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Ein unschöner Tag
Manchmal ist das Leben einfach unschön. Tom, ein langjähriger Freund, der harmlos wirkt, hat bei einem Kneipenbesuch mal aus dem Nähkästchen geplaudert und damit meine Weltsicht schwärzer gefärbt.
Es ist wichtig zu wissen, daß in Toms Heimatstadt rauhe Sitten herrschen. Bei Streitereien drückt die Polizei schon mal ein Auge zu, oder wartet bis alle schlagenden Argumente ausgetauscht sind, um selbst nicht in die Schußlinie zu geraten.
Toms Mutter ist eine freundliche, stark gehbehinderte Dame, die sehr sympathisch ist. Sie war mal mit ihrem jüngsten Sohn mit dem Auto unterwegs, alle möglichen Besorgungen machen. Als der Tank fast leer war, fuhren sie an eine Tankstelle ran, die irgendwo ganz in der Nähe der Heimatstadt liegt. Die Zapfsäulen der Tankstelle waren gut besucht und man mußte schon ein paar Minuten warten. Irgendwie wurde eine benachbarte Säule frei und niemand stand an. Die Frau fuhr also rüber und Toms Bruder stieg aus um zu tanken.
Mit einem Mal fuhr hinter ihnen ein LKW vor. Er muß fast die Stoßstange von ihrem Auto geküßt haben. Die Tür klappte auf, ein Bär von einem Mann stieg aus und fing sofort an rumzupöbeln. „Nehmt sofort Eure verdammte Klapperkiste weg, das ist meine Zapfsäule! Los, Du alte Schachtel!“. Der Kerl muß sich dann immer weiter rein gesteigert haben. Er schubste den Kleinen rum, riß die Fahrertür auf und forderte Toms Mutter auf, auszusteigen. Als sie unter Tränen sagte, sie ist schwer gehbehindert, verhöhnte er sie als nutzlosen, lebensuntauglichen Krüppel. Er schmiß die Autotür zu und trat mit voller Kraft eine Beule rein.
Weil die Mutter nicht wußte, was sie machen sollte, rief sie Tom an. „Pack den Kleinen ein und fahr sofort los! Wie lautet das Kennzeichen des LKWs, steht irgendwas dran? Ein Name oder so?“. Eine Beschreibung und die verängstigte Frau ergriff mit ihrem Jüngsten die Flucht zu einer Freundin. Dort versteckten sie sich und schlichen am späten Nachmittag nach hause. Das erste, was sie fragten, war: “Was machen wir jetzt?“. Tom: „Alles geklärt.“
Mir erzählte er an dem Abend in der Kneipe den Rest der Geschichte.
Mit der Aufschrift vom LKW konnte die Auskunft was anfangen. Er bekam die Adresse einer lokalen Spedition. Tom fuhr mit seinem Auto hin, sah auf dem Parkplatz den beschriebenen LKW stehen und ging in den Empfangsraum. Der Raum war verqualmt. Die Dispatcher saßen an ihren Rechnern und an einem Tisch saßen mehrere Männer, tranken Kaffee, redeten oder lasen Zeitung. Als Tom fragte, wer am Vormittag der Fahrer des LKWs war, drehten die Männer am Tisch ihre Köpfe und musterten ihn.
„Ich“
Tom schaute sich den Typen an. Dann erzählte er vor versammelter Mannschaft, was sich zugetragen hatte, soweit er es wußte. Alle im Raum hörten zu. Als Tom um eine Erklärung bat, antwortete der Typ: „Na und? Habe einen schlechten Tag!“. Seine Kollegen, die nicht in seinem Blickfeld saßen, rollten mit den Augen. Ein paar Worte gingen noch hin und her, es war aber nichts zu machen. Keine Entschuldigung oder wenigstens eine Einsicht.
Tom verließ das Büro und ging zurück zu seinem Auto. Als er es fast erreicht hatte, hörte er die Bürotür zuschlagen. Er ging zum Kofferraum, öffnete ihn. Er sah, wie der Bär mit verzerrtem Gesicht, so als ob ihm ein Furz quer liegt, angetrabt kam und griff sich seinen Baseballschläger. Der Typ blieb kurz vor ihm stehen.
„So einen habe ich auch im LKW.“
Eine unauffällige, kleine Gewichtsverlagerung. Ein paar Muskeln werden entlastet, andere spannen sich. Der Oberkörper dreht sich leicht. Im Gesicht zeigt sich ein breites Grinsen.
„Glaubst Du wirklich, Du schaffst es?“