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Essay von Victoria Amelina, UKR: "Niemals ist etwas Schreckliches geschehen". Übersetzung: Silke Brandt

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01.05.2009
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Essay von Victoria Amelina, UKR: "Niemals ist etwas Schreckliches geschehen". Übersetzung: Silke Brandt

Victoria Amelina war eine brillante ukrainische Phantastikautorin und War Crimes Researcher, die Anfang letzten Monats bei einem russischen Raketenangriff auf ein Restaurant getötet wurde. Sie war erst 37 Jahre alt und hatte eine vielversprechende internationale Karriere vor sich. Kurz vor ihrem Tod sagte sie noch: "Kein Autor ist je vergessen, solange er gelesen wird."

Ich verfolgte ihre Arbeit und die wenigen übersetzten Texte seit Beginn des Krieges, als ich durch ein Interview von ihr erfuhr. Dachte mir nun, dass betroffene Facebook-Posts faul und billig wären, und dass ich Nägel mit Köpfen machen möchte - auf Englisch pointierter: To put my money where my mouth is. Es gibt ein englischsprachiges, phantastikbezogenes sowie historisch relevantes Essay von ihr, das ich sehr bewundere, und bat den amerikanischen Verleger Askold Melnyczuk (Arrowsmith Press) um Erlaubnis, den Text zu übersetzen und einen geeigneten Ort - eine Genrepublikation oder Literaturblog - dafür zu suchen. Und bekam eine sehr freundliche, enthusiastische Genehmigung.

Die Übersetzung war nicht einfach, weil ich nah genug am Original bleiben wollte, aber es noch auf Deutsch funktionieren muss. Allgemein auch sehr schwer, dieser wunderbaren Autorin gerecht zu werden, und dabei noch mit Tränen und Wutanfällen zu kämpfen, weil eine so brillante, mutige Person einfach ausgelöscht wurde.

Da Genre-Anthologien nur wenige hundert Leser haben, gab ich den Text an zwei gut frequentierte Blogs einer meiner Autoren, Michael Perkampus: Die Veranda [Edit: Dort nicht mehr online, da die Seite komplett inhaltlich umgestellt wurde] und Das Phantastikon. Er übernahm den Beitrag verbatim, auch alle Bilder, die ich als Vorschlag sandte.

Viel Spaß kann ich nicht wünschen, aber würde mich freuen, wenn der Blog-Post eine breite Leserschaft interessieren und er eifrig geteilt würde:
https://phantastikon.de/niemals-ist-etwas-schreckliches-geschehen/

Ich wünsche Victoria Amelina viele begeisterte Leser und auch deutsche Verlage, die ihre Prosa aus dem Ukrainischen übersetzen und verlegen möchten. Poste das hier mal bei Rezensionen, weil es eine Blog-VÖ und nicht mein eigener Originaltext ist (auch, wenn ich jetzt das Copyright für diese Übersetzung habe).

[Könnte mir gut vorstellen, dass v.a. @CoK großes Interesse am Essay haben könnte.]
Ganz lieben Dank an @Maeuser für den letzten Korrekturdurchgang (zwei Sachen hab ich wg. neuer RS belassen).

 

Klasse, @Katla, Glückwunsch nochmal zur abgeschlossenen, nicht einfachen Übersetzung! :thumbsup: Bei der Veranda sieht der Text schon mal sehr gut aus, auch mit den Fotos. Ich habe durch ihn gemerkt, was ich bzgl. des Themas für eine Wissenslücke habe, und hoffe, dass er so noch viel mehr Leser erreicht (denen es evtl. ähnlich geht)!

 
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Danke noch mal! :gelb:

Ich habe durch ihn gemerkt, was ich bzgl. des Themas für eine Wissenslücke habe, und hoffe, dass er so noch viel mehr Leser erreicht (denen es evtl. ähnlich geht)!
Das hoffe ich auch!
Vermutlich ginge es mir ähnlich, lebte ich nicht in Finnland - durch die Nähe zu Estland, die sowohl die faschistische wie auch die sowjetische Okkupation erdulden mussten, ist hier ein vollkommen anderes Bewusstsein davon.
Meine ersten Infos kamen durch die Nordischen Filmtage Lübeck 2007, wo Imbi Pajus Memories Denied lief - gibt es auch als Buch. Wirklich absolut empfehlenswert. Daraufhin besuchte ich das Okkupationsmuseum in Tallinn, was mich ziemlich 'weggeblasen' hat (und ich dachte, ich hätte halbwegs einen Überblick über Geschichte ?), dann später Sofi Oksanens spekulativer Roman Fegefeuer. Auf Englisch mit The Purge (Die Säuberung) passender zum Originaltitel übersetzt. Eines meiner Lieblingsbücher, so nahe etwas einem perfekten Roman kommen kann.
Und dann 2012 ganz zufällig durch ein Praktikum in einem Antiquariat Snyders Bloodlands gelesen, von dem Amelina ja auch im Essay schreibt. Es wäre sicher sinnvoll und wünschenswert, dieses Buch in deutschen Schulen durchzunehmen, weil es die engen Verbindungen zwischen Hitler und Stalin aufzeigt. Leider ist durch den Angriff auf die Sowjetunion später aus dem Blickfeld geraten, dass die beiden Buddies ziemlich identische Ideen und Pläne hatten. Und da liegt eben auch der Kern des Problems mit Putin, nicht erst seit den Angriffen auf die Ukraine.

Es ist ein sehr weites Feld, und ich finde es umso schöner, dass sich Phantastikautoren mit solchem Realismusbezug daran abarbeiten. Auch das ist sicher ein Unterschied zu deutschsprachigen Ländern - dort schaut man ja generell sehr in Richtung USA.

Anne Applebaum hat auch extrem gute, wichtige Texte zu GULAGs und dem Holodomor geschrieben, u.a. für The Atlantic, in eigenen Büchern, aber ohne Phantastikbezug.

 
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Traurig, wenn man Geschichten schreibt und einem die Worte fehlen über so viel Grausamkeit.
Möglich, dass man es nicht mehr in Worte fassen möchte, was jeden Tag geschieht.
Umso wichtiger war diese junge, begabte Autorin, die brilliant in Worte fassen konnte, was bewahrt werden muss.

Viel Spaß kann ich nicht wünschen, aber würde mich freuen, wenn der Blog-Post eine breite Leserschaft interessieren und er eifrig geteilt würde: https://veranda.michaelperkampus.net/1358713/#more-1358713
Ich habe es gerne geteilt.
[Könnte mir gut vorstellen, dass v.a. @CoK großes Interesse am Essay haben könnte.]
Ja.
Ich habe mich mit der Biografie dieser Autorin beschäftigt, ich möchte ihr in ihren Büchern begegnen.

Herzlichen Glückwunsch zu der großartigen Idee, dieses Buch zu publizieren, ich wünsche Dir viel Erfolg damit.

 

Glückwunsch, @Katla.
Einfach klasse! Wünsche dir auch viel Erfolg.

 
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@CoK und @GoMusic - vielen lieben Dank fürs Lesen und für euer Interesse, ihr beiden! :gelb:

Eine kleine Richtigstellung allerdings (leider!), falls ich mich irgendwo missverständlich ausgedrückt hatte: Es ging um die Übersetzung genau dieses Essays, und nicht eines ganzen Buches. Das würde ich zwar am allerliebsten machen, aber ich kann kein Ukrainisch.
Soweit ich weiß, ist dieses Essay im Original Englisch, daher ergab es Sinn, es ins Deutsche zu übertragen. Ihre Romane - bzw. zumindest einen davon - gibt es nur auf Polnisch und Spanisch, vielleicht erbarmt sich ja ein deutscher Verlag ... ich bin allerdings ein viel zu kleines Licht, um dort etwas anzustoßen.

 

@Katla

In der Tat ein sehr guter Text. Viel mehr als das Wort Essay aussagen kann. Es wird dem Inhalt nicht gerecht. Ein langsames, persönliches Eintauchen in ein schlafendes Monster. Ich erinnere mich mehr als gut an das zähe, schichtweise Aufdecken der Geschichte meines Opas und wie sich immer weitere verknüpfte Kreise und Areale auftaten, ein feines Netzwerk aus Ursachen und Wirkungen. Was wirklich hinter allem steckte, was tatsächlich geschehen ist, habe ich innerhalb nur weniger Minuten begriffen, als ich 2003 zur Eröffnung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eingeladen war und in der Ziegelbrennerei (eine Halle von enormen Ausmaßen) weit über eintausend alte und älteste Menschen bzw. deren Kinder aus ganz Europa traf, mit ihnen auf einer Bierbank saß und in ihre Augen sehen (musste). In blaue, klare, verschlossene, braune, grüne, meist jenseits der 80. Ich hatte den Eindruck, das Jahr ihres Terrors hat den Blick eingefroren und sie haben noch die Zeit vor dem Erreichen des Schrecklichen in ihrem Blick. Und ab den Tagen ihres individuellen Horrors haben sie aufgehört mit schauen. Nur noch wahrgenommen. Die fürchterlichste Frage meines Lebens war die, wer von meinen Verwandten denn umgekommen oder im Lager gewesen sei. Mir blieb nichts, als zu sagen, dass mein Opa der Kommandant war. Das machte alle am Tisch still. Es war mir unmöglich, länger an diesem Tisch zu sitzen. Eine buchstäblich körperliche Gewalt zwang mich aufzustehen und schnell hinauszugehen in die winterliche Nacht. Ich meinte, Zement zu atmen. Bis sich eine Hand auf meine Schulter legte. Die Hand des alten Mannes neben mir. Bis zu diesem Augenblick war ich nichts. 39 Jahre und nichts. Ab dann wurde ich.

Griasle
Morphin

 

In der Tat ein sehr guter Text. Viel mehr als das Wort Essay aussagen kann. Es wird dem Inhalt nicht gerecht.
@Morphin Danke, es freut mich wirklich sehr, dass du etwas daraus ziehen konntest!
Aber das Essay ist doch eine sehr, sehr feine Textform; imA die absolut geeignetste für einen solchen Inhalt und solche Thematik.
Leider in Deutschland immer noch stiefmütterlich behandelt und zudem oft mit der Glosse, einem opinion piece, verwechselt bzw. auf gleiche Ebene damit gestellt.

Herzlichst,
Katla

 

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