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Die Stunde des Bären

Seniors
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08.07.2012
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Die Stunde des Bären

Arne Hagner stand am Fenster und starrte durch die regennassen Scheiben auf den Hof.
»Seit wann?«, fragte er. Im Lautsprecher des Telefons knackte es, dann hörte er Waller sagen: »Schon ’ne ganze Weile. Besser, du beeilst dich!«
Er legte auf, schob das Telefon in die Hosentasche. Im Hof trommelte der Regen auf die Dachpappe der heruntergekommenen Garagen. Hagner betrachtete die im Schein einer Straßenlaterne schimmernden Wasserlachen, die schmutzigen Fassaden, das Graffiti an der Brandmauer gegenüber. Wedding sucks.
Sein Sakko hing über der Stuhllehne. Er zog es an, klappte den Laptop zu. Holte Waffe und Magazin aus dem Wandtresor, lud die Pistole und steckte sie in das Gürtelholster. Ein Reißen in der linken Schulter, als er vor dem Kleiderschrank stand und nach seinem Mantel griff. Dieser Idiot gestern im Red Crane. Die Typen glaubten nicht, dass ein Mann, der dreißig Jahre älter war, ihnen die Fresse polieren konnte.
Hagner zog den Mantel an, schloss die Tür des Schranks und nahm seine Lederhandschuhe vom Schreibtisch.
Das Knacken im Telefon vorhin. Zwanzig Jahre waren viel Zeit, um sich Feinde zu machen. Schwierig, da den Überblick zu behalten. Schwierig insbesondere, weil Paranoia einem in diesem Job die Haut retten konnte.
Er löschte das Licht, verließ das Büro, trat in den Hof. Ein Geruch von Katzenpisse und faulendem Laub. Er ging an umgekippten Müllcontainern vorbei. Im Durchgang, der auf die Straße führte, hallte der Klang seiner Schritte wider. Während er durch die Sprengelstraße zu seinem Wagen lief, drehte er sich ein paar Mal um und sah über die Schulter.
Der Feind. Das war der Mann dort hinten, der an der Straßenecke stand und auf sein Handy schaute. Der Feind war der Kerl, dem er seit einer Woche in der U-Bahnstation begegnete. Irgendwann in den letzten Jahren hatte Hagner begonnen, den Feind hinter dem Feind zu sehen. Zeit, mit all dem Schluss zu machen.
Er blieb vor seinem schwarzen Kombi stehen, hielt inne. Das waren nicht die Neunziger. Heute knackte es nicht mehr in der Leitung, wenn ein Anschluss abgehört wurde. Seine Instinkte waren Intuitionen einer Generation, die ausgedient hatte.
Hagner startete und der Audi setzte sich schwerfällig in Bewegung. Vor den Scheinwerfern sprühte der Herbstregen. Die Leuchtziffern auf dem Borddisplay sprangen um, zweiundzwanzig Uhr. Im RC stand jetzt Jenny hinter dem Tresen. »Keine Drinks für die Security«, hatte sie vor zwei Wochen gesagt und ihm einen Wodka Soda rübergeschoben. »Ex-Bulle, hab’ ich gehört.« Hagner hatte in den Drink gestarrt und geschwiegen. Ex-Soldat, Ex-Bulle, Ex-Ehemann. Das Präfix beschrieb sein Leben.
Die fleckigen Häuserwände des Sparrplatz-Quartiers zogen vorbei. Lynarstraße Ecke Tegler stand Edim, wie gewöhnlich.
Hagner ließ den Wagen in einer Einfahrt ausrollen, stellte den Motor ab und stieg aus. Er schlug den Mantelkragen hoch, ging langsam über die Straße, rüber zu Edim. Etwas weiter die Lynar runter, drückte sich eine Gestalt in das Halbdunkel eines Hauseingangs.
»N’abend, Arne!« Edim hatte die Kapuze ins Gesicht gezogen. Mit hochgezogenen Schultern stand er unter einem Balkonvorsprung im Nieselregen.
»Draußen, bei dem Wetter!«
»Muss ja.«
Hagner nickte, zog ein paar zerknitterte Scheine aus der Manteltasche und reichte sie Edim.
»Wie läuft’s mit dem Typen vom Amt?«
»Der is okay.« Edim nahm das Geld und drückte Hagner ein grünes Plastikpäckchen in die Hand. »Bin einmal in der Woche da. Wir quatschen, was so läuft bei mir. Macht keinen Stress, der Mann.«
»Hm.«
»Gut an der Sache is«, sagte Edim und scharrte mit dem Schuh auf dem Pflaster, »dass ich jetzt bisschen ruhiger bin. Häufiger zu Haus. Bei Ela und dem Kleinen.«
»Gut«, sagte Hagner. »Das ist gut.«
Edim zuckte die Schultern. »Die Jungs kotzen. Weil ich nicht mehr so oft mit ihnen rumziehe. Aber Ela is froh.«
Die beiden schwiegen einen Moment lang.
»Da hinten lungert ein Typ im Hauseingang«, sagte Hagner dann. »Dein Backup?«
»Schön wär’s.« Edim schniefte. »Heißt Mizu, der Scheißkerl. Is einer von Onkel Angelos Leuten.«
»Onkel Angelo will den Kiez übernehmen?«
Edim nickte. »Verkauft ’ne Menge billiges Zeug, der Penner.«
Hagner grüßte zum Abschied. Er schlug den Weg zu seinem Wagen ein, doch dann bog er ab, ging ein Stück die Straße runter. Kurz bevor er Mizu erreichte, öffnete er seinen Mantel und zog die Waffe. Mizu starrte ihn an. Der erste Schlag traf ihn über der linken Augenbraue. Hagner hatte ihm den Verschluss der Waffe gegen die Schläfe geknallt und nun stieß er noch einmal mit der Mündung des Laufs zu. Er rammte sie gegen das Brustbein, unter Mizus Steppmantel knackte es. Er prallte gegen den Hauseingang und kippte um.
»Sag Angelo einen Gruß von Hagner. Verpisst euch aus meinem Kiez.«
Hagner steckte die Waffe zurück. Einen Moment lang betrachtete er Mizu, dann drehte er sich um und ging zu seinem Wagen. Abgasgeruch. Stadtregen. Herbstfäulnis.

Hagner steuerte den Wagen durch die Lynarstraße, dann die Müller entlang und weiter in die Chausseestraße. Vor seinen Augen flimmerten grüne, gelbe und rote Reflexionen von Rücklichtern und Leuchtreklamen auf dem nassen Asphalt. Beim Red Crane war nicht viel los. Er fuhr den Kombi durch die Hofeinfahrt und stellte ihn neben dem Chrysler Touring von Yanzhou ab. Ihr gehörte das Bordell.
Er holte ein Päckchen Zigaretten aus dem Mantel, steckte sich eine Kippe an und klopfte an die Stahltür des Hintereingangs. Die Tür wurde von Basara geöffnet. Er nickte. Hagner ging durch einen von blassem LED-Licht beleuchteten Korridor und betrat die Lounge. Vier oder fünf Mädchen saßen im rötlichen Dämmer und unterhielten sich mit Gästen. Ansonsten das übliche Programm. Ambient Jazz, das Panel wabernder Nachtclublichter, ein Softcore-Movie auf dem Großbildmonitor an der Wand, das niemand zu beachten schien.
»Kein Privatleben, wie?«, sagte Jenny und stellte ihm einen Ascher hin, als er sich auf einen Hocker an der Bar setzte.
»Ich schau nur kurz rein«, sagte Hagner und bestellte einen Drink.
Jenny warf ihm einen Blick zu, drehte sich um und nahm ein Glas aus dem Regal.
»Yanzhou ist oben, falls du sie sprechen willst«, sagte sie, während sie Wodka eingoss.
»Vielleicht später«, sagte er und zog an seiner Zigarette.
Jenny schob ihm den Wodka über den Tresen. Hagner trank, stand auf, machte ein paar Schritte durch den Raum, zog den Mantel aus und hängte ihn an die Garderobe. »Noch einen«, sagte er, als er sich wieder an die Bar setzte. Er drückte die Zigarette aus und sah Jenny an.
»N’en guten Tag gehabt?«, sagte sie und goss ihm den zweiten Drink ein. Hagner winkte ab, sah sich um. In einem düsteren Winkel des Clubs saßen zwei Mädchen auf dem Sofa und sprachen mit einem betrunkenen Freier in Business-Klamotten. Der Mann hatte den Hemdkragen geöffnet, die Krawatte gelockert und sah fertig aus.
Jenny beobachtete Hagner. Sie öffnete den Mund, doch dann schwieg sie. Hagner leerte das Glas, stand auf und durchquerte die Lounge. Er trat an den Tisch zu den Mädchen. Sie schauten auf, unterbrachen das Gespräch, nur der Business-Typ redete weiter. Hagner betrachtete die beiden Mädchen. »Ich zahle für zwei Stunden«, sagte er zu der einen. Sie war brünett und trug einen ausgefransten Pixie Cut. »Scheiße«, meldete sich der Business-Typ. »Wir unterhalten uns gerade. Was quatschst’n du hier rein?«
»Wie heißt du?«, fragte Hagner die Dunkelhaarige.
»Dana«, sagte sie, lächelte und stand auf. Der Business-Typ schwieg.
In diesem Moment trat Jenny von hinten an Hagner heran. Sie fasste ihn am Ellbogen und sagte leise: »Kann ich dich kurz sprechen?«
Hagner drehte sich um und ging mit Jenny zurück zur Bar.
»Was’n mit dir los«, sagte sie. »Wenn Yanzhou hört, dass du unsere Mädchen vögelst, wird Basara dir den Schädel einschlagen.«
»Bin privat hier. Als Gast.«
Jenny schüttelte den Kopf. »Die Security rührt die Girls nicht an, das weißt du.«
Hagner nickte, drehte sich um und schaute zurück. Dana hatte sich gesetzt und sprach wieder mit dem Business-Typen.
»Ich werd gehen«, sagte Hagner.
»Willste jetzt fahren?«
Er nickte. »Is nicht weit.«
»Ich mach dir einen Kaffee. Setz dich mal da rüber.«
Hagner ging durch die Lounge und ließ sich in der Nähe eines großen Aquariums in den Clubsessel einer Sitzgruppe fallen. Er rieb sich Augen und Stirn, als Jenny etwas später einen Espresso auf den Kaffeetisch stellte und sich zu ihm setzte.
»Bist ein bisschen von der Rolle, oder?«
Hagner zuckte die Schultern. »War ein komischer Tag.«
»Vielleicht wird das Ende gut.«
»Na, das Ende kenn ich schon.«
»Ach ja?«
Hagner beugte sich vor, nahm den Löffel und rührte in seinem Espresso.
»Geht um meine Frau. Ex-Frau.«
Er trank, stellte die Tasse ab und ließ sich zurücksinken.
»Sie sitzt beim Waller in der Dorotheenstraße und schießt sich mit Bourbon ab.«
»Und du fährst sie nach Haus?«
Hagner nickte.
Jenny drehte sich um, schaute zur Bar und winkte Reni, einem der Callgirls, die am Tresen stand. »Bin gleich wieder da.« Hagner beobachtete, wie Jenny zur Bar ging und mit Reni sprach. Sie trat hinter den Tresen und stellte Gläser und eine Flasche Martini auf ein Tablett. Hagner steckte sich eine Zigarette an und lehnte sich zurück. Sein Blick schweifte durch den Raum, glitt über die Gesichter der Mädchen und der Gäste, verfolgte die Schwaden des Zigarettenrauchs, die rötlich angestrahlt zur Decke aufstiegen. Im Aquarium, das neben ihm auf einem Sockel stand, perlten Luftblasen zwischen Wasserpflanzen aus einer Muschel. Hagner betrachtete das Wogen der Pflanzen, betrachtete die unter der Wasseroberfläche schwebenden Fische. Ihm fiel das Gezappel eines orangefarbenen Salmlers auf. Die Schwimmblase des Fischs war verletzt. Mit zuckenden Bewegungen arbeitete er sich einige Sekunden lang nach oben, um dann entkräftet auf den Kiesgrund zurückzusinken. In merkwürdiger Schräglage verharrte der Salmler ein paar Augenblicke wie in Totenstarre und kämpfte sich dann erneut mühsam aufwärts zu den anderen Fischen des kleinen Schwarms. Dann begann der Zyklus von Neuem. Hagner rauchte und beobachtete das Auf und Ab des winzigen Fisches eine Weile lang.
Jenny setzte sich wieder zu ihm. »Danke noch mal für gestern«, sagte sie.
»Hm?«
»Manche Typen kapieren nicht, dass ich nur hinter der Bar stehe.«
Hagner sah sie an und nickte. Er drückte seine Zigarette aus. »Der wollte nicht lockerlassen, wie?«
Jenny schüttelte den Kopf. »Hatte mich schon den ganzen Abend auf dem Kieker. Quatschte ’ne Menge blödes Zeug.«
Die beiden schwiegen eine Weile. »Ich finde ja, dass du irgendwie nicht ganz zu diesem Laden passt«, sagte Jenny schließlich.
»Und warum nicht?«
Jenny strich sich durchs Haar. »Na, weil …« Sie hielt inne. »Also erst mal wegen deinem Alter. Ich mein, der Job is was für junge Kerle, oder?«
Hagner zuckte die Schultern.
»Und außerdem glaub ich«, fuhr sie fort, »dass du mehr draufhast, als besoffenen Wichsern den Arm zu brechen.«
»Is nur ein Nebenjob«, sagte Hagner. Jenny nickte.
»Und du«, sagte Hagner. »Du bist noch jung. Was machst du so in deinem Nicht-Puff-Leben?«
»Ich studiere Mathematik an der FU«, sagte Jenny und sah Hagner an. Hagner zog die Brauen hoch. Jenny lachte. »Scheiße, nein. Ich jobbe bei Edeka und manchmal helfe ich einer Freundin auf dem Flohmarkt.«
Hagner lachte kurz und nickte. »Verstehe.«
Jenny schaute auf die Uhr an ihrem Handgelenk. »Elf durch«, sagte sie. »Ich hasse diese Stunde. Zu früh, um den Tag zu beenden. Aber zu spät, um noch irgendwas Vernünftiges draus zu machen.«
»Kenn ich gut«, sagte Hagner. »Is ’ne merkwürdige Stunde.«
»Für dich auch?«
»Is ’ne Ewigkeit her«, sagte Hagner. »Ich war damals zwanzig oder so.« Er hielt einen Moment lang inne. Dann sagte er: »Ein Freund, den ich von der Uni kannte, hatte mich eingeladen, mit ihm ein paar Wochen in seiner Jagdhütte zu verbringen.«
»Was hast du studiert?«
»Maschinenbau«, sagte Hagner. »Habe aber nie was draus gemacht. Nach dem Studium bin ich zum Militär gegangen.«
Jenny nickte. Sie schaute kurz zur Bar, dann richtete sie ihren Blick wieder auf Hagner.
»Sergej, so hieß mein Uni-Freund, lud mich also auf seine Hütte ein. In der Nähe von Tomsk. Absolute Wildnis. Russische Taiga. Wir gingen zusammen jagen und es wurde auch eine Menge gesoffen.«
»Was jagt man denn so in Russland?«
»Nichts Besonderes, eigentlich. Hirsche, Elche, Schwarzwild. Aber die Bedingungen sind extrem. Eben Sibirien.«
»Verstehe.«
»Eines Nachts, es war so kurz nach elf, da rumpelte es furchtbar in einem Schuppen.«
Jenny sah Hagner an. Ihre grünen Augen leuchteten im Dämmer der Lounge.
»Wir schnappten unsere Waffen und gingen raus. Wie gesagt, es war ’ne Menge Wodka im Spiel.« Hagner schloss die Augen, als riefe er sich die Situation in Erinnerung. »Ich riss die Tür auf und wäre fast auf den Arsch gefallen. Ein Bär, ein riesiges Viech, hatte ein paar Bretter aus der Hinterwand gerissen. Er saß in dem Schuppen und soff aus einer Büchse Motoröl.«
»Oh, Shit!«
Hagner nickte und sah Jenny an. »Ja, Bären lieben das Zeug. Wir haben uns schnell aus dem Staub gemacht, zurück in die Hütte. Ich hatte die ganze Nacht Schiss, dass das Monster die Tür aufbricht.«
Jenny lachte und berührte kurz Hagners Arm.
»Am nächsten Morgen war der Bär weg. Sergej sagte, elf bis zwölf sei jetzt offiziell meine Bärenstunde. Eine Tageszeit schlimmer Überraschungen.«
Hagner holte sein Päckchen Zigaretten hervor. Er steckte sich eine an, rauchte und sagte: »Is komisch. Mein ganzes Leben lang sind in der letzten Stunde des Tages merkwürdige Sachen passiert.«
»Vielleicht passiert auch mal was Gutes«, sagte Jenny.
»Zum Beispiel?«
Jenny nahm Hagner die Zigarette aus den Fingern, rauchte, gab sie wieder zurück. »Ich mache heute früher Schluss. Sage Yanzhou, dass es mir nicht gut geht. Is nicht viel los gerade. Basara kann die Bar machen. Oder eins der Mädchen.«
»Und dann?«
»Dann gehen wir zu mir und vögeln.« Jenny sah Hagner an.
»Gute Idee«, sagte er.
»Bin gleich wieder da.« Jenny stand auf und ging rüber zu Bar. Hagner beobachtete, wie sie Basara rief und kurz mit ihm redete. Danach kam sie zurück und sagte: »Ich gehe kurz hoch zu Yanzhou, sag ihr Bescheid.«
Hagner nickte und betrachtete Jennys Hintern, als sie durch die Lounge ging und dann die Treppen hochstieg.
Er drückte seine Zigarette aus, stand auf und durchquerte den Raum. Er nahm seinen Mantel, zog ihn an und verließ den Club.

Im Autoradio lief Ambientrunner, ein Sender, der Elektrosounds ohne Beats in den Stadtäther schickte. Aquatische Klänge, fernes Stimmgewirr, manchmal ein Rauschen, wie im Inneren eines Bunkers. Hagner steuerte den Audi durch die Friedrichstraße. Ein Passant überquerte die Straße. Hagner trat auf die Bremse, beobachtete die vornübergebeugte Gestalt durch die regennasse Frontscheibe seines Wagens. Lautlos glitten die Wischblätter über das rötlich graue Straßenbild. Sie zogen Schlieren durch die Szene, in denen die Gestalt zu verschwimmen schien.
Hagner stellte den Wagen in der Nähe von Wallers Kneipe ab. Er schlug den Mantelkragen hoch, sah sich kurz um. Er betrat die Kneipe grüßte Waller mit einem Nicken. Zigarettenrauch schwebte unter den gelben Lampenschirmen. Nur wenige Gäste, gedämpfte Stimmen. Über den TV-Monitor, der an der Wand hing, flimmerte die Aufzeichnung eines Bundesliga-Spiels. Waller wischte mit einem Tuch den Tresen und wies mit einer Bewegung des Kinns in den rückwärtigen Teil des Raumes. Hagner ging an ein paar Tischen vorbei. In einer anderen Nacht hätte Hagner in diesem Moment möglicherweise kehrtgemacht. Vielleicht wäre er aus der Kneipe marschiert mit dem Entschluss, das alles endgültig hinter sich zu lassen, niemals zurückzukehren.
»Hallo Sally«, sagte er.
Während sie den Raum durchquerten, Sally mit leerem Blick, auf Hagner gestützt, wandte er sich zu Waller um. »Wie spät ist es?«, fragte er.
»Gleich zwölf«, sagte der Wirt.
Hinter ihnen schlug die Kneipentür ins Schloss. Als sie Hagners Wagen erreichten, öffnete sich ein paar Meter von ihnen entfernt mit leisem Knirschen die Rolltür eines Transporters.
»Hagner!«, rief eine Stimme aus dem Inneren des Vans. »Ein Gruß von Onkel Angelo.«
Der Feuerstoß einer Schrotflinte zuckte grell auf. Die Garbe riss Hagner und Sally zu Boden. Der Klang von Schritten hallte durch die Dorotheenstraße, der Transporter rollte aus der Parklücke, die Seitentür des Vans wurde zugezogen. Der Van beschleunigte und fuhr in östlicher Richtung davon.

 
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@Achillus

Das mit großem Abstand Beste, was ich hier bislang gelesen hab!
Eine winzige Schwäche vielleicht die nicht ganz neue, auf Kurzgeschichte getrimmte Story. Aber das machst du mit deiner Art zu schreiben spielend wett. Will das gar nicht noch einmal lesen, mich auf die Suche nach irgendwas machen.

Ein wertloser Gut-gemacht-Kommentar? Mag sein.
Aber genau das ist es: Verdammt gut gemacht!
Hut ab vor deiner Schreibe!

BG,
Sammis

 
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Hallo @Achillus,

diese Geschichte lässt mich mit zwiespältiger Ansicht dazu zurück. Da sind einige Teile, die ich für absolut gut gelungen erachte und die davon zeugen, dass du einfach gut schreiben kannst.
Aber es sind auch Teile enthalten, die mich irritieren, weil ich mich frage, wieso du da nicht mehr für die Geschichte getan hast, wieso die so schlicht wirken im Gegensatz zum Rest.

Ragner betrachte das Wogen der Pflanzen,
Hier der einzige Rechtschreibfehler. Mehr ist mir ansonsten nicht aufgefallen.


Ich versuche in der Reihenfolge vorzugehen.
Zunächst dümpelt die Geschichte etwas ereignislos vor sich hin. Klar, du beschreibst einen in die Jahre gekommenen Mann ziemlich gut, setzt ihn gekonnt, sehr gekonnt sogar ins Milieu und die von dir erzeugte Stimmung ist gelungen. Sehr gut geschrieben.

Aber es passiert im Grunde genommen nix. Und dafür ist das erste Drittel dann zu viel erstes Drittel.
Dann fällt auf, dass du für eine Kurzgeschichte einen Tick zu viele Personen und Namen auftauchen lässt, das verwirrt teils. Ich war laufend dabei, mir die Leute dann einzusortieren und geriet dabei immer ein wenig aus der Geschichte raus.

Mir würde das erste Drittel deutlich besser gefallen, wenn du mehr Spannung erzeugen würdest. Dann käme ich wahrscheinlich sogar damit klar, dass da nicht so arg viel passiert.

Ihm fiel das Gezappel eines orangefarbenen Salmlers auf. Die Schwimmblase des Fischs war verletzt. Mit zuckenden Bewegungen arbeitete er sich einige Sekunden lang nach oben, um dann entkräftet auf den Kiesgrund zurückzusinken.
Das hier ist eine starke Stelle, die auf das Ende der Geschichte und deines Protagonisten hinweist und die gefällt mir super gut. Das ist überhaupt eine deiner Spezialitäten, dass du Vergleiche verwendest, die frisch erdacht wirken und nicht so ein Abklatsch alt bekannter Weisen sind. Damit beeindruckst du mich sehr.

»Ich studiere Mathematik an der FU«, sagte Jenny und sah Hagner an. Hagner zog die Brauen hoch. Jenny lachte. »Scheiße nein. Ich jobbe bei Edeka und manchmal helfe ich einer Freundin auf dem Flohmarkt.«
Super gelungene Wendung.
»Am nächsten Morgen war der Bär weg. Sergej sagte, elf bis zwölf sei jetzt offiziell meine Bärenstunde. Eine Tageszeit schlimmer Überraschungen.«
Die Erklärung der Stunde des Bären gefällt mir ausnehmend gut. Der zweite Hinweis darauf, dass noch etwas Negatives passieren wird.

Ob viele Menschen dieses Gefühl kannten? Mit geplatzter Schwimmblase abwärts sinken. Kämpfen. Strampeln. Ackern. Dann ausgelaugt und kaputtgeschlagen erstarren. Zu Boden gehen unter dem stumpfen Glotzen der Anderen.
Diesen Absatz würde ich streichen. Der Leser hat es ja schon weiter oben begriffen, wie es Hagner geht bzw. ergeht. Hier ist mir das einfach zu viel. Die Aussagekraft bleibt stärker, wenn du es nur einmal, eben weiter oben, beschreibst.
In einer anderen Nacht hätte er vielleicht von seinem Schmerz gesprochen, hätte seinen Sohn Lars erwähnt. Lars Hagner, zwölf Monate zuvor ums Leben gekommen. Während einer Mission des Kommandos Spezialkräfte. Details der Todesumstände unbekannt, Militärgeheimnis.
Hier hatte ich den Eindruck schlappst du inhaltlich durch. Was soll dieser plötzliche Einschub. Zum einen kommt das wie aus dem Himmel gefallen, dass es da einen Sohn gibt. Zum anderen trägst du zu dick auf, indem du ausgerechnet das KSK wählst. Klar, mit dem üblichen Schweigen des KSK zu solchen Vorfällen kannst du dich elegant um die Frage drücken, wie es passiert ist. Das wäre für sich genommen keine schlechte Lösung, um der Geschichte nicht noch eine weitere Wendung zu geben.
Aber für mich ist bereits die Figur des Hagner so intensiv gezeichnet und somit gut nachvollziehbar, in welcher Verfassung er sich befindet.
Dieses Erscheinen eines Sohnes, der obendrein noch dramatisch während seines Bundeswehrjobs umgekommen ist, ist einfach drüber und nimmt deiner Geschichte Kraft.
Obendrein hätte ich dazu noch zwei Einwände. Zum einen würde ein Hagner sich mit dem Verschweigen der Tatsachen, die zum Tod geführt haben, nicht abfinden, sondern ermitteln und es herausgefunden haben. Zum anderen sind gerade die Todesfälle beim KSK nicht in der Häufigkeit gegeben, wie es bei den sonstigen Einsätzen der Soldaten der Fall ist.
Aber ich wäre ja sowieso insgesamt dafür, den Sohn gar nicht ins Spiel zu bringen.
In einer anderen Nacht hätte Hagner vielleicht den dunkelgrauen Van bemerkt, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte.
Hier bist du mir zu narrativ. Stelle die Szene doch einfach dem Leser ganz nüchtern vor.
Und zwar so, dass der Leser das sieht, was Hagner in dieser Nacht leider nicht sieht.

Das würde mir imponieren.


Lieben Gruß

lakita

 
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Hey @Achillus

Arne Hagner stand am Fenster und starrte durch die regennassen Scheiben auf den Hof.
»Seit wann?«, fragte er. Im Lautsprecher des Telefons knackte es, dann hörte er Waller sagen: »Schon ne ganze Weile. Besser, du beeilst dich.«
Er legte auf, schob das Telefon in die Hosentasche. Im Hof trommelte der Regen auf die Dachpappe der heruntergekommenen Garagen. Hagner betrachtete die im Schein einer Straßenlaterne schimmernden Wasserlachen, die schmutzigen Fassaden, das Graffiti an der Brandmauer gegenüber. Wedding sucks.
Sein Sakko hing über der Stuhllehne. Er zog es an, klappte den Laptop zu. Holte Waffe und Magazin aus dem Wandtresor, lud die Pistole und steckte sie in das Gürtelholster. Ein Reißen in der linken Schulter, als er vor dem Kleiderschrank stand und nach seinem Mantel griff. Dieser Idiot gestern im Red Crane. Die Typen glaubten nicht, dass ein Mann, der dreißig Jahre älter war, ihnen die Fresse polieren konnte.
Hagner zog den Mantel an, schloss die Tür des Schranks und nahm seine Lederhandschuhe vom Schreibtisch.
Schon zu Beginn fällt auf, wie gut du dosieren kannst, Handlung, atmosphärische Beschreibung, Erinnerung. Ich finde das über weite Strecken sehr gut austariert. Ich denke, das ist entscheidend dafür, dass man den Text einfach so runterlesen kann, eingesogen wird von der Stimmung und der Szenerie. War fast schon ein filmisches Erlebnis. Auch wenn einiges sehr generisch ist, Regen, Waffe, Bars und dunkle Ecken, gibst du dem Text genügend eigene Note (u.a. durch den Fisch), sodass auch ich dranbleibe, der solche Texte nicht unbedingt sucht.
weil Paranoia einem in dieser Art von Leben die Haut retten konnte.
Das ist vielleicht etwas umständlich, zu reflektiert, relativierend. Organischer wäre "in diesem Job" oder einfach ganz weg.
Er löschte das Licht, verließ das Büro, trat in den Hof. Ein Geruch von Katzenpisse und faulendem Laub.
Exemplarisch dafür, wie gut du alle Sinne ansprichst. Mich stört aber der Satz ohne Verb. Machst du sonst nie. Aber ist so eine Geschmacksfrage. Bei solchen Sätzen denke ich mir stets, den Leuten ist kein Verb eingefallen. Bei Gerüchen ist es ja aber auch tatsächlich schwierig. Man riecht Gerüche, da gibt es wenig Variation und "drang in seine Nase" wäre hier schon zu gestelzt. Vielleicht fällt dir sonst etwas ein, falls du das überhaupt ändern willst.
er blieb vor seinem schwarzen Kombi stehen, hielt inne. Das war 2023. Heute knackte es nicht mehr in der Leitung, wenn ein Anschluss abgehört wurde.
Ich fand diese Reflexion irgendwie falsch platziert und auch das Fettmarkierte hat mich etwas gestört. Muss natürlich nicht gleich unmittelbar, aber vielleicht doch etwas näher ans Telefongespräch?
Verpisst euch aus meinem Kiez.
Dieser Befehl verdient ein Ausrufezeichen!
In in den kahlen Bäumen über ihm krächzte ein Rabe oder eine Krähe.
Haha, der kleine Bruder vom Hund, der in der Ferne bellt. Würde ich kicken, das ist zu sehr auf die Atmosphäre-Tube gedrückt.
Hagner steuerte den Wagen durch die Lynarstraße, dann die Müller entlang und weiter in die Chausseestraße. Vor seinen Augen flimmerten grüne, gelbe und rote Reflexionen von Rücklichtern und Leuchtreklamen auf dem nassen Asphalt. Beim Red Crane war nicht viel los. Hagner
Ich würde hier zu "er" wechseln. Ich finde, dass du den Namen insgesamt zu häufig nennst.
Vier oder fünf Mädchen saßen da im rötlichen Dämmer und unterhielten sich mit Gästen.
Kann weg.
»Yanzhou ist oben, falls du sie sprechen willst«, sagte sie, während sie Wodka eingoss.
»Vielleicht später«, sagte er und zog an seiner Zigarette.
Noch einen«, sagte er, als er sich wieder an die Bar setzte. Er drückte die Zigarette aus und sah Jenny an.
»Nen guten Tag gehabt?«, sagte sie und goss ihm den zweiten Drink ein.
Würde ich hier stärker variieren. Ansonsten sind die Dialoge gut, schön eingeflochten und das Ganze weiterhin perfekt austariert.
»Ich werd gehen«, sagte Hagner.
»Willste jetzt fahren?«
Hagner nickte. »Is nicht weit.«
Er
»Eines Nachts, es war so kurz nach elf, da rumpelte es furchtbar in einem Schuppen, den Sergej als Garage und Werkstatt benutzte.«
Würde ich kicken, ist nicht nötig und bremst.
»Wir schnappten uns unsere Waffen und gingen raus.
unschön. "schnappten uns die Waffen" vielleicht?
»Ich riss die Tür der Garage auf und wäre fast auf den Arsch gefallen.
kann entsprechend weg, ist klar, welche Tür.
»Dann gehen wir zu mir und vögeln.«
Jenny sah Hagner an. »Gute Idee«, sagte er.
Das steht auf der falschen Zeile und gehört nach oben.
Hagner stellte den Wagen in der Nähe von Wallers Kneipe ab. Er schlug den Mantelkragen hoch, sah sich kurz um. In einer anderen Nacht wäre er vielleicht mit Jenny gegangen. In einer anderen Nacht hätte er vielleicht von seinem Schmerz gesprochen, hätte seinen Sohn Lars erwähnt. Lars Hagner, zwölf Monate zuvor ums Leben gekommen. Während einer Mission des Kommandos Spezialkräfte. Details der Todesumstände unbekannt, Militärgeheimnis.
Fand ich unglücklich (und habe gesehen, dass auch @lakita das moniert). Das braucht es nicht auch noch, finde ich, weil es dann vielleicht doch etwas zu viel der klassischen Elemente sind und das Klischee lauert bei dieser Art von Text ja stets drauf, es sich im Text gemütlich zu machen. Es wirkt auch so arg nachgeschoben, wenig organisch. Wenn, dann müsstest du das meiner Meinung nach früher einbringen.

Dieses "an anderen Tagen hätte ...", ich weiss nicht. Das ist halt auch schon etwas abgegriffen. Aber okay.

Das Ende ist wenig überraschend, aber zwingend. Kein Text, der durch Plottwists überzeugen will, aber atmosphärisch dicht und gut geschrieben ist. Den habe ich gerne gelesen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo @Achillus,

inhaltlich nichts Überraschendes dabei, noir-vibes, leichte Mädchen und gewaltbereite Kerle, da wird einer verdroschen, hier sitzen Nutten rum, Wodka, Knarren, Dämmerlicht. Das kennt man, aber dennoch ist dein Text ein Paradebeispiel für dichte Atmosphäre. Das funktioniert einfach und du saugst den Leser direkt in diese Welt. Einfach, weil die Szenen stimmig sind, die Dialoge passen, die Bilder und Charaktere auch. Das ist durchweg professionell gemacht und sitzt. Deswegen habe ich das sehr sehr gerne gelesen, auch wenn der Plot an sich nun wenige Überraschungen bot. Aber die Einblicke in diese Welt haben’s einfach wettgemacht. Toller Text insgesamt.

Ein paar Anmerkungen:

Das Knacken im Telefon vorhin. Zwanzig Jahre waren viel Zeit, um sich Feinde zu machen.
Hier war ich kurz raus, mir war an dieser Stelle der Zusammenhang zwischen Knacken und zwanzig Jahren nicht klar. Das wirkt so losgelöst voneinander, obwohl ein Zusammenhang beabsichtigt ist. Klar, später sagst du dann, warum das Knacken und so, aber an dieser Stelle wirkt das so nicht stimmig.

Schwierig insbesondere, weil Paranoia einem in dieser Art von Leben die Haut retten konnte.
Ich bin mir relativ sicher, dass das Komma vor insbesondere muss.

Das war 2023. Heute knackte es nicht mehr in der Leitung, wenn ein Anschluss abgehört wurde.
Hier klingt es so, als wäre 2023 ewig lange her und das heute wäre erst jetzt (2024) komplett was anderes. Sprich, in den einem Jahr hätte sich das erst verändert. Ich glaube aber, du meist das heute im Vergleich mit z. B. 1983, was hier aber nicht hervorgeht.

Ex-Soldat, Ex-Ehemann, Ex-Vater. Das Präfix beschrieb sein Leben.
Den zweiten Satz würde ich streichen, wirkt zu erklärend.

Etwas weiter die Lynar runter, drückte sich eine Gestalt in das Halbdunkel eines Hauseingangs.
Kein Komma hier.

Hagner grüßte zum Abschied.
Sagt man das so? Ich würde einfach Hagner verabschiedete sich schreiben.

In in den kahlen Bäumen über ihm krächzte ein Rabe oder eine Krähe. Abgasgeruch.
Doppeltes in

Als er dann besoffen genug war, dachte er wohl, es wird Zeit für ein bisschen Action.«
Den Satz würde ich auch streichen, wieder ein bisschen zu erklärend in dem Kontext. Ist ja beiden bekannt, was da abgeht.
Mit geplatzter Schwimmblase abwärts sinken. Kämpfen. Strampeln. Ackern. Dann ausgelaugt und kaputtgeschlagen erstarren. Zu Boden gehen unter dem stumpfen Glotzen der Anderen.
Tatsächlich würde ich die Szene, wo er im Puff den Fisch beobachtet, alleine stehen lassen und das gar nicht mehr aufgreifen oder erklären. So wirkt die Szene alleine besser und regt mehr zur Interpretation an. :D

Alles in allem war hier ein Profi am Werk und habe den Text sehr gerne gelesen.

Liebe Grüße
gibberish

 

Hallo Sammis, danke für Deinen Kommentar. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Das motiviert zum Weiterschreiben. Gruß Achillus


Hallo Lakita, danke für Deine Hinweise zum Text. Zu den beiden erstgenannten Punkten (langweiliger/ langwieriger Start, zu viele Namen) denke ich, dass Du da nicht unrecht hast. Ich schreibe mich bei einer Geschichte erst einmal in die Atmosphäre rein. Mag sein, dass ich da später noch etwas kürzen muss. Die Personenanzahl ist in der Tat ziemlich groß für so einen kurzen Text. Darüber werde ich nachdenken.

Dann zur Wiederaufnahme des Fischthemas. Ich hatte gar nicht gedacht, dass der Leser die Analogie übersieht. Es ging mir darum zu zeigen, dass Hagner diese Beobachtung nach und nach reflektiert und auf sich bezieht.

Der Einschub mit dem Sohn schien mir deshalb wichtig, weil das ja der Grund für den Zusammenbruch von Hagners Ehefrau und auch für seinen eigenen Niedergang darstellt. Ich halte das für elementar. Es kommt auch deshalb nicht wie aus dem Himmel gefallen, finde ich, weil vorher ja erwähnt wird, dass er ein Ex-Vater ist. Und das kann man nur sein, wenn man sein Kind verloren hat.

Meine Wahl viel deshalb auf das KSK, weil die Toten/ die Todeszahlen dieser Einheit geheim sind. Ansonsten sind die Todeszahlen der Bundeswehr so überschaubar, dass man fast bis zum Einsatz in Afghanistan zurückmüsste, um in der Richtung etwas zu konstruieren. Das hätte dann zeitlich nicht in die Geschichte gepasst.

Danke für Deine Einschätzung und Dein Lob und Deine Kritik, Lakita. Das wird mich beschäftigen.

Gruß Achillus


Hallo Peeperkorn, schön, dass Du geschrieben hast. Hat mich sehr gefreut. Du hast mir eine Menge Hinweise gegeben, die ich schon beim ersten Überfliegen sehr nützlich finde. Ich werde sicher einiges davon umsetzen. Was den Sohn beim KSK betrifft, weiß ich nicht so richtig, wie ich den rausschmeißen soll, ohne dass der Zusammenbruch von Hagners Frau Fragen aufwirft. Klar könnte man einfach sagen, das ist eben so. Aber so richtig befriedigt mich das nicht. Ich denke auf jeden Fall darüber nach. Dass Du Deine Gedanken zu dem Text teilt, wird mir helfen. Vielen Dank dafür, Peeperkorn.

Gruß Achillus


Hallo gibberish, danke für Dein Statement zum Text. Hat mich gefreut, von Dir zu lesen. Du hast ja das Thema Mangel an Originalität angesprochen, wie auch die anderen Kommentatoren vor Dir. Ich glaube, ich habe dazu eine etwas abweichende Haltung.

Originalität ist bestimmt etwas, das ein Kunstwerk (ganz allgemein, egal ob Film, musikalische Komposition, Text, Malerei usw.) ungemein aufwertet und bereichert. Insofern ist ein Mangel sicher Anlass für berechtigte Kritik. Andererseits sind die Grundbedingungen menschlicher Existenz nicht unendlich vielfältig. Es ist schon richtig, dass man die Themen Tod, Trauer, Liebe, Stolz, Eifersucht zahlreich variieren kann. Aber wenn man bedenkt, dass pro Jahr 2000 Filme produziert und weltweit ca. 70.000 Romane veröffentlicht werden, muss man wohl hinnehmen, dass die grundlegendsten Erfahrungen des Menschen bereits in großer Vielfalt dargestellt wurden.

Die Kehrseite dieser Sehnsucht nach dem ganzen Neuen in der Literatur ist meiner Ansicht nach, dass wir konsequenterweise mit zunehmender Lese-Erfahrung immer häufiger enttäuscht werden. Man kann das bei den ganz abgeklärten Literaturkommentatoren sehen, die alles schon gehört, gelesen und gesehen haben. Die nichts mehr spannend finden, keine Tiefe erkennen können oder wollen, weil schließlich alles so oder sehr ähnlich schon mal gesagt und gezeigt wurde.

Dabei kann man fragen, ob sie das in ihrem Leben auch so sehen. Schmeckt der Kaffee am Morgen langweilig, weil man den schon tausendmal getrunken hat? Das wäre sehr schade, denn unser Leben besteht zu 90 Prozent aus Wiederholungen.

Aus der Sicht des Schreibenden ist dieser selbstauferlegte Zwang zum Neuen sicher ein Hemmschuh. Es ist besser, finde ich, eine Geschichte die man in Varianten schon kennt, gut erzählen zu können, als etwas ganz Neues zu konstruieren, das keinen Sinn ergibt. Um aber zu lernen, eine Geschichte gut zu erzählen, muss man so viel üben, dass Originalität gar nicht durchzuhalten ist.

Sorry für den kleinen Gedankenexkurs.

Über das zweite Auftauchen des Fisch-Motivs scheint bei Euch Einigkeit zu herrschen. Danke dafür und auch für die vielen anderen, sinnvollen Hinweise. Ich werde die in meine Bearbeitung miteinfließen lassen.

Gruß Achillus

 

Hallo @Achillus,

danke für deine Erwiderung zu meiner Kritik. Ich bin beruhigt, dass du damit etwas anzufangen wusstest.
Und wenn du den Part mit dem KSK-Soldaten nicht eliminieren möchtest, dann ist das dein gutes Recht als Herrscher über deinen Text. Alles gut.
Ich möchte nur ein paar kleine Punkt erwähnen:
1.) Die Soldaten des KSK sind derartig von der Sohle bis an ihre Haarwurzeln durchtrainiert und ganz besonders auf ihre speziellen Aufgaben geübt, dass unter ihnen im Verhältnis zu den sonstigen Diensten bei der Bundeswehr deutlich weniger Fatales passiert.
2.) Und die Behauptung, du seist nur deswegen auf die Erwähnung dieser Personengruppe verfallen, weil es geheim bleibt, wenn dort etwas passiert, schiebt die Logik ein wenig in die Schieflage, denn Ragner weiß ja, dass sein Sohn innerhalb dieser Truppe umgekommen ist.
Wie es passiert ist, weiß er nicht. Aber das Wie ist hier ja gar nicht Thema deiner Story. Insoweit vermag ich deinem Argument nicht zustimmen.
3.) Nur am Rande möchte ich erwähnen, dass in den letzten 30 Jahren die Rate der Tode durch Selbstmord innerhalb und nach der Wehrdienstzeit bei den Soldaten eklatant höher liegt als diejenige der anderen Todesfälle im Wehrdienst.

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo Lakita, danke, dass Du nochmal geschrieben hast.

Kurz zu Punkt 1) und 2) Ist schon klar, dass die KSK-Leute gut trainiert sind. Ihre Jobs sind aber auch weitaus gefährlicher. Es ist also durchaus plausibel, dass dabei jemand ums Leben kommen kann.

Und die Wahl viel deshalb auf das KSK, weil ein Leser sonst einfach in die Statistik gucken und sagen könnte: Moment mal, 2022 ist doch gar kein Soldat bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommen. Es ging nicht um Hagner, sondern um die Plausibilität für den Leser. Denn natürlich erfahren die Angehörigen vom Tod eines KSK-Soldaten. Und nur um den Fakt ging es ja.

Wie gesagt kann ich ganz grundsätzlich verstehen, was Dir bei dem Soldatenaspekt missfällt. Aber das ist ein wichtiger Grund für den Zustand von Hagners Ehefrau. Ich wüsste nicht, wie ich das einfach weglassen sollte. Peeperkorn hat vorgeschlagen, es nicht so spät reinzubringen. Das müsste Deiner Empfindung auch eher entsprechen. Ich schau mal. Vielen Dank, Lakita.

Gruß Achillus


Hallo Henry, danke für Deinen Kommentar und Deine Hinweise zum Text. Du hast einige bedenkenswerte Kritikpunkte genannt.

In den Genres Thriller und Krimi wird deutlich mehr gelesen, als z.B. in den Bereichen Horror und Science Fiction. Das beeinflusst sicher die Wahrnehmung des Publikums und kann es schwieriger machen, etwas Unverwechselbares zu schaffen. Andererseits ist der »Bedarf« an Erzeugnissen aus dieser Sparte so hoch, dass man auch dann erfolgreich sein kann, wenn eine Geschichte nicht perfekt ist. Die große Nachfrage hat für den Schaffenden also Vor- und Nachteile. Ich sehe nicht, dass die Latte in diesem Genre so hoch liegt, dass man entweder ein makelloses Meisterwerk schafft oder scheitert.

Bei mehreren Punkten, die Du nennst, handelt es sich um Deine persönlichen Vorlieben. Kann man sicher so sehen. Ich seh es anders. Nur ein Beispiel: Dass die Leute jetzt überall in der modernen Welt schnell beim Du sind, heißt für mich nicht, der Erzähler müsste die Figur beim Vornamen nennen.

Danke fürs Lesen und Kommentieren, Henry.

Gruß Achillus

 

Hallo zusammen!

Möchte an dieser Stelle auch nochmals etwas unqualifizierten Senf hinzugeben.
In wie weit ist es sinnvoll, Energie und Zeit aufzuwenden, um von einem sehr hohen Niveau ein noch höheres zu erreichen? Ist es irgendwann nicht zielführender, umfangreiche Werke zu schaffen und diese in die Waagschale zu werfen? Was ich damit sagen möchte, ist, dass die breite Leserschaft da draußen ein Roman, der das Niveau der vorliegenden Kurzgeschichte vollumfänglich hält, vermutlich großteils feiern würde. Wie viele Thriller mit 0815 Story gibt es Jahr für Jahr, die Erfolg haben und nicht annähernd so gut geschrieben sind? Natürlich gibt es immer etwas zu verbessern, wie die vorangehenden Kommentare teils zurecht aufzeigen. Ich kenne weder die Ambitionen von Achillus, noch weiß ich, woran er sonst arbeitet oder was er bereits geschrieben hat. Man kann aber auch ein Leben auf Perfektion hinarbeiten und letztlich nie etwas von Bedeutung zu Papier bringen. Nur so ein Gedanke.

 

Oder man kann ein Leben lang auf Perfektion hinarbeiten und gleichzeitig jede Menge von Bedeutung zu Papier bringen.

 

Oder man kann ein Leben lang auf Perfektion hinarbeiten und gleichzeitig jede Menge von Bedeutung zu Papier bringen.
My sentiments exactly!

Liebe Grüße in die Runde und an @Achillus - ich freue mich riesig, dich wieder hier zu lesen, und werd die Tage auch klein bissl was zum Text sagen,
Katla
:kaffee:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Henry, danke, dass Du nochmal reinschaust. Du sagst, dass Du anspruchsvoller bist, als die anderen Kommentatoren und Deine Kritik deshalb härter/ negativer ausfällt. Ich werde mir das mal durch den Kopf gehen lassen. Auf jeden Fall sind Deine Gedanken ein Anstoß, um meine Haltung zu dem, worum es mir beim Schreiben geht, zu überprüfen.

Gruß Achillus


Hallo Sammis, danke fürs Nochmal-Schreiben. In dieser Diskussion beschäftigt mich die Frage, ob man außerhalb der Grundlagen des Schreibens überhaupt so kategorische Aussagen treffen kann. Wir müssen uns nicht darüber streiten, dass es grundlegende Fertigkeiten gibt, die man beim Schreiben beachten sollte. Aber alles, was über diese Basics hinausgeht, ist meiner Ansicht nach Glaubenssache. Der Film »Anatomie eines Falls« hat diverse Filmpreise gewonnen, für Wolfgang M. Schmitt gehört er zu den 10 schlechtesten Filmen des Jahres 2023. Daran kann man wohl sehen, dass es in Fragen von Kunst und Kreativität häufig nicht die Art von Konsens gibt, die wir uns vielleicht wünschen.

Gruß Achillus


Lakita und Katla, danke für Eure Kommentare. Gruß Achillus

 

Arne Hagner stand am Fenster und starrte durch die regennassen Scheiben auf den Hof.
Merkwürdig,
allein durch Namen („Arne“ und „Hagner“) und vor allem, „den Hof“ zu lesen, lässt mich mich zu Worms am Rhein stranden, als ein althochdeutsches „arn“ soviel wie „Adler“ und im übertragenen Sinn „Herr-scher“ bedeutete, und ich kann mir gut vorstellen, dass die Burgunden dem Schiffer „Wegegeld“, also Zoll abverlangten, der „eigentlich“ der römischen Macht zugestanden hätte.

Wir sind halt immer noch die alten Troglodyten - und als Zitat schlechthin für mich,

@Achillus

Das Präfix beschrieb sein Leben.

Bissken Flusenlese

hier

»Schon ne ganze Weile. Besser, du beeilst dich.«
empfehl ich zunächst den Apostroph, für den ich gleichermaßen einsteh wie im Kreuzzug zur Erhaltung des Ausrufezeichens …!, das inzwischen zur bedrohten Art zu rechnen ist.
Gegen Ende würdigstu`s eher nebenbei
»Oh, Shit!«
aber hier schon wieder nicht
»Nabend, Arne.«
Kein Mehraufwand ob man „.“ oder „!“ setzt ...
»Muss ja.«

ein winziger Verstotterer
In in den kahlen Bäumen über ihm krächzte ein ….

Jenny setzte sich wieder zu ihm. »Danke nochmal für gestern«, sagte sie.
„noch mal“ (weil an sich ein verkürztes „noch einmal“), oder „nochmals“

Jenny lachte. »Scheiße[,] nein.
& - natürlich "..., nein!"

Hagner betrat die Kneipe[, / oder alternativ ein „und“] grüßte Waller mit einem Nicken.

Wie immer -
gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo @Achillus, ich habe deinen Text jetzt zum zweiten Mal gelesen und überlegt, ob ich dir meinen Eindruck dazu dalassen soll. Auch, weil Einiges ja schon gesagt wurde. Am Ende kannst du ja entscheiden, was du mit meinem Kommentar anfängst.
Grundsätzlich, und auch das wurde ja bereits ausgesprochen, ist der Text gut und souverän geschrieben. Da passt im Grunde alles und man liest die Erfahrung von dir zwischen den Zeilen heraus.
Ich habe trotzdem ein Problem mit deinem Text. Auch nach dem zweiten Lesen ist mir das aufgefallen. Ein wenig muss ich mich da @Henry K. anschließen. Du bewegst dich ja schon auf bekanntem Terrain und strebst einen harten Realismus an. Ich finde, dass das besser funktioniert, wenn nicht alles ausformuliert wird und wenn vor allem bestimmte bekannte tropes vermieden werden. Ich habe ein paar Stellen herausgeholt, die mir aufgefallen sind:

Dieser Idiot gestern im Red Crane. Die Typen glaubten nicht, dass ein Mann, der dreißig Jahre älter war, ihnen die Fresse polieren konnte.
Hier zum Beispiel ist mir das aufgefallen. Jetzt ist ja im Grunde klar: Alternder Typ, Türsteher-Milieu, trotzdem noch mit Ärger konfrontiert, vermutlich nicht so glücklich im Leben -
Da habe ich direkt ein ganz klares Bild vor Augen. Spricht ja auch für dich und deine klare Sprache und die Fähigkeit, das alles in wenigen Sätzen zu verpacken. Dennoch ist mir das zu altbekannt und ich denke, dass da ein wenig Überraschung gutgetan hätte. Vielleicht, wenn es nicht so komplett ausformuliert ist.

Zwanzig Jahre waren viel Zeit, um sich Feinde zu machen. Schwierig, da den Überblick zu behalten. Schwierig insbesondere, weil Paranoia einem in dieser Art von Leben die Haut retten konnte.
Der Feind. Das war der Mann dort hinten, der an der Straßenecke stand und auf sein Handy schaute. Der Feind war der Kerl, dem er seit einer Woche in der U-Bahnstation begegnete.
Diese Stelle ist für mich mit das Spannenste am Text. Genau hierzu hätte ich mir mehr gewünscht und dachte zunächst auch, dass du genau in diese Richtung abbiegst. Nicht in der Weise, dass es um die tatsächlichen Feinde geht, sondern dahingehend, dass er durch seine bisherige Erfahrung zunehmend paranoid wird und hinter allem den Feind sieht. Was macht das mit ihm? Zu was wird er dadurch verleitet? Ich finde, wenn du das mehr ausgebaut hättest, wäre das sicherlich sehr spannend gewesen. Auch deshalb, weil es sich dann ein wenig von Altbekanntem absetzt.

Ex-Bulle, hab‘ ich gehört.« Hagner hatte in den Drink gestarrt und geschwiegen. Ex-Soldat, Ex-Ehemann, Ex-Vater. Das Präfix beschrieb sein Leben.
Ich weiß nicht. Auch das habe ich schon mal gehört. Sicherlich passt es zu Hagner. Aber vielleicht wäre hier weniger mehr gewesen? Also nicht alles so ausformulieren, sondern ein wenig akzentuierter und nur andeuten? Weil klar kommt er aus einer gescheiterten Ehe, klar hat er sein Kind verloren (ich dachte zunächst einfach nur Kontaktabbruch), klar sieht er sich langsam untergehen, klar trinkt er ...

Wir haben uns schnell aus dem Staub gemacht, zurück in die Hütte. Ich hatte die ganze Nacht Schiss, dass das Monster die Tür aufbricht.«
Mit geplatzter Schwimmblase abwärts sinken. Kämpfen. Strampeln. Ackern. Dann ausgelaugt und kaputtgeschlagen erstarren. Zu Boden gehen unter dem stumpfen Glotzen der Anderen.
Das wiederum hat mir wirklich richtig gut gefallen. Sowohl die Fischmetapher als auch die Geschichte des Bären in Sibirien. Das passt gut rein und liest sich auch nicht drübergestülpt.

Der Feuerstoß einer Schrotflinte zuckte grell auf. Die Garbe riss Hagner und Sally zu Boden. Der Klang von Schritten hallte durch die Dorotheenstraße, der Transporter rollte aus der Parklücke, die Seitentür des Vans wurde zugezogen. Der Van beschleunigte und fuhr in östlicher Richtung davon.
Ich hab mir auch überlegt, ob mir das Ende gefällt. Du legst ja in diesem Text schon sehr viel Wert auf einen harten Realismus. Und da frage ich mich dann, ob es wirklich so passend ist, dass Hagner aufgrund von Revierstreitigkeiten direkt erschossen wird. Sicher, er hat den ersten Schritt getan. Zumindest kennen wir ja die Vorgeschichte nicht so wirklich und sicherlich gibt es sowas auch in der realen Welt. Da wird mal jemand abgestochen und da wird auch mal wer erschossen. Aber was ich sagen will, ist, dass es da ja auch eine gewisse Eskalationsspirale im Vorfeld gibt. Gerade im professionell-kriminellen Milieu (ich stelle mir das zumindest so vor) wird da bestimmt vorher abgewogen, wie viel Unruhe ein Mord auf offener Straße so mit sich bringt. Die Polizei muss in so einem Fall ermitteln, gegebenenfalls gibt es eine Reaktion des Gegners. Möchte man so was wirklich anstoßen? Hätte es nicht gereicht, ihm die Beine zu brechen, um einen Punkt zu machen? Naja, ich hab mich an dieser Stelle zumindest ein wenig aufgehängt.

Ich habe es weiter oben ja bereits gesagt. Was mir nicht so ganz gefällt, ist die Ausrichtung und Schwerpunktsetzung des Textes. Ich finde, dass du an der einen oder anderen Stelle zu dick aufträgst und auf einigermaßen bekannten Pfaden wandelst. Auch frage ich mich zum Beispiel, wie wichtig die Szene in der Bar ist. Was zeigst du damit konkret? Seine Einsamkeit, seine Zerbrochenheit? Ich finde, das wäre anders, nicht so dick aufgetragen, besser gelöst gewesen. Und ganz grundsätzlich hätte ich dieses Überall sind Feinde und ich weiß nicht, wer dazugehört, besser gefunden. So, dass er sich da immer mehr radikalisiert, er vielleicht wirklich irgendwann zur Gefahr wird?

Puh, ich weiß nicht, wie konstruktiv mein Beitrag an dieser Stelle noch ist. Denn im Grunde würde es wohl schlicht auf eine andere Geschichte herauslaufen, wenn du meinen Kommentar ernst nimmst. Und du hast dich ja aus Gründen entschieden, eben deine Version der Geschichte zu erzählen. Ich kann dir aber eben nur meinen Eindruck hinterlassen. Vielleicht bringt er dir ja ein wenig. Alles in allem ist das ohnehin Meckern auf hohem Niveau!

Viele Grüße
Habentus

 

Hallo Henry, danke, dass Du nochmal reingeschaut hast. Deine Argumentation hat mich zum Nachdenken angeregt. Ich denke, dass Du ein paar gute Punkte genannt hast, die mir helfen werden, in Zukunft nach neuen Wegen zu suchen. Es gibt meiner Ansicht nach aber auch widersprüchliche Aspekte in Deiner Herangehensweise.

Es ist z.B. schon ein wenig paradox, wenn Du einerseits sagst, dass Du 50.000 Stunden mit Kino, TV und Lektüre verbracht hast, Dich andererseits aber wunderst, weshalb Du Dich langweilst, wenn Du genretypische Geschichten liest oder anschaust. Vielleicht hast Du es einfach übertrieben. Wenn man jeden Tag Pizza isst, kommt sie einem irgendwann zu den Ohren raus.

Diese Geschichte hier kann man dem Hard Boiled Genre zurechnen. Ich habe schon einige Geschichten dieser Art geschrieben (Berlin bei Nacht, Ein normaler Fall).

Der Held von Hard Boiled Geschichten ist eine archetypische Figur. Bei Wikipedia heißt es dazu: Dieser Figurentypus hat eine illusionslose bis zynische Sicht auf die Welt. Er steht selber am Rande der Legalität, neigt zur Selbstjustiz und nimmt wenig Rücksicht auf geltende Gesetze. Notfalls macht er auch von der Schusswaffe Gebrauch und lebt in latentem oder offenem Konflikt mit der Polizei – letzteres häufig auch deshalb, weil er früher selbst Polizist oder Justizbeschäftigter war und den Dienst quittiert hat. Das Verhalten des Hardboiled Detective entspricht einem an Kraft und Härte orientierten Männlichkeitsideal. Er ist üblicherweise Kettenraucher und schätzt hochprozentige Getränke. Sein Verhältnis zum anderen Geschlecht ist komplex oder ambivalent …

Der Grund, weshalb Du also diese Art von Figur so gut kennst, besteht darin, dass sie zum Gencode dieses speziellen Genres gehört. Wenn Du Dich darüber aufregst, dass Du das alles schon zur Genüge kennst, dann bist Du vielleicht in diesem Genre falsch. Du würdest wohl kaum auf die Idee kommen einer Punkband vorzuwerfen, dass die E-Gitarren benutzt und kein Tubas. Natürlich kann man auch unter Einhaltung des Genrekodex noch viel variieren und anders machen usw. Aber der Geschichte vorzuwerfen, dass sie gar keine Eigenständigkeit besäße, ist doch auch übertrieben.

Vielen Dank für Deine Hinweise zum Text, Henry.

Gruß Achillus


Hallo Friedel, vielen Dank für Deine Fehlersuche. Das hilft mir sehr. Ich werde in den nächsten Tagen über den Text gehen und die Korrekturen vornehmen.

Gruß Achillus


Hallo Habentus, danke für Deine Kritik und Deine Hinweise zum Text. Die Frage nach dem Altbekannten durchzieht mehrere Kommentare und auch meine Antworten dazu. Vielleicht habe ich deshalb dazu eine etwas andere Haltung, weil ich zwischen Handwerk und Kunst unterscheide und finde, dass eine handwerklich gut gemachte Erzählung nicht unbedingt Nie-Dagewesenes bieten muss, um zu überzeugen.

Wenn Du Dich auf einen Stuhl setzen willst, fragst Du in der Regel nicht danach, ob es da etwas in der Konstruktion gibt, das es so vorher noch nie gab. Wenn Du einen Punk-Rock-Song hörst, willst Du, dass es kracht und scheppert. Aber er muss nicht innovativ sein, um zu überzeugen.

Diese ganze Idee von der Originalität eines Kunstwerks hat sehr viel mit der Vorstellung des Künstlers als unverwechselbarem Individuum zu tun. In der Einzigartigkeit seines Werkes soll sich seine Einzigartigkeit ausdrücken. Ein bedauerlicher Effekt ist dabei, dass in der Kunst ständig nach Neuem gestrebt wird, auch wenn die Kunst dadurch nicht zwangsläufig besser wird.

Dennoch streite ich nicht ab, dass Du in einigen Punkten recht haben magst. Ich werde die Geschichte in den nächsten Tagen noch mal genauer anschauen und etwas daran feilen.

Zum Ende denke ich, dass Morde in der kriminellen Szene in den Großstädten keine Seltenheit sind. Du hast allerdings recht, dass der Leser die Eskalation nicht miterlebt und deshalb kommt das Finale vielleicht etwas zu drastisch. Ich denke darüber nach, wie auch über Deine anderen Hinweise.

Vielen Dank, Habentus. Deine Hinweise helfen mir.

Gruß Achillus

 

Hallo Leute, liebe Kommentatoren! Ich habe die Geschichte jetzt überarbeitet und viele Eurer Verbesserungsvorschläge umgesetzt. So sind ein paar Passagen gestrichen, ein paar Dialoge verändert worden. Ich habe auch Friedels Korrekturen einfließen lassen. Insgesamt ist es natürlich immer noch dieselbe Geschichte, aber ich finde, das Abspecken hat dem Text gut getan. Vielen Dank, Gruß Achillus

 

Ich noch ma’,

wenn ich darf,

bester @Achillus,

aber jede Änderung birgt auch die Gefahr neuer Schnitzer, wobei das auffälligste für mich immer wieder ist, dass i. d. R. Punkt und Fragezeichen fleißig und „artgerecht“genutzt werden, das Ausrufezeichen aber inzwischen eindeutig zu den bedrohten Arten zu rechnen ist – selbst wenn das ausgeschriebene Wort (also nicht das Zeichen!) verwendet wird in dem Sinne wie etwa der eine oder die andere in seinem/ihren Verhalten ein Ausrufezeichen setzt.

Für vier Nennungen hierorts bedarf es keiner Statistik

Besser, du beeilst dich!« / … »N’abend, Arne!« / … »Oh, Shit!« / … »Hagner!«, rief eine Stimme
dabei offenbart sich eine schlichte Frage schon in der Satzstellung
»Seit wann?«, fragte er.
Selbst bei „offeneren“ Fällen wie

»Draußen, bei dem Wetter?«
auch im Erstaunen
»Draußen, bei dem Wetter[!]«
das nicht mal eines Donnerwetters bedarf ... wobei die Wahl des Satzzeichens natürlich jedem freigestellt ist und der Beitrag nur an- und keineswegs aufregen soll.

findet der

Friedel

 

Lieber @Achillus,

ich möchte mich ebenfalls nochmals melden, auch wenn mir das immer super schwer fällt, mich an den ursprünglichen Text zu erinnern, wenn eine gewisse Zeit vergangen is. Und ich frage mich dann meist, so ist es nämlich auch bei deiner Story, ob das ein gutes oder ein nicht so gutes Zeichen ist, wenn einem bei der sozusagen zweiten Lese fast gar nichts mehr auffällt.
So ergeht es mir nämlich.
Ich finde den Text rund, es hakelt praktisch nirgends mehr und das heißt für mich, dass die Kürzungen dem Text gut getan haben. Und natürlich auch die Änderungen.

Bis auf eine Sache: mir kommt der Tod der beiden zu überraschend. Man erfährt zwar, dass Hagnan so einiges wohl schon hinter sich hat, was ihm einige Feinde eingebracht hat und klar wird dann seine Frau auch nicht verschont bleiben, Ganovenehre hin oder her, wenn es sie denn jemals bei deinen Tätern gab, aber idealer wäre, ich wüsste als Leser mehr darüber.
Und gleichzeitig mit meinem Wunsch entsteht ein Problem, denn wenn ich den Grund für den Tod der beiden erfahren oder wenigstens erahnen könnte, dann wüsste ich ja mehr als der Protagonist.
Wie man dieses Problem löst, vermag ich dir nicht anhand von Beispielen darzulegen. Ich bin mir aber sicher, dass es möglich ist.

Vielleicht kommt einer der sozusagen neuen Kritiker drauf, wie man das lösen könnte. Vielleicht bin ich auch allein mit meinem Wunsch. Wäre also prima, wenn noch mehr diesen Text lesen könnten, die ihn nicht in seiner ursprünglichen Fassung kennen.

Mir fiel auf und vielleicht täuscht mich da mein Erinnerungsvermögen, dass du die Szene mit dem Aquarium, nicht nur in seiner Wiederholung gestrichen, sondern ganz anders dargestellt hast. Es wirkt auf mich jedenfalls jetzt viel tiefsinniger, ohne aufgesetzt rüberzukommen.
Das Weglassen des Todes des Sohnes war ja sowieso in meinem Sinne, womit die ganze Frage, ob KSK übertrieben ist oder nicht, gleich mit über den Rand fällt.

Er ging an umgekippten Müllcontainern vorbei.
Dass sie auch noch umgekippt sind, finde ich drüber.
drehte er sich ein paar Mal um und sah über die Schulter.
Hier gefällt mir die Szene nicht so richtig. Entweder ich drehe mich um oder ich blicke über meine Schulter. Mir würde eines von beidem reichen.
Beim Red Crane war nicht viel los.
Da habe ich mich gefragt, woher er das weiß? Weil so wenig Wagen vor der Tür parkten? Oder woran erkennt er es, bevor er das Red Crane betritt?
gedämpften Stimmen
Sorry, hab grad vergessen, was genau mir hier aufgefallen war, vermute, dass es nur gedämpfte lauten sollte oder nur Stimme? Bin grad etwas faul, diese Textstelle nochmals aufzusuchen.

Fazit: Auf jeden Fall hat die Story gewonnen.

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo Friedel, danke für die Ergänzung. Ich habe das Zeichen bei …dem Wetter! geändert. Was denkst Du über den Apostroph bei is (statt ist)? Sieht doof aus bei: Is’ ’ne ganze Weile her.

Gruß Achillus


Hallo Lakita, toll, dass Du noch mal reinschaust. Das Ende mit Tod von Hagner und Sally hat Habentus bereits angesprochen. Je länger ich den Text anschaue, desto mehr teile ich den Punkt, dass das unvermittelt kommt, weil der Leser nicht wissen kann, was vorher passiert ist. Vielleicht schaue ich mir das noch mal an. Danke für den Tipp und den Hinweis zum Tippfehler. Hab ich korrigiert.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Achillus ,

ist es okay, wenn ich nur was zu einem Punkt sage? Milieustudien (auch mit Thriller-Drive) sind nicht unbedingt meins, daher wollte ich nicht umfassend kommentieren. Allerdings fand ich, dass der Text - abgesehen davon, wie er von was erzählt - eine extrem spannende Wirkung hat. Das betrifft:

Das Ende mit Tod von Hagner und Sally hat Habentus bereits angesprochen. Je länger ich den Text anschaue, desto mehr teile ich den Punkt, dass das unvermittelt kommt, weil der Leser nicht wissen kann, was vorher passiert ist.

Die Geschichte ist ja recht kurz, gemessen daran, wie viele Leute der Prota trifft und an wie viele Orte er geht. Obwohl er zielstrebig wirkt, hat das im Gesamten sowas Driftendes, touch & go-artiges. Man erfährt wenig vom Prota und wenig von den anderen Figuren (eher äußerliche Beschreibungen, ihre Stellung oder Funktion im Kiez etc.).

Ich bin dem eher so gefolgt mit einem kleinen Fragezeichen im Kopf: Okay, was genau ist das Problem (außer, dass das alles dort potenziell lebensgefährlich ist), was ist der Plot, was ist das Ziel der Geschichte? Zwischendurch war ich bissl frustriert und dachte: Hm, schon wieder irgendeine arbiträre Person, die Teil seiner Welt ist oder mal war und ich als Leser hab keine Möglichkeit, die gleiche Bedeutsamkeit darin zu sehen wie der Prota.
Als er am Ende stirbt - womit ich null gerechnet hab - und noch so ganz (wie Hanniball hier im Forum mal sagte) "nebenbeiig" erzählt, hat sich der ganze Text davor in meinem Kopf rekonfiguriert. Wenn jemand stirbt, bekommen plötzlich Banalitäten - das letzte Gespräch mit der Person, ihre Handlungen etc. - eine enorme Bedeutsamkeit. Obwohl das eigentlich irrational ist. Andererseits ist es ja gleichzeitig auch so, dass der Tod grundsätzlich alles banal macht. All die persönlichen Dramen, Probleme, Ängste, Wünsche, Sehnsüchte und alles Erreichte ist mit einem Mal ausgelöscht und einfach aus der Gleichung 'Welt' gestrichen.

Das, was mir beim Lesen vor dem 'character death' also ziemlich arbiträr, schlaglichtartig und stichpunktartig vorkam, verschob sich in meiner Re-Interpretation zu eben diesen plötzlich mit Bedeutung aufgeladenen 'letzten Handlungen'. Und eben wie oben gesagt zeigt dieser sinnlose, kalte Tod (Revierrangeleien mal als sinnlos bezeichnet) auch wieder die Sinnlosigkeit jeglicher menschlicher Existenz.

Das fand ich jetzt eine extrem interessante Wirkung, die ich so noch bei keiner Erzählung hatte, und das fand ich echt spannend und als Konstrukt genial. Wenn du jetzt was mit dem Tod umschreibst - den also irgendwie länger ein-/herleitest, verankerst etc. und den Figuren mehr Backstory und Motive gibst - verlierst du diese Wirkung selbstverständlich. That said: Ich nehme inzwischen an, dass meine Leseweise nicht deine Intention war und dass sie vielleicht bissl freakig ist.

Hab übrigens drauf gewartet, dass du mit dem Prota an meiner uralten Adresse vorbeikommst (Antonstr. 35, oberstes Stockwerk mit Blick aufs Schulgebäude gegenüber), aber das war ja alles sehr knapp vorbei! :lol:

Dazu: Ich kenne ja nun die Gegend sehr gut - sieben Jahre dort gewohnt -, und mir ist noch was aufgefallen, was ich interessant, ungewöhnlich fand, und was das Abstrakte des ganzen Plots stark unterstrichen hat: Deine Verortungen sind sehr kartografisch. Wie eben eine Karte mit Breiten- und Längengraden, nur im kleineren Maßstab: eine Art 'urban grid'. Du gehst stark über Straßennamen und bleibst so mit dem Blick immer am Boden: Es gibt links / rechts, aber kein oben / unten. Das 'höchste' sind Läden, Einfahrten, Hausecken - also Level Erdgeschoss / Augenhöhe. Ich weiß ja, dass du Natur wunderbar sensorisch zeichnen kannst, und halte diese enge Blickführung eben hier für Absicht. Nur in der letzten Szene bei dem Schuss / Tod zoomst du raus in die Totale, zwar immer noch auf dem gleichen Blick-Level, aber mit wesentlich mehr Distanz. Eine Aufsicht - quasi niedrige Vogelperspektive - wäre sogar auch möglich. Das lässt imA den Tod auch zusätzlich abstrakt, unpersönlich und eben nichtig, zufällig wirken, was meine materialistische oder vllt. nihilistische Leseweise stark begünstigte. Wäre da durchaus vorsichtig, Änderungen reinzuschreiben.

p.s. Der Duden sagt: Auslassungsapostrophe sollen wegfallen, solange die Bedeutung verständlich bleibt bzw. schnell zu erfassen ist.
(Würde vielleicht Ausnahmen machen z. B. bei wie es = wie's eher als wies, weil wies auch eine Vergangenheitsform von weisen ist. Kommt auf den Satz an.) Dein Beispiel geht also wunderbar ohne alles: Is ne Weile her.

Alles Liebe, ich hoffe, du kannst irgendwas damit anfangen,
Katla

 

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