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Grabas

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08.07.2012
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Grabas

Grabas steht am Fenster und schießt auf die Ratten im Hof. Er schaut durch das Zielfernrohr seines Luftgewehrs. Zwei, drei Mal ist der peitschende Knall der Waffe zu hören.
Er sichert das Gewehr, stellt es in den Winkel einer Zimmerecke und verlässt die Wohnung. Draußen geht er bei den Müllcontainern auf dem rissigen Betonboden in die Hocke. Mit einem Stock kratzt er den Kadaver einer Ratte hinter der Bio-Abfalltonne hervor und betrachtet das tote Tier.
Biste nicht weit gekommen, sagt er.
Im dritten Stock geht ein Fenster auf.
Grabas steht auf, schaut hoch. Tach, Frau Strajahn!, sagt er.
Hart blicken die Augen der Frau auf ihn herab. Sie wendet halb den Kopf und ruft ins Wohnungsinnere: Der Schwachkopf ballert schon wieder im Hof rum.
Es folgt ein Moment des Wartens. Grabas steht still da. Als die Antwort kommt, kann Grabas sie nicht verstehen. Die Frau schüttelt den Kopf und schließt das Fenster.
Wiedersehen, Frau Strajahn!
Grabas Blick kehrt zurück zur toten Ratte. Er betrachtet das Loch in ihrem Kopf, wo die Kugel einen Teil des kleinen Schädels weggesprengt hat. Er betrachtet die rötlich gefärbten Pfoten, den langen, nackten Schwanz.
Was soll’n der Scheiß eigentlich?
Grabas blickt auf. Tach, Maja!
Das Mädchen sitzt im zweiten Stock des Quergebäudes auf dem Fensterbrett. Das Nachmittagslicht der Augustsonne steht schräg im Hof. Maja, nur mit Slip und Tanktop bekleidet, zieht an ihrer Zigarette und sagt: Bist wirklich ein Freak, Mann.
Is Ungeziefer. Das muss weg.
Das Mädchen nimmt einen weiteren Zug, spuckt in den Hof. Is klar, Freako.
Verbreitet Krankheiten.
Maja wickelt ihren Pferdeschwanz um den Finger, stellt einen Fuß an und lehnt sich gegen den Fensterrahmen. Grabas betrachtet die im Sommerlicht leuchtende Linie ihres Oberschenkels.


Er nickt, den Telefonhörer am Ohr. Ja, sagt er.
Du weißt auch, dass ich deiner Mutter versprochen habe, mich um dich zu kümmern.
Grabas nickt noch einmal. Bestimmt besuche ich dich im Herbst, Onkel Richard. Ich kann jetzt gerade nicht weg.
Weshalb kannst du nicht weg?
Grabas zuckt die Schultern. Er dreht das Telefonhörerkabel zwischen den Fingern. Ich habe einige Sachen zu tun. Im Herbst wär’s besser.
Kannst es dir überlegen, Tim. Ist doch so heiß bei euch in der Stadt. Könntest mich auf die Jagd begleiten. Das hat dir doch immer gefallen.
Ja, stimmt, sagt Grabas. Das gefällt mir sehr.
Und die kleine Hütte am See steht leer. Könntest dich da ausbreiten. Überleg’s dir, Tim.
Is gut, Onkel Richard. Ich denk drüber nach.
Nach dem Telefonat steht er, die Hände in den Hosentaschen, am Fenster und schaut hinaus. Maja schlurft in schlabbrigen Trainingshosen und Gummisandalen über den Hof. Sie tritt gegen die Pedale des Altpapiercontainers. Der Deckel hebt sich und sie schleudert ein paar Magazine und Illustrierte in den Müll. Sie spuckt hinterher, lässt den Deckel zuknallen, dreht sich um und verschwindet in der Tür des Seitenaufgangs.


Grabas sieht ihn schon von Weitem. Cosy. Mit leicht gebeugten Knien und krummem Rücken steht er an der Ecke und wartet auf die Kids, die von der Schule kommen. Als Grabas an ihm vorbeigehen will, hebt er die Hand. Hey, Mongo, warte mal.
Bin kein Mongo, sagt Grabas ohne stehenzubleiben, doch Cosy hält ihn am Arm fest.
Was willste?
Gehst doch zum Supermarkt, sagt Cosy und deutet auf die große, mit leeren Plastikflaschen gefüllte Papiertüte, die Grabas in der Hand hält.
Und?
Bring mir was zu trinken mit. Verdurste in der Scheißhitze.
Grabas zögert. Haste Geld?, fragt er schließlich.
Klar. Kriegste dann.
Grabas schüttelt den Kopf. Cosy schaut ihn an. Ehrlich? Du bringst mir nicht mal ’ne Coke mit?
Erst das Geld, sagt Grabas.
Zwei Mädchen nähern sich, bleiben stehen. Hey, Cosy.
Hey, Girls. Was braucht ihr?
Grabas dreht sich um. Als er nach dem Einkauf zurückkehrt, geht er auf der anderen Straßenseite an Cosy vorbei. Er hat beinahe sein Haus erreicht, da tritt Maja aus der Eingangstür. Sie trägt Army-Hosen und ein ausgeblichenes Atari Teenage Riot T-Shirt.
Tach, Maja.
Das Mädchen geht wortlos an Grabas vorüber. Er bleibt stehen, folgt Maja mit dem Blick. Er beobachtet, wie sie sich Cosy nähert, ihn anspricht. Grabas schaut sich um, tritt an einen überfüllten Abfallbehälter aus Beton und setzt sich auf den Rand. Er stellt die Papiertüte zwischen seine Füße, greift hinein, holt einen Apfel hervor. Die Häuserwände ringsumher werfen die Geräusche der nachmittäglichen Stadt zurück. Die Sonne steht wie ein weißes Loch im Blau des Himmels.
Grabas reibt den Apfel an seiner Jeans und beißt hinein. Er hebt den Blick und beobachtet Maja und Cosy. Das Mädchen raucht, inhaliert hastig, wedelt mit der Zigarette. Cosy wendet sich ab, doch Maja fasst ihn an der Schulter und redet auf ihn ein. Cosy, halb weggedreht, schlägt Majas Arm zur Seite und stößt sie von sich. Das Mädchen stolpert rückwärts, stürzt. Grabas lässt den Apfel fallen und rennt los.
Verpiss dich, Fotze, sagt Cosy, beugt sich über Maja und spuckt ihr ins Gesicht.
Grabas stürzt herbei, drängt Cosy zur Seite und zieht Maja hoch.
Lass sie in Ruhe, sagt er. Cosy tritt dicht an ihn heran. Er öffnet den Mund, doch dann schließt er ihn wieder, dreht sich um und geht davon, die Straße hinunter. Er biegt um eine Ecke und ist verschwunden.
Deine Hilfe brauch ich nicht, sagt das Mädchen.
Grabas zuckt die Schultern. Er soll dich in Ruhe lassen.
Ja, ja. Whatever. Das Mädchen wischt sich mit dem Ärmel über das Gesicht, steckt sich eine Zigarette an.
Is nicht dein Bier, Freako.
Grabas sieht ihr hinterher, als sie sich auf der anderen Straßenseite entfernt. Beobachtet, wie ihr Pferdeschwanz bei jedem Schritt auf und ab wippt.


Mit der Feile glättet Grabas die Kanten eines Metallrohrs, das im Spannstock seiner Werkbank steckt. Die Türglocke schrillt, Grabas hält inne. Er setzt die Schutzbrille ab, legt sie neben den Schraubstock. Er verlässt das Zimmer, durchquert den engen Flur und öffnet die Wohnungstür.
Hast du einen Moment?
Grabas betrachtet Majas Gesicht, sagt nichts.
Was ist? Lässt du mich rein oder nicht?
Ja, klar. Er tritt zur Seite. Komm rein.
Maja geht durch den Flur. Sie wirft einen Blick in die Küche, geht zum Zimmer, dann weiter durch den Raum und setzt sich auf das Sofa. Grabas schließt die Wohnungstür und folgt dem Mädchen.
Du hast mich noch nie besucht.
Tja, sagt Maja. Wurde aber Zeit.
Willste was trinken? Ich habe Apfelsaft da. Oder Wasser.
Hör mal, Freako, wir müssen was klären.
Ich heiße Tim.
Maja greift in ihre Jackentasche und holt ein Päckchen Zigaretten hervor. Schön. Tim.
Grabas rückt einen schäbigen Sessel heran, bleibt dann aber stehen.
Was ist los? Maja steckt sich eine Zigarette an, deutet mit dem Kinn auf den Sessel. Setz dich.
Okay.
Die beiden sitzen sich gegenüber. Das Fenster zum Hof ist geöffnet, von draußen her ist das Schlagen einer Tür zu hören.
Es geht mir auf den Sack, dass du mir ständig nachsteigst.
Grabas hebt die Hände, doch dann lässt er sie wieder sinken, sagt nichts.
Maja bläst Rauch in den Raum. Ich sehe es doch. Wenn ich den Müll runterbringe, stehst du am Fenster. Ich seh dich vor dem Supermarkt, bei der Bus-Haltestelle am Parkplatz und ich hab dich auch schon ein paar Mal woanders in der Stadt gesehen. Alter, das nennt man Stalking.
Ich mag dich sehr.
Maja schüttelt den Kopf. Scheiße, Mann. Du kannst mir nicht einfach hinterherlaufen.
Grabas schweigt.
Ich geh nicht zu den Bullen, sagt Maja. Aus Prinzip nicht. Aber wenn du nicht damit aufhörst, sag ich einem Freund Bescheid, und der haut dir eins in die Fresse. Is klar?
Ich wollte dich nicht ärgern.
Maja hebt die Hand. Halt dich einfach fern von mir. Ich sag’s dir nicht noch mal.
Sie steht auf, ihr Blick fällt auf die Werkbank und das im Spannstock fixierte Metallrohr. Was soll’n das werden?
Grabas braucht einen Moment, um zu antworten. Das is für mein Gewehr. Damit ich die Leute nicht störe, wenn ich Ratten schieße.
So was, wie’n Schalldämpfer?
Grabas nickt. Ja, ein Schalldämpfer.
Maja schüttelt den Kopf.
Grabas steht still da, als die Wohnungstür hinter dem Mädchen ins Schloss fällt.


Mit ein paar Handgriffen prüft Grabas, ob der Schalldämpfer festsitzt und die Montage des Zielfernrohrs richtig angezogen ist. Er lädt das Gewehr, sichert, klappt die Abdeckungen des Fernrohrs zur Seite und schaut durch die Optik. Nachmittag im Spätsommer. Das Fadenkreuz streicht über den trostlosen Hinterhof, über Pflanzkübel mit vertrockneten Geranien, über dreckfleckige Abfalltonnen. Grabas nimmt einen Haufen Sperrmüll an der rückwärtigen Hofmauer ins Visier. Er drückt den Sicherungshebel und feuert einen Probeschuss ab. Der Schlag der Feder ist noch immer deutlich zu hören, aber der Mündungsknall wirkt stark gedämpft.
Das Zerlegen der Waffe dauert nicht lange. Schalldämpfer, Zielfernrohr, Lauf, Vorderschaft, Abzugssystem und Kolben. Grabas legt alle Teile auf eine Fleecedecke, rollt das Paket zusammen und verstaut es in einer Sporttasche. Er holt seine Windjacke aus dem Schrank, greift die Sporttasche und verlässt die Wohnung. Im Hausflur hält er inne, lauscht.
Mit schnellen Schritten eilt Grabas hinauf, erreicht den vierten Stock und stellt die Tasche ab. Er hebt die Leiter aus der Wandhalterung und hängt sie in die Blechrasten der Oberlichteinfassung. Noch einmal Lauschen. Dann legt Grabas den Riemen der Tasche über die Schulter, steigt die Leiter hoch. Er drückt den Riegel des Oberlichts zur Seite und öffnet das Dachfenster. Die Leiter ächzt, als sich Grabas aus der Luke schiebt.
Es riecht nach Teer und Taubenkot. Grabas schließt das Fenster hinter sich. Er läuft den Steg des Flachdaches entlang, zieht sich am Giebel des Nachbarhauses hoch. Er überquert drei, vier Dächer, bleibt schließlich stehen, geht in die Hocke und schaut sich um. Hier bilden ein breiter Schornstein und eine flache Mauer einen windgeschützten Winkel. In nördlicher und östlicher Richtung kann man weit über die Dächer des Quartiers schauen. Grabas öffnet die Tasche. Er rollt die Decke auf, montiert die Teile des Gewehrs. Er breitet die Decke als Unterlage auf dem Dach aus, setzt sich drauf, lehnt sich an die Mauer. Das Gewehr ruht auf seinen Oberschenkeln.
Mit halbgeschlossenen Augen sucht Grabas die Dächer der Nachbarhäuser ab. Es dauert nicht lange. Eine Stadttaube dreht in der flimmernden Hitze eine Runde in der Höhe, gleitet herab und setzt sich flatternd auf die Regenrinne des Hauses gegenüber.
Grabas fixiert das Tier. Schaust dich ein bisschen um, wie?, sagt er. Ruhst dich aus.
Langsam hebt er das Gewehr, öffnet die Abdeckungen des Fernrohrs. Mit Daumen und Zeigefinger justiert er die Stellschraube für die Entfernung.
Dreißig Meter, sagt Grabas. Vielleicht etwas mehr. Kein Wind.
Das Fadenkreuz der Zieloptik schiebt sich über die Gestalt des Vogels.
Ruh dich aus, sagt Grabas und entsichert die Waffe. Er drückt den Kolben gegen die Schulter. Sein Finger sucht den Druckpunkt des Abzugs.
Grabas feuert und die Kugel trifft klatschend den Körper der Taube. Ein, zwei Federn wirbeln auf, der Vogel fällt wie ein Stein in die Tiefe.


Im Fernsehen läuft eine Quizshow. Grabas hockt im Schneidersitz vor dem TV-Monitor. Die Stimme des Moderators erfüllt das dunkle Zimmer. Der längste Fluss der Welt für Zweihundertfünfzig.
Nil, sagt Grabas.
Ein Poltern an der Tür schreckt ihn auf. Er springt hoch, läuft in den Flur. Wer ist da? Keine Antwort, nur ein Stöhnen.
Grabas öffnet und starrt Maja an. Einen Moment lang steht er da, dann zieht er sie hoch, stützt sie und führt sie in die Wohnung. Als sie im Zimmer auf dem Sofa liegt, presst er die Fingerspitzen an die Schläfen. Ich helfe dir, sagt er leise. Helfe dir.
Er eilt ins Badezimmer und öffnet den Medizinschrank. Er nimmt die Flasche mit Desinfektionsmittel heraus, ebenso Wundpflaster, Verbände und Schere. Er kehrt zu Maja zurück. Alles wird gut, sagt er.


Grabas wacht auf. Maja hockt auf dem Sofa, eingewickelt in die Bettdecke, die er ihr gestern gegeben hat. Sie raucht, starrt aus dem Fenster auf den Hof, wo ein orangefarbenes Leuchten den neuen Tag ankündigt.
Grabas richtet sich in seinem Schlafsack auf. Geht es dir besser?
Maja reagiert nicht. Sie schaut aus dem Fenster.
Ich mache Frühstück, sagt Grabas und steht auf.
Danke für gestern, sagt Maja.
Grabas nickt. Er darf dich nicht schlagen.
Maja zuckt die Schultern.
Wirklich, sagt Grabas. Ich spreche mit ihm. Ich sorge dafür, dass er damit aufhört.
Maja schaut ihn an. Du verstehst das nicht.
Dann erkläre es mir.
Ich schulde Cosy Geld, sagt Maja. So einfach ist das. Und wenn er es nicht von mir bekommt, kriegt er Ärger mit … mit seinem Boss.
Ich kann dir Geld geben, sagt Grabas.
Maja lächelt traurig. Nicht so viel Geld, sagt sie.


Vielen Dank! Grabas winkt dem Postboten und schließt die Tür. Er betrachtet das Päckchen in seiner Hand. Mit schnellen Schritten geht er durch die Wohnung zur Werkbank. Er öffnet das Paket. Die Feder, eingebettet in Schaumstoffpolster, schimmert metallisch blau. Er legt das Paket auf den Arbeitstisch, rollt den Bürostuhl heran und setzt sich. Er öffnet den Laptop, tippt eine Adresse in den Browser und startet ein Video. Auf dem Monitor ist ein Schütze auf einem Schießstand zu sehen. Er hält ein Luftgewehr im Anschlag und zielt auf einen etwa vierzig Meter entfernten Betonhohlblock.
Nach dem Umbau schießt das XP 6000 mit einer Energie von 150 Joule, sagt ein Kommentator. Das Video zeigt in Zeitlupe, wie der Schütze feuert. Das Geschoss durchschlägt den Block, Betonsplitter spritzen hoch, eine Staubwolke steigt auf.
Einbau der Feder und Neujustierung des Abzugssystems dauern nicht länger als dreißig Minuten, ist die Stimme des Kommentators zu hören.
Grabas holt die Feder aus dem Paket, nimmt sie aus der Verpackung und wiegt sie in der Hand.


Die Sonne steht tief im Westen. Ein rötlicher Schein liegt über den Dächern des Quartiers. Grabas hat sich mit einem Seil um die Hüfte gesichert. Er hockt im langen Schatten eines Schornsteinkopfes und zielt mit dem Gewehr nach unten auf die Straße. Durch das Glas des Fernrohrs beobachtet er Cosy.
Fünfzig Meter, sagt er. Vielleicht etwas weniger. Kein Wind.
Das Fadenkreuz schwankt über Cosys Hinterkopf. Wartest auf Leute, denen du was verkaufen kannst, sagt Grabas. Schaust dich um.
Mit einem Klicken entsichert er das Gewehr. Der Zeigefinger schiebt den Abzug nach hinten, bis er den Druckpunkt erreicht. Mit jedem Atemzug hebt und senkt sich das Fadenkreuz des Zielfernrohrs ein wenig. Grabas atmet aus, hält inne - die Bewegung des Absehens kommt zur Ruhe. Cosy steht ruhig da, er schaut die Straße hinunter.
Eine tiefe Stille umgibt Grabas. Von unten her dringt kaum ein Laut nach oben. Selbst das Motorengeräusch der Fahrzeuge scheint wie ausgelöscht. Grabas setzt das Gewehr ab. Sein blasses Gesicht wirkt hart und abgespannt. Er sichert die Waffe, klettert zurück zum Laufsteg und atmet durch.


Maja hat die Beine angezogen. Sie sitzt auf der alten Holzbank vor der Hütte und schaut über den dunklen Spiegel des Sees.
Is schön hier, sagt sie.
Ja. Schön, sagt Grabas, der im Gras sitzt und Maja betrachtet.
Nett von deinem Onkel, dass er uns hier wohnen lässt.
Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest.
Maja sieht Grabas an. Ich weiß, warum du das tust. Warum du mir hilfst.
Er lächelt unbeholfen, öffnet den Mund. Er hält inne, sagt dann: Ich mag dich sehr.
Maja nickt. Is klar. Aber verstehst du auch, dass da nichts laufen wird, zwischen uns?
Das Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht. Und warum nicht?
Na, weil … Maja steht auf. Du bist lieb, sagt sie. Aber du bist ein Freak. Verstehst du das?
Grabas senkt den Kopf und starrt auf seine Füße.
Maja presst die Lippen zusammen. Eine Weile sagt niemand ein Wort.
Schließlich tritt Maja zu ihm, reicht ihm die Hand. Komm, sagt sie. Lass uns ein bisschen spazieren gehen.

 
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Hallo @Achillus,

was mir so auffiel:

Mit einem Stock kratzt er den Kadaver einer Ratte hinter der Bio-Abfalltonne hervor und betrachtet das tote Tier.
Würde hier das Bio streichen. Kann nicht genau sagen warum, aber irgend wie passt es für mich nicht zur Stimmung.

Er betrachtet das Loch in ihrem Kopf, wo die Kugel einen Teil des kleinen Schädels weggesprengt hat.
Kenn mich mit Luftgewehren nicht aus. Vermute, du schon. Nur kann ein handelsübliches Luftgewehr solch einen Schaden anrichten? Oder muss es dazu schon modifiziert werden?

Sie tritt gegen die Pedale des Altpapiercontainers.
dagegentreten klingt komisch. Vielleicht: Sie stellt den Fuß auf die Pedale des ...
Und warum nicht auf das Pedal?

Hey, Girls. Was braucht ihr?
Grabas dreht sich um. Als er nach dem Einkauf zurückkehrt, geht er auf der anderen Straßenseite an Cosy vorbei.
Zeilenumbruch nach ...dreht sich um. Das gehört ja noch hoch. Und dann geht es etwas später weiter, oder?

Er hat beinahe sein Haus erreicht, da tritt Maja aus der Eingangstür.
Klar, kann man so sagen. Klingt dennoch komisch, denn es ist ja wohl eher ein Wohnblock. Sein Haus klingt eher nach dem Besitz eines Eigenheims.

Er öffnet den Mund, doch dann schließt er ihn wieder, dreht sich um und geht davon, die Straße hinunter. Er biegt um eine Ecke und ist verschwunden.
Braucht es mMn nicht.

Deine Hilfe brauch ich nicht, sagt das Mädchen.
Das Deine am Anfang klingt als brauche sie SEINE Hilfe nicht. Also nicht wie etwa: Ich brauch keine Hilfe! Beabsichtigt?

Maja geht durch den Flur. Sie wirft einen Blick in die Küche, geht zum Zimmer, dann weiter durch den Raum und setzt sich auf das Sofa.
Zimmer ist ein Überbegriff. Sie geht zu dem Zimmer würde hier ja bedeutet, es gibt nur eines. Sein Zimmer kann sie schlecht einfach so ansteuern, war ja vorher nie da.

Als sie im Zimmer auf dem Sofa liegt, presst er die Fingerspitzen an die Schläfen. Ich helfe dir, sagt er leise. Helfe dir.

Ihre oder seine? Ist nicht eindeutig. Mit den folgenden Worten verstehe ich es so, dass er sich selbst an den Kopf fasst und sich dann leicht panisch Mut zuspricht. Liege ich richtig?

Das Geschoss durchschlägt den Block, Betonsplitter spritzen hoch, eine Staubwolke steigt auf.
Wieder, ich kenne mich nicht aus. Aber bräuchte es hierfür nicht auch noch ein anderes Projektil? Ein Luftgewehr verschießt ja keine Patrone, oder? Kein Zündvorgang, oder liege ich da falsch? Eine strärkere Feder beschleunigt mehr, aber genügt das? Vermutlich ja. Du hast das wahrscheinlich nicht einfach so hingeschrieben. Erschreckend!

Wartest auf Leute, denen du was verkaufen kannst, sagt Grabas. Schaust dich um.
Würde ich abkürzen: Wartest auf Kundschaft, hm. Schaust dich um.

Grabas atmet aus, hält inne - die Bewegung des Absehens kommt zur Ruhe.
kenne ich so nicht. Was bedeutet die Bewegung des Absehens?

Grabas senkt den Kopf und starrt auf seine Füße.
Maja presst die Lippen zusammen. Eine Weile sagt niemand ein Wort.
Schließlich tritt Maja zu ihm, reicht ihm die Hand. Komm, sagt sie. Lass uns ein bisschen spazieren gehen.
Würde schon vorher aussteigen.

Im Ganzen gut bis sehr gut erzählt. Was offen bleibt und irgendwie Zweifel reinbringt, ist zum einen das ungenaue Machtverhältnis zwischen Tim und Cosy. Und was ist mit ihrem Freund? Er steht vermutlich über Tim und dennoch geht sie nicht zu ihm. Und Tim mit dem Grund ein Freak zu sein abzulenen zieht irgendwie auch nicht. Ich meine, das sind alles Freaks.
Gut finde ich, dass er letzlich nicht abgedrückt hat. Das warum könnte er noch reflektieren und auch zuvor schon könnte deutlich werden, dass er ein Stück weit Scharfschütze/Auftragskiller spielt. So von wegen Filztuch und Decke, Klappe spät öffnen – Leon lässt grüßen.

Gruß,
Sammis

 

Hallo @Achillus

für mich zerfällt deine Geschichte in zwei, qualitativ unterschiedliche Teile. Da wäre zum einen die Milieusschilderung aus dem Wohnblock. Das hat mir gut gefallen. Tim und Maja werden hervorragend charakterisiert.

Grabas ist ein Träumer. Aber seine Fantasiewelten haben nichts romantisch heilendes, sondern sind eher hoch pathologisch. Entweder malt er sich selbst als großen Retter für das in seinen Augen hilfsbedürftige Mädchen (Maja) oder er schiebt sich in die Rolle des harten Scharfschützen.

Beides archaische und fest umrissene Männlichkeitsbilder. Was genau er damit kaschiert, bleibt offen. Er hat keine Freunde, die Eltern sind nicht mehr anwesend. Hier hätte ich mir mehr Informationen gewünscht.

Du weißt auch, dass ich deiner Mutter versprochen habe, mich um dich zu kümmern.

Ist die Mutter verstorben? Was ist mit dem Vater? Natürlich sollten wir uns im Rahmen einer Kurzgeschichte knapper halten. Dennoch, dieser Junge ist so schön lebensnah beschrieben, da hätte ich gerne noch mehr über ihn erfahren.

Maja auf der anderen Seite tritt zunächst selbstbewusster auf. Sie läuft leichtbekleidet durch den Hof, als möchte sie ihren eigenen Körper als Waffe einsetzen. So in der Art: Ich weiß dass ich gut aussehe, und deshalb kann ich euch Männer beherrschen. Dazu ihre zur Schau gestellte Lässigkeit. Rauchend und in Punk T-Shirts, so als möchte sie das gesellschaftliche Abseits als Schönheitsideal präsentieren.

Nur dauert es dann halt nicht lange, bis sich das ins Gegenteil verkehrt. Sie ist auch Opfer ihrer eigenen Dämonen. Offensichtlich braucht sie bei Cosy, dem Dealer irgendeine Art von Stoff.

Bis hier finde ich alles gut gelungen. Dann kommt der zweite Teil der Geschichte. Der Racheplan von Grabas, den er dann doch nicht umsetzt. Und die Fahrt zur Hütte zusammen mit Maja.

Ich gehe noch mit, dass er wütend auf den Dealer ist. Ihn auch verprügeln oder gar umbringen möchte. Aber die Szene auf dem Dach fand ich für den Jungen nicht mehr glaubwürdig. Mir kam er eher wie ein krankhaft verwirrter junger Mann vor. Natürlich, gerade die begehen brutale Kurzschlusshandlungen.

Aber ich empfinde es hier eben unpassend. Mir hätte es besser gefallen, wenn seine gesamte Brutalo Fantasi auf die Realität trifft und er auch einen Preis zu zahlen hat. Wenn zum Beispiel sein selbstgebauter Schalldämpfer explodiert. Und er sich verletzt.

Ist natürlich mein subjektives Empfinden. Für mich würde die Geschichte auf diese Art halt stärker wirken.

Und der Szenenwechsel mit der Hütte kommt dann für mich auch viel zu schnell und zu knapp. Warum geht sie mit ihm mit, nachdem sie ihn vorher ihre volle Abneigung spüren ließ? Was ist mit ihrem Freund? Was ist mit Cosy?

Und wie kommt es überhaupt dazu, dass sein Onkel diese Hütte hat? Wie ist das finanzielle geregelt?

Klar hier sind wir wieder beim Thema: Man muss nicht jedes Detail auswalzen. Erst recht nicht in einer Kurzgeschichte. Aber wie ich es schon erwähnt habe: Ein wenig mehr Hintergrund täte hier gut.

Denn so ist es nur der erste Teil der Geschichte, der für mich funktioniert. Aber der ist dafür richtig gut. Sehr plastisch erzählt.

Was mir grammatikalisch aufgefallen ist: Die Dialoge werden bei dir ja komplett ohne Sonderzeichen geschrieben. Ich gehe davon aus, dass es so gewollt ist. Für mich war es jedenfalls ungewohnt.

Liebe Grüße
Rainbow Runner

 
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Hallo Achillus,
mir gefällt die Geschichte. Sie ist distanziert, aus der neutralen Perspektive geschrieben. Ich glaube, dass ich das verstanden habe, was du sagen möchtest. Jedoch diese Interpretation hätte ich gerne bestätigt: Grabas ist zwar kein Mongo, hat offensichtlich aber einen anderen genetischen und sichtbaren Defekt, der ihn unattraktiv macht.
Gestern, als ich die Geschichte gelesen habe, sind mir ein paar Stellen aufgefallen, die aus einer personalen Perspektive, aus der Perspektive Grabas geschrieben waren. Diese Sätzte scheinst du inzwischen korrigiert zu haben oder meine Erinnerung spielt mir einen Streich.
Ich glaube, diese Sätze hast du geändert:

und betrachtet das tote Tier.
Er betrachtet die rötlich gefärbten Pfoten, den langen, nackten Schwanz.
Grabas betrachtet die im Sommerlicht leuchtende Linie ihres Oberschenkels.
Vorher trat da nicht "betrachtet" auf, sondern es waren Verben, die Gabbas Innenleben andeuteten. Liege ich da richtig?
Deine Geschichte wirkt jetzt auf mich perfekt durchdacht.
Viele Grüße
Fugu

 

Hallo Sammis, danke für Deinen Kommentar zum Text. Schön, von Dir zu hören. Zunächst einmal danke für die Hinweise zum Text. Ich schau mir das in Ruhe mal an. Vielleicht korrigiere den einen oder anderen Textbaustein.

Was die Luftgewehre betrifft, ist es schon so, dass man mit den herkömmlichen Gewehren Vögel und kleine Nager schießen könnte (was verboten ist) und dass man durch Umbau (ohne Genehmigung ebenfalls illegal) aus einem Luftgewehr eine potenziell tödliche Waffe machen kann.

Das funktioniert allerdings nicht exakt so, wie ich es in dem Text beschreibe. Wenn man z.B. eine neue (stärkere) Feder in ein Luftgewehr einsetzt, verändert sich das gesamte Schussverhalten der Waffe. Das heißt, Grabas hätte nach dem Umbau zunächst intensiv mit dem Gewehr üben müssen, um damit vernünftig zu treffen.

Außerdem erreicht man durch einen Federumbau wahrscheinlich keine Geschossenergie von 150 Joule. Der Umbau von Luftgewehren die mit Druckluft funktionieren, könnte das allerdings erreichen. Ist technisch auch nicht sehr schwierig, aber eben ohne Genehmigung illegal.

Letztlich ging es mir hier nicht um eine exakte Darstellung der Waffentechnik, sondern um das Prinzip, dass Waffentuning von Luftgewehren (und -pistolen) möglich ist

Was Majas angeblichen Freund betrifft, wollte ich offenlassen, ob der überhaupt existiert. Der Leser sieht ihn nicht. Es ist im Grunde nur eine Behauptung von Maja.

Ich hatte versucht, Grabas als kognitiv beeinträchtigt zu zeichnen ohne ihn als völlig debil darzustellen. Die anderen bezeichnen ihn als Schwachkopf, Mongo, Freak. Das ist auch der Grund, weshalb Maja ihn zwar toleriert, sich aber nicht vorstellen kann, mit ihm zusammen zu sein.

Danke für Dein Feedback, Sammis.

Gruß Achillus

… wird fortgesetzt …

 

Verpiss dich, Fotze[!], sagt Cosy, beugt sich über Maja und spuckt ihr ins Gesicht.

Hm, wo die „Liebe“ (buchstäblich) hinfällt, muss sich in beiden Varianten (quasi zu Anfang und am Ende) jemand („ent“)äußern, Aufmerksamkeit erwecken/erregen insonderheit wider der bisher stumm erlittenen/ertragenen Gefühlswelt, der eigenen wie der anderen (da zeigt sich m. E. sich, dass „ander“ auch mal ein Zahlwort (ich und der andere) war, wie sich m. E. im „anderthalb“ ja noch zeigt). Schießübungen allerdings sind eine sehr auffällige und eher seltene, aber lautstarke kommunikative Methode der Liebesbekundung,

finde ich,

lieber @ Achillus,

aber was soll einer tun mit gebremstem Mundwerk oder gar heilloser Schüchternheit? Da wäre eine primitive Fletsche – vielleicht (überhaupt die älteste Schusswaffe?) alles andere als produktiv und erfolgversprechend.

Mich fasziniert die Namenswahl „Grabas“, wobei nach meinen Forschungen gar nicht klar wird, was der Name bedeutet (denn die wortspielerische Spaltung Grab und As (oder wortmalerisch gedehnt zum Aas) bringt nix, wenn der Name slawischen oder sonstigen Ursprungs ist.

Aber schön, dass Du im Gegensatz zu andern das vom aussterben bedrohte Ausrufezeichen zu mehr als bloßem Befehl pflegst, wiewohl es hier

Hey, Mongo, warte mal.
so was – wenn schon kein Fehler, so doch immerhin - als ein kleiner Stilbruch wirkt.

Was ist los? Maja steckt sich eine Zigarette an, deutet mit dem Kinn auf den Sessel. Setz dich.
Wobei ja immer auffällt, dass die durch Wortstellung auffälligere Frage in aller Regel mit dem umgekehrten Fleischerhaken versehen wird.
Aber das
Danke für gestern, sagt Maja.
lässt mich nun weniger über das weggelassene ! Nachdenken, als über die weggefallenen Anführungszeichen, die in dem geschilderten Umfeld bedeutungslos sind wie der Hexameter heute in der Dichtkunst, die vielleicht sogar in schnelllebiger Zeit signalisieren, dass es wurscht ist, wer da was wie sagt. Und was an Zeichen auf der Theaterbühne bedeutsam ist, wird im „wirklichen“, dem alltäglichen Leben ganz hinten stehn bis zu dem Augenblick, wo’s brennt.
Auf der Bühne, zu Hause oder hinter verschlossenen Türen.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo Achillus,

danke für deine Antwort zum Thema Gewehr und zu Grabas Hintergrund.
Gibt es im Text keine konkreten Angaben, oder Hinweise auf das Alter der handelnden Personen, sucht sich der Leser das für ihn passend erscheinend selbst aus. Ich siedelte Grabas zwischen 15-17 an. Dachte, dass er während der Sommerferien eine Zeit lang allein haust, weil die Mutter vereist ist, weswegen der Onkel gelegentlich nach ihm schaut (anruft). Bei diesem Alter schloss ich trotz Mongo, Schwachkopf oder Freak nicht zwangsläufig auf eine tatsächliche Beeinträchtigung. Schrieb es vielmehr einem zum dargestellten Milieu passend rauen Umgangston zu. Grabas Wortkargheit und Verhalten (mit Ausnahme der Ballereien) deutete ich eher gegenteilig. Besonnen, überlegt handelnd, schüchtern und geradeheraus, mit Gerechtigkeitsinn und Anstand. Klar, das eine schließt das andere nicht aus.
Bei nochmaligem Lesen fällt es mir nun schwer, den Schalter trotz deiner Information umzulegen. Eindeutig ist es ja nicht, was gut ist. Nur mag ich Grabas meinem Ersteindruck nach, auch wenn deine Informationen ein anderes Licht auf ihn und die Geschichte werfen. Andererseits erklären sie Mayas Ablehnung und Cosys Reaktion.

Gruß,
Sammis

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Achillus

Sehr filmisch. Mir gefällt, wie du das Material geschnitten hast, in meinem Kopf gab's jeweils die halbe Sekunde Schwarz zwischen den Szenen. Die Erzählstimme ist meines Erachtens nicht zu hundert Prozent eindeutig. Grundsätzlich hast du einen neutralen Erzähler. Zuweilen dachte ich aber, du erzählst personal:

Hart blicken die Augen der Frau auf ihn herab.
Maja lächelt traurig.
Das sind Bewertungen aus der Sicht von Grabas, dachte ich.
er lächelt unbeholfen, öffnet den Mund.
Auch das. Das ist das einzige Mal, dass Innenleben direkt benannt wird.
Dann aber:
Sein blasses Gesicht wirkt hart und abgespannt.
Das kann nicht aus personaler Perspektive beschrieben sein, er hat ja keinen Spiegel dabei. Es entspricht aber auch nicht der Perspektive eines neutralen Erzählers, der ja nicht bewertet. Nimmt man alle Stellen zusammen, gewinnt man den etwas ungünstigen Eindruck einer Audiodeskription. Sobald man das im Kopf hat, wird man das schwer wieder los. Dazu tragen vielleicht auch die vielen sehr knappen Beschreibung der Mimik und Gestik bei. Sie lacht. Er zuckt mit den Schultern etc.
Aber das sind Feinheiten, ich fand das erzählerisch schon sehr gut gemacht, ich war sofort drin und bin auch gut mitgegangen.

Zum Inhalt. Als ich das gelesen habe, dachte ich mir: Typisch Deutsche. Auf Ratten schiessen und sich im Taubendreck wälzen. :D Im Ernst. Mir hat vor allem die Figur von Grabas gefallen, die ist in der Reduktion sehr gut gezeichnet, du zeigst kein Innenleben und dennoch kommt man der Figur sehr nahe. Maja ist mir zuweilen etwas zu typisch, zunächst die Lolita, deren Oberschenkel im Licht der Abensonne schimmern, dann aber auch klassisch kaputt. Ich kauf das Paket aber trotzdem und halte ihr zugute, dass sie ein Atari Teenage Riot T-Shirt trägt. :thumbsup:
Weshalb sie sich an Grabas wendet, ist mir nicht ganz klar geworden. Klar, er ist die nächstgelegene Anlaufstelle. Aber ich finde, es müsste da noch einen Hinweis darauf geben, weshalb sie bei ihm einhakt. Ich weiss nicht, ich hätte sie da gerne noch etwas ambivalenter gesehen, im Sinne von: Es wird klar, dass sie ihn ausnutzt. Es wird aber auch klar, dass sie ihn ihm etwas sieht, dem sie sonst nicht begegnet, so was wie Menschlichkeit. Dass sie ihn also nicht bloss Freako nennt, sondern mal noch stärker durchblicken lässt, dass sie ihn okay findet, und zwar nicht erst am Schluss. Der Dealer verhält sich so, wie man es erwartet, da fand ich die Gestik zuweilen etwas plakativ, z.B. das Anspucken. Insgesamt ein sehr schönes Ensemble mit einer guten Dynamik. Natürlich ist das praktisch arrangiert, der Dealer gleich um die Ecke, auf kurze Distanz. Aber so funktionieren Geschichten nun mal meistens.
Die Entwicklung, der Plot ist gut erzählt. Ich denke, es ein Kennzeichen deiner Geschichten, dass die Handlung sich zwingend entfaltet, das hat meist eine hohe Stringenz. Insofern war schnell mal klar, dass es irgendwann dazu kommen muss, dass Grabas auf Cosy zielt. Ab da hast du eigentlich - unter der Prämisse der Stringenz - nur noch zwei Möglichkeiten. Er tut es oder er tut es nicht. Du hast die bessere gewählt. In diesem Zusammenhang fand ich die Idee von @Rainbow Runner interessant. Der Schalldämpfer explodiert. Das wäre auf alle Fälle überraschender, aber eben auch weniger stringent. Man kann nicht alles haben.
Dem Titel kann ich nicht so viel abgewinnen. Es gibt schon auch bekannte Texte, die nur einen Namen zum Titel haben. Aber eigentlich ist es ein Nicht-Titel. Der Text gefällt mir bis auf das Ende gut. Das wirkt recht angepappt, als wollte der Autor noch einen Lichtblick setzen. Hütte am See. Da werde ich übrigens recht neidisch. Wer kann sich so was leisten? :D Also, da setzt du nur schon vom Setting her einen Ausweg, eine Alternative, die nicht so ganz zum Geist der Geschichte passt. Und dass Maja tatsächlich mitkommt, erschien mit nicht auf Anhieb plausibel. Es ist kein Kitsch-Ende, nicht nur was die die Beziehung zwischen den beiden betrifft. Du hältst das in der Schwebe, man weiss ja nicht, wie langer dieser Aufenthalt dauert, ob sie sich wirklich aus der Scheisse ziehen kann, in der sie steckt. Dennoch fand ich es ein bisschen süsslich. Als Idee ist mir eingefallen, dass man das so à la Brazil aufziehen könnte. Die Idylle am Schluss, vielleicht sogar ein Kuss zwischen den beiden, und ganz am Schluss wird klar, dass der Prota sich das nur erträumt. Aber das geht ja bei der Wahl deiner Perspektive nicht. Musst du also selber schauen. :D

Gern gelesen!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo @Achillus ,

sehr dicht und gut vorstellbar geschrieben - deine Geschichte wirkt auf mich wie ein perfekt geschnittener Film.
Tim und Maja tauchen auch direkt vor dem inneren Auge auf.

Dass keiner eingreift, wenn ein beeinträchtigter junger Mann Ratten und Vögel schießt?
Muss wohl an der Wohngegend liegen ...
Dass das Ganze so in der Schwebe endet - sie kann und will nicht mit dem gehandycapten Typ zusammen sein, er ist trotzdem verknallt - wie gehen sie in Zukunft damit um? Finde ich gut. Vermutlich kommt da (bei dieser Bewaffnung) noch eine Katastrophe hinterher.

Gern gelesen? Eher nicht, der Bilder wegen (Blumenwiesen mag ich mehr als abgekratzte Ratten) :D. Aber es ist eine wirklich gute Story.

Grüße Eva

 

Hallo Henry, danke für Deine Hinweise zum Text. Schön, dass Du geschrieben hast. Ja, Grabas ist ein Weirdo, wie Du schreibst. Ich habe mich beim Schreiben dafür interessiert, wo sich die Linie seines Lebens mit dem von einem Mädchen wie Maja verbinden könnte.

Ich denke, ein interessanter Punkt ist Zuneigung, gepaart mit Hartnäckigkeit. Grabas spürt Majas Ablehnung, aber er gibt nicht schnell auf.

Was die Künstlichkeit der Action in der Geschichte betrifft, ist das auf jeden Fall etwas, worüber man nachdenken kann. Ich finde das Schlägerszenario einerseits nicht abwegig, denn in Berlin passiert das täglich so oft, dass quasi jeder hier so etwas schon mal beobachtet hat. (Ich habe erst gestern Abend auf dem Heimweg nach dem Training die Cops gerufen, weil in meiner Straße ein Mann lag, der Verletzungen im Gesicht hatte und aussah, als wäre er zusammengeschlagen worden.)

Und wenn Du noch nie Straßendealer gesehen hast, kann ich Dir in unserer prachtvollen Hauptstadt gern mal eine Tour anbieten.

Andererseits kann man natürlich auch fragen, ob die Geschichte das überhaupt braucht. Ich habe mir gedacht, dass es eine gewaltsame Begebenheit braucht, die Maja und Grabas zusammenführt. Vielleicht kann man sich da auch was anderes einfallen lassen, aber mir gefiel die Idee ganz gut, auch wenn ich Deinen Einwand verstehe.

Was Deine Überlegung zur Technik betrifft, denke ich, dass es im Zusammenhang mit Literatur oder Fiktion allgemein für mich Sinn macht, zwischen Realismus und Authentizität zu differenzieren. Wenn ich mir z.B. die Waffentechnik oder das Waffenhandling in Krimis, Action- und Thrillerfilmen anschaue, fällt mir auf, dass das meiner Ansicht nach fast nie realistisch ist. Es kann aber authentisch wirken. Damit meine ich, es geht (mir) nicht um Details, die letztlich nur ein Büchsenmacher oder ein Elitesoldat bemerken würden.

Wenn aber Leute meterweise durch die Luft fliegen, weil sie von einem Typen mit einer Schrotflinte erwischt wurden oder jemand 20 mal mit einem Revolver schießt ohne nachzuladen, dann ist das für mich eben reine Phantasie, die ein falsches Bild vermittelt.

Wahrscheinlich hat da jeder so seine eigenen Maßstäbe.

Danke, Henry!

Gruß Achillus

… wird fortgesetzt …

 

Hallo Rainbow Runner, vielen Dank für Deinen Kommentar zu meiner Geschichte. Schön, dass Du Deine Gedanken zum Text geteilt hast.

Ich fand es spannend, Deine Interpretation der Figuren und der Geschehnisse zu lesen. Da der Verlauf der Story von mir von vornherein so angelegt/ gedacht war, wie es jetzt da steht, fällt es mir schwer, den Bruch, den Du im Text wahrnimmst, nachzuempfinden.

Es liegt auf der Hand, dass das Töten eines Menschen etwas anderes ist, als das Schießen auf Ratten und Tauben. Und wäre Grabas ein junger Mann, wie jeder andere, wäre er sicher nicht auf die Idee gekommen, Cosy eine Kugel in den Kopf zu jagen.

Ich habe aber versucht herauszuarbeiten, dass Grabas nicht so denkt und handelt, wie andere das tun. So war zumindest der Impuls, Cosy zu töten, in meinen Augen nachvollziehbar.

Die Szene am See ist tatsächlich sehr kurz. Ich hatte sie als Auftakt für eine mögliche Weiterentwicklung der Story in eine ganze andere Richtung bewusst sehr reduziert gezeichnet. Hier endet meiner Ansicht nach der bisherige Verlauf der Dinge, denn Maja und Grabas erreichen einen neuen Level ihrer Beziehung. Ich wollte da auch gar nicht viel zeigen, ob oder wie die beiden sich näherkommen.

Interessant fand ich an diesem Ende, das Prinzip der »vorläufigen Lösung«. Es ist klar, dass sich Maja nicht ewig dort verstecken kann. Der Konflikt mit Cosy ist nicht gelöst. Aber es gibt einen Aufschub. Vielleicht finden sich in der Ruhe dieses zunächst einmal stillgestellten Konflikts nachhaltige Lösungsansätze.

Was das Fehlen der Zeichen für die wörtliche Rede betrifft, ist das etwas, das mir in den Romanen von McCarthy gut gefällt. Ich finde, man liest und schreibt solche Texte anders, denn sie müssen auch ohne die Hinweise auf die wörtliche Rede funktionieren.

Danke, dass Du reingeschaut hast, Rainbow Runner.

Gruß Achillus

 

Hey Fugu, danke für Deinen Kommentar. Habe mich gefreut, von Dir zu lesen. Ich hatte gleich nach dem Einstellen ein paar Korrekturen gemacht, aber nicht in dem Sinne, wie Du annimmst. Mir fiel Friedrichard mit seinen Gedanken zum Ausrufezeichen ein. Deshalb hatte ich noch ein paar davon gesetzt. (Hat aber immer noch nicht gereicht, es fehlen noch einige.) Interessant, dass Du beim zweiten Lesen einen anderen Eindruck hattest.

Ja, Grabas wird als Freak betrachtet. Ob man ihm ansieht, dass da etwas anders ist oder ob es sich lediglich in seinem Verhalten äußert, das hatte ich nicht ausgeführt. Jedenfalls halten die anderen ihn für einen Schwachkopf. Ich fand, dass das eine interessante Figurendynamik in Gang setzt.

Danke für Deine Hinweise zum Text, Fugu.

Gruß Achillus

 

Hallo Friedel, vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich habe mich gefreut, Deine Gedanken und Hinweise zum Text zu lesen. Ich sehe es auch so, dass der Protagonist hier mit der eigenen Unfähigkeit ringt, dem Mädchen Maja näherzukommen. Er wirkt linkisch, unbeholfen und spielt wahrscheinlich nicht in derselben Liga wie Maja.

Ich werde da noch ein paar Ausrufezeichen nachholen, wie von Dir vorgeschlagen. Danke, Friedel!

Gruß Achillus


Hallo Sammis, nochmal. Schön, dass Du noch einmal reingeschaut hast. Ich schulde Dir noch eine Erklärung zum Begriff »Absehen«, der im Text auftaucht. Das Wort ist die waffentechnische Bezeichnung für das Fadenkreuz im Zielfernrohr. Mir ist durch Dein Nachfragen klargeworden, dass das möglichweise nicht allgemein bekannt ist.

Gibt es im Text keine konkreten Angaben, oder Hinweise auf das Alter der handelnden Personen, sucht sich der Leser das für ihn passend erscheinend selbst aus.

Sehr guter Punkt. Werde ich zukünftig mehr drauf achten. Mal schauen, wie ich das hier regle.


Ich siedelte Grabas zwischen 15-17 an.

Ich habe ihn mir als zumindest volljährig vorgestellt. Er lebt allein, nach dem Tod seiner Mutter, ist kognitiv beeinträchtigt, kann aber im Großen und Ganzen für sich sorgen.

Grabas Wortkargheit und Verhalten (mit Ausnahme der Ballereien) deutete ich eher gegenteilig. Besonnen, überlegt handelnd, schüchtern und geradeheraus, mit Gerechtigkeitsinn und Anstand. Klar, das eine schließt das andere nicht aus.

Das ist spannend, finde ich und kommt auch einer Frage nahe, die ich mir beim Schreiben gestellt habe. Eine Beeinträchtigung in einem Bereich des Denkens bedeutet nicht zwangsläufig, dass ein Mensch an anderer Stelle nicht überragende Fähigkeiten entwickeln kann. Grabas Stärken sind Fokussiertheit, Geduld, Hartnäckigkeit. Vielleicht gleicht er damit aus, was ihm an anderer Stelle fehlt.

Vielen Dank für Deine Hinweise, Sammis. Die helfen mir weiter.

Gruß Achillus

 

Hallo Peeperkorn, vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich habe mich sehr darüber gefreut, Deine Gedanken zur Geschichte zu lesen.

Die Erzählstimme ist meines Erachtens nicht zu hundert Prozent eindeutig. Grundsätzlich hast du einen neutralen Erzähler. Zuweilen dachte ich aber, du erzählst personal:

Interessanter Punkt. Schauen wir uns diese Formulierungen an:

- hart blicken die Augen
- Maja lächelt traurig
- er lächelt unbeholfen
- sein blasses Gesicht wirkt hart und abgespannt

Ich hatte angenommen, dass das die Erzählsstimme sagt, nicht Grabas. Ich bin außerdem davon ausgegangen, dass das keine Beschreibungen des Innenlebens sind. Meiner Ansicht nach werden hier Aussehen und Mimik beschrieben. Eine KI könnte beispielsweise feststellen, was ein trauriges und was ein fröhliches Lächeln ist. (Bei der KI »Midjourney« kannst Du z.B: Gesichter mit vielen verschiedenen Gesichtsausdrücken generieren lassen.)

Insofern sind hart blickende Augen keine rein subjektiv bewertende Beobachtung.

Ich würde die Linie zur Innenschau dort ziehen, wo der Erzähler sagt: er dachte, er glaubte, er fühlte usw.

Oder irre ich mich da?

Nimmt man alle Stellen zusammen, gewinnt man den etwas ungünstigen Eindruck einer Audiodeskription. Sobald man das im Kopf hat, wird man das schwer wieder los. Dazu tragen vielleicht auch die vielen sehr knappen Beschreibung der Mimik und Gestik bei. Sie lacht. Er zuckt mit den Schultern etc.

Dem entnehme ich, dass Du das für ein Problem hältst. Das macht mir in meinen Geschichten ständig Kopfschmerzen. Ich verstehe nicht, warum ein neutraler Erzähler bemerken kann, dass jemand lächelt, aber nicht, auf welche Art er es tut.

Als ich das gelesen habe, dachte ich mir: Typisch Deutsche. Auf Ratten schiessen und sich im Taubendreck wälzen.

Jaja, so sind wir. :)

Maja ist mir zuweilen etwas zu typisch, zunächst die Lolita, deren Oberschenkel im Licht der Abensonne schimmern, dann aber auch klassisch kaputt. Ich kauf das Paket aber trotzdem und halte ihr zugute, dass sie ein Atari Teenage Riot T-Shirt trägt.

Ja, die Kritik kann ich nachvollziehen. Ich finde es aufschlussreich, dass mir bei Geschichten zunächst immer Archetypen vor Augen stehen, weniger psychologisch differenzierte Charaktere. Muss der negative Einfluss von Kino und Videospielen sein, haha.

Weshalb sie sich an Grabas wendet, ist mir nicht ganz klar geworden ... Der Dealer verhält sich so, wie man es erwartet, da fand ich die Gestik zuweilen etwas plakativ ...

Ich sehe das auch als Stellen an, über die man diskutieren kann. Im Grunde bin ich davon ausgegangen, dass seine Hilfsbereitschaft den Weg für ihr Zusammenkommen ebnet. Was Cosy betrifft, hast Du sicher recht.

Dem Titel kann ich nicht so viel abgewinnen. Es gibt schon auch bekannte Texte, die nur einen Namen zum Titel haben. Aber eigentlich ist es ein Nicht-Titel.

Die Idee bei dem Titel war, dass Grabas eine Art Prototyp ist, eine Klasse für sich, ein spezielles Phänomen.

Der Text gefällt mir bis auf das Ende gut. Das wirkt recht angepappt, als wollte der Autor noch einen Lichtblick setzen. Hütte am See.

Dieses Ende steht in Zusammenhang mit der Fragestellung, auf welche Art der Konflikt gelöst werden soll. Ich dachte mir, dass wir in Geschichten häufig so tun, als bestünde das Leben darin, Probleme ein für alle mal zu lösen. Tatsächlich sind Zwischenlösungen aber viel häufiger. So wollte ich das auch in der Geschichte handhaben. Natürlich ist Weglaufen keine Lösung des Problems mit Cosy. Aber vielleicht bringt es Maja doch auf eine bestimmte Art weiter.

Peeperkorn, vielen Dank für Deine Hinweise. Toll, dass Du bei der Geschichte reingeschaut hast.

Gruß Achillus

 

Hallo Eva, danke für Deine Rückmeldung zum Text. Schön, dass Du Deine Gedanken zur Geschichte teilst. Das Filmische hat auch Peeperkorn angemerkt. Ich glaube, das hängt mit meinem Hang zum Visuellen zusammen. Ich sehe die Szenen vor meinem inneren Auge, wenn ich schreibe, so als würde ich im Kino sitzen.

Und ja, das ist schon ganz schön Unterschicht, was da beschrieben wird. In meinen Augen erleben wir allgemein in der Stadt einen außergewöhnlichen Prozess der Verwahrlosung. Ich habe in diesem Jahr bereits drei mal gesehen, dass mitten am Tag (natürlich) ein Mann gegen eine Hauswand gepisst hat. So etwas ist mir früher nicht so krass aufgefallen.

Und die Schwebe am Ende ist etwas, das ich ausprobieren wollte. Je nach Temperament kann jeder Leser sich seine eigene Meinung dazu bilden, was hier passiert bzw. passieren wird. Danke für´s Lesen, Eva!

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Achillus

Interessanter Punkt. Schauen wir uns diese Formulierungen an: - hart blicken die Augen
- Maja lächelt traurig
- er lächelt unbeholfen
- sein blasses Gesicht wirkt hart und abgespannt Ich hatte angenommen, dass das die Erzählsstimme sagt, nicht Grabas. Ich bin außerdem davon ausgegangen, dass das keine Beschreibungen des Innenlebens sind. Meiner Ansicht nach werden hier Aussehen und Mimik beschrieben. Eine KI könnte beispielsweise feststellen, was ein trauriges und was ein fröhliches Lächeln ist.
Ich verstehe nicht, warum ein neutraler Erzähler bemerken kann, dass jemand lächelt, aber nicht, auf welche Art er es tut.
Tatsächlich sehr spannend. Ich denke, das relevante Spektrum ist nicht: Innenleben (der Figur) - Aussensicht oder subjektiv - objektiv, sondern: beschreibend - evaluativ/bewertend. In gewisser Hinsicht geht es also um die Frage, ob der Erzähler ein Innenleben zeigt. Ich schreibe bewusst Spektrum und nicht Unterscheidung, weil ich denke, dass es sich hier um eine graduelle Sache handelt. Für mich ist "unbeholfen" das klarste Beispiel für eine Bewertung, die ein neutraler Erzähler (den ich analog zu einer Filmkamera verstehe) nicht vornehmen kann. Natürlich gibt es objektivierbare Kriterien, die im Normalfall dazu führen, dass wir ein bestimmtes Phänomen so oder so bewerten (z.B. als souverän oder als unbeholfen). Maschinelles Lernen ermöglicht es inzwischen auch KI-Programmen, solche Bewertungen vorzunehmen oder vielleicht besser: vorherzusagen. Das ändert aber nichts daran, dass wir es hier mit einer Bewertung zu tun haben. Es sollte meiner Meinung nach auch nicht dazu führen, dass man die Grenze zwischen beschreibend und bewertend verschwinden lässt (zum Beispiel indem man sagt, dass "rot" ja auch bloss Empfindung und damit eine Interpretation von Licht einer bestimmten Wellenlänge ist). Eher sollte man sagen, dass auch die KI inzwischen evaluative Aussagen tätigen kann. Der neutrale Erzähler gleicht in meinen Augen aber - wie gesagt - einer Kamera und nicht einer KI. Für "unbeholfen" scheint mir das klar zu sein. Bei "hart" bin ich mir nicht so sicher, das liegt für mich so zwischen "unbeholfen" und "rot".

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peter, danke für Deine Hinweise. Ich finde die von Dir vorgeschlagenen Aspekte von beschreibend und bewertend gut nachvollziehbar. Allerdings bin ich mir da eben in Einzelfällen nicht sicher, z.B. »lächelt traurig« kann man sowohl als beschreibend als auch bewertend betrachten.

Ein anderer Punkt, der mir vom Verständnis her Schwierigkeit macht ist folgender: Ein bewertender Erzähler darf natürlich auch beschreiben. Das Bewerten ist ein Extra seiner Erzählertätigkeit. Ich habe deshalb bereits Geschichten mit Ballast vollgestopft, weil ich nur aus dem Grunde früh im Text eine bewertende Passage eingebaut habe, damit man mir hinterher nicht sagen kann, ich hätte keinen bewertenden Erzähler. Die problematische Frage ist, wie die Mischung sein muss, um einen Bruch des Erzählstils zu vermeiden. Also muss auf jeder Seite mindestens eine Bewertung stehen oder doch eher zwei oder drei usw. Wie lehrst Du das in Deinen Schreibkursen? Oder ist das eher eine Frage des Geschmacks?

Vielen Dank für Deine Hilfe!

Wünsche Dir eine schöne Woche!

Gruß Achillus

 

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