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Nando und das Geburtstagschaos
„Uh super, wir gehen auf eine Party“, rief Nando und machte sich auf den Weg zu Janas Jacke. Gerade als der kleine Drache dabei war, in die Innentasche zu krabbeln, rief Jana: „Stopp, du kommst nicht mit.“ Jana nahm den kleinen Drachen in die Hand und setzte ihn im Wohnzimmer auf die Couch. Er schnaubte beleidigt, wobei kleine Rauchwölkchen aus seinen Nasenlöchern stoben.
„Das ist unfair. Du darfst feiern und ich muss ich hier alleine herumsitzen und mich langweilen.“
„Ich kann mich im Gegensatz zu dir ja auch benehmen“, bemerkte Jana mit einer hochgezogenen Augenbraue. „ Du machst nur wieder überall Chaos und alles geht den Bach runter.“
„Und wenn ich dir verspreche, dass ich mich benehme?“, bettelte er, faltete die Krallen seiner Vorderpfoten ineinander und hob sie Jana entgegen.
„Nein, das versprichst du jedes Mal. Denk nur mal an die Hochzeit von Simon und Anna. Das ganze Buffet lag nachher in Schutt und Asche, weil du nicht nur das Tischtuch runtergezogen hast, sondern vor lauter Aufregung und Schuldbewusstsein auch noch einen feurigen Schluckauf bekommen hast.“
„Du sagst es, wegen Schuldbewusstseins und Aufregung. Ich konnte also gar nichts dafür“, rechtfertigt er sich und blickte mit seinen großen Drachenkulleraugen zu ihr auf, die Vorderläufe immer noch flehend gefaltet.
„Nein, Nando, das reicht leider nicht. Ich werde dich nicht mitnehmen und ich denke, dass gerade Simon und Anna froh sein werden, wenn ich ohne dich komme.“ Jana verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Augenbrauen zusammen. Eindringlich schaute sie dem kleinen Drachen in die dunklen Augen. Eine große Drachenträne kullert ihm über die schuppige Wange. Mit hängendem Kopf schlurfte er zu seinem Bettchen und ließ sich bäuchlings auf die Matratze fallen. Seine Vorderläufe hingen rechts und links vom Bett und aus dem Kopfkissen konnte Jana ein herzzerreißendes Schluchzen hören.
Sie verdrehte die Augen und warf seufzend die Arme in die Luft. Mit einem Schritt war sie neben seinem Bettchen angekommen, packte den kleinen Drache mit einer Hand und hielt ihn sich direkt vors Gesicht. Immer noch böse funkelte sie ihn an. Nandos Augen waren rot und glasig, und als Jana erkannte, dass sie vielleicht ein bisschen zu hart mit ihm war, wurden ihre Gesichtszüge weicher.
„Du bist schrecklich“, sagte sie mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. „Du bleibst in meiner Kapuze. Du verlässt sie nicht. Nicht um für kleine Chaosdrachen zu gehen. Nicht um eine kleine Kralle vom Kuchen zu probieren. Nicht mal deine Schwanzspitze wird sie verlassen. Hast du mich verstanden?“. Eindringlich stupste sie ihm bei jeder Anweisung vor die kleinen blaugrünen Brustplatten.
Nando nickte, wischte sich die Tränen vom Gesicht und zog seine Maulwinkel von einem Ohr zum anderen.
Jetzt musste Jana herzlich lachen, fuhr ihm mit ihrer Nasenspitze über seine und gab ihm anschließen einen Kuss. Freudig stoben kleine Rauchwölkchen aus seinen Nasenlöchern und sofort musterte Jana in streng.
„Und auf gar keinen Fall wirst du aus Versehen irgendetwas anzünden, sonst bring ich dich ins Tierheim, hörst du?“
„Ja, Ma´am“, antwortete Nando, während er sich kerzengerade aufrichtete und sich die rechte Vorderpfote an die Schläfe hielt. Wieder musste Jana lachen, zog dem kleinen Drachen liebevoll am Ohr und deutet ihm mit ihr mitzukommen.
Die Diskussion mit Nando hatte zur Folge, dass sie die Letzten waren. Elea, das Geburtstagskind, riss die Tür auf und begrüßte Jana stürmisch, indem sie ihr in die Arme hüpfte.
„Du hast es geschafft“, quietschte sie und zog sie mit sich. „Komm schnell, bevor die Anderen dir den ganzen Kuchen wegfuttern.“
„Ich bin mir sicher, dass ich noch was abbekommen werde“, sagte Jana und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, während sie hinter Elea ins Wohnzimmer stolperte.
„Erst mal hallo an alle“, begrüßte sie die die Anderen, die bereits am Tisch saßen und Kaffee und Kuchen zu sich nahmen, „und dir alles, alles Liebe und Gute zum Geburtstag, Elea“, sagte Jana und überreichte ihr das Geschenk. „Von mir auch“, fauchte Nando aus ihrer Kapuze und winkte Elea zu.
„Hey Nando, schön, dass du auch da bist“, begrüßte sie den kleinen Drachen und streichelte ihm über die blauen Kopfschuppen.
„Hey, ihr Beiden“, sagte Anna, die Mutter von Elea, mit einem angespannten Unterton in der Stimme. Sie war alles andere als begeistert, dass der kleine Drache dabei war, und das spiegelt sich auch auf ihrem Gesicht wieder.
„Anna, ich verspreche dir, dass er nichts anstellt. Er hat mir hoch und heilig versprochen, dass er in meiner Kapuze bleibt. Sonst hätte ich ihn gar nicht mitgenommen“, versuchte Jana sofort zu beschwichtigen. Auf Annas Gesicht zuckte ein zaghaftes Lächeln und sogleich entspannte Jana sich wieder.
„Hoffen wir es“, sagte Anna mit Blick zu Nando und stupste ihm sanft auf die Schnauze.
„Versprochen“, nuschelt dieser und hob zum Schwur die rechte Pfote.
„Na, dann setzt euch mal. Kaffee? Kuchen?“
„Ja, bitte“, antwortet Jana und setzte sich neben Tante Gertrud an den gedeckten Geburtstagstisch.
„Nando, möchtest du auch ein Stück Kuchen?“. Doch bevor der Drache antworten konnte, winkte Jana ab. „Nein, er schmiert mir nur meine Kapuze voll. Vielleicht könnte ich ein Stück mitnehmen, wenn was übrig bleibt? Dann kann er es zu Hause essen.“
„Na klar, das ist kein Problem.“ Anna reichte Jana ihren Teller mit einem dicken Stück Sahnetorte. Mit den bunten Schmetterlingen und Blumen aus Zuckerguss sah er genauso fantastisch aus, wie er schmeckte.
Nando zog derweil in ihrer Kapuze eine Schnute und schnaubte verächtlich. Er wollte auch Torte essen. Schmollend lag er auf dem Rücken und überlegte, wie er es anstellen konnte, ein Stück zu bekommen. Da kam ihm eine Idee.
Jana hatte eine Stelle hinterm Ohr, an der sie sehr empfindlich war. Nando hatte sie zufällig bei einem Spaziergang entdeckt. Vorsichtig, damit sie nicht merkte, was er vor hatte, richtete er sich auf und ging ganz nah an Janas linkes Ohr. Dann pustet er vorsichtig. Jana drehte ihren Kopf und funkelte in grimmig an.
„Nando, lass das, du kommst da nicht raus und fertig.“
„Aber Jana, könnten wir nicht mit ihm spielen? Bitte?“ Elea und ihre Schwestern Maira und Silja schauten sie mit großen Augen an. „Bitte, bitte, bitte“, bettelte Elea, „ich bin doch das Geburtstagskind.“
„Das ist Erpressung“, sagte Jana und musste schmunzeln. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, überlegte sie und schaute von einer zur anderen.
„Aber wieso, wir passen auch auf“, versprach Elea.
„Ja, superduper gut“, stimmte Maira mit ein und Silja nickte zustimmend, während sie schon die Hand nach dem kleinen Drachen in Janas Kapuze ausstreckte.
Jana fing an zu lachen. „Na, wie könnte ich bei so viel Frauenpower schon nein sagen. Anna, was meinst du? Ich will keinen Ärger und ich weiß, dass Nando ein kleiner Chaoskönig ist. Vielleicht wenn sie mit ihm raus gehen?“ Anna schaute zwischen den drei Mädchen hin und her. Ihr Blick blieb letztendlich bei Silja hängen, die Nando mit beiden Händen festhielt.
„Na lauft schon. Aber ihr bleibt im Garten und Nando“, richtete sie sich mit fester Stimme an ihn:„mach keinen Blödsinn. Ich will meine Entscheidung nicht bereuen, okay?“
Nando nickte, strahlte übers ganze Drachengesicht und in seinen Nüstern fing es bedrohlich an zu glühen. Anna hob eine Augenbraue und sofort flachte das Glimmen wieder ab. „Tschuldigung“, nuschelte er und begleitet von Annas und Janas Lachen, flitzten die drei Mädchen mit dem kleinen Drachen in den Garten.
„Oh Gott, ich hoffe so sehr, dass das gut geht,“ stöhnte Jana und blickte dem Quartett mit nachdenklicher Mine hinterher.
Aber es schien alles friedlich und ruhig zu bleiben. Sie entspannte sich zunehmend und genoss den leckeren Kuchen und die netten Gespräche am Tisch, als draußen plötzlich ein Schrei zu hören war, der durch Mark und Bein ging. Jana sprang auf. Schon auf der Terrasse konnte sie den Rauch sehen. „Feuer“, rief sie den anderen im Wohnzimmer zu, als Anna an ihr vorbeirannte. „Elea, Maira, Silja“, schrie sie leicht hysterisch, aber da kamen die drei schon um die Ecke. Maira und Silja rannten in ihre Arme. Elea keuchte, als sie auf der Terrasse ankam. Jana packte sie an den Schultern. „Elea, was ist passiert? Wo ist Nando?“
„Ich weiß es nicht“, keuchte sie. „Wir sind gesprungen. Saltos, auf dem Hintern landen und so und auf einmal qualmte das Netz drum rum. Wir sind sofort runter und weg. Aber keine Ahnung, wo Nando ist.“
Jana ließ von Elea ab und joggte Richtung Tranpoling. So nervig dieser kleine Drache auch war, er war ihr kleiner, nerviger Drache und sie hatet ihn lieb und wollte, dass es ihm gut ging.
Als sie beim Trampolin angekommen war, hatte sich Eleas Vater Simon schon mit dem Wasserschlauch bewaffnet und das vor sich hin schmorende Plastiknetz des Trampolins gelöscht. Es qualmte und stank bis zum Himmel.
„Nando? Nando, wo bist du? Komm her. Geht es dir gut?“, rief Jana und blickte sich in alle Richtungen um.
„Dir wäre es bestimmt lieber, wenn nicht“, hörte sie seine Stimme aus Richtung der Bäume, begleitet von einem herzzerreißenden Schluchzen. „Wieder habe ich alles kaputtgemacht und alle sind böse auf mich. Dabei kann ich gar nichts dafür. Es hat so Spaß gemacht. Wir haben gejauchzt und gejubelt und dann ist dieses doofe Feuer einfach von ganz alleine aus meiner Kehle gehopst.“
„Nando, komm doch erst mal zu mir“, versuchte Jana ihn zu besänftigen und suchte zwischen den Bäumen weiter nach ihm.
„Nein, es ist für alle besser, wenn ich einfach verschwinde und nie wieder komme.“
„So ein Quatsch, wer bringt denn dann meine Wohnung so herrlich durcheinander?“
Sie erblickte das kleine blau-grüne Häufchen unter einer großen Tanne auf einem Stein sitzend. Vorsichtig streckte sie ihre Hand durch die Äste, griff den kleinen Drache und drücke ihn fest an sich.
„Ich hab dir versprochen, dass ich kein Chaos mache. Ich hab es dir hoch und heilig versprochen und jetzt das“, schluchzte er los und drückte seine Stirn an ihre Brust. „Es … tut … mir … so … leid. Und jetzt bringst du mich ins Tierheim und da gibt es bestimmt keine anderen Drachen, sondern nur Hunde und Katzen und Frettchen. Ich hasse Frettchen und ich mag dich so. Ich will nicht weg! Aber du hast es gesagt und jetzt muss ich als einziger kleiner Drache zwischen den ganzen niedlichen Hunden und Katzen und den doofen Frettchen leben und...“
„Nando, du musst Luft holen", sagte Jana, kicherte und wischte ihm die Tränen von den Wangen. Es ist ja niemandem etwas passiert und nein, ich werde dich nicht ins Tierheim bringen. Ich könnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, dich mit Frettchen leben zu lassen."
„Wirklich?"
„Ja, ganz ehrlich. Das Trampolin ersetzten wir einfach und dann ist das bestimmt schnell vergessen. Wollen wir wieder reingehen?"
Nando beruhigte sich ein bisschen, schaute sie aus seinen großen, tränenunterlaufenden Drachenaugen an und nickte. Dann machten sie sich auf den Weg ins Wohnzimmer.
„Du kleines Monster!“, schrie Anna und stürmte mit funkelnden Augen auf Jana und Nando zu. Jana entfuhr vor Schreck ein Schrei und Nando war mit einem Satz auf der hohen Kommode, die neben der Terrassentür stand.
„Komm her, ich will dir den Hals umdrehen.“
„Anna, beruhige dich bitte. Es ist doch nichts passiert. Allen geht es gut und das Trampolin bezahle ich selbstverständlich.“ Doch Anna war völlig in Rage und verfolgte Nando durch den kompletten Raum, wild entschlossen, dem Drachen den Gar auszumachen. „Du hättest meine Kinder umbringen können. Bleib stehen!“
Nando, völlig in Panik, sprang über den gedeckten Wohnzimmertisch. Eine Tasse fiel um und verteilte den Kaffee von Uroma über die weiße Tischdecke. Seine linke Pfote landete im Schmetterlingskuchen und hinterließ bei jedem Sprung sahnige Pfotenabdrücke. Es wurde gequietscht, als er Tante Gertrud auf den Kopf sprang. Wild fuchtelnd, um den Drachen wieder loszuwerden, landete eine ihrer Hände bei Onkel Paul im Gesicht. Dieser erschrak und schüttete sich den heißen Kaffee über die Brust. Er sprang auf, um sein Hemd schnell auszuziehen. Dabei viel der Stuhl um. Anna stolperte und landete bäuchlings im Wohnzimmer. Die Arme weit nach vorne ausgestreckt und den Blick hoffnungsvoll auf ihre Hände gerichtet, ob sie Nando erwischt hatte. Doch der kleine Drache saß auf dem Kaminsims und keuchte. Immer wieder quollen vor Anstrengung kleine Rauchwolken aus seinen Nüstern. Mit drei großen Schritten war Jana am Kamin, schnappte Nando und steckte ihn in ihre Jackentasche.
Einen kurzen Moment hielt sie inne und lies ihren Blick durch das völlig verwüstete Wohnzimmer gleiten. Das Chaos war perfekt. Umgekippte Stühle, Onkel Pauls kaffeegetränktes Hemd, Kuchen-Pfotenabdrücke auf der Tischdecke und diversen Möbeln, eine durchgewuselte Tante Gertrud und eine hysterisch lachende Anna auf dem Boden. Dann verabschiedete sie sich flüchtig, verließ das Haus und eilte zu ihrem Wagen. Während sie über den Hof lief, blickte sie sich immer wieder um, um zu prüfen, ob Anna nicht doch jeden Moment mit einem Hechtsprung von hinten kam. Sie traute ihr gerade alles zu, doch es passierte nichts. Die Haustür blieb geschlossen. Trotzdem sauste Jana so schnell sie konnte davon. Erst nach ein paar hundert Meter Entfernung beruhigte sich ihr Herzschlag. Sie fuhr rechts an die Seite und ließ erschöpft ihren Kopf gegen die Kopfstütze fallen. Nando hatte sich nicht mehr blicken lassen, seitdem Jana ihn in ihre Tasche gesteckt hatte, aber sie konnte spüren, dass er schrecklich zitterte. Als sie ihn heraus zog und das kleine Häufchen Drachenelend auf ihrer Hand liegen sah, brach ihr das Herz. Der kleine Kerl hatte mindestens genauso viel Angst um sein Leben gehabt, wie um das der Kinder.
Ihn jetzt beruhigen zu wollen, wäre sinnlos gewesen. Also drückte Jana ihm einen Kuss auf das kleine blaugrüne Köpfchen, flüsterte ihm ein „Ich hab dich lieb“ in seine Drachenohren, steckte ihn zurück in die Jackentasche und fuhr nach Hause.