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Thema des Monats Ein Morgen danach

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19.05.2015
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Ein Morgen danach

Wind rauscht durch das geöffnete Fenster. Langsame Fahrt vorbei an Häuserreihen. Früh am Morgen. In der Ferne helle Stimmen. Kinder vielleicht. Finger, die auf dem Lenkrad irgendeinen Takt schlagen. Reifen, die durch Pfützen zischen.

„Du sagst mir, wie ich fahren soll, ja?“
„Letzte Ausfahrt vor der Autobahn. Danach ist es nicht mehr weit.“
„Ich kann auch das Navi einschalten.“
„Brauchst du nicht. Ich zeig dir den Weg.“

Graue Pudelmütze mit rotem Bommel. Seidige, sonnenblond leuchtende Locken, die darunter hervorlugen. Die Jacke fest geschlossen. Nebel, der sich über die Dämmerung legt. Ein Schimmern dahinter. Undeutlich, fahles Licht. Schweigen. Sie starrt vor sich hin und ich in den Dunst.

„Mir ist kalt.“
„Echt? Ich dreh die Heizung auf.“
„Lass mal. Die Jacke ist warm.“

Ein Stück unbedeckte Haut am Hals. Ein winziger Fleck am Kehlkopf, an den ich mich erinnere. Wie durchscheinend sie ist. Vor allem ihre Haut. So blass, sogar die feinen Äderchen sieht man darunter. Die Hände ineinander verschränkt. Smaragdfarbene Augen schauen mich an.

„Ich übernachte nicht mehr bei dir. Ich hab nicht gut geschlafen.“
„Warum?“
„Ich weiß nicht.“
„Mm.“

Ihre Stimme klingt in mir nach, leise und ohne Betonung. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte. Die feuchte Straße vor mir reflektiert das Licht. Schweigen.

„Eigentlich will ich nicht zur Arbeit“, sagt sie schließlich.
Ich stelle mir die Lippen vor, die sie dabei leicht geöffnet hat. Weich.
„Ich kann umdrehen. Du kannst dich bei mir ausschlafen.“
„Geht nicht. Ich mach heute eine Präsentation.“
„Über was?“
„Neues EDV-Projekt. Serviceorientierte Software-Architekturen und was man damit sparen kann.“
„Ach so. Hast du mir gar nicht erzählt.“
„Nee.“

Schnellere Fahrt, als wir zur Bundesstraße kommen. Regentropfen, die als Schlieren auf der Scheibe zerfließen. Leise Musik aus dem Radio. Abgelöst von einer fröhlichen Sprecherstimme. Wir hören zu. Restgeruch der Zigaretten, die ich im Auto geraucht habe. Vermischt mit ihrem Parfüm, das mich an Frühjahr erinnert, an Oleander, an Brennnesseln, an Rosen. Sie schaut aus dem Fenster. Irgendwohin.

„Du musst jetzt abfahren. Nächste Ausfahrt und dann gleich rechts.“
„Was ist das für ein Parfüm?“
"Und jetzt die nächste rechts und gleich wieder rechts. Zweihundert Meter dahinter kannst du anhalten.“
Feste Stimme. Schnell gesprochene Worte.
„Da ist es. Hier kannst du anhalten.“

Eine rechteckige Glasfront mit Metallstreben, ein paar Büsche davor. Winterfeste Blumenstöcke. Am Eingang eine Tafel mit glänzenden Lettern. Die meisten goldfarben. Ich entschließe mich, den Zündschlüssel zu drehen. Der Motor verstummt. Wende mich um, blicke ihr entgegen. Keine Zeit mehr, um auszusteigen und ihr die Tür aufzuhalten. Sie öffnet sie selbst und schaut mich an. Dann lächelt sie und ich erinnere mich an die Fältchen um ihre Augen. Ihr Blick lastet auf mir. Sie sagt nichts und sieht irgendwie glücklich aus.
Ich halte mit beiden Händen ihre kalten, schmalen Finger, ziehe sie ein wenig zu mir. Küsschen rechts und links.

Sattes Klacken, als sie die Tür schließt. Für einen Moment steht sie noch da.
"Ich ruf dich an", sage ich. Worte, die im Nichts verhallen.
Sie nimmt die Mütze ab und schüttelt sich die Haare. Ich starte den Motor.
Sie dreht sich nicht mehr um.

 

Lieber GoMusic

es ist schon erstaunlich. Ich schreibe so einen kleinen, konzentrierten Text und fast jeder, der etwas dazu schreibt, findet noch die eine oder anderen "Kleinigkeit", ein Schreibfehler, eine Logiklücke...
Ist wie ein Gedicht, denke ich mir. Je kürzer der Text desto genauer muss der Text redigiert und zuende gedacht werden.

Vielen Dank für deine wertvollen Hinweise. Und mal sehen, ob noch was kommt.

Zu deinen Punkten:

Ich weiß nicht.“
„Mm.“

Ich höre ihre Stimme, leise und ohne Betonung. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte. Die feuchte Straße vor mir reflektiert das Licht. Schweigen.

„Eigentlich will ich nicht zur Arbeit“, sagt sie und unterbricht die Stille(PUNKT)
„Ich höre ihre Stimme“: Das verstehe ich nicht. Als letztes hat der Prot. doch „Mm.“ gesagt, danach folgte doch nichts mehr.

Das stimmt, kann genauer beschrieben werden... ich hab's geändert:
„Ich weiß nicht.“
„Mm.“

Ihre Stimme klingt in mir nach, leise und ohne Betonung.


Glasfront. Metallstreben. Rechteckig. Ein paar Büsche davor. Winterfeste Blumenstöcke. Eine Tafel am Eingang. Glänzende Lettern. Manche goldfarben.
Durch diese Beschreibung erweckst du den Eindruck, dass der Prot. hier zum ersten Mal ist. Soll das so sein?
ja: das ist ein Hinweis auf die Unsicherheit, Unverbindlichkeit ihrer Beziehung...

Der Text ist richtig gut. Die Stimmung kommt gut rüber.
Ich kenne ja deinen Roman mit den langen, teilweise umständlichen Sätzen (ist jetzt nicht negativ gemeint) … und dann das hier: Wow!
vielen Dank :)
Ja: das ist ein anderer Ton und ich weiß, dass ich einiges im Roman ändern muss, die pralle Sprache mit den langen Sätzen für bestimmte Bereiche (Wolf und Eule und so was) und für andere dieser konzentrierte Stil, den ich hier verwende und der mir immer besser gefällt...(und hoffentlich immer besser gelingt)

Schön, dass du da warst :)
wünsche dir Sonne und lecker Glühwein am Niederrhein :)
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Isegrims,

ich habe die Geschichte gern gelesen, weil ich sie als spannendes Experiment empfinde. Und als Experiment finde ich den Text gelungen, als Kurzgeschichte aber nicht. Für mich ist der Telegramm-Stil dieser Geschichte nicht so sehr eine literarische Methode oder Technik, sondern eher ein Effekt. So, als würde man sich seine Fotosammlung einmal in Schwarz-Weiß, statt in Farbe anschauen. Dadurch wirken die Fotos zwar anders, aber sie werden nicht zwingend besser.

Am leichtesten lässt sich das Manko für mich deutlich machen, in dem ich mich frage: Möchte ich einen Roman in diesem Stil lesen? Um Gottes Willen. Never ever. Will ich davon mehrere Kurzgeschichten hintereinander lesen? Nein, danke.

Der Hauptkritikpunkt für mich ist das Artifizielle des Textes. Er klingt künstlich und er ist künstlich. Das Ganze geht in die Richtung von Lyrik. Wenn ich mir die großen Erzähler wie Márquez oder Hemingway vorstelle, dann könnten die ihre Geschichten auch an einem Feuer in der Wildnis oder auf einem Sofa bei Wein und Zigaretten erzählen. Das geht bei dem Wort-Hack Deiner Geschichte nicht. Es fehlt das Menschliche, das Lautmalerische, das Nachdenkliche. Es ist eher ein Robotertext.

Für mich wär das nichts, aber wenn Du Gefallen daran findest, freue ich mich für Dich und Deine Neuentdeckung.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Achillus

schön, dass du dir die Zeit genommen hast einen Kommentar zu hinterlassen.
Und klar: es freut mich, dass du sagst:

ich habe die Geschichte gern gelesen, weil ich sie als spannendes Experiment empfinde.

Natürlich ist die Geschichte ein Experiment, aber vor allem ein Experiment für mich als Autor. Gelingt es mit extremer Reduktion einen suggestiven, dichten Text zu schreiben? Etwas versuchen, aus dem main-stream auszubrechen.

Möchte ich einen Roman in diesem Stil lesen? Um Gottes Willen. Never ever.
Gebe ich dir recht. Allerdings bin ich mir sicher, dass dieser Stil, nicht als tragender und einziger innerhalb eines Romans funktioniert. "Geschwätzigere", prunkvollere Passagen, durchbrochen von kargen, reduzierten.

Der Hauptkritikpunkt für mich ist das Artifizielle des Textes. Er klingt künstlich und er ist künstlich. Das Ganze geht in die Richtung von Lyrik. Wenn ich mir die großen Erzähler wie Márquez oder Hemingway vorstelle, dann könnten die ihre Geschichten auch an einem Feuer in der Wildnis oder auf einem Sofa bei Wein und Zigaretten erzählen.
Respekt vor deiner Meinung. Unbenommen. Aber wenn du das Wort "artifiziell" verwendest, dann hat das den Unterton von l'art pour l'art und das ist es definitiv nicht. Mir geht es nicht darum Worte zu produzieren, die nichts sagen, aber schön sind.

Und 1.) zu Hemingway: der Mann ist lange lange tot. Auch Garcia-Marquez ist vor kurzem gestorben (und hat meines Wissens große Romane geschrieben, war ein großer Erzähler, aber Kurzgeschichten habe ich keine von ihm gelesen) Geht es nicht weiter nach den beiden? Braucht unsere Zeit und deren spezielle Vereinsamung nicht etwas anderes als solche übermännlichen testesterongesteuerten Typen, deren Sujets sich für Männerrunden am Lagerfeuer eignen oder bei einer kubanischen Zigarette unter alten Herren goutiert werden.
2.) zu Hemingway: von ihm stammt doch auch die Idee der six-word stories oder nicht?
"for sale: baby shoes never worn" Telegramm-Stil oder nicht? könnte ich jetzt auch nicht ne Menge nacheinander von lesen...

Vielen Dank für deine Gedanken
und
liebe Grüße

 

Hallo Isegrims;

ich habe deine Geschichte jetzt zum zweiten Mal gelesen. Das erste Mal glaube ich, als sie gepostet wurde, oder zumindest kurz danach, und das zweite Mal jetzt. Ob du Seit dem eine große Überarbeitung vorgenommen hast weiß ich nicht. mein Eindruck beim zweiten Lesen ist derselbe wie beim ersten. Sehr schön geschrieben, aber es bleibt nur der Eindruck zurück: nett.
Das ist ein Stimmungsbild, das bedrückende Gefühl kommt an, aber es berührt mich nicht so, wie ich es von einer solchen Thematik erwarten würde. Dafür bleibt mir die Geschichte der beiden einfach zu sehr im Dunkeln. die kennen sich, wie gut, kann ich nicht sagen. Wie lange, weiß ich auch nicht. Ist da mehr als nur eine Begierde? Keine Ahnung. Der Titel lässt fast auf ein One night stand schließen. Dafür sind mir die beiden dann doch zu vertraut.
Nun ja, was auch immer die beiden verbindet, es ist mir ein Hauch zu wenig herausgearbeitet. Dadurch bleiben sie fremd, und sind mir nicht so nah, wie sie für dieses Thema Für mich sein müssten.

das soll jetzt aber nicht zu negativ klingen, an der Sprache konnte ich mich erfreuen, und wie gesagt, die Stimmung ist ganz gut transportiert worden, also kalt lässt mich der Text auch nicht. Nur unbefriedigt.

Grüßlichst
Weltenläufer

 

Hallo weltenläufer

schön dass du vorbei geschaut hast und herzlichen Dank für Lob und Kritik zugleich:)

Sehr schön geschrieben, aber es bleibt nur der Eindruck zurück: nett.

Ob du Seit dem eine große Überarbeitung vorgenommen hast weiß ich nicht.
eine wirklich große Überarbeitung habe ich nicht vorgenommen. Ein paar Wörter, ein bisschen am Dialog...

Die Geschichte ist tatsächlich sehr im allgemeinen gehalten, fast schon im exemplarischen und ich habe immer wieder überlegt, ob ich da noch einen individuellen Konflikt der beiden benennen will, habe mich aber dagegen entschieden, weil ich gerade dieses exemplarische beibehalten wollte. So kann sich jeder, der es liest, seinen eigenen "Morgen danach" denken und sich an solche Situationen erinnern.
Einige Varianten schwirrten mir durch den Kopf:
er hat ihr erklärt, dass er verheiratet ist, gelogen hat.... er hat sie geschlagen, etwas von ihr verlangt, dass sie nicht bereit war zu geben...
sie (die karrieristin) hat zu ihm gesagt, dass er im grunde nur ein toyboy für sie ist, sie sich keine zukunft mit ihm vorstellen könne... oder ähnliches...
Und dann dieser Abschied eben...

und wie gesagt, die Stimmung ist ganz gut transportiert worden, also kalt lässt mich der Text auch nicht. Nur unbefriedigt.
Denkst du/denkt ihr, dass eine dieser Varianten, so nebenher erwähnt, mehr aus der Geschichte machen würden?

viele Grüße
Isegrims

 

Hallo Isegrims,

dein Text gefällt mir sehr gut, sein Rhythmus, die knappen Sätze, in denen doch so viel mitschwingt, die Andeutungen, die Stimmung. Gerade das Nicht-Individuelle finde ich interessant, da kann man in seinen Gedanken die Hintergründe dieses Abschieds, der möglicherweise ein endgültiger ist, selbst phantasieren. War schön zu lesen!

Grüße,

Eva

 

Hallo Isegrims,

Denkst du/denkt ihr, dass eine dieser Varianten, so nebenher erwähnt, mehr aus der Geschichte machen würden?

Ich stimme Eva zu: Ohne Erklärung der Hintergründe gefällt mir der Text besser.

Saftige Grüße vom Holg ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Eva Luise Groh

jetzt hat es mich schon in den Fingern gejuckt noch ein oder zwei Halbsätze einzubauen.
Zum Beispiel, dass er 25 und sie 40 Jahre alt ist... und sie ihn "Toyboy" genannt hat oder ihm klar gemacht hat, dass mehr als eine Affäre für sie wegen des Altersunterschieds nicht in Frage kommt.
Oder, dass beide verheiratet sind oder ...

da kann man in seinen Gedanken die Hintergründe dieses Abschieds, der möglicherweise ein endgültiger ist, selbst phantasieren.

Ich hab's so gelassen :)

dein Text gefällt mir sehr gut, sein Rhythmus, die knappen Sätze, in denen doch so viel mitschwingt, die Andeutungen, die Stimmung.

Vielen Dank für dein Lob, hat mich sehr gefreut :)
Isegrims

und Hallo The Incredible Holg

danke für die Bestärkung :)

sonnenwintersaftige Grüße
Isegrims

 

Hallo Isegrims,

Ich habe deine Geschichte nun zum wiederholten Male gelesen, um über deine Anmerkung bzgl. der
Varianten nachzudenken


„one-night-stand, ein Konflikt über unterschiedliche sozialen Status, das Ende einer langen Ehe“ oder auch: „er hat ihr erklärt, dass er verheiratet ist, gelogen hat.... er hat sie geschlagen, etwas von ihr verlangt, dass sie nicht bereit war zu geben... sie (die karrieristin) hat zu ihm gesagt, dass er im grunde nur ein toyboy für sie ist, sie sich keine zukunft mit ihm vorstellen könne... oder ähnliches...“​

und ich meine ganz eindeutig:
Gerade ohne diese Erklärung ist es besser :)

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Lieber GoMusic

vielen Dank, dass du noch mal reingeschaut hast dieses Jahr :)
ich lasse es jetzt wie es ist...

Ich wünsche allen hier alles, was ihr euch wünscht und verdient...
und das sind auch diese ganzen berührenden Geschichten hier, die mich im vergangenen Jahr inspiriert und bereichert haben.
Vielen Dank an euch alle, ich verneige mich vor euch und ich küsse euch (natürlich virtuell)

Isegrims

 

Hallo Isegrims,

vieles wurde schon gesagt - leider so viel, dass ich nicht mehr alle Kommentare durchgelesen habe und nun Gefahr laufe, mich zu wiederholen. Also, allez-y:

Wenn ich deinen Stil noch richtig im Kopf habe, ist dieses Telegrammartige nicht deine "Hausmarke" - aber chapeau, dass du es gewagt hast, dich mal so richtig umzukrempeln und zu probieren/experimentieren.

Allgemein mag ich die Knappheit. So, dass gleich alles auf den Punkt gebracht wird ohne viel Geschnörkel. Weniger ist eben mehr - das gilt allerdings auch, wenn man so einen "Wenig"-Stil bemüht wie hier.

Wind rauscht durch das geöffnete Fenster. Langsame Fahrt vorbei an Häuserreihen. Früh am Morgen. In der Ferne helle Stimmen. Kinder vielleicht. Finger, die auf dem Lenkrad irgendeinen Takt schlagen. Reifen, die über Pfützen schnarren.

Warum "irgendeinen"? Warum schlagen die Finger nicht einfach im Takt?
Und Reifen, die über Pfützen schnarren? Das liegt an mir, aber als ich das gelesen habe, kam es mir vor, als würde das Auto über eine ADAC-Teststrecke für Aquaplaning fahren.

Seiden strotzende, sonnenblonde Locken, die darunter hervorlugen

"sonnenblond" finde ich als Neologismus irgendwie zu schnulzig, aber es geht noch. Nur was "Seiden strotzend" sein soll? Also hat sie Seidige, glänzende Locken, die wie die Sonne leuchten?
Das interessiert mich als Frau, denn ich möchte jetzt unbedingt wissen, was für ein Shampoo sie benutzt (ernsthaft! das klingt sagenhaft!); als Leser einer Geschichte habe ich an dieser Stelle allerdings eine Grimasse gezogen.

„Mir ist kalt.“
„Echt? Ich dreh die Klimaanlage auf.“

Klimaanlage macht das Auto kalt. Heizung macht das Auto warm. War der Sex so schlecht, dass er sie jetzt noch mit Absicht ärgern muss und sie noch mehr frieren lassen will?

So blass, sogar die feinen Äderchen sieht man darunter.

Ich kenne viele blasse Menschen, aber dass man bei denen um den Kehlkopf herum die Äderchen sieht? Vielleicht bin ich auch zu unaufmerksam.

Glasfront. Metallstreben. Rechteckig. Ein paar Büsche davor. Winterfeste Blumenstöcke. Eine Tafel am Eingang. Glänzende Lettern. Manche goldfarben.

Diese ganzen Beschreibung auf die Art - das wirkt irgendwie unattraktiv, wenn du so pflichtschuldig herunterrratterst, wie ihr Arbeitsplatz aussieht. Und ist das wirklich so wichtig?

Die Szene an sich fand ich gut. Der Ich-Erzähler als scharfer Beobachter, dem viel auffällt, ist stimmig und gut beschrieben. Auch die Sitmmung im Auto kann man mitfühlen, das kauf ich dir alles 1-zu-1 ab. Irgendwsas Beklemmendes, Ungewisses ...

Also, trotz meines ganzen Gemäkels find ich die Story sehr gut. :) Ich würde den Telegrammstil wieder ein bisschen zurückschrauben in Zukunft (wie gesagt, die letzte Stelle, die ich zitiert hab, war mir zu unattraktiv), aber allgemein ist das eine der besten Storys, die ich hier in letzter Zeit gelesen hab.

Viele liebe Grüße
Tell

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo maria.meerhaba

vielen Dank für deinen Kommentar :)
Klar, dieser knappe Stil kann noch etwas geschmeidiger werden, Ich habe das jetzt auch an einzelnen Stellen nachgebessert. Ich wollte diese stakkatoartige der Gedanken wiedergeben. Er blickt auf etwas, er denkt an etwas usw. und wenn ich dann so in mich gehe, dann sind meine Gedanken eben nicht ganze Sätze, sondern ungefähr das, was ich beschreibe. Nicht linear, eher stichtwortartig und lässt dem Leser alle Möglichkeiten sich seinen eigenen "Morgen danach" zu denken.

Ein wunderbares neues Jahr für Dich
und liebe Grüße
Isegrims

Liebe Tell
ich antworte dir gleich auch noch, muss noch einen Moment über die Textänderungen nachdenken, die ich nach Deinen Vorschlägen schon vorgenommen habe :)

 

Hallo Tell

es freut mich sehr, dass du dir die Zeit genommen hast dich mit meinem kleinen Text zu beschäftigen.

Also, trotz meines ganzen Gemäkels find ich die Story sehr gut. Ich würde den Telegrammstil wieder ein bisschen zurückschrauben in Zukunft (wie gesagt, die letzte Stelle, die ich zitiert hab, war mir zu unattraktiv), aber allgemein ist das eine der besten Storys, die ich hier in letzter Zeit gelesen hab.
da geht mir natürlich das Autorenherz auf :)

Das meiste von dem, was du angemäkelt hast, habe ich noch ein wenig verändert. Ich geh's mal durch:

Wenn ich deinen Stil noch richtig im Kopf habe, ist dieses Telegrammartige nicht deine "Hausmarke" - aber chapeau, dass du es gewagt hast, dich mal so richtig umzukrempeln und zu probieren/experimentieren.
Mein Stil wird sich wohl gerade entwickeln... und wer weiß ob ich nicht meine Hausmarke wechsle, blanc de blanc mag ich besonders :) ich bemerke, dass mit diesem knappen Stil aus personalisierter Perspektive zu schreiben und dabei Gedanken so wie sie sind (als Splitter, als Blitz) wiederzugeben...

irgendeinen Takt schlagen. Reifen, die über Pfützen schnarren.
Warum "irgendeinen"? Warum schlagen die Finger nicht einfach im Takt?
der schlägt einen takt, der sich nicht nach der Musik aus dem Radio richtet, deshalb...

Und Reifen, die über Pfützen schnarren? Das liegt an mir, aber als ich das gelesen habe, kam es mir vor, als würde das Auto über eine ADAC-Teststrecke für Aquaplaning fahren.
sollst du auch glauben... :) Wahrnehmungen, das glaubt der in seiner aufgestauten Gedankenflut vielleicht auch...

Seiden strotzende, sonnenblonde Locken, die darunter hervorlugen
"sonnenblond" finde ich als Neologismus irgendwie zu schnulzig, aber es geht noch. Nur was "Seiden strotzend" sein soll? Also hat sie Seidige, glänzende Locken, die wie die Sonne leuchten?
oh: das ist meine Lieblingsstelle, da wurde schon verdammt viel trüber geredet, ursprünglich hatte ich saftige Locken da stehen und seither habe ich es schon mehrfach geändert: auch jetzt wieder:
Seidige, sonnenblond leuchtende Locken, die darunter hervorlugen.
Das interessiert mich als Frau, denn ich möchte jetzt unbedingt wissen, was für ein Shampoo sie benutzt (ernsthaft! das klingt sagenhaft!);
ich nehme gerne Anfragen von Shampoo-Herstellern entgegen, ich schreib denen dann etwas zum Look davor und danach :)

Klimaanlage macht das Auto kalt. Heizung macht das Auto warm. War der Sex so schlecht, dass er sie jetzt noch mit Absicht ärgern muss und sie noch mehr frieren lassen will?
ist zur Heizung geworden, hast recht...
und mit dem Sex, vielleicht war er ja sogar gut, aber sie möchte es dennoch nicht an seiner Heizung erwärmen und mummelt sich deshalb lieber ein ...

Ich kenne viele blasse Menschen, aber dass man bei denen um den Kehlkopf herum die Äderchen sieht? Vielleicht bin ich auch zu unaufmerksam.
ich habe hier die Satzreihenfolge etwas geändert, sodass klar wird, dass der Blick auf die einzige Stelle außerhalb des Gesichts, seine Gedanken zu anderen Stellen auf ihrem Körper wandern lässt...

Glasfront. Metallstreben. Rechteckig. Ein paar Büsche davor. Winterfeste Blumenstöcke. Eine Tafel am Eingang. Glänzende Lettern. Manche goldfarben.
Diese ganzen Beschreibung auf die Art - das wirkt irgendwie unattraktiv, wenn du so pflichtschuldig herunterrratterst, wie ihr Arbeitsplatz aussieht. Und ist das wirklich so wichtig?
eigentlich will ich auch hier so Gedankenfetzen darstellen, hab's jetzt etwas geschmeidiger gemacht:
Eine rechteckige Glasfront mit Metallstreben, ein paar Büsche davor. Winterfeste Blumenstöcke. Am Eingang eine Tafel mit glänzenden Lettern. Die meisten goldfarben.
ist das besser?

vielen herzlichen Dank für Deinen Besuch :)
und liebe Grüße
Isegrims

 

Hallo Isegrims,

ich habe deine Geschichte zweimal gelesen, ich finde du legst eine sehr interessante und minimalistische Erzählweise an den Tag.

Beim ersten Mal lesen ist es mir etwas schwer gefallen aufgrund der ganzen Ellipsen reinzukommen, also ich fände ein paar mehr ausformulierte Sätze täten dem Minimalismus keinen Abbruch und würden das Lesen erleichtern. Wie etwa

Restgeruch der Zigaretten, die ich im Auto geraucht habe. Vermischt mit ihrem Parfüm, das mich an Frühjahr, an Oleander, an Brennnesseln und Rosen erinnert.
Ich finde die beiden Sätze könnte man schön zu einem athmosphärischen Bild verbinden.

Viele Grüße,

Marissa

 

Hallo Marissa

vielen Dank für Deinen Kommentar. :)

Du nennst diesen Stil minimalistisch. Ist er vielleicht auch. Aber so sind doch unsere Gedanken auch: Schlaglichter, Blitze. So etwas wollte ich wiedergeben. Gleichzeitig einen Ton finden, der zwischen den Zeilen schwingt. Wenn mir das auch nur einigermaßen gelungen ist, bin ich stilistisch einen ganzen Schritt weitergekommen.
Klar trägt dieser Stil vermutlich keine längere Erzählung. Obwohl ich mir da auch nicht ganz sicher bin.
Die von dir zitierte Passage ließe sich sicher zu einem Satz verbinden. Aber wenn ich mir sie laut vorlese, dann mache ich genau da den Punkt, wo man Atem holt und weiterspricht, die Stimme wieder anhebt...

viele Grüße und einen guten und inspirierten Start in das neue Jahr.
Isegrims

 

Hallo Isegrims,

ich hatte deine Geschichte schon vorher gelesen, da aber einige Zeit vergangen ist, hab ich sie mir noch mal vorgenommen. Ist ja viel passiert, seitdem.

Auf die minimalistische Erzählweise muss man sich erst mal einlassen, aber die hat schon was. Die transportiert unheimlich gut Stimmungen.

Ihre Stimme klingt in mir nach, leise und ohne Betonung.

Das erinnert mich an einen Kunstfilm über die Artus Sage. Die haben auch vollkommen ohne Betonung gesprochen, ich habe nie wieder so etwas gesehen. War ein interessantes Experiment. Und genau so empfinde ich deinen Text.

„Eigentlich will ich nicht zur Arbeit“, sagt sie und unterbricht die Stille.
Ich stelle mir die Lippen vor, die sie dabei leicht geöffnet hat. Weich.
„Ich kann umdrehen. Du kannst dich bei mir ausschlafen.“
„Geht nicht. Ich mach heute eine Präsentation.“
„Über was?“
„Neues EDV-Projekt. Dynamische Software und was man damit sparen kann.“
„Ach so. Hast du mir gar nicht erzählt.“
„Nee.“

Ich kann mir nicht helfen, vielleicht hast du es auch bewusst gemacht, aber hier habe ich den Eindruck, dass sie sich doch noch was zu sagen haben. Ist das ein letztes Aufflammen?

Wogegen dieser Absatz wieder ganz und gar die Endstimmung reflektiert:

„Du musst jetzt abfahren. Nächste Ausfahrt und dann gleich rechts.“
„Was ist das für ein Parfüm?“
"Und jetzt die nächste rechts und gleich wieder rechts. Zweihundert Meter dahinter kannst du anhalten.“
Feste Stimme. Schnell gesprochene Worte.
„Da ist es. Hier kannst du anhalten.“

Gerne gelesen!

Schönen Gruß
khnebel

 

Hallo Isegrim,

also ich verstehe, warum du sehr viel auf die Amtosphäre setzt, aber mir passiert in deiner Geschichte einfach zu wenig. Ich weiß, dass das gewollt ist, aber ich hätte mir mehr vom "gestern zuvor" gewünscht.
Deine Ellipsen wirken so, als ob du den fehlenden Inhalt verschleiern willst.
Die Amtosphäre ist toll beschrieben, aber in deiner Geschichte fehlt halt die Beziehung (jedenfalls zu mir als Leser.)
Dass du handwerklich viel drauf hast, ist klar.

Dennoch hätte ich mir persönlich für eine Geschichte des Monats inhaltlich viel mehr erwartet, zumindest an Hintergrundinformationen.

Viele Grüße
Jizzle

 

Hallo khnebel

vielen Dank für deine Anmerkungen :)

Die transportiert unheimlich gut Stimmungen.
ja das stimmt... ich habe das zum ersten Mal so minimalistisch gemacht... ziemlich viele schwingungen, die dann zwischen die sätze geraten...

Ihre Stimme klingt in mir nach, leise und ohne Betonung.
Das erinnert mich an einen Kunstfilm über die Artus Sage.
interessant :) muss ich mal nach schauen...

Ich kann mir nicht helfen, vielleicht hast du es auch bewusst gemacht, aber hier habe ich den Eindruck, dass sie sich doch noch was zu sagen haben. Ist das ein letztes Aufflammen?
ist doch oft so. gerade wenn gefühle im spiel sind, da wird nicht so offen gesprochen, da versteckt sich der eine vor dem anderen im schweigen...

Hallo Jizzle

vielen Dank für deinen Kommentar

Dennoch hätte ich mir persönlich für eine Geschichte des Monats inhaltlich viel mehr erwartet, zumindest an Hintergrundinformationen.
na ja: kommt halt auf die kriterien an: vielleicht zu experimentell und unkonventionell für so einen wettbewerb, aber darauf kam es mir nicht an...

Dass du handwerklich viel drauf hast, ist klar.
das ist doch was, danke :)

Ich wünsche euch beiden noch viele schöne Geschichten im immer noch neuen Jahr
Isgerims

 

Hallo Isegrims... da du meine Geschichte als zu lang empfunden hast, empfinde ich deine jetzt einfach mal als zu kurz ... Retourkutsche ;) :P...

Nein, Spaß beiseite, du hast hier einen wirklich schön atmosphärischen kleinen Text hingezaubert. Ich muss gestehen, es hat ein bisschen gedauert (bei der Länge aber wirklich nur ein bisschen ;))) bis ich mich in den immer wiederkehrenden Stakkato-Stil eingefunden habe, aber durch die knappen und dennoch aussagekräftigen Dialoge hattest du mich dann schnell bei der Stange. Beim zweiten Lesen (hier istdie Länge bzw. Kürze ein Vorteil ;)) hat mich das stakkatoartige dann nicht mehr gestört.

Sprachlich ist es sowie so sehr gut, die einzige Stelle wo ich kürzen würde ist diese hier...

Vermischt mit ihrem Parfüm, das mich an Frühjahr, an Oleander, an Brennnesseln und Rosen erinnert. Sie schaut aus dem Fenster. Irgendwohin.
Meinem Empfinden nach braucht es den Oleander und das andere Grünzeug gar nicht mehr, da der Frühling eh schon im krassen Gegensatz zu kaltem Zigarette rauch steht. Das verwässert es dann eher... Oh Mann, jetzt empfehle ich dir sogar, einen total kurzen Text noch weiter zu kürzen :p...

Nein, hat mir gefallen. War eine stimmungsvolle Lektüre.
LG svg

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Isegrims

Ich muss mir im Moment die Zeit stehlen, um durchs TdS zu kommen, aber egal.
Jetzt ist endlich deine Geschichte an der Reihe.

Was mir beim Lesen aufgefallen ist

Reifen, die über Pfützen schnarren.
Elstern schnarren, falsch geschaltete Getriebe schnarren, aber Reifen in Pfützen?

„Mir ist kalt.“
„Echt? Ich dreh die Heizung auf.“
„Lass mal. Die Jacke ist warm [genug].“
Ein schönes Bild, sie will keine Hilfe mehr von ihm, sie weiss sich jetzt selber zu wärmen.

„Ich übernachte nicht mehr bei dir. Ich hab nicht gut geschlafen.“

aber dann
„Ich kann umdrehen. Du kannst dich bei mir ausschlafen.“
irgendwie beisst sich das für mich.

Leise Musik aus dem Radio. Eine fröhliche Sprecherstimme, sobald die Musik aussetzt.
Falsche Reihenfolge, Vorschlag: "Leise Musik aus dem Radio. Abgelöst durch eine fröhliche Sprecherstimme."

Vermischt mit ihrem Parfüm, das mich an Frühjahr [erinnert], an Oleander, an Brennnesseln und Rosen erinnert.
mit dem verschieben des "erinnert" nach vorne verstärkt sich die Steigerung, da sie ja nicht an alle Dinge gleichzeitig denkt, sondern eine Assoziation folgt der nächsten.

Zweihundert Meter dahinter kannst du anhalten.
Klingt irgendwie komisch. Anhalten hinter was? Vorschlag: "Zweihundert Meter, dann kannst du anhalten."

Wende mich zu ihr. Zu spät, um auszusteigen und ihr die Tür aufzuhalten.
mir pers. zu viel "zu".

Sie nimmt die Mütze ab und schüttelt sich die Haare.
Auch hier wieder starke Symbolik. Das Befreien aus der Umklammerung, endlich draussen, Mütze weg, endlich frei.

Die beiden haben sich nichts mehr zu sagen, er will an der Beziehung festhalten, sie hat bereits die letzte Ausfahrt genommen. Obwohl, der Titel (Ein Morgen danach) lässt da schon etwas Spielraum, ob es sich wirklich um die letzte Ausfahrt handelt. ;)
Eine feine Miniatur mit Raum zum Nachdenken, das Thema hast du meiner Meinung nach schön umgesetzt. Doch, hat mir gut gefallen.

Liebe Grüsse,
dot

 

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