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In fremden Händen
So manches Mal ist es nicht eben einfach, sein am Anfang so schönes und beschauliches Leben, seine vielseitigen Abenteuer, die es für uns bereit hält und das erbarmungslose Finale tatsächlich zu verstehen. Ich nehme an, Ihnen geht es hin und wieder genau so. Ich meine da draußen - in Ihrer Welt.
Ich bedauere zutiefst, mein altes, zufriedenstellendes Dasein nicht mehr länger führen zu können, aber glauben Sie mir, es war absolut prächtig. Behaglich war die weite Landschaft, in der ich mit vielen meiner Gefährten heranwuchs.
Nicht mehr lange und mein Teint wird sein unwiderstehliches Grün verlieren und meine ganze stolze Kraft wird allmählich dahin schwinden, nun da ich meines notwendigen Lebenselixiers schamlos beraubt wurde. Außerirdisches Wesen? Nein, Sie irren sich. Keineswegs habe ich etwas gemeinsam mit einer derartigen Kreatur.
Als ich das strahlende Licht unserer wunderbaren Welt erblickte, fand ich mich umringt von vielen meiner Brüder. Um uns herum scharenweise andere unserer besonderen Art, die nach und nach auf geheimnisvolle Weise verschwanden, je größer und makelloser sie wurden. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt noch nicht die geringste Ahnung wohin ihr rätselhafter Weg sie führen sollte. Ich hatte gespenstige Angst, dass man auch uns eines nicht allzu fernen Tages aus unserem vertrauten Zuhause reißen würde. Wir alle liebten dieses schwarzbraune, wenn auch hin und wieder feuchte Nest, das unser Heim war. Vergötterten die helle, reine Sonne, die wir den ganzen Tag über ungestört genießen durften. Es war anhaltend warm, sogar in den nebeligen, halbdunklen Nächten, wenn wir unermüdlich den Lauf des aufgegangenen Mondes verfolgten.
Erschrocken mussten wir eines Tages erkennen, dass bereits ein großer Teil von Familien aus unserer Nachbarschaft verschwunden war. Unheilträchtig legte sich die heiße Sommerluft über mich und meine fassungslosen Freunde. Es war wohl nun bald an der Zeit, dass auch wir unserer bisher friedlichen Existenz Lebewohl sagen mussten.
Auf barbarische Weise entzog man uns dem abgestammten Ursprung und entführte uns in einen geräumigen Kasten aus Metall. Unangenehme Kälte umklammerte uns. Wir verabscheuten diesen Zustand. Lähmende Bestürzung überfiel mich.
In unregelmäßigen Abständen erhellte eine kümmerliche, künstliche Sonne unser widerliches Gefängnis, aber sie wärmte kein bisschen. In ihrem dürftigen Schein begriff ich, dass einige der vertrauten Gemeinschaften meiner verlorenen Heimat auch hier in kühlfeuchter Haft gefangen gehalten wurden.
Wir verbrachten nur wenige, jedoch ruhige Stunden hier, bis man uns unsanft in ein gewaltiges, mit kaltem Wasser angefülltes Badebecken beförderte.
Mir wurde schwindelig. Immer und immer wieder wurden wir brutal untergetaucht. Schimmernde Luftblasen, erzeugt von dem fortwährenden Herumwirbeln meiner Leidgenossen und mir, stiegen durchsichtig um uns herum auf. Schließlich zog ein starker Sog die winzigen Krabbler, die sich manche als liebenswerte Haustiere gehalten hatten, zusammen mit dem schmutzigen Wasser unwiederbringlich in ein schwarzes, tiefes Loch am Boden des Badebeckens.
Wir aber wurden mit einem großen spitzen Teil aus Metall schmerzlich von einander getrennt und nach Größe und Schönheit sortiert. Die kleineren und die nicht so fehlerlosen meiner Gefährten wurden eilig in ein anderes Becken fortgebracht. Ich werde sie wohl nie wieder sehen.
Jene meiner Brüder, die in etwa meiner Größe und Form gleichkamen, wurden zusammen mit mir auf verschiedene Standorte, die sich in einer korrekten Reihe befanden, verteilt.
Kurz darauf ergriffen mich unerwartet zwei gewaltige Klauen. Es war beklemmend und ich versuchte verzweifelt, mich zu wehren. Für einen flüchtigen Augenblick entglitt ich dem sicheren Griff dieser sorglosen Hände, aber letzlich hatte ich doch nicht die geringste Chance gegen sie. Eine der mächtigen Pranken hob mich wieder schnellstens mit einer geübten Bewegung empor und bettete mich nun in erstaunlich sanfter Weise auf eine angenehm weiche, hellbräunliche, runde Fläche. Zugegeben, sie war etwas zu klein für mich, aber offenbar außerordentlich bequem. Ich erfreute mich an der verdienten Ruhe.
Dieser vergängliche Zustand des Wohlbefindens nahm ein unvermutetes Ende als eine kalte, rote Masse, würfelartige, weißliche Gegenstände und ein grünliches, glitschiges Teil mit unzähligen milchigen Augen auf mich hernieder regneten. Noch ehe mir mein Versuch misslang, dies alles abzuschütteln, bedeckten mich die beiden, mir inzwischen bekannten Hände mit einer unangenehm heißen, fettigen, rotbraunen Decke.
Einer meiner Genossen, der ebenso auf einer der gemütlichen Scheiben lag, gesellte sich hastig zu mir. Ich war froh, jemanden zu sehen, den ich kannte. Um uns vor der Kälte und Bakterien abzuschirmen, umschlang man uns noch mit einem Überzug aus buntem Papier. Dieser Zustand war mir vertraut. Man hatte uns bereits in frühester Jugend in ähnlicher Weise bedeckt, um uns vor Frost und unseren Feinden zu schützen. Auf der bemalten Papierhaut stand etwas mit farbigen Buchstaben geschrieben, aber zu meinem größten Bedauern hatte ich niemals lesen gelernt.
Ich war rundum begeistert von unserem neuen Domizil. Nun, abschließend kam ich zu dem Schluss, dass man es doch gut mit uns meinte. Ein Irrtum, wie sich heraus stellte.
Es ist noch keine zehn Sekunden her, da Sie mich aus meiner wärmenden, schützenden Hülle heraus gerissen haben. Ja, genau Sie. Wie grausam Sie doch sein können, aber ich weiß jetzt Bescheid über Ihre unstillbare, monströse Gier. Ich hoffe Sie sind nun zufrieden und genießen die Früchte Ihres skrupellosen Treibens.
Ein Brötchen, Ketchup, Zwiebeln, eine grünmilchige Gurkenscheibe, Fleisch, mein Freund und ich irgendwo dazwischen. Man hat es nicht gerade leicht in diesem Gefüge der einst so wunderschönen Welt.
Guten Appetit!!