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Mitten im Nebel

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16.06.2023
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Anmerkungen zum Text

Meine Kurzgeschichte beschreibt eine introspektive Reise des lyrischen Ichs durch seine vielen Gedanken und Ängste, denen es nicht mehr Herr werden kann.
Die Frage "Werd ich gehen?" bezieht sich auf einen angedachten eventuellen Versuch, sich seinem Schmerz gänzlich zu entziehen.
Die zweite Frage "wirst du gehen?" bezieht sich auf den eigentlichen Schmerz. Er ist das Es das in dem Zimmer Form und Gestalt annimmt.
Die Dritte Frage "Werd ich gehen?" ist die letzte und die entscheidende Frage, ob die Person wirklich das leben verlassen will.

Die Geschichte ist sehr düster und auch dementsprechend gestaltet. Sie soll die Emotionen des lyrischen Ichs irgendwie in eine Form bringen.

Mitten im Nebel

Werd ich geh'n? "Ja." Ich stehe auf und sehe herab. Werd ich zurückkommen? "Nein." Ich sehe zurück. Meine Gedanken, noch nicht ganz wach, drehen sich, umkreisen mich, sie kommen immer näher. Ich öffne meine Augen. Ich wische meinen Schweiß ab.

Mein Kissen ist durchnässt, und ich recke mich auf. Was einst im wie Sturm kreiste, scheint jetzt klarer und klarer zu werden. Die Uhr zeigte elf Uhr 42. Um genau zu sein, Mittwoch, elf Uhr 42. Die Klinke bewegt sich. Ohne mein Zutun geht die Tür auf. Sie quietscht und hinter der Tür trat es hervor. Es kam rein. Ich seh es entsetzt an. Es geht gegen meinen Willen durch den Raum. Der Nebel meiner Gedanken, der mein Zimmer sonst in eine undurchsichtbare Wolke verwandelt, legt sich. Ich muss was machen. Ich muss was sagen. "Wirst du gehen?" Es sieht mich an. Es durchlöchert mich mit seinen dämonisches roten Augäpfeln. "Nein, du?" bekomm ich zurück. Es setzt sich auf mein Bett. Es beobachtet mich. Alles von Wert war bereits weg. Ich bin geschockt. Ein Gefühl der Unwohlheit überkommt mich. Ablenkung. Ich stehe auf. Mein Blick fliegt durch mein Zimmer. Bei einer Zeichnung, eingerahmt über meinem Tisch, bleibt er stehen. Aus dem kohligen Gesicht fließt eine Träne. Ich erschrecke vor seinem Anblick. Meine Augen untersuchen das Gesicht. Aus dem hässlichen linken Auge fließt diese Träne. Und dann noch eine. Ich fasse mir an meine Wange. Meine Hand wird nass. Mein Blick wendet sich von der Zeichnung ab und schaut auf meine Finger. Sie sind rot. Ich blicke zurück auf das Gesicht. Die Träne wurde verschmiert. Die Wange des Gesichts ist blutverschmiert. Ich schließe die Augen. Der Nebel kommt wieder, und die Uhr tickt. Ich wünsche mir nichts. Die Augen des Kohlegesichts sind leer. Dort, wo einst die Pupille von der wunderschön sattgrünen Iris umrundet war, blieb ein weißes Loch. Ich schließe die Augen ein zweites Mal. Ich genieße den Anblick der Dunkelheit, den Anblick der Stille. Mein Gesicht ist weg. Es beobachtet mich noch, noch und immer. "Werd ich jetzt geh'n?": frage ich mich. "Ja." Ich gehe. Erst ein paar Schritte und dann durch die Tür. Ich sehe zurück. In ein weißes Loch.
Langsam lasse ich die Tür zufallen. Der Nebel verschwindet. Ich falle hin. Ich komme nie mehr zurück.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Prometheus ,

ganz herzlich willkommen im Forum! :gelb: Schön, dass du zu uns gefunden hast - und dein "Nerds" im Profil ist sehr vielversprechend. Ich hoffe also, dass du dich von sehr vielen anderen Neuanmeldungen absetzt und kommunizierst, am günstigen selbstverständlich auch durch Komms unter anderen Geschichten. So lernst du selbst ne Menge, weil man bei eigenen Texten ja stark betriebsblind ist.

Sehr positiv ist, dass du keine Rechtschreibfehler / Tipper im Text hast (weniges s.u.), ist absolut nicht selbstverständlich. Du hast dich ja sicher vor Anmeldung im Forum umgesehen und weißt, dass hier Texte abgeklopft werden, auf Handwerkliches, Fehler, Schwachstellen und auch Positives.
Ich fange einfach mit ein paar Formalia an:
- Zeilenumbruch bei Sprecherwechsel, oder wenn eine Figur was sagt und die andere etwas tut, bzw. vice versa. Erleichtert deinen Lesern die Zuordnung, wer spricht, wer handelt.
- Auffälligkeiten reißen aus der Geschichte und verweisen auf den Text (als Gemachtes), ich rate geh'n durch gehen sowie andere Verkürzungen zu ersetzen, weil man das meist ohnehin so spricht.

Weitere Auffälligkeit ist eine Gleichförmigkeit der Satzanfänge: Viel Ich, bestimmte Artikel und Personalpronomen: Es / Sie / Er, Der / Die / Das. Fällt besonders auf, weil du sehr kurze Sätze verwendest (was ja sehr gut zum Text passt). Gleichförmigkeit ist einschläfernd, ich bekomme den Eindruck, alles antizipieren zu können, dass da keine Modulation ist. Das kann man variieren durch inhaltliche Verbindungen zum Satz davor, sei es durch Zeitangaben (sobald, bereits ...), durch Konsequenzen, Satzumstellungen (Ich habe Kopfschmerzen. ---> Mir schmerzt der Kopf. / Stundenlanger Maschinenlärm ließ meinen Kopf schmerzen. / Vom Neonlicht bekam ich Kopfschmerzen. etc. p. p.) usw.
Grad, wenn du so verknappt schreibst, bieten sich auch Anschlüsse über Ellipsen an. (Ich ging die Treppe hinunter. Ich stolperte. -> Ich ging die Treppe hinunter. Stolperte.) Damit bringst du auch mehr Tempo / Tempowechsel in die Geschichte, das ist mitreißender.

Ich finde, der Text hat stilistisch / sprachlich zwei Solitäre. Das sind imA zwei Passagen - auch so, in dieser Satzfolge dort -, auf die du dich konzentrieren könntest, wenn du weiter an deinem Schreiben, also am Handwerk, arbeiten willst. Diese Sätze sind etwas ungewöhnlich (kohlig), sie haben eine logische, aufeinander abgestimmte Abfolge und sind sehr gut im Flow. Hier:

Aus dem kohligen Gesicht fließt eine Träne. Ich erschrecke vor seinem Anblick. Meine Augen untersuchen das Gesicht.
Die Wortwiederholung ist sicher Absicht, ansonsten vermeiden.
Und hier:
Ich schließe die Augen. Der Nebel kommt wieder, und die Uhr tickt. Ich wünsche mir nichts.
ImA bist du hier auf einem sehr guten Weg, das zeigt, dass du eigentlich gut erzählen kannst und auch mit Sprache umgehen - aber bislang ist der Rest noch etwas unstrukturiert und durch die starke Abstraktion bzw. Unklarheit, was eigentlich erzählt werden soll, etwas konfus. Und hat daher keine starke Wirkung (die du aber auch wegen des Dramas benötigen würdest).
Ich weiß, ich rate unten von aktiv handelnden Blicken ab - aber hier im ersten Zitat ist das fast surrealistisch, und an dieser einen Stelle passt es super, weil es dem Ganzen etwas sehr Schräges gibt.


Noch ein paar Details:

Die Uhr zeigte elf Uhr 42. Um genau zu sein, Mittwoch, elf Uhr 42.
Ja, auf manchen Digitaluhren wird auch der Tag angezeigt. Aber das klingt seltsam, durch den etwas 'lyrischen', symbolhaften Stil hatte ich mir auch eine klassische Uhr mit Zeigern vorgestellt und dachte 'Hä, wie zeigt die den Tag an?'.
Jetzt hast du ganz korrekt die Zahl bis zwölf ausgeschrieben, aber hier rate ich zu Einheitlichkeit, weil das schräg aussieht. Entweder 11:42 Uhr oder elf Uhr zweiundvierzig. Kommt vllt. wirklich drauf an, ob du eine digitale oder eine Zeiger-Uhr vor Augen hattest.
Ist diese Info es wert, dass sich der Erzähler korrigiert bzw. präzisiert? Ist eher sinnvoll, wenn es etwas ggfs. zuvor verdrängtes Emotionales ist, sodass durch das Korrigieren / Präzisieren klar wird, dass es ein wichtiger Erkenntnisprozess ist.

Ich seh es entsetzt an.
sehe (Klingt sonst wie Imperativ, obwohl der sieh wäre.

Mein Kissen ist durchnässt, und ich recke mich auf.
Falsche Kollokation: ich setze mich auf oder ich recke mich = ich strecke mich.

Was einst im wie Sturm kreiste, scheint jetzt klarer und klarer zu werden.
Verwechslung von scheinen (etwas sieht so aus, ist aber nicht so) und anscheinend ( = offenbar / offensichtlich: etwas sieht so aus, man kann es aber nicht nachprüfen, ob es tatsächlich so ist).
Ja, der Duden macht diese Unterscheidung nicht so hart und dies ist ein in Horror, Dunkler Phantastik, New Weird ... schon fast im Overkill verwendete Phrase (I'm looking at you, Mr Lovecraft!), aber ich rate hier trotz allem zur Präzision.

Ein Gefühl der Unwohlheit überkommt mich. Ablenkung.
Eigentlich Unwohlsein, aber das ist ne sehr coole und bestimmt absichtliche Wortschöpfung.
Die Ellipse ist aber inkorrekt angesetzt. Hier sagst du semantisch: Ein Gefühl der Unwohlheit und der Ablenkung überkommt mich. Du müsstest also der Ablenkung ein eigenes Subjekt und ein Verb geben (Ich brauche Abwechslung, irgendwie so).

Es sieht mich an. Es durchlöchert mich mit seinen dämonisches roten Augäpfeln. "Nein, du?" bekomme ich zurück. Es setzt sich auf mein Bett. Es beobachtet mich. Alles von Wert war bereits weg. Ich bin geschockt. Ein Gefühl der Unwohlheit überkommt mich. Ablenkung. Ich stehe auf. Mein Blick fliegt durch mein Zimmer. Bei einer Zeichnung, eingerahmt über meinem Tisch, bleibt er stehen.
und
Mein Blick wendet sich von der Zeichnung ab und schaut auf meine Finger. Sie sind rot. Ich blicke zurück auf das Gesicht. [Der Blick schaut? :susp: Und dann doch der Erzähler?]
Jeff VanderMeer ist einer von sehr vielen, die raten, keine Handlung über Blicke zu erzählen, vor allem nicht, wenn Augen zu fliegen beginnen (-> Slapstick).
Und: fehlendes -e. Das ist hier kein Gedicht und nicht 18. Jahrhundert.

Die Sache bei Texten mit innerem Erleben, die nur einen internen Konflikt erzählen und das zudem abstrakt / verschleiert / symbolisch verhandeln: Da ich den Erzähler-Protagonisten nicht kenne und ich zu Beginn nichts von seinem Problem erfahre, lässt mich sein Erleben und seine Emotionen kalt. Es ist sogar so, dass ich eigentlich gar nicht weiß, wo das Problem liegt und vor allem - wichtig für einen literarischen Konflikt -, was die Konsequenzen daraus sind bzw. welche Handlungsmöglichkeiten es gäbe / gegeben hätte. Es behandelt eine extrem kurze Zeit (erzählte Zeit und Erzählzeit zeigen eine starke Diskrepanz = ich brauche wesentlich länger, die Geschichte zu lesen, als der Prota braucht, um all diese Gedanken und Beobachtungen und Schlussfolgerungen zu haben). Und durch das stark Verschleierte, Abstrakte ist das noch mal gebrochen.
Das Infofeld dient weniger dazu, den Text zu erklären (das, was du erklärst, muss der Text selbst leisten), sondern ggfs. auf besondere Sub-Genres, handwerkliche Fragen an die Leser etc.

Stil: Ich denke, du schießt an vielen Stellen etwas übers Ziel hinaus, vllt. in dem Bestreben, lyrisch und dramatisch zu klingen. An anderen Stellen gehst du aber in die Umgangssprache - solche Stilebenen heißen auch Register und Brüche im Register können Irritationen und sogar Ironie / Humor entstehen lassen. Bsp:
Dort, wo einst die Pupille von [einer] Iris umrundet war / Was einst im wie Sturm kreiste vs Es kam rein. [Auf gleicher Stilebene wäre: Es betrat den Raum.]
Ich blicke zurück auf das Gesicht. vs Alles von Wert war bereits weg. Ich bin geschockt. [Gleiche Stilebene wäre: Alles Wertvolle ist bereits vergangen. Und: Ich bin getroffen.]

Allgemein rate ich:
- Stärkere Gewichtung von Plot / Charakterisierung / etwas smootherer Handlungsablauf gegenüber Symbolik / Verschleierung / Andeutung.
- Klarere Symbolik: Du verwendest - was sehr schön ist - eine relativ persönliche / innovative Symbolik. Das macht den Text eigenständig. Aber die Zuordnung kennst auch nur du. Nebel = Verwirrung mag klar sein (meinst du es so?), aber viele andere Verschleierungen finde ich nicht so deutlich, da wird der Text ein bisschen zu weißem Rauschen imO. Da wäre tatsächlich eine Art Worldbuilding sinnvoll, auch, wenn dein Genre nicht Fantasy ist.
- Gleiches gilt für die Handlungen / Entscheidungen des Erzählers: Was sind die Probleme, was die Wünsche, was die Widerstände und was die Konsequenzen? Inhaltliche Verortungen und Verankerungen dessen, was du erzählen möchtest.

Ich hoffe sehr, du kannst mit meinen 5 Cent etwas anfangen. Nimm alles bitte auf jeden Fall als absolute Ermunterung: anders als bei vielen anderen Neuzugängen denke ich, du hast wirklich Potenzial; und wenn Bereitschaft zur Textarbeit da ist, schreibst du bestimmt bald tolle Sachen.

P.S. Als tag vllt. eher Seltsam als Horror und das auch nicht in Kombination mit Alltag, denn Horror und Seltsam verweisen aufs Spekulative und mit Seltsam hättest du dann Spekulativen Realismus.

Herzlichst,
Katla

 

Die Uhr zeigte elf Uhr 42. Um genau zu sein, Mittwoch, elf Uhr 42.

Das wäre meine attack sentence.
Der Nebel meiner Gedanken, der mein Zimmer sonst in eine undurchsichtbare Wolke verwandelt, legt sich.
Ich finde solche Sätze schwierig. Der Nebel meiner Gedanken ... das ist so unkonkret, und manchmal kann es auch hart an der Grenze zur unfreiwilligen Komik liegen; es wirkt einfach sehr drüber, sehr konstruiert auch, man spürt die Gemachtheit des Textes. Das muss nicht immer und unbedingt schlecht sein, aber hier merkt man sehr deutlich, dass diese Sprache so gewollt ist, so aufgeladen poetisch. Es besteht da auch schnell die Gefahr, dass es kitschig wirkt. Katla hat das viel besser analysiert als ich in ihrem Kommentar, und ich stimme ihr in allen Punkten zu.

Bei den meisten Texten frage ich mich immer, was wird mir hier erzählt? So auch bei deinem. Das klingt mir alles zu sehr verraunt, als würde es da eigentlich um nicht so viel gehen, oder als wüsste auch der Autor nicht so ganz genau, worum es eigentlich geht oder gehen soll. Manchmal startet man ja mit einem Bild im Kopf, und bastelt dann einen Text drumherum, das passiert mir oft, aber dann muss ich eben überlegen, ist es eine Miniatur, beschreibe nur einen Moment, einen Eindruck, eine Szene? Dann bleibt es bei der Vignette, kompakt, kurz, komprimiert, aber das ist dann vielleicht noch keine wirkliche Geschichte. Ich habe da selber auch ein eher ausgedehntes Begriffsverständnis, was eine Geschichte eigentlich ist, ich brauche keinen Plot und keine Karthasis und auch keine Twists, ich brauche vor allem Charakter. Das muss aber alles in einem konkreten Rahmen passieren, ich brauche eine Motivation, Tiefe, Subtilität, das darf auch alles uneindeutig und untergründig sein, aber hier bleibt alles an der Oberfläche, in deinem Text, da fehlt es an Verortung, an Empathie, an Tiefe, ich lese das und denke, ich habe nichts verstanden, aber nicht, weil ich zu blöde bin, sondern weil der Text das nicht hergibt, der möchte sich gerne verrätselt und wichtig und tiefgründig geben, aber das ist er nicht, und das merkt man eben auch sofort.

Konstruktiv: Wenn du eine Miniatur schreiben möchtest, würde ich verdichten bis auf das Gerippe, bis auf das Skelett. Auf jedes Wort achten, denn jedes Wort kann den Verlauf deines Textes signifikant und grundlegende verändern. Dir selbst mal die Frage stellen: Was will ich hier erzählen? Was ist das Thema? Was ist das für ein Charakter, der das erlebt?

Gruss, Jimmy

 

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