- Beitritt
- 21.12.2015
- Beiträge
- 1.268
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 41
Katzenfrühstück
Copywrite
Der Tisch für die Tafelrunde hat die Form einer Raute. Und zwar einer richtigen. Stimmt ja gar nicht! Zum Teufel auch. Genauer gesagt handelt es sich um ein Parallelogramm. Da liegen die gleichlangen Seiten vis-à-vis. Sechs Personen haben an einem solchen Tisch Platz. Man sitzt auf Bänken ohne Rückenlehne. Das Raffinierte dabei ist, der Tisch kann sich schwuppdiwupp so verändern, dass die langen Seiten sich plötzlich in die kürzeren verwandeln und umgekehrt. Oder, noch raffinierter, eine unechte Raute entsteht, das Markenzeichen des Kanzleramtes. Dabei muss keiner den Platz wechseln, um von der Verliererseite auf die Siegerseite zu kommen. Sehr praktisch bei Koalitionsverhandlungen oder Personalrochaden. Es verkürzt die Verhandlungszeit ungemein.
Der Tisch steht im geheimen Trakt. Von dort aus hat man freie Sicht auf die Spree und die Kuppel des Reichstagsgebäudes. Das trainiert die ständige Besinnung auf das Gemeinwohl. In dem hermetisch abgeschlossenen Raum ist es so still wie im Auge des Taifuns. Es versteht sich von selbst, dass nicht mal die Süddeutsche Zeitung herausgefunden hat, wie der Mechanismus des Tisches funktioniert. Man raunt, es sei der Tischler Gottseibeiuns, der ab und zu Aufträge vom Kanzleramt bekomme, gegen einen opulenten Seelenwecken, versteht sich. Er mag nichts anderes. Ansonsten ist der Raum spartanisch eingerichtet. Außer einem Handwaschbecken und einem Spiegel gibt es keinerlei Komfort. Immerhin kann man sich nach Bedarf die Hände in Unschuld waschen.
Wenn man sich zu einer Sitzung auf dem Klo entfernen will, flackert an der Tür nach draußen eine fahle Inschrift auf: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Manchen fährt das so in die Knochen, dass sie sofort wieder ihren Platz einnehmen.
Alle möchten an der Raute sitzen. Nein, nicht alle. Dieses Jahr hat einer sofort verzichtet. Es ist zum Glück ein Mann. Er wäre sowieso nicht zum Katzenfrühstück eingeladen worden. Nur Katzen, und zwar die schönsten, sind mit von der Partie. Dazu noch eine Vertreterin der Medien. Alice Neu hat sich dafür Alice Alt gewünscht. Die Neu will auf keinen Fall die Lügenpresse dabei haben. Sowieso hat sie immer die Emma auf dem Nachttisch liegen. Gegen ein bisschen Schwarz hat sie gar nichts. Sie erhofft sich dadurch ein größeres Verständnis für ihr spezielles Familienbild, eventuell auch ein paar Steuertipps für die Schweiz.
Als erste taucht Sahra auf, sehr elegant. Offensichtlich hat hier der Dresscode die Farbe Schwarz vorgeschrieben, denn auch die anderen Damen erscheinen mehr oder weniger dunkel gewandet. Sie stellt eine Flasche Rotkäppchensekt in die Mitte, und, simsalabim, tauchen Gläser auf. Frauke begnügt sich mit einer Tüte Sauermilch, Katrin schaut sich nach einem Wasserhahn um für eine Waldmeisterbrause. Alice Alt zieht eine Flasche Stilles Wasser aus ihrer vollgestopften Brokattasche. Zuerst holt sie ein original verpacktes Notebook, dann ein Strickzeug heraus. Babysöckchen, grün und blau geringelt.
„Süß“, sagt Katrin, „aber warum gerade grün und blau? Das sieht doch gar nicht gut aus.“
„Grün und blau gibt 'ne schöne Bauersfrau“, sagt Sahra süffisant und nimmt einen kräftigen Schluck aus dem Sektglas.
„Quatsch, der Spruch geht ganz anders. Rot und blau gibt 'ne schöne Bauersfrau“, kontert Katrin. Sofort entflammt eine Diskussion, wer die Deutungshoheit über diese alte Volksweisheit besitzt.
„Luther hat dem Volk aufs Maul geschaut, und ich kenne mich mit Luther aus, das könnt ihr mir glauben. Jedenfalls mehr als du, Sahra!“
Gerade als Sahra empört kontern will, kommt aus dem Off eine Stimme. Es ist Muddi, die Gastgeberin. Sie hat leider verschlafen. „Sorry“, sagt sie, „aber ihr könntet doch schon mal anfangen. Es ist gestern ja auch wirklich spät geworden.“
Alice Alt hat bisher kein Wort von sich gegeben, sie spricht nur noch selten, googelt bereits konzentriert. Und tatsächlich findet sie Belege, dass beide Versionen im Umlauf sind. Ein weiterer Beweis, wie tief das Volk gespalten ist. Ob Luther sich mit Modefragen beschäftigt hat, kann sie allerdings auf die Schnelle nicht herausfinden.
Auf einmal ruckelt die Raute und die Sitzordnung hat sich verändert. An einer kurzen Seite sitzt Alice Alt, der Platz ihr gegenüber ist leer. Sahra und Katrin stoßen jetzt mit den Ellenbogen aneinander, auf der andere Seite sind Alice Neu und Frauke ganz an die Enden der Bank gerutscht.
„Wieso sind eigentlich keine Männer eingeladen worden?“, fragt Sahra nörglerisch. Frauke nickt. Sie hätte auch einen Hochkaräter zuhause.
„Ist doch klar“, Katrin wirft sich in die Brust, „die Parteien sollen weiblicher werden, aber da habt ihr ja noch gewaltige Defizite. Ich finde, wir sollten hier zusammenarbeiten.“
„Mein Gott, irgendwer muss doch auch die Kinder großziehen, wenn man sie nicht schon selber bekommt,“ sagt Frauke und schaut giftig zu Alice Neu hinüber. Das kann Frontfrau Alice sich nicht gefallen lassen. Also schnappt sie sich die Sauermilchtüte und wirft sie Richtung Frauke, die aber duckt sich geschickt weg, so dass die Tüte auf dem Boden zerplatzt. Im Bruchteil einer Sekunde ist die Milchlache verschwunden.
Alice Neu legt sich jetzt verbal ins Zeug, da kommt ihr Talent voll zur Geltung.
„Schluss mit der political correctness, du Schlampe! Wer in Glashütte sitzt, sollte nicht mit Schnullern herumwerfen!“
„Gutes Servicepersonal hier“, seufzt Sahra bewundernd, „was die wohl als Stundenlohn bekommen?“
Alice Alt speichert alles eifrig im Notebook, dann holt sie ein neues Strickzeug aus ihrer Tasche, eine voluminöse Mütze für eisige Tage, diesmal rot und schwarz geringelt. Sie ist schon fast fertig, es fehlt nur noch der gelbe Bommel darauf.
„Wer soll die denn kriegen?! Da passt doch kein vernünftiger Kopf rein.“ Alle nicken. Hoffentlich wird es keine Schlafmütze.
Wieder ertönt eine Botschaft aus dem Off.
„Ich nochmal“, sagt Muddi. Sie klingt noch müder als zuvor. „Es dauert halt länger als geplant mit den Vorbereitungen. Bin gerade dabei, darüber nachzudenken, was ich denn anders machen könnte. Hoffentlich habt ihr ein paar gute Ideen.“
Muddis Müdigkeit wirkt ansteckend. Jetzt wäre ein Loungesofa recht. Am Spreeufer gegenüber gibt es ein paar hübsche Plätze. Die Frauen kommen aus dem Gähnen gar nicht mehr heraus ...
In einigen tausend Kilometer unter dem Kilimandscharo sitzt der Tischler Gottseibeiuns in seinem klimatisierten Büro, spielt slither und kontrolliert das hellnet. Unsichtbare Fäden verbinden es mit allen wichtigen Schaltzentralen der Erde. Zu den Favoriten führen hochleistungsfähige Engelshaare, die seine Mitverschwörer damals beim Sturz aus dem Himmel mitgehen ließen.
Gottseibeiuns lässt seine Lieblingsdschinn antanzen.
„Es sind ein paar Reparaturen im Netz nötig. Und ein paar neue Leitungen sind auch fällig. Hier habt ihr eine Liste ...“
Dann studiert er die Wirkung der höllischen bot fake news. Kein schlechtes Instrument, leider manchmal zu durchsichtig. Er muss grinsen. Die bots sehen fast so aus wie Muddis Raute.
Die blöden Weiber in Lutherdeutschland will er noch ein bisschen schmoren lassen. Wenigsten bis Weihnachten. Und dann ... Bäng!
Er blättert in der Bibel. Soso, sieben Tage hat der Herr gebraucht, um die Welt zu schaffen. Da brauch ich deutlich weniger, wenn ich will, was ich will. Ich sage nur: Nordkorea …
Er steht auf, kratzt sich mit den Joystick zwischen den Hörnern und klopft an die Tür zum Schlafzimmer neben dem Büro. Dort liegt sein bester Freund auf dem Bett und träumt vom tausendjährigen Reich.
„He, aufstehen, alter Spezi! Ich habe eine Mission für dich. Sei doch so gut und begib dich nach Berlin. Setz dich auf den leeren Platz an der Raute. Die Mädels fangen an, sich zu langweilen. Du darfst gerne ein wenig Rautenkarussell mit ihnen fahren, bis Muddi kommt. Und nimm ihnen ein paar Flaschen grüne Fee mit. Eierlikör ist out.“
Meine Vorlage:
https://www.wortkrieger.de/showthre...%E4t-des-B%F6sen-(oder-Lokalrunde-mit-Hitler)