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Franz Werfel - Die 40 Tage des Musa Dagh

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19.05.2006
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Franz Werfel - Die 40 Tage des Musa Dagh

Titel: Die 40 Tage des Musa Dagh
Herausgeber: Anaconda Verlag
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 992 Seiten

Es ist ein wahres Mammutwerk Franz Werfels, das sich in drei Büchern, zusammengefasst in einem Band mit knapp 1000 Seiten, offenbart. Im Vordergrund steht der heldenhafte Abwehrkampf gegen den osmanischen Genozid an der armenischen Bevölkerung, begangen im Schatten des 1. Weltkriegs. Als Romanvorlage für seinen Helden Gabriel Bagradian diente ihm dabei die historische Figur des armenischen Widerstandskämpfers Moses Der Kalousdian.
Die Bewohner einiger armenischer Dörfer, die im heutigen syrischen Staatsgebiet, an der Küste des Mittelmeers lagen, fassen den Entschluss, sich nicht tatenlos ermorden zu lassen.
Sie ziehen auf den nahegelegenen Höhenzug des Musa Dagh, graben sich dort ein, errichten Verteidigungsbollwerke und trotzen so den türkischen Angriffen 40 Tage lang, bis ein französisches Kriegsschiff sie in letzter Minute zufällig entdeckt und mit ihren Schiffskanonen deren osmanische Bedränger massiv unter Beschuss nimmt, sodass sie Reißauß nehmen. Die teils schwerkranken, halbverhungerten Armenier werden an Bord genommen und in Sicherheit gebracht.
Gabriel Bagradian ist geborener Armenier, der seit Jahren mit seiner französischen Frau und ihrem gemeinsamen Sohn in Paris lebt. Er ging dort zur Schule, studierte und führt ein bequemes Leben mittels einer Apanage die er vom väterlichen Handelshaus in Armenien erhält. Als er durch das Ableben seines Bruders gezwungen ist, nach Armenien zurückzukehren, um das Erbe zu regeln, wird er von den osmanischen Dekreten zur endgültigen Ausrottung der Armenier überrascht. Zunächst versucht er mittels seiner politischen Beziehungen das Schlimmste zu verhindern, doch bald muss er erkennen, dass alles vergeblich ist. Deutschland sieht dem wahnsinnigen Treiben seines Kriegsverbündeten tatenlos zu, nicht ahnend, innerhalb naher Zukunft einen noch viel größeren Genozid zu begehen. Frankreich ist mit dem Kriegsgeschehen im eigenen Land überfordert. Aufgrund Bagradians armenischer Abstammung ist eine sichere Rückkehr nach Europa kaum noch möglich.
Er entdeckt mehr und mehr seine ethnischen Wurzeln, fühlt sich zunehmend seiner Herkunft verpflichtet. Bald fasst er den Entschluss, sich den Türken entgegenzustellen. Seine französische Frau beschließt, wenn auch widerwillig, ihn nicht zu verlassen, ihren Sohn, dominiert von jugendlichem Übermut, lockt das schiere Abenteuer.
Bagradian überzeugt die Mehrheit der Bevölkerung von sieben armenischen Dörfern sich auf den Musa Dagh zurückzuziehen und lieber im Kampf zu sterben, als sich wehrlos erschießen zu lassen, bzw. auf Todesmärschen in die mesopotanische Wüste zu verhungern. Er verfügt über militärische Ausbildung und übernimmt die Führung der Verteidigung.
Bereits Tage vor dem Eintreffen der osmanischen Horden werden Lebensmittel, Waffen, Wasser, Hühner und Schafe sowie anderes Überlebensnotwendige auf den Berg geschafft. Nicht lange und der verzweifelte Kampf beginnt. Soweit der Kern der Handlung.
Dieser Roman ist nicht nur ein spannender Tatsachenbericht, vielmehr eine Anklage des ersten und bis dahin größten geplanten Genozids der Menschheitsgeschichte, der in Detail und Brutalität phasenweise kaum zu ertragen ist; Werfel hält in sorgfältig ausgearbeiteten Figurenprofilen vielmehr der ganzen Menschheit einen Spiegel vor. Der Roman wirkt nicht zuletzt deshalb so lebendig, weil die meisten Opfer Gesichter erhalten, nicht bloß als namenlose Zahlen erscheinen. Gut wie Böse steckt in uns allen. So zeigen sich auch innerhalb der Dörfler, die sich am Musa Dagh befinden, Eigenschaften wie Eifersucht, Gier, Hass, Feigheit, Missgunst und Neid ebenso wie Mut, Selbstlosigkeit, Liebe und Mitgefühl. Es ist kein ausschließlich einseitig angelegter Roman, obwohl der brutale Genozid im Mittelpunkt steht. Werfel zeigt auch rührende Beispiele von Menschlichkeit und Mitgefühl seitens osmanischer Bürger. Nicht alle waren derart blutrünstige Täter, wie ihre politischen Verführer.
Als Werfel in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts Damaskus besuchte, dauerten ihn die vielen halbverhungerten, teils verstümmelten, armenischen Kinder, die dort als Zwangsarbeiter in sklavenartigen Verhältnissen lebten. Er beschloss, sich dem Thema des Genozids an den Armeniern zu widmen und schrieb dieses Jahrhundertwerk innerhalb von nur sieben Monaten. Zu einem Zeitpunkt, als dessen Thematik in Mitteleuropa kaum bekannt war. Der Roman erschien kurz vor der Machtübernahme Hitlers, wurde unmittelbar danach verboten und wie viele andere Werke jüdischer Autoren öffentlich verbrannt.

 

Oh Mann-o-mann -

Manuela,

Du wirst es kaum glauben – aber einen „Werfel“ hab ich noch nie in der Hand gehabt – obwohl ich einige öffentliche Bibliotheken von Lingen (Emsland) bis Essen (insbesondere die der Uni Duisburg-Essen) und der Wiege des Ruhrgebietes mittendrin „geplündert“ habe und Dein kleiner Beitrag hat da nun eine kleine Wandlung erzeugt - denn „Das „Lied von Bernadette“ zB kenn ich nur in der Verfilmung – was vllt. ein guter Einstieg wird.

Bis dahin dank Dear & Asche auf mein Haupt!

Freatle,
es ist eben nicht alles Rock & Roll!​

 

Das Lied der Bernadette bin ich grade im Begriff zu lesen, zuvor gilt es noch ein Physikbuch zu beenden. Auch ich hatte vor den 40 Tagen noch keinen Werfel gelesen. Aber es hat sich ausgezahlt. ;)

 

Liebe @Manuela K.,
Danke für die Empfehlung! Die Bernadette habe ich jetzt auch gefunden, die muss aber auf dem Regal warten, bis ich mit dem Grünen Heinrich fertig bin. :)
Kurz zur Ergänzung: Die 40 Tage sind sehr gründlich von Werfel recherchiert worden, unter anderem nutzte er die Aufzeichnungen von Johannes Lepsius, der schon lange vor dem Genozid ein Hilfswerk für die Armenier errichtet hatte. Lepsius hatte viel Zeit vor Ort verbracht und hatte z.B. in seinem Treffen mit Enver Pascha Kontakt zu türkischen Behörden. Das Treffen mit Enver Pascha hat Werfel in seinen Roman aufgenommen. Lepsius' Schrift über den Genozid wurde allerdings 1916, direkt nach der Veröffentlichung, von der Zensur verboten, denn die Türkei durfte im 1. Weltkrieg als alliierte Macht nicht kritisiert werden. Einen Nachdruck hatte ich voriges Jahr in einem Antiquariat in Würzburg in der Hand. Leider dann doch nicht gekauft...
Eine eher abgelegene Werfelempfehlung ist der unvollständige Roman Cella oder die Überwinder. Der Hauptteil des Textes erzählt die Flucht eines Wiener Juden in den Tagen des sog. Anschlusses. Ist schon eine Weile her, hat mich aber tief beeindruckt.
Einen schönen Abend wünscht
die Placidus

 

Hi Placidus,
merci für die Ergänzung. Ich hätte in meiner Rezi noch die detaillierte Beschreibung Werfels der politischen Situation der Osmanen zur Zeit des Musa Dagh und die gründliche Profilierung der beiden Paschas (Enver u. Cemal) erwähnen können. Es war die, wenn auch kurze, Machtperiode der Jungtürken, aus denen letztlich auch Mustava Kemal Atatürk hervorging. Dachte sogar kurz daran, dies nachzutragen. ;)

 

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