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- 07.06.2004
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Der Todesritter
Bei einem normalen Bogen wäre die Sehne bei der Spannung, die auf ihr lag, schon längst gerissen - und um so mehr schätzte er die meisterlichen Künste seines Freundes im Herstellen von Bögen. Dann ließ er los und in einem Bruchteil eines Augenzwinkerns hatte der schwarze Pfeil sein Ziel, den Kopf einer Strohpuppe, bravourös verfehlt und bohrte sich 15 Ellen dahinter in die hölzerne Wand. Nicht nur die Spannung der Bogensehne war gelöst sondern auch die innerliche Anspannung von Vendark: sie war in herbe Enttäuschung übergegangen, auch wenn er das Ergebnis schon vorhergesehen hatte.
"Wahrlich elegant vorbeigeschossen, oder nicht?" meinte Vendark Thokatis mit einem zynischen Lächeln auf den Lippen, doch Dur'sha Tal ließ sich durch die sarkastische Bemerkung nicht beirren, ihm weiterhin die gutgemeinten Ratschläge zu geben - wenn er auch schon etwas ungeduldig war. Als Vendark erneut einen Pfeil anlegen wollte, tauchte plötzlich eine Erinnerung in ihm auf, die Bilder waren verschwommen, aber doch deutlich wahrnehmbar: Er stand vor einer Felsenschlucht, die so tief war, dass man den Boden nicht mehr erkennen konnte. Den Übergang bildete eine Hängebrücke aus etwas morschen, hölzernen Planken. Direkt dahinter begann eine düstere Höhle. Er setzte - ohne zu wissen, warum - den linken Fuß auf die erste Planke: sie schien stabil zu sein, jedenfalls stabil genug. Das Risiko konnte er eingehen, denn er wusste, dass er hinüber musste, aus irgendeinem Grund, der sich in seine Seele gebrannt hatte. Bald hatte er die gesamte Brücke überwunden und trat festen Schrittes in die Höhle ein, ohne zu wissen was ihn erwartete.
Die Höhle war dunkel. Er nahm eine Fackel aus dem Rucksack und entzündete sie mit einem Stück Feuerstein. Bald hatte das Licht den ganzen Raum erfasst: Die Höhle schien sich kontinuierlich zu verengen, bis sie schließlich in einen gut bearbeiteten Gang führte, der mit Fließen ausgestattet war. Auf der linken und der rechten Seite des Ganges standen zwei Figuren regungslos: Vendark hielt sie für Statuen, aber um sie genauer inspizieren zu können müsste er den fein gearbeiteten Gang betreten, den er aber noch auf Fallen untersuchen wollte.
Er nahm einen Dolch heraus und warf ihn auf die Fließen: Das Klirren war deutlich zu hören. Der Dolch kam zum Stillstand und nichts war passiert. Er warf noch einmal einen flüchtigen Blick zurück und betrat dann den Gang. Zumindest wollte er das, doch dann bemerkte er aus den Augenwinkeln ein flüchtiges, silbernes Glitzern: Ein Glitzern wie das von schärfstem Stahl. Noch bevor er Zeit hatte, den Mund und Augen vor Schreck aufzureißen, durchfuhr ihn ein grauenvoller Schmerz, wie tausend Nadeln, die seinen Hals durchbohrten und Vendark trennte sich von dem Körper, den er begleitet hatte und betrachtete das Geschehene aus einem gefühlslosen, körperlosen Zustand. Und er sah den abgetrennten, blutigen Kopf am steinernen Untergrund liegen: "Tyrian!" brannte sich die innere Stimme in sein Herz. Ein Schauder überkam ihn: es war das Antlitz von Tyrian Thokatis, seinem Bruder, der seit mehreren Jahren verschollen war. Und nun lag er zerstückelt hier, getötet von... von was? Völlig regungslos stand darneben ein den Umrissen nach zu urteilen humanoides Wesen, doch mehr konnte er nicht erkennen, als einen Schatten, der von tiefstem Schwarz erfüllt war. Dann vernahm er eine leise Stimme, und er erkannte dass es die seines verstorbenen Bruders war.
Er hörte die Worte, die abwechselnd leiser und wieder lauter wurden, als würden sie dabei gehindert, zu ihm durchzudringen. Dennoch konnte er sie verstehen, doch jedes Mal, als er einen Sinn darin erkennen konnte, wurden die Gedanken wie auf magische Weise wieder aus seinem Gedächtnis gelöscht, obwohl er noch genau wusste, dass sie von höchster Dringlichkeit waren.
Plötzlich dröhnte eine klare Stimme in seinen Ohren, die Vision verblasste und er sah Dur'sha Tal vor sich stehen, der ihn etwas genervt anblickte: "Welche Lady betört dich denn diesmal so sehr, dass du deine Gedanken gar nicht mehr von ihr reißen kannst?" Noch geistig abwesend antwortete Vendark mit intentionsloser Stimme: "Es geht um etwas Wichtiges, Dur'sha, ich muss los". "Ist das deine Art, dich von meinem Unterricht loszusagen?" rief er Vendark nach, der sich schon auf sein Pferd geschwungen hatte und in höllischem Tempo davon stürmte. "Zumindest hat er den Bogen hier gelassen" murmelte Dur'sha zu sich selbst und legte sich das Meisterwerk über den Rücken.
Gerade als er losmarschieren wollte, nahm er den Bogen noch einmal in die Hand, spannte einen Pfeil, kniff die Augen zusammen und traf die Strohpuppe direkt zwischen die zwei Knöpfe, die eigentlich Augen darstellen sollten.
Der Wind heulte so unvergleichlich laut, dass er das Stöhnen seiner Kameraden schon nicht mehr wahrnehmen konnte. Eine nach der anderen erloschen die Fackeln, teils durch den heftigen Sturm, teils durch den Regenschauer, der plötzlich losgebrochen war. Am meisten Licht spendeten Blitze, die hie und da wieder einschlugen.
Zuvor hatten sie sich über die stickige Luft in dem düsteren Höhlendurchgang beschwert, doch all das war noch herrlich im Vergleich zu dem hier gewesen. Wortlos blickte er zu seinem Magierfreund, der ihn triumphierend angrinste, unter seiner magischen Schutzhülle vor Regen und Wind geschützt, die allerdings nur für Einen genügend Platz zu bieten schien. Aber die Tatsache, dass Feriell Lavìs so bis zum Schluss durchhalten würde, gab ihm ein wenig Mut. Sie würden ihn im Kampf gegen dieses Ungeheuer bestimmt nur allzu nötig haben.
Wie so oft fragte er sich, warum er sich überhaupt dieses wahnwitzige Ziel gesetzt hatte und wie er es so leicht fertiggebracht hatte, ein Dutzend Leute davon zu überzeugen, eine der schwierigsten Touren, die es gab auf dieser Insel, gemeinsam mit ihm anzutreten, wo doch nicht einmal eine Belohnung auf sie wartete, außer vielleicht die Erlösung von den Qualen durch die scharfe Klinge des 'Todesritters', wie seine Kameraden ihn den Erzählungen Vendark's nach zu nennen pflegten. Doch dann ertönte wieder die verschwommene Stimme seines Bruders, dessen Worte keinen Sinn ergaben, ihn aber davon überzeugten, dass er auf dem richtigen Weg war, und dass es seine Bestimmung war. Alle rationalen Überlegungen verblassten gegenüber der Macht der unscheinbaren Stimme.
Er wurde aus den Gedanken gerissen, als er allgemeinen Aufruhr um sich herum bemerkte. "Vendark, sieh! dort oben!" schrie Dur'sha Tal die durch den tosenden Wind kaum verstehbaren Worte und deutete gen Himmel. Ein greller Blitz erleuchtete den Himmel und ein riesiges Wesen mit gewaltigen Schwingen war deutlich zu erkennen: Es war eines der furchterregendsten Kreaturen, die in diesem Land ihr Unwesen trieben: ein Wyrm, ein drachenartiges Wesen mit eisernem Schuppenpanzer und einem Gebiss durchsäht mit gewaltigen, messerscharfen Zähnen. Mit rasender Geschwindigkeit stürzte er auf sie hinab. Rondrija holte weit aus und schleuderte dem Monster den Speer entgegen, von Dur'sha's Sehne zischte bereits der zweite Pfeil hinweg. Ein Geschoss, das einer Wurfaxt ähnelte, durchschnitt die Luft und einige Dolche zuckten aus der Hand des flinken Entrusio. In der Dunkelheit konnte niemand erkennen, ob die Waffen ihr Ziel erreichten, doch dann erhellte ein Bündel von bläulichen Energiestrahlen, deren Ursprungsort die knorrigen Hände Feriell's darstellten: der Drache schien unter der hochenergetischen Welle zusammenzuzucken, was dem Magier ein leicht triumphierendes Lächeln ins Gesicht zauberte. Die meisten Wurfgeschosse allerdings hatten ihr Ziel zwar getroffen, doch prallten nur harmlos von den harten Schuppen des Monsters ab. Die Axt jedoch, deren Wucht jedes andere Tier zu Boden geschmettert hätte, hatte sich Tief in die Stirn des Drachen eingebohrt und das gröhlende Siegesgebrüll des Zwerges übertönte sogar den Donner, der den vielen Blitzen nachfolgte. Trotz allem stürzte der Drache noch zielstrebig auf die Bande herab und ein Moment des Schreckens breitete sich unter den Kriegern aus, als der Drache den Rachen aufriss und erste Flammen aus seinem Maul loderten. Schutzsuchend rannten die Krieger umher, indes Feriell, der Magier, still dastand und vollkommen konzentriert, von der Außenwelt scheinbar abgeschieden, die Worte der Macht murmelte und bizarre Gesten ausführte.
Er wusste, was zu tun war. Er musste die drängenden Schreie nach seinem Namen ignorieren, denn wenn dieser Zauber misslingt, dann wäre es das letzte mal gewesen, dass er sich mit der Elementarebene in Verbindung setzen konnte: "Scian Huax Errata!" Schrie er, immer noch konzentriert, die entscheidenden Worte und seine innerliche Anspannung wich, als er den blauen Schimmer endlich auftauchen sah, der die Gruppe in Form einer Kugel umgab. Nun würde seine Macht auf die Probe gestellt werden. Nun spie der Drache seine gewaltige Feuersbrunst heraus, die er in seinem Schlund angesammelt hatte. Eine Flamme schien der nächsten vorauszueilen. Der heftige Regen verdampfte beim Versuch, den Feuerstrahl zu durchbrechen, und die Flamme breitete sich ungehindert aus, bis sie das blaue Schutzschild erreichte, welches der Magier geschaffen hatte. Vor allem jetzt war seine Konzentration erforderlich. 'Feriell' hörte er eine innere Stimme: 'du darfst nicht an dir zweifeln, denn das wäre dein Tod, mein Freund. Zweifelst du etwa an dir selbst, du, der mächtige Feriell?' Und ein höhnisches Lachen drang von allen Seiten auf ihn ein und schien ihn zu verschlingen. 'Wer bist du', wollte er fragen, doch die Frage schien von solcher Überflüssigkeit, als er erkannte, was für einen großen Fehler er begangen hatte, er war abgelenkt worden, er durfte nicht abgelenkt werden, welchen Ursprungs auch immer die Einbildung war! Aber vielleicht war es noch nicht zu spät! Plötzlich wurde ihm jedoch bewusst, wer die innere Stimme war, die ihn auf spottende Weise seiner Unfähigkeit erinnerte und sein Selbstvertrauen vernichtet hatte: Der Drache selbst war in seine Gedanken eingedrungen, um seine Konzentration zu stören. Und es war ihm gelungen. Ein Teil des Feuerstrahls war bereits zur Seite abgelenkt worden, doch nun schien das bläuliche Schimmern zu verblassen und verschwand ruckartig komplett: Und völlig hilflos sah Feriell die tödlichen Flammen auf ihn zukommen. Nicht lange dauerte es, bis der brennende Schmerz verblasste und ihm völlig schwarz vor Augen wurde, er hörte nur mehr die verzweifelten Schreie seiner Kameraden, bevor er in völlige Bewusstlosigkeit verfiel.
Seine Kameraden wussten, dass diese Bewusstlosigkeit für immer anhalten würde: Er war von oben bis unten völlig verkohlt, nicht der mächtigste Priester würde ihn wieder zum Leben erwecken können. Und voller Zorn und Rachsucht stürzten sich die Krieger auf den 50 Ellen langen Riesenvogel, der über den Boden hinwegfegte und mit seinen Fängen nach den Kämpfern schnappte. Mit seinem üblichen Kampfschrei stürzte Vendark aus einem Felsvorsprung hervor, sein Palladiumschwert im Kreis schwingend und schnitt die Klinge mit dem letzten Schwung tief in den Flügel des schwarzen Drachen, während Vaska Torgrimm, der Zwerg, seine Kriegsaxt in die bekrallten Zehen des Drachen hackte. Ein schwarzer Pfeil durchbohrte den linken Flügel und sprengte eine Bauchschuppe heraus: Das war Dur'sha Adlerauge's Schuss.
Luthander, der Krieger, ließ seine Mythrilklinge auf den Hals des Drachen herabsausen, die sich zwar tief in den Nacken einschnitt aber durch die Wucht des Aufpralls aus seinen Händen glitt. Das glühend heiße Drachenblut quoll aus tausenden Schnitten in dem Leib des gepeinigten Drachens hervor, doch immer noch hielt das Monster sich über Boden. Plötzlich sprang die schöne Kriegerin Rondrija aus dem Schatten hervor, ihren Speer in beiden Händen haltend und durchstach den Kopf des Untieres von unten bis nach oben. Doch zäh waren Drachen, und dieser hier schien beinahe unsterblich: Er packte Rondrija mit seinen Krallen und erhob sich wieder in die Lüfte.
Verzweifelt schrie diese, als sie von ihm emporgehoben wurde und rüttelte an dem Speer um in der tiefen Wunde, die sie ihm zugefügt hatte, nachzubohren. Vor Schmerzen gelähmt, stürzte der Drache einige Meter in die Tiefe, bis er sich wieder fing, doch dabei konnte Rondrija seinem Griff entweichen. Das Monster verschwand im Dunkeln der Nacht, doch alle Blicke waren auf die hinabfallende Rondrija gerichtet: Sie konnten sehen, dass der Drache ihr seine Krallen tief ins Fleisch gebohrt hatte, bevor er sie in den Freien Fall schickte. Vendark rannte zu ihr und konnte sie gerade noch auffangen, obwohl seine harte Plattenrüstung einen nicht gerade angenehmeren Aufprallslort darstellte, als der steinerne Boden.
Entsetzt sah Vendark die schweren Wunden, die das Monster ihr beigefügt hatte. Er legte sie sachte mit zitternden Händen auf den Boden und deutete Levyrr, dem Druiden, dass er doch etwas tun sollte: Etwas verzweifelt, aber eilig legte er der Verwundeten mit Heilsalben getränkte Bandagen. "Wenn du jetzt stirbst, rede ich nie wieder mit dir, Rondrija", murmelte Vendark durch zitternde Lippen und rüttelte sie, in dem hoffnungslosen Versuch sie aufzuwecken. Erleichterung breitete sich in der allgemein verstummten Runde aus, die Regen und Donner schon nicht mehr zu bemerken schienen, als die Junge Kriegerin ein Hüsteln von sich gab und Blut spuckte, welches an ihrer Wange herunterrann. Vor Freude weinend nahm Vendark Rondrija in den Arm und küsste sie leicht auf die Wange, doch plötzlich verschwamm das Geschehen und eine Innere Stimme erklang wieder, die er nicht verstehen konnte, aber die ihm das Gefühl gab, dass es von höchster Dringlichkeit wäre, und dann sah er wieder diese furchterregende steife Gestalt vor sich: In totenschwarzer Rüstung vermummt, unter dem Helm zwei rot glühende Augen mit festem Blick auf den Boden starrend. Er schien beinahe regungslos, nur sein Schwert wippte gemächlich, seine Kampfstellung war perfekt ausgewogen und Vendark zweifelte nicht, dass er innerhalb von einem Bruchteil einer Sekunde seinem Gegenüber einen tödlichen Schlag versetzen konnte, bevor dieser überhaupt merkte wie ihm geschah. So war es auch Tyrian, seinen lange vergessenen Bruder ergangen. Doch er musste den Todesritter vernichten: der Schrecken musste ein Ende haben, wenn es auch sein Eigenes wäre. Ein unglaublich starkes Gefühl der törichten Unbeirrbarkeit, Sicherheit und Entschlossenheit, dass sein Vorhaben notwendig war, breitete sich in ihm aus: "Wir müssen weiter", sprach er barsch, und ließ Rondrija, die er eben noch liebevoll in den Armen gehalten hatte herb auf den Boden fallen. Alle blickten ihn entsetzt und zugleich verwirrt an - Sprachlosigkeit.
Ohne ein Zeichen einer Emotion schritt er geradewegs durch die Felsige Einöde in die Dunkelheit der Nacht. "Bleib hier, Vendark, du bist doch von Sinnen", keuchte Rondrija, von Schmerzen geplagt. Die Krieger sahen sich kurz ratlos an, fassten dann eine Entscheidung: Levyrr würde sich weiter Rondrija's Wunden annehmen und Luthander bliebe zusammen mit dem Zwerg als Begleitschutz zurück. Die übrigen, Dur'sha Tal, Entrusio, zwei Söldner und Aildrin, der Waldläufer beeilten sich um Vendark in seinem Vorhaben zu unterstützen, wenn er offensichtlich schon nicht davon abzubringen war und mieden es, die verkohlte Leiche von Feriell anzublicken.
Weit in der Ferne sahen sie einen Schatten, der im Dunkeln einer Höhle verschwand. "Da ist er!" rief jemand. Als sie die Höhle, die in einer hohen Felswand eingebaut war, erreichten, hörten sie Schritte aus dem Inneren. Sie waren sich sicher gewesen, dass der Ritter, der die Höhle betrat Vendark gewesen war, aber ob die Schritte von Vendark waren, das war eine andere Frage. Sie standen allesamt etwas ratlos am Höhleneingang, einige hatten ihre Waffen gezogen. "Na kommt schon!" erklang schließlich eine vertraute Stimme.
Durch die Höhle floss das Wasser beinahe wie in einem schmalen Bach, so stark war der Regenstrom in der Felsigen Einöde außerhalb der Höhle. Doch die Entschlossenheit Vendark's, die sich mittlerweile in freudigen Enthusiasmus gewandelt hatte, entfachte Mut in den Reihen der Krieger.
Sie befanden sich in einem weiträumigen Saal, dessen Boden aus Marmorplatten und dessen Wände aus weißen Ziegeln erbaut waren. Der Raum stach damit deutlich heraus aus der übrigen Umgebung. Eben noch waren sie in einem unpräparierten, staubigen derben Höhlengang gewesen. Dass der Raum hier nicht verstaubt war, war auffallend, doch Vendark's Blick war auf die tiefe Schlucht fixiert, aus der der Wind hinausheulte, die Schlucht und die schwingende, morsche, hölzerne Brücke, die den einzigen Übergang zur anderen Seite bildete. Er wusste, dass hier die Stelle war, die ihm vor einem Monat in einer Vision erschienen war. Plötzlich wurde ihm klar, dass er nicht denselben Weg wie sein Bruder einst, denselben Weg zum Tod, gegangen war, sondern den entgegengesetzten. Sie waren jetzt in dem Raum, in dem der 'Todesritter' seinem Bruder das Leben genommen hatte!
Und ein eiskalte Schauder überkam ihn, als er spürte, dass dieses Wesen von unaufhaltsamer Grausamkeit, das Wesen, das er in vielen Visionen gesehen hatte, wie es Hunderten von Leuten das Leben ausgesaugt hatte, jetzt endlich konnte er sich erinnern - die Blockade war verschwunden - dass es nahe war, viel zu nahe! Und ehe er den Gedanken vollendet hatte, ertönte ein durchdringender Schrei, der in einem erbärmlichen Gurgeln endete. Alle wirbelten herum und wendeten den Blick von der schauerlichen Schlucht ab und sahen ihren Gefährten Aildrin mit aufgeschlitzter Kehle, aus der das Blut herausspritzte, wie aus einem Springbrunnen, die Hände an die tödliche Wunde haltend und wie er ihnen wegstarb. Darneben die schreckliche Gestalt ihres ursprünglichen Zieles in voller Größe: Die Rüstung mit Zacken übersäht, aus dem schwarzen Helm zwei Hörner hervorstehend, das furchterregende messerscharfe Schwert, das Eisen zu zertrennen fähig schien, doch am schlimmsten waren die penetrierenden, rot glühenden Augen der Kreatur des Abyss. Jetzt erst, und sie wussten, dass es nun zu spät war, bemerkten sie, wie töricht es war, hierher zukommen.
So entsetzt und so verzweifelt sie waren, sie wussten auch, dass sie handeln mussten. Die beiden Söldner, darauf trainiert, Ziele zu finden und zu vernichten, stürzten sich beide mit einer genialen Schwertkombination auf den Todesritter. Bis zum letzten Moment verharrte dieser still und riss dann die Klinge blitzschnell nach oben, wobei er die Angriffstaktik der beiden zerstörte, indem er deren Schwerter mit gewaltiger Wucht für einen Aufschwung zur Seite ablenkte. Dem ersteren wäre das Schwert beinahe aus der Hand gefallen, doch als er es wieder im Griff hatte spürte er einen Schmerz, wie tausend Nadeln die auf ihn einstachen, in seinem linken Fuß und wie ein Zuschauer bei einem Gladiatorenkampf sah er wie sein Bein von der Klinge des Todesritters abgetrennt wurde. Schreiend stürzte er zu Boden und der grausame Anblick irritierte die anderen Krieger, nicht jedoch den emotionslosen Todesritter: Das gab ihm Zeit zu handeln.
Er wirbelte in blitzschnellen Bewegungen herum, die kein menschliches Auge mehr verfolgen konnte, Vendark hieb nur mehr auf einen herumtänzelnden Schatten ziellos ein, spürte immer wieder wie seine Klinge zur Seite geschlagen wurde, wie sein Schild, von einem wuchtigen Schlag getroffen, ihm beinahe die Schulter ausrenkte.
Dann zuckte der erste Pfeil von Dur'sha Tal's Sehne durch die Luft und schien gegen etwas festes zu stoßen, tatsächlich hatte er den Todesritter getroffen, doch der Pfeil schien nicht einmal annähernd durch die feste Rüstung durchdringen zu können. Aber Vendark und der Söldner wussten, dass sie die Situation nützen mussten und schlugen mit gezielten Hieben auf den Todesritter ein. Und jedes Mal wenn sie spürten, wie ihre Klinge gegen den Panzer des Ritters klirrte, überkam sie zugleich ein Gefühl der Hoffnung, als auch der Verzweiflung, als sie die Wirkungslosigkeit ihrer erbärmlichen Versuche bemerkten.
Doch nun mischte sich auch Entrusio und ein Dolchhagel brach auf den aus dem Gleichgewicht gebrachten Todesritter ein. Aber dann innerhalb einer Sekunde war alle Hoffnung verflogen: Der blutige Kopf des zweiten Söldners flog im hohen Boden durch die Höhle und ehe er aufgeprallt war, hatte der Todesritter den hilflosen Entrusio erreicht: Dem ersten Schlag konnte der flinke Dieb ausweichen, doch der zweite durchdrang seinen Bauch. Erbarmungslos stieß er ihn mit dem Fuß von der Klinge und heftete seinen rotglühenden, mörderischen Blick auf Dur'sha Tal, der langsam zurückweichend Pfeile abfeuerte.
Der Ritter streckte die Hand aus und verzweifelt hörte Vendark, wie er die magische Formel murmelte: Von einem gewaltigen Energieblitz durchbohrt fiel Dur'sha Tal ächzend zu Boden. Vendark starrte den Todesritter nun nicht mehr voller Entsetzen, sondern nur mehr voller Hass an: Er hörte in sich eine Stimme und er wusste, dass es die des Todesritters war. Schallendes Gelächter von allen Seiten brach auf ihn ein, er hörte die Stimmen seiner verstorbenen Freunde, wie sie ihn auslachten, wie sie ihn scholten, wie sie ihn verurteilten. Doch die Stimme des Todesritters war penetrant und ließ die anderen verstummen:
"Nun sind nur noch wir beide übrig. Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet, mein Bruder!"
Vendark riss die Augen auf: Sein Bruder? "Du bist nicht mein Bruder", murmelte er durch zusammengebissene Zähne: "Du hast meinen Bruder getötet und dafür sollst du nun sterben! Er wollte zu einem Schlag ausholen, doch Gelächter und die mahnende Stimme des Todesritters - seines Bruders? - hielt ihn zurück. "Erinnerst du dich nicht? Du und dein ach so guter Vater, ihr habt mich in diese Gestalt verbannt. Und das wirst du als erster bereuen! Du wirst es für immer bereuen, in dem Abyss. Und ich werde jetzt die Genugtuung haben, dich dort hinzuschicken!"
Das Gelächter war immer noch hier, er vermochte kaum seine Kampfstellung zu halten unter dem Einfluss dieser ständigen Störung. Dann ertönte das Klirren von sich treffenden Klingen, immer wieder parierte Vendark einen Schlag, doch immer wieder wurde er weiter zur Schlucht zurück gedrängt. Seine Schwertstreiche wurden harmlos zur Seite geschoben: Der Todesritter war vollends auf ihn konzentriert und nur ihn. Er würde keine Chance haben, soviel wusste er. Er überlegte, ob er sich nicht in den Abgrund stürzen sollte, um seinem Feind nicht die Freude zu gönnen, ihn zu erstechen.
Doch dann bemerkte er aus den Augenwinkeln eine Bewegung: Der Söldner, der sein Bein verloren hatte, richtete sich plötzlich hinter dem Todesritter auf: Ein Hoffnungsschimmer flackte in Vendark's Gedanken auf. Aber er war abgelenkt worden: verzweifelt, den Schmerzensschrei unterdrückend nahm er wahr, wie ihm das Schwert aus der Hand gestoßen wurde und die teuflische Klinge seinen Schildarm durchtrennte, er fiel zurück und erblickte schaudernd die unendlich tiefe Schlucht, in die sein linker Arm, noch an dem Schild hängend in das Ethernische stürzte.
Dann blickte er auf und sah den Todesritter, wie er nach all den Schlägen immer noch unbeeinträchtigt vor ihm stand, ihn mit kalten, aber rotglühenden, wutentbrannten Augen anstarrte, die zeigten, dass der letzte Sinn in seinem grausamen Leben noch war, seinen Bruder Vendark zu töten. Und dahinter sah er den einbeinigen Söldner, der zu einem Sprung auf den Todesritter ansetzte und zu einem Sprung in den Tod: Blitzschnell wirbelte der schwarze Ritter herum und bohrte seine Klinge, die schon so viele Menschenleben auf sich geladen hatte, in die Brust der 'letzten Hoffnung'. Der Griff um das Schwert des Söldners lockerte sich und es flog direkt auf Vendark zu: Dieser sah seine letzte Chance, sprang auf in Richtung seines größten Feindes, fing die Klinge auf und während er spürte, und das hatte er erwartet, wie sich das Todesschwert in sein Herz drang und es innerlich zerfetzte, stieß er mit letzter kraft die Klinge durch die Kehle seines Gegenübers: Da standen sie, kaum noch fähig zu stehen, jeder die Klinge in dem Körper seines eigenen Bruders. Tyrian, der Todesritter, schrie wutentbrannt auf und sah seine letzte Möglichkeit: Vendark merkte, wie aus dem Todesritter Energie zu entweichen schien, ein grüner Nebel drang aus dem Inneren seines Körpers, Blitze zuckten zwischen den Brüdern hin und her und Vendark stellte entsetzt fest, was sein wahnsinniger Bruder vorhatte: Er wollte in seinen eigenen Körper eindringen, da in ihm noch mehr Lebensenergie steckte.
Und er sah, wie sein Arm sich plötzlich regenerierte, wie der Nebel in seinen eigenen Körper eindrang. Er spürte eine fremde Stimme und wie er seine Gliedmaßen nicht mehr selbst unter Kontrolle hatte: Seine Haut wurde steif und knöchern und ein kaltes, magisches Schild baute sich um ihn auf. Und dann spürte er, wie sich seine Sicht veränderte. Aber Eines trat nicht ein: Er hätte erwartet, dass die Seele seines Bruders versuchen würde, die Seine zu verdrängen, doch statt dessen hielt sie sich im Hintergrund: Vielmehr versuchte sie, sich von dem Körper wieder loszureißen und es gelang ihr auch: Dann hörte er wieder schallendes Gelächter von all Denen, die er in den Tod gestürzt hatte und die Stimme seines Bruders Tyrian klar und deutlich heraus: "Du bist mir wieder in die Falle gelaufen, mein hoffnungsloser Bruder. Nun bist du dazu verdammt, in dieser verfluchten, leblosen Hülle dein sinnloses Dasein zu fristen! Ich bin nun frei! FREI!" Und die grausamen Worte seines Bruders verblassten...
Es herrschte regungslose Stille. Emotionslos beobachtete Vendark, wie die Leiche seines Bruders in den Abgrund hinabstürzte. Dann blickte er auf das Leichenfeld, das der Todesritter, nein, er selbst! hinterlassen hatte.
Dur'Sha Tal öffnete ein Auge, erblickte den Todesritter und machte sich eiligst davon. Vendark blickte ihm nicht nach. Er schaute an seinem neuen Körper hinab. Tyrian's Bezeichnung war zutreffend gewesen: 'Eine leblose Hülle', mehr nicht... Dann stürzte Vendark auf die Knie und er hätte laut geschrieen, wenn er könnte, doch es drang nur ein hohler Klang der Verzweiflung aus seinem Wesen hervor. Er hätte am liebsten die Augen geschlossen und wäre in das Reich der Toten entwichen, wie sein glücksseliger Bruder, doch er konnte weder das eine, noch das andere.
Er war Vendark Thokatis, der Todesritter, er war zu dem geworden, auf den sein ganzer Hass gerichtet war, dessen abscheuliches Dasein zu Teilen er in seinen schlimmsten Träumen sich nicht erdenken hätte können. Doch der Mut des Vendark Thokatis, der er einst gewesen war, war noch nicht ganz zerronnen: Er würde aus diesem leblosen Körper entrinnen, koste es was es wolle. Mit diesem Gedanken schritt er über die Leichen seiner einstigen Freunde hinweg - emotionslos.