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Die Siedler
Das riesige Raumschiff verließ den Orbit des Planeten und entfernte sich rasch. Zurück am Boden blieb ein gewaltiger Container, in dessen Inneren es beschäftigt surrte und klackte.
Schließlich klappten seine Seiten auseinander, entfalteten sich weiter und bildeten nach kurzer Zeit eine große Halle.
In den nächsten Wochen erschienen geschäftig anmutende Roboter. Hoben gewaltige Gruben aus, verarbeiteten Rohstoffe und errichteten weitere Gebäude. Felder wurden angelegt, Fabriken und Fahrzeuge entstanden. Eine kleine Stadt wurde aus dem Boden gestampft.
Taylor erwachte und stieg aus der Maschine. Er fühlte sich frisch und ausgeruht, als hätte er monatelang geschlafen. Tatsächlich war aber mit Sicherheit eine viel größere Zeitspanne vergangen.
Er sah die anderen drei Team-Mitglieder aus ihren Maschinen steigen. So, wie Gott sie geschaffen hatte. Sie machten alle einen sehr fitten Eindruck.
Neben ihm stand Sybille. Ihre Rundungen begannen ihn sofort zu erregten – wie lange war es her, dass er zuletzt eine Frau in den Armen gehalten hatte? Taylor musste an Ann denken, seine Frau. Er wäre fast daran zerbrochen, als sie damals den schrecklichen Unfall hatte. Wäre sie sofort tot gewesen, hätte er den Schicksalsschlag vielleicht besser verkraftet. Doch ihr Sterben hatte wochenlang gedauert und schließlich verloren die Ärzte - und Ann - den Kampf.
Taylor versuchte sich an Details von ihr zu erinnern, ihr Lachen oder ihre strahlende Erscheinung, aber es gelang ihm nicht. War doch zuviel Zeit vergangen?
Die vier Menschen begaben sich in die Ankleide und zogen sich Overalls über. Ihre Begrüßung fiel sehr herzlich aus, jeder freute sich, das sie die Entstehung heil vollzogen hatten.
„Computer, wie viele Jahre sind vergangen, welches Datum schreiben wir?“, fragte die brünette Linda. Sie war eine Koryphäe in Geologie, so wie sie alle Spezialisten ihres Faches waren.
„Seit eurem Abflug sind 142.615.243 Jahre vergangen. Laut dem Erdenkalender ist heute Freitag, der 21.12.142617370.“
Das traf sie alle wie ein Schock. Über 142 Millionen Jahre waren inzwischen vergangen, seit sie die Erde verlassen hatten! Wie viele Planeten hatten sie in dieser Zeit wohl schon besiedelt? Hunderte? Oder Tausende?
Taylor, Sybille, Linda und Mark waren die Vorhut. Die Erstbesiedeler des G.O.L.E.M.-Projektes. Und tatsächlich fühlte sich Taylor wie der legendäre Golem, der vor Urzeiten aus Lehm gefertigt und dem dann Leben eingehaucht wurde.
Es war bisher das ehrgeizigste und teuerste Projekt gewesen, das die Menschheit bis dahin auf die Beine gestellte hatte. Platzmangel und die zunehmende Verseuchung ihres Lebensraums hatte sie dazu gedrängt.
„Ist doch erstaunlich“, meinte Linda, “das sich ein so riesiges Schiff völlig selbstständig auf die Reise zu den Sternen machen kann. Auf der Suche nach erdähnlichen Planeten.
Und ganz ohne die Hilfe einer Besatzung, die beim Absetzen des autarken Besiedelungscontainers helfen müsste.“
Mark nickte. „Ja, wirklich ein Wunderwerk menschlicher Technik. Das Schiff setzt irgendwo auf einem geeigneten Planeten einen Container ab und reist dann weiter mit dreifacher Lichtgeschwindigkeit durch das All, während es in der Zwischenzeit neue Container für andere Welten baut. Und das alles ohne eine Menschenseele!“
Auch Sybille und Taylor waren von dem Vorgang völlig fasziniert.
„Wenn man bedenkt, das wir während der Reise nur auf irgendwelchen Datenträgern existiert haben und erst hier auf dem Planeten Atom für Atom wieder zusammen gesetzt wurden, wird mir ganz anders.“
„Und noch sind wir erst zu viert. Aber in den Datenträgern existieren ja noch weitere zehntausend Menschen und warten auf ihre Erweckung, sobald die Stadt groß genug ist und die wichtigsten Arbeiten abgeschlossen sind.“
Nicht erweckt. Eher zusammen gebaut, wie Roboter, dachte Taylor in einem Anflug von Heimweh.
Ja, sie waren künstlich, und doch wieder nicht. Kopien, das traf es besser. Sie waren 1:1 Kopien ihrer Originale, die schon seit Urzeiten tot in ihren Gräbern lagen.
Wie mag es jetzt wohl auf der Erde zugehen, fragte er sich. Hatte die Menschheit sich weiter entwickelt? Oder hatte sie sich letzen Endes doch zugrunde gerichtet?
Wieder musste er an Ann denken, seine verunglückte Frau. Er war fast daran zerbrochen, an ihrem langsamen Dahinsiechen. Nur seine Arbeit hatte ihm damals die Kraft gegeben, den Verlust des Wertvollsten, das er jemals besessen hatte, einigermaßen zu verkraften. Das war lange her.
Vor seinem geistigen Auge versuchte er sich, Ann in Erinnerung zu rufen. Aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Immer, wenn sich das Antlitz seiner Frau gerade kristallisieren wollte, tauchte ein Nebel auf und zog das Bild davon. Warum nur? War zuviel Zeit vergangen?
Sybille tauchte vor ihm auf und riss ihn aus seinen Erinnerungen.
„Lass uns an die Arbeit gehen. Gibt ja einiges zu tun.“
„Wo sind wir? Hast du das schon heraus gefunden?“.
Taylor nahm sie in die Arme und drückte ihren Körper an sich. Doch sie schob ihn beiseite.
„Nein. Noch nicht. Aber ich werde mir unsere aufgezeichnete Reiseroute gleich noch vornehmen.“
Sybille und er waren zwar nie ein Paar gewesen. Aber das eine oder andere Techtelmechtel hatte es schon gegeben. Gefühle hatte er aber nie für sie entwickelt, hatte das wahrscheinlich auch selber nie zulassen wollen. Ein schrecklicher Verlust war für ein Menschenleben genug.
Sie ertappte ihn dabei, wie er auf ihre herrlichen Brüste starrte. Leuchtend rot waren sie. Und umgeben von verführerischen, fleischigen Hornplatten.
„Wir wenden uns besser unserer Arbeit zu.“, tadelte sie ihn und ließ ihre dünne, meterlange Zunge blitzschnell hervor schnellen. Taylor stutzte. Etwas verwirrte ihn, ohne das er genau sagen konnte, was das war.
Er streifte sich mit seinen acht biegsamen Fingern über seine feuchten Kopfwülste, die sich vor Verlegenheit blau zu färben begannen. Es kribbelte ihm in den Nüstern.
Wieder überkam ihn ein seltsames, verwirrendes Gefühl.
Monate später:
„Es steht jetzt also definitiv fest.“, brachte Sybille es auf den Punkt und verzog nervös ihre fleischigen Schlundlippen.
„An irgendeinem Punkt unserer Reise - wahrscheinlich vor bereits über 120 Millionen Jahren - wurde unser Raumschiff von Außerirdischen neu konditioniert. Sie manipulierten die Datenbanken und Golem-Maschinen und sorgten somit dafür, das ihre eigenen Gene sich fortan im Weltraum weiter verteilen würden. Kuckuckseier im fremden Nest, sozusagen.
Das Schiff können wir leider nicht mehr stoppen, aber wir müssen überlegen, ob wir die restlichen 10000 Schläfer trotzdem aktivieren wollen oder nicht. Und wie unsere Zukunft überhaupt aussehen soll...“