- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 19
Die Freundin
Dunkelheit umfing ihn.
Eine unheimliche Stille erfüllte den Raum. Einzig und allein durchbrochen von seinen und ihren Atemzügen. Seine Augen waren halb geschlossen.
Das Licht war gerade stark genug, um ihre Konturen erkennen zu lassen.
Eng an ihn geschmiegt schlief sie tief und fest. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter und bei jedem Atemzug den sie machte, blies sie ihm sanft ins Ohr. Dennoch rührte er sich nicht. Er wollte sie auf keinen Fall wecken. Zudem konnte er ohnehin nicht schlafen. Er mußte nachdenken.
Nachdenken. Worüber denke ich eigentlich nach?
Über sie, über unsere Beziehung?
Sie bewegte sich leicht. Ihr Arm legte sich um seinen Körper. Er schloß die Augen. Er spürte ihre weiche Haut auf der seinen, den Geruch ihres Körpers, ihres Haares. Leicht drehte er den Kopf und blickte sie an.
Wie lieblich sie doch aussah, wenn sie schlief. Eine Haarsträhne hing ihr ins Gesicht. Mit der rechten Hand strich er sie ihr zurück. Sie bewegte sich leicht. Sekundenlang hielt er in der Bewegung inne, bis er sicher war, daß sie auch sicherlich nicht mehr aufwachen würde. Erst dann ließ er den Arm wieder sinken, faßte ihre Hand und drückte sie leicht.
Wenn jetzt meine Eltern kommen würden, ich glaube, ich könnte ihnen die Situation nicht erklären. Sie würden mir nie glauben, daß ich es nicht mit ihr getan habe. Ich glaube, ich würde es selbst nicht glauben. Die Situation ist eindeutig.
Er reckte sich leicht und versuchte seine Position etwas zu verändern ohne sie zu wecken. Dennoch konnte er nicht verhindern, daß sie kurz aufwachte und schlaftrunken die Augen hob. Eine schier endlose Zeit blickte sie ihn aus ihren großen grauen Augen an, senkte dann ihre Lieder und war schon wieder eingeschlafen. Während dieser Zeit, es dauerte sicherlich nicht mehr als eine halbe Sekunde, hielt er angespannt die Luft an.
Ihre Atemzüge gingen wieder gleichmäßig. Er atmete die aufgestaute Luft leise aus.
Wieso haben wir es eigentlich nicht gemacht? Wollte sie nicht? Wollte ich nicht? Ich könnte es nicht sagen. Aber es war schön. Es ist noch immer schön. Einfach in ihrer Nähe zu sein, ihren Körper zu fühlen, zu riechen. Kann es noch etwas schöneres geben als das? Nein, das war unmöglich.
Irgendwie war er froh, daß sie es nicht getan hatten. Vielleicht hätte es ihre Beziehung verändert. Zum Negativen hin.
Wieviele von meinen Freunden haben sich nach dem ersten Mal von ihrer Freundin getrennt? Warum eigentlich? Warum bleiben sie nach diesem einschneidenden Erlebnis nicht zusammen?
Er hörte wie die Wohnungstür geöffnet wurde, im Flur wurde Licht gemacht. Ein schmaler Lichtstreifen fiel unter der Tür hindurch. Abermals spannte sich sein Körper. Er legte den Arm fester um sie, küßte sie auf die Stirn.
Vielleicht hätte ich meine Eltern doch zuvor fragen sollen? Ich hätte sie ihnen zuerst vorstellen sollen. Es macht wirklich keinen guten Eindruck, wenn sie sie das erste Mal mit mir im Bett sehen. Was soll ich ihnen bloß sagen?
Schritte näherten sich der Tür. Er schloß die Augen zu kleinen Schlitzen und bereitete sich auf das Schlimmste vor.
Leise wurde die Tür geöffnet, seine Mutter blickte herein. Obwohl er versuchte regelmäßig weiter zu atmen hielt er nervös die Luft an.
Was wird sie tun?
Trotz des schlechten Lichts konnte er erkennen, wie seine Mutter leicht lächelte, eine Sekunde in der Tür stehenblieb und sie dann so leise wieder schloß, wie sie sie geöffnet hatte. Mit gedämpfter Stimme wechselte sie noch einige Worte mit seinem Vater. Wenig später erlosch das Licht unter der Tür. Mit klopfendem Herzen blieb er stocksteif im Bett liegen.
Sie hat nichts gesagt? Warum hat sie nichts gesagt? Vielleicht sind meine Eltern doch ganz okay. Ich glaube ich muß mich morgen bei ihnen bedanken. Vorausgesetzt, die Predigt kommt nicht beim Frühstück.