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Lara's Diner
Lara's Diner (überarbeitet)
Johns Eintreten wurde von einem Klingeln begleitet. Obwohl die Entfernung von seinem Auto zu Lara’s Diner nur wenige Meter betrug, war sein Parka klatschnass und seine schwarzen Haare hingen ihm in Strähnen ins Gesicht. Das Innere des Diners wurde von einer langen Theke ausgefüllt, hinter der eine Kellnerin gerade damit beschäftigt war eine Tasse mit Kaffee zu füllen. Sie machte einen sehr konzentrierten Eindruck und nahm keinerlei Notiz von John.
„Entschuldigung...“, er räusperte sich und betrachtete die schlammigen Fußabdrücke, die er hinterlassen hatte.
„...ich glaube, ich habe mich verfahren. Vielleicht können sie mir helfen?“
Die Kellnerin hatte inzwischen ihr Werk vollendet, trank einen Schluck und schenkte John ein schiefes Lächeln.
„Oh Jesus, wo kommen sie denn her? Setzten Sie sich erst mal, Sie sind ja ganz nass. Wollen Sie auch 'nen Kaffee? Tut Ihnen bestimmt gut.“
Ihre Stimme war vollkommen emotionslos und auch während sie sprach verschwand das schiefe Lächeln nicht aus ihrem Gesicht. Anscheinend hatten hier ein paar Geschwister zu viel geheiratet, dachte John.
„Nein, nein, machen sie sich keine Umstände. Ich suche nur die North Head Road und bin irgendwie vom Weg abgekommen. Bei dem Wetter kann man auch kaum zehn Meter weit gucken.“
„North Head Road, ja, die ist hier in der Nähe. Aber setzen Sie sich erst mal und trinken Sie einen Kaffee. Ich zeige Ihnen dann auf der Karte, wie Sie zur North Head Road kommen. Wissen Sie, wir haben hier wirklich selten Leute von außerhalb.“
Das glaubte John ihr sofort. Er war fast drei Stunden durch die Einöde gefahren, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Er zögerte einen Augenblick und setzte sich dann auf einen der Barhocker. Vielleicht war es gar keine schlechte Idee, einen Augenblick zu warten, bis das Unwetter sich gelegt hatte. Draußen war es stockfinster, obwohl die Uhr hinter der Theke gerade erst auf vier stand. Es war aussichtslos weiter ziellos im Dunkeln zu suchen, zudem es hier in der Gegend anscheinend keine Straßenschilder gab. Außerdem konnte sich John bei diesem Wetter schlimmere Plätze, als Lara’s Diner, vorstellen.
„Schlimmes Wetter heute. Ganz schlimmes Wetter.“
John fuhr sich durch seine nassen Haare und nickte zustimmend.
„Sagen Sie, ist das Ihr Laden?“
Lara drehte sich um und zeigte stolz auf das rosa Namenschild auf ihrer Brust.
„Seit zwölf Jahren schon, und davor hat ihn meine Mutter geführt.“
„Und, läuft er gut?“
„Ach ja, es geht. Wir haben ein paar Stammkunden und manchmal kommen auch Leute aus Preachers Corner
hierher.“
„Preachers Corner? Ich denke, da lebt keiner mehr seit die ganze Stadt abgebrannt ist.“
„Oh doch, ein paar Leute leben da noch. Natürlich nicht mehr so viele wie früher.“
„Sie meinen, als noch in der Goldmine gearbeitet wurde?“
Lara betrachtet ihn misstrauisch.
„Sie wissen ganz schön gut Bescheid. Sind Sie Reporter oder so was?“
„Nein, nichts in der Richtung. Entschuldigen Sie, ich wollte nicht aufdringlich sein.“
„Die Leute hier in der Gegend mögen es nämlich gar nicht, wenn man zu viele Fragen stellt.“ Ihre Geschichtszüge entspannten sich wieder und das schiefe Lächeln kehrte zurück.
„So, hier ist Ihr Kaffee. Kann ich Ihnen sonst noch was Gutes tun? Möchten Sie vielleicht was essen? Ein Stück Apfelkuchen? Ist selbst gemacht.“
„Nein, vielen Dank, im Moment nicht.“
„Woher kommen Sie, Mister?“
„Von der Ostküste“, antwortete John.
„Ostküste“, wiederholte Lara verträumt, „muss schön dort sein. Ich war noch nie am Meer.“
John lächelte verlegen und wandte den Kopf zur Seite. Die Theke war, genauso wie der Boden, frisch gewischt und glänzte im Schein der Neonröhren. Nur seine schlammigen Fußabdrücke bildeten einen Kontrast zur peniblen Sauberkeit von Lara’s Diner.
„Lara, haben Sie vielleicht einen Lappen. Ich glaube, ich habe ein wenig Dreck mit rein getragen.“
Lara machte eine abwehrende Handbewegung.
„Kein Problem, Mister, ich kümmere mich später darum.“
John spürte, wie ihr Blick auf ihm ruhen blieb. Er löste seine Aufmerksamkeit von den auf dem Boden verteilten Erdklumpen und sah sie fragend an.
„Also, Mister, was führt Sie in diese gottverlassene Gegend?“
„Ich suche jemanden, meinen Onkel um genau zu sein.“ Er kramte in der Tasche seines Parkas und zeigte Lara ein altes, zerknittertes Foto.
„Haben Sie ihn vielleicht schon mal gesehen?“
Lara betrachtet das Foto lange und schüttelte schließlich ihren Kopf.
„Nein, tut mir Leid.“
„Er ist Historiker und hat hier in der Gegend Studien betrieben. Seit einem Monat habe ich nichts mehr von ihm gehört.“
„Das, das tut mir Leid“, sagte Lara und John glaubte in ihrer monotonen Stimme ehrliches Bedauern zu erkennen.
„Sie glauben doch nicht, dass ihm etwas passiert ist?“, fragte sie.
„Ich hoffe nicht.“
Lara nickte zustimmend.
Natürlich war er zuerst zur Polizei gegangen und man hatte seinen Onkel auf die Liste der vermissten Personen gesetzt. Da sie jedoch in einem freien Land lebten, wie ihm der Officer freundlich erklärte hatte, und es keine Anzeichen für ein Verbrechen gab, erschöpften sich damit auch schon die Bemühungen der Ordnungshüter.
Einen Augenblick lang schwiegen sie beide und nippten an ihren Kaffees. Erst jetzt bemerkte John, wie durchgefroren er war, doch mit jedem Schluck breitete sich ein wärmendes Gefühl in seinem Körper aus. Er drehte sich um und sah aus dem Fenster. Der Regen schien noch stärker geworden zu sein. Obwohl sein alter Dodge direkt vor der verglasten Front parkte, war er nur schemenhaft zu erkennen.
“Was wollen Sie eigentlich an der North Head Road?“
„Ich möchte mir die alte Goldmine ansehen“, antwortete John.
Lara stellte ihren Becher ab. Von einer plötzlichen Unruhe befallen, fing sie an ein Glas zu polieren, und hinter der Theke auf und ab zu gehen.
„Ach ja, die alte Goldmine. Da werden Sie aber nichts finden, glauben Sie mir. Die ist schon seit langer Zeit geschlossen. Außerdem ist der Weg dorthin sehr schlecht und bei dem Wetter? Ne, ich würde es lassen, Mister, ehrlich.“
John warte geduldig ab bis sie ihren Vortrag beendet hatte. Sein Onkel hatte ihm von dem fest verwurzelten Aberglauben in dieser Gegend berichtet, aber dass er immer noch so präsent war, erstaunte John trotzdem.
„Sagen Sie, Lara“, begann er vorsichtig, „kennen Sie die alten Geschichten über die Mine?“
Sie wich seinem Blick aus. Schließlich sah sie ihn doch an und John meinte, ein nervöses Flackern in ihren Augen zu sehen.
„Ach ja, Sie wissen ja, wie die Leute sind. Überall wird getratscht, vor allem in solch verlassenen Gegenden wie hier.“
Sie versuchte sich an einem zuversichtlichen Lächeln, doch scheiterte kläglich.
„Und? Was halten Sie von den alten Legenden?“
„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ Lara sah sich hektisch um. „Aber Sie sollten wirklich nicht über diese Dinge reden. Wirklich nicht.“
„Ich meine, ob Sie daran glauben, was sich die Menschen über Preachers Corner erzählten? Darüber, dass es nicht das Gold war, was sie damals in der Mine gesucht und gefunden haben. Und über die komischen Wesen, die in der Mine gelebt haben sollen.“ John schüttelte lächelnd seinen Kopf.
„Wissen Sie, mein Onkel glaubt daran. An alle alten Geschichten. Er ist der festen Überzeugung, dass die Menschen von Preachers Corner tief unter der Erde eine uralte Rasse entdeckt haben und von ihnen das Gold bekamen. Er glaubt sogar, dass sie ihre eigene Stadt angezündet haben und danach alle in die Mine gezogen sind. Kann man sich das vorstellen? Ein erwachsender...“
John hob den Kopf und stockte mitten im Satz. Lara starrte ihn mit großen Augen an. Sie war kreidebleich. Er wollte etwas sagen, doch sie legte blitzschnell ihren Zeigefinger auf seine Lippen.
„Nicht...“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie nahm ihren Bestellblock aus der Tasche und fing hektisch an, etwas darauf zu schreiben.
John betrachtete sie verwirrt. Seine Belustigung war spurlos verflogen, als er Laras Gesicht gesehen hatte, in dem sich pure Angst wiederspiegelte. Sie hielt den Stift mit beiden Händen, um ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen. Die wenigen Sekunden, bis Lara ihre Nachricht zu Ende geschrieben hatte, zogen sich endlos in die Länge. John spürte sein Herz bis zum Hals schlagen. Wovor hatte er überhaupt Angst? Warum ließ er sich von der abergläubischen Furcht dieser Kellnerin anstecken?
Lara legte den Kugelschreiber vorsichtig auf die Theke und schob ihm den kleinen Zettel zu. John nahm ihn auf, ohne seinen Blick von Lara abzuwenden. In ihren Augen lag etwas Flehendes. Die Schrift war so krakelig, dass er Mühe hatte das Geschriebene zu entziffern.
Sprechen Sie nicht über diese Dinge. Sie sind hier, sie sind überall. Sie können uns hören. Fahren Sie nicht zur Mine.
„Wer ist hier? Wovon...“
Wieder schnellte Lara Finger nach vorne und legte sich auf seinen Mund.
„Nicht sprechen...“ Sie formte die Worte eher mit ihren Lippen, als dass sie sprach.
Resignierend nahm John den Stift.
Ich habe keine Ahnung wovon Sie reden. Wer ist hier? Warum soll ich nicht zur Mine fahren? Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich meinen Onkel suche.
Er gab Lara den Block zurück. Erneut fing sie an zu schreiben.
Die alten Geschichten, sie sind alle wahr. Bitte, glauben Sie mir. Gehen Sie, bevor es zu spät ist. Ihr Onkel ist tot. Und sie werden auch Sie töten, wenn sie sich bedroht fühlen.
John fegte den Block von der Theke. Den Zeigefinger auf Lara gerichtet, stand er auf und ging langsam zum Ausgang.
„Ich weiß nicht, was in Ihrem kranken Hirn vorgeht, aber ich spiele Ihre Spielchen nicht...“
Weiter kam er nicht. Er wurde von einem ohrenbetäubenden Knall unterbrochen, als die Tür hinter Lara aus den Angeln gerissen wurde. John verharrte in seiner Bewegung. Lara hingegen wirbelte herum und stieß einen Schrei aus.
„Ich habe ihm nichts gesagt. Bitte, bitte, nicht...“
Das Wesen im Türrahmen hatte nur noch im entferntesten Sinne Ähnlichkeit mit einem Menschen. Seine Augen waren fast komplett zurückentwickelt und hatten sich tief in die Augenhöhlen zurückgezogen. Dafür war seine Nase überdimensional groß. Schnüffelnd bewegte er sich, getragen von zwei kräftigen, kurzen Beinen, auf Lara zu. Riesige, fleischige Ohrmuscheln, ähnlich den von Fledermäusen, ragten aus den Seiten seines Schädels.
Lara versuchte sich wimmernd in Sicherheit zu bringen, doch das Wesen war schneller. Mit den suppentellergroßen, schaufelartigen Enden seiner langen Arme umschloss es Laras Kopf und hob sie mühelos in die Höhe. Als es seinen Druck verstärkte, ging Laras Wimmern in ein hysterisches Kreischen über.
John war unfähig den Blick abzuwenden, geschweige denn sich zu bewegen.
Es gab ein nasses Knirschen, als Laras Schädelknochen brach. Ihr lebloser Körper fiel wie ein nasser Sack zu Boden. Das Wesen begann sich neu zu orientieren und kam, abwechselnd schnüffelnd und horchend, auf John zu. Mit kleinen, schnellen Schritten umrundet es die Theke.
John drehte sich um. Zur Tür waren es etwa drei Meter, zu seinem Auto vielleicht noch mal fünf. Mit dem Mut der Verzweifelung rannte er los. Er wollte gerade die Tür aufstoßen, als ihm die Hoffnungslosigkeit seines Fluchtversuches bewusst wurde.
Es waren Dutzende. Sie kamen in gebückter Haltung auf das Diner zugetrottet. Sie unterschieden sich in Größe und Statur und John bildete sich ein, trotz des Regens, sogar zwischen Mann und Frau unterscheiden zu können.
Er sackte auf die Knie. Der Schlag traf ihn am rechten Ohr und er empfing die Dunkelheit mit offenen Armen.