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Die kleinen Wunder im Leben
Die Haustür wird voller Wucht zugeschlagen, ein dumpfer Ton hallt durch das Haus.
Ein Seufzen ertönt, ich beuge mich nach vorne und erhasche ein Blick auf seinen Körper, auf seine breiten Schultern die sich zu straffen beginnen, wenn er sich bedroht fühlt und seine aufrechte Haltung die ihn definiert. Für einen Augenblick bedauere ich, wie selten ich ihn in letzter Zeit sehe, jedoch verfliegt dieses Gefühl schlagartig, als ich seine Miene erkenne. Der Ärger scheint ihm ins Gesicht geschrieben zu sein, in mir fröstelt es. Darauf gefasst, gleich einen Wutausbruch mitzuerleben, stelle ich ein Glas Wasser bereit und fische eine Tafel Schokolade aus einer Schublade, in der Hoffnung ihn so wenigstens ein bisschen zu besänftigen. Langsam kommt er in die Küche gelaufen und begrüßt mich mit einem kurzen, herzlosen Kuss. Enttäuscht stelle ich fest wie sehr mir seine Nähe fehlt. Ich versuche mich an den alten Erinnerungen festzuklammern, wie glücklich wir damals noch waren. Dankbar bedient er sich an der Schokolade und spült mit dem Wasser nach. Wartend auf seinen Wutausbruch aufgrund irgendwelcher Probleme, beginne ich mir die Haut an meinem Finger abzureisen. Anfangs habe ich noch gerne zugehört und ihm versichert, dass ich ihn unterstützen würde. Wir saßen abends zusammen und grübelten, mithilfe einer Flasche Wein, über die zu lösenden Probleme. Doch vor knapp einem Jahr rastete er plötzlich aus, er hatte mehr getrunken als sonst und seine Backen waren vom Alkohol gerötet. Zornig stand er auf, ballte seine Fäuste und sah mich mit einem Blick an, der mir weiß machte, dass er im Begriff war die Hoffnung aufzugeben. Er begann wild durch die Gegend zu schreien, seine Schläfe pochte. Ängstlich versuchte ich ihn zu besänftigen, jedoch ohne Erfolg. Meine Bitte sich zu beruhigen schien ihn nur zu provozieren und er wurde noch lauter. Sein Rücken spannte sich an, sein muskulöser Arm ergriff meine Schulter zog mich vom Sofa, seine Fingernägel bohrten sich in mein Fleisch und ich begann zu zittern. Meine Sicht wurde trüb, eine Träne kullerte meine Wange hinunter. Er drückte fester zu und redete auf mich ein, voller Hass, ich solle ihn in Ruhe lassen, ich mache alles nur noch schlimmer...
Nach einer Weile ließ er mich wieder los, begab sich aufs Sofa und schlief ein. Noch immer zitternd und verängstigt schlich ich in Lous Zimmer schloss die Tür und legte mich zu ihr und schlief voller Erschöpfung ein. Einige Tage später, kam er betrunken nach Hause, er stank nach Alkohol und nach dem Parfüm einer anderen Frau. Lallend legte er sich neben mich und ich konnte Lippenstiftspuren an seinem Hals erkennen. Ich sagte nichts und beließ es dabei, zum einen aus Angst, zum andern für Lou. Seitdem redete er kaum noch mit uns, ab und zu wurde er wütend, wenn er wieder einmal zu viel getrunken hatte und ich schickte ihn weg oder schlief mit Lou eine Nacht wo anders. Seit einigen Wochen schien er mehr traurig als wütend zu sein, abgesehen von heute. Ich lag die letzten Nächte wach und grübelte über unsere Familie, über Lou, Taylor und mein Leben wie es gerade den Bach runterging. Ich entschloss mich dazu etwas zu ändern und nun wird es Zeit das auch in die Tat umzusetzen. Nachher würde ich mit ihm reden, ganz bestimmt, dann werde ich mir mit Lou eine Wohnung suchen und er darf uns ab und zu besuchen kommen, sie würde es irgendwann verstehen, versuche ich mir einzureden. Ich hing zu lange an dem Taylor in den ich mich verliebt hatte, den gibt es nun nicht mehr und damit muss ich mich abfinden. Scheppernd fiel das Wasserglas zu Boden, zerbrach in tausende Scherben und reißt mich aus meinen Gedanken. „Entschuldigung“, nuschelt Taylor mit einem traurigen Blick vor sich hin und beginnt die Scherben einzusammeln. Er scheint erschöpft zu sein, seine Wut scheint wie verflogen. Aus Angst ich könne meinen Entschluss, ihn zu verlassen, ändern murmele ich vor mich hin ich hätte noch was zu erledigen und begebe mich in mein Arbeitszimmer. An meinem Schreibtisch, der direkt vor dem Fenster steht, beobachte ich den Garten. Die Wolken hängen in einem dunkelgrau hinunter, ein fahler Schleier liegt über der Welt. Langsam beginnt es zu regnen, die Tropfen laufen die Scheibe runter und liefern sich ein Wettrennen, wer zuerst das Fenstersims erreicht. Der Regen wird immer stärker, die Regentropfen prasseln nur so auf die Erde. „Es regnet!“, ich höre wie Lou kreischend, mit ihren winzigen Füßen, den Flur entlang rennt und schon taucht sie im Garten auf, streift sich ihre rot gepunkteten Regenjacke über, die sie sich im Vorbeigehen geschnappt haben muss. Taylor kommt ihr nach, allerdings trägt er weder eine Jacke noch Schuhe. Verärgert stehe ich auf und schlüpfe ebenfalls nach draußen, ich traue ihm nicht mehr zu alleine mit ihr zu sein. Der Geruch nach Regen strömt mir entgegen und ich muss unwillkürlich lächeln. Taylors Miene hellt sich auf, wobei er mich gar nicht bemerkt.
Er steht mitten auf dem zu hohen Grass, seine Haare triefen, Wasser läuft ihm durchs Gesicht und seine Klamotten kleben ihm eng am Körper. Amüsiert beobachtet er Lou die lachend durch die Gegend rennt. Es erscheinen helle Blitze, die sich kreuz und quer durch den Himmel ziehen und irgendwo auf der Erde einbrechen. Der Wind wirbelt Lous kastanienbraunes Haar durch die Luft. Sie beginnt zu singen, fröhlich und munter springt sie auf und ab, hält die Hände in den Himmel als ob sie versucht den Regen einzufangen, obwohl ihr ganzer Körper schon durchnässt ist. Mein Blick fällt wieder zu Taylor, er steht unsicher da und scheint über etwas zu grübeln. Schließlich läuft er fest entschlossen zu Lou und schnappt die noch so zierliche Hand seiner Tochter. Ich möchte schreien, auf ihn zu rennen, ihn davon abhalten, doch meine Angst um sie lähmt mich. Augenblicklich spielen sich tausende Szenarien in meinem Kopf ab was er mit ihr machen würde. Er rastet aus, seine Gesicht läuft knallrot an, energisch packt ihren Arm, schreit sie an und schmeißt sie voller Wucht zu Boden. Ihr Kopf schlägt hart auf, ihr Blick ist voller entsetzten, sie beginnt zu wimmern und fuchtelt hilflos mit ihren Armen umher, er holt mit seinem Bein aus und trifft mitten in ihren Bauch... Doch nichts dergleichen passiert. Er dreht sie im Regen und beginnt mit ihr zu Tanzen während er lachend miteinstimmt. Ihre Stimmen kämpfen gemeinsam gegen den Wind und Regen an und mit jedem Donner verlieren sich ihr Gesang in der Luft. Überrascht beobachte ich Taylor, ich meine etwas in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Die Lebensfreude und Leichtigkeit mit der er früher durchs Leben gegangen war. Seine Gesichtszüge sind weich, herzlich. Berührt von diesem magischen Moment greife ich nach meiner Kamera, doch das Bild gleicht keineswegs dem Moment. Auch ich habe meine Schuhe im Haus gelassen und trete nun vor auf das Grass. Die Halme kitzeln und ich spüre die Nässe unter meinen Füßen. Es ist zum Lachen, jeder andere sitzt vermutlich drinnen, genervt vom Unwetter und ich stehe hier, überglücklich. Das Ganze hier gibt mir Hoffnung, darauf, dass meine Familie doch noch zu retten ist. Nach einer Weile lässt der Regen nach und der Himmel hellt sich auf. Die Wolken verschwinden, die Sonne kommt raus und es macht den Anschein als sei nichts von all dem gerade passiert. Noch immer lachend kommen mir die beiden Hand in Hand entgegen. Zum sich gegenseitig die Haare auswringen bringe ich ihnen ein Handtuch. Nachdem Lou in ihrem Zimmer verschwindet, kommt Taylor zu mir. Er sieht mich mit einem sehnsüchtigen Blick an, zieht mich sanft an ihn ran, er streichelt mir über mein Haar, seine Lippen kommen meinen immer näher. Vorsicht küsst er mich, als ob er Angst hat, er könne mich vergraulen wenn er nicht aufpasst. Ich lasse mich fallen, all meine Gedanken setzten aus und mir wird von innen Warm. Nach einer gefühlten Ewigkeit löst er sich von mir, sieht mich kurz schweigend an und beginnt schließlich zu reden. Er erzählt mir von seinem Vater und seinen Wutausbrüchen, wie er seine Mutter und ihn geschlagen hatte und sie ihn verließen. Er erklärte mir, dass er ebenfalls an einem Alkoholproblem litt und er sich heute noch für eine Entzugsklinik anmelden würde.
Der heutige Tag habe ihm weiß gemacht, dass er nicht so wie sein Vater sein wollte und ihm sei Bewusst geworden, dass er den Taylor den ich so liebte, ebenfalls vermisste. Wir unterhalten uns noch über Stunden, bis ich irgendwann friedlich in seinen Armen einschlafe.