagenlenker hinauf. Er sah den stocksteifen Kutscher kreidebleich auf seinem Leitstand sitzen. Nach geraumer Weile beugte sich der Peitschenknaller zitternd zu dem Fahrgast hinunter und flüsterte,
„die beiden dort dürfen wir nicht überholen“.
Er deutete dabei mit dem Peitschenstiel vorsichtig auf die verschwindenden Umrisse der sich entfernenden Gesellen. Dann machte er drei Kreuze und stammelte ein,
„Jesusmaria. Wären die beiden uns entgegengekommen, wir hätten nicht den Hahnenschrei des nächsten Tages gehört. Es sind der Gevatter und sein Patenkind“,
Der bläsierte Reisende verstand nur „Hahnenschrei…“. Sichtlich erleichtert fuhr der Postpferdezügelhalter fort,
„ Der eine wäre beinahe König dieses Reiches geworden. Der Pate ist der Gevatter Tod, der alle ob König oder Bettler gleich behandelt. Vor sehr langer Zeit hat das Patenkind den Gevatter schwer verärgert, und so muss er jetzt den Tod -?“
er kratzte sich mit dem Stiel am Kopf, beendet dann doch den Satz,
„- ja so ist’s, der erstere muss den zweiten begleiten“.
Der Reisende legte sich ein angefeuchtetes Taschentuch auf den Kopf und gab ihm zu verstehen,
„wenn schon nicht mit der Kutsche dann fahre eben mit der Geschichte fort“.
„Wie alle Welt weiß“,
hub der Erzähler alsdann an und überzeugte sich, ob die beiden unheimlichen Gestalten tatsächlich sich entfernt hatten,
„begab sich einmal ein armer Mann auf den Weg, um ein Gevatter für sein dreizehntes Kind zu suchen. Nachdem er zwei Anwärter, den lieben Gott und den Teufel, abgelehnt hatte, kam der dürrbeinige Tod auf ihn zugeritten und sprach: Nimm mich zum Gevatter. Ich bin der Tod, der alle gleichmacht. Da sprach der einfache aber kluge Mann, du bist der Rechte, du lässt nicht die Armen hungern, gibst nicht den Reichen im Übermaß und betrügst und verführst nicht den Menschen.
So wurde der Tod der Pate dieses Kindes und als Patengeschenk versprach der so Erwählte, später das Kind in der Heilkräuterkunde zu unterweisen. Gesagt, getan. Als das Kind erwachsen wurde, weihte der Gevatter ihn in die Heilkunde ein und das Patenkind ergriff den Beruf eines Doktors der Medizin für das gemeine Volk. Dieser Doktor wurde schon bald über alle Grenzen hinaus berühmt. Allerdings hatte der Gevatter eine Einschränkung ihm mit auf dem Weg gegeben,
„Steh' ich am Fußende des Kranken, so ist er mein, hüte Dich dann, dass du von meinen Heilkräutlein etwas verabreichst“.
So weit, so gut. Ausgerechnet da passierte es, daß der König schwer erkrankte. Seine honorig dreinschauenden Hofärzte probierten vergeblich alle Mittel. Als das Leiden immer schlimmer wurde, empfahl schließlich die alte Muhme der Königstochter, doch einmal nach besagtem Arzt des Gevatters zu schicken. Doch dieser ließ die Königstochter wissen, daß er viel zu wenig wisse, um sich am Hof zeigen zu können. Doch die Muhme ließ nicht locker und sagte, daß er wahrscheinlich nur etwas gegen die Reichen habe, da er aus sehr ärmlichen Verhältnissen komme. Am Abend zog sich die Königstocher kurz entschlossen eine Mönchskutte über und schlich sich zu dem Haus des sonderbaren Wunderheilers. Als sie nun die Kapuze zurückschlug, erblickte der Aufgesuchte eine weibliche Gestalt voller Anmut. Die bis zur Hüfte reichenden Locken und dazu der verführerisch unschuldige Augenaufschlag verwirrten ihm derart, daß ihm ganz warm ums Herz wurde.
Sie fragte mit leiser Stimme schon zum zweiten Mal,
„Hilfst Du auch dem Ärmsten in diser Welt?“
Damit meinte sie ihren Vater. Er nickte nur und ging mit ihr. Sie führte ihn durch viele Gassen und dann über einen geheimen Gang ins Schloss. Erstaunt war der bereitwillige Helfer jetzt, als er plötzlich im Schlafgemach des Königs stand. Zum Nachdenken blieb keine Zeit, denn er sah mit großem Entsetzen den Gevatter am Fußende des Königsbettes schon stehen.
Der Wunderdoktor schluckte verlegen, denn er fühlte sich einerseits an sein Versprechen gebunden und andererseits hatte er die Auflage seines Paten zu befolgen. Er verharrte deshalb unschlüssig am Bett des Königs. Die Königstocher missdeutete sein Verhalten als ob es vollkommen unmöglich sei, ihrem Vater zu helfen. Als der Wunderheiler sah, wie ihre Augen allmählich feucht wurden und langsam eine Träne nach der anderen die Wangen entlang glitten, konnte er die Situation nicht länger mehr aushalten. Er befahl dem Kammerdiener, das königliche Bett kurzerhand umzudrehen. Jetzt stand der Tod am Kopf- und nicht mehr am Fußende, schnell flößte er dem König das Extrakt vom Heilkraut ein. Bevor der Gevatter in seiner Starre mitbekam, was um ihn geschah, schwang sich der König bereits vom Bett auf und suchte seine Krone und sein Zepter. Der König wollte unverzüglich gleich weiter regieren. Allmählich begriff der Gevatter, dass ihn sein Patenkind hintergangen hatte“.
Der Postkutscher verschnaufte, und ob wahr oder gesponnen, deutete er mit seinen Armen auf die Lichtung weisend an, just an dieser Stelle, soll der Gevatter mit fuchtelnden Armen dem Patenkind entgegengekommen sein und gezetert haben,
„Du hast mich hinter das Licht geführt, diesmal will ich dir's nachsehen, weil Du mein Patenkind bist, aber wagst du das noch einmal, so geht dir's an den Kragen, und ich nehme dich selbst mit fort“.
Der Kutscher legte seinen hohen Hut neben sich auf den Bock und sprach mit etwas lauterer Stimme nun weiter,
„Der mir bekannte Uhu, der hier im Geäst der alten Eiche wohnt, hatte alles mit angehört und es mir später erzählt. Doch die Geschichte war noch nicht zu Ende, bald darauf erkrankte die Königstochter und wieder schickte der Hof nach dem Arzt. Er ahnte im Voraus, was ihn da erwarten würde. Sicherlich wollte der Gevatter erneut seine Gehorsamkeit auf die Probe stellen. Er sagte deshalb zu der die Botschaft überbringenden Magd, sie sollte im Schloss dafür sorgen, dass bevor er den Raum betrete, die Königstochter aus dem Bett heben zu lassen.
Gesagt, getan - da der Gevatter bei Eintritt des Arztes jetzt am Fußende eines leeren Bettes stand, konnte der Arzt das Allheilkraut geben und die Wangen der Königstochter fingen sofort an, jene liebliche Röte anzunehmen, die das sprühende Leben mitsichbringt. Der Gevatter schüttelte drohend wieder seine Faust.
Während die Königstocher noch ihrer Genesung entgegenschlummerte und der König sich überlegte, ihm die Hand seiner Tochter zu geben, denn er fand es ungemein praktisch, einen Wunderheiler gleich im Haus zu haben, ergriff der Tod die Hand seines Patenkindes und zerrte ihn in eine Gebirgshöhle mit vielen Kerzen. Es gab lange und kurze Kerzen und solche mit ruhiger Flamme und andere die flackerten und drohten bald auszugehen.
Weißt du wo wir sind, herrschte der Gevatter ihn an, und ohne eine Antwort abzuwarten setzte er hinzu, das sind alle Lebenslichter der Menschen und möchtest du das deine sehen? –
Oh ja, sagte der Pate kleinlaut.
Es war noch eine lange Kerze mit kräftiger Flamme und nicht wie die Geschichtsschreibung aussagt, nur eine kleine Kerze mit flackerndem Licht.
Als bei Anblick der Kerze der Pate aufatmete und das nervenaufreibende Geschäft eines Wunderdoktors an den Nagel hängen und lieber König werden wollte, drückte eiskalt der Gevatter mit seiner Knochenhand die Flamme aus, so daß sein Pate jetzt am Bett der Königstochter tot zu Boden sank“.
Der Fahrgast stieg jetzt aus und bedeutete dem Postkutscher, dass er nun nicht mehr in die Richtung der beiden weiterzufahren gedenke. Der Postlinienführer stammelte etwas von Fahrplan einhalten, begab sich in die Fahrgastzelle, ließ seine Beine aus dem Fenster baumeln und den Passagier mit kalten Füßen zurück. Irgendwie hatte der Reisende das Gefühl, dem sind nicht seine Pferde wohl aber sein Verstand durchgegangen. Noch aus dem Fenster echote es heraus,
„seitdem sagen bei einem Hausbesuch eines Arztes die Leute, hoffentlich hat er nicht seinen Gevatter mitgebracht.“
Dann verschwand die stark hin und her schwankende Kutsche in Richtung der beiden Gestalten. Diese Postkutsche blieb bis heute unauffindbar. Wie dem auch sei, der Reisende stand mutterseelenallein an einer nicht offiziell genehmigten Haltestelle im Wald herum. Einer Haltestelle also, von denen es heißt,
„und wenn der Wartende nicht gestorben ist, so steht er noch heute da“.
(satirische Nacherzählung des Grimmschen Märchens Der Gevatter)