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Nicht ins Gesicht

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08.11.2001
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Nicht ins Gesicht

Nicht ins Gesicht

Miriam sieht zu Boden. Die brennenden Finger noch quer über ihrem Gesicht. Wenn sie ihn jetzt ansieht, wird er noch einmal zuschlagen. Wenn sie es nicht tut, auch.
Einen Moment denkt sie an das, was sie Sarah am letzten Montag erzählt hat. Zum aller ersten Mal überhaupt.

Darüber wie Klaus am Wochenende ist. Wenn sein Verein verloren hat. Seine Stammkneipe eine neue Sorte Bier. Der verdammte Arsch im Mercedes ihn geschnitten hat, oder die Lottozahlen ihn schon wieder nicht reich gemacht haben.
Bei jedem einzelnen Wort in Sarahs Küche konnte sie spüren, wie die Tür sich Millimeter für Millimeter aufschob. Die Tür zur Hölle. Und sie war auf dem Weg dorthin. Unaufhaltsam.
Sarah sah sie an. Zuerst. Dann nicht mehr. Zum Schluss starrte sie nur noch auf die verblichenen Blümchen auf der Kaffeekanne. Gelegentlich schenkte sie nach, und schwieg.
Erst Minuten nachdem Miriam geendet hatte, konnte Sarah die Worte hervorbringen, die in ihrem Kopf im Kreis rasten.
"Warum verlässt du ihn nicht?"

Miriam zuckte die Schultern. Wie bei allen Fragen ohne Bedeutung.
"Warum bist du nicht schon vor Jahren gegangen?" Sarah ignorierte das scharfe Luftholen.
"Ich meine, es kam alles Stück für Stück. Da gab es keinen Punkt, an dem man seine Sachen packt. Irgendwie nie."
Sarah schenkte die fast vollen Tassen nach. Nur um Zeit zu gewinnen. Miriam kannte das nur zu gut. Wenn sie genügend Zeit gewinnen konnte, schlief er manchmal ein und vergaß.
"Im Ernst. Kein einziger Punkt, an dem ich gedacht hätte, dass es vorbei ist."
"Und was war", Sarah stockte, "mit den gebrochenen Rippen? Jedes einzelne Mal? Den Quetschungen? Den blauen Flecken? Nicht mal, als das mit dem Baby passiert ist?"
"Die Fehlgeburt?" Miriam zuckte zusammen. "Wie hätte ich ihn da verlassen können? Wo ich doch gerade unser Kind verloren hatte?"
"Er hat dir in den Bauch getreten, verdammt!"
"Na und?" In ihrem eigenen Kopf ergab das alles Sinn. Schemenhaft, aber es ergab Sinn. Sarah schien es dennoch nicht zu begreifen. Sie hätte es ihr nie erzählen dürfen.
Sie nahm einen Schluck Kaffee. Die verbrannte Zunge geschah ihr recht. Das war der Vorgeschmack auf die Hölle. Die Hölle der Verräter.
"Ich hätte es doch merken müssen." Miriam konnte nicht mitansehen, wie Sarah sich quälte. "Wir kennen uns schon über zwanzig Jahre! und nie hab ich was gemerkt. Nicht bei der Arbeit, nicht bei Euch zuhause. Warum hab ich es nicht gesehen?"
Miriam betete vor, was sie im Stillen schon tausend Mal gebetet hatte. "Er schlägt nie ins Gesicht."
"Aber ich hätte es wissen müssen."
"Wozu?"
"Um dir zu helfen!"
"Du hättest nichts tun können. Es geht weiter. Ganz gleichmäßig und ohne anzuhalten. Wie das Band in der Fabrik. Nur dass ich im wahren Leben keine Schrauben sortiere." Sie lachte bitter auf. Das wahre Leben.
"Wie kannst du nur so reden?"
"Wie denn?" Miriam war ehrlich erstaunt. Es war doch Sarah, die nichts verstand.
"So... ich weiß nicht... ergeben."
"Gewohnheit", die Ruhe, mit der sie es aussprach, erstaunte sie selbst.
"Ich hätt's dir gar nicht erst sagen sollen. Meine Güte ist das schon spät. Ich muss los, sonst werd ich mit dem Essen nicht mehr fertig, bis er heimkommt."
"Aber...", Sarahs Versuch verebbte fruchtlos, während Miriam aufstand.
"Ich muss los, wirklich."
"Du solltest ihn verlassen", rief Sarah ihr nach.
"Ja, verstehst du denn nicht? Er ist mein Mann." Damit hatte sie am Montag Sarahs Küche verlassen.

Auf dem Heimweg hatte sie ihr Mantra gemurmelt. "Er schlägt nicht ins Gesicht."
Sie war fest überzeugt. Würde er ins Gesicht schlagen, dann würde sie gehen. Könnte es nicht länger ertragen. Dann würde man die Spuren sehen und sie würde Erklärungen finden müssen.
Aber nach zwanzig Jahren Ehe zu gehen, diese Vorstellung erschreckte sie. Jung geheiratet, glückliches Traumpaar, beinahe ein Kind, und nach und nach der Alltag. Danach die Wochenenden. Sie erinnerte sich an all ihre vergangen Mantras.
Er schlägt mich nicht, aber ich bekomme keine blauen Flecken, aber morgen früh tut's nicht mehr weh, aber es ist nie was Schlimmes passiert, aber er hat mir noch nie was gebrochen.
Er schlägt nicht ins Gesicht.

Klaus schnaubt vor Wut und reißt sie aus ihren Gedanken. "Jetzt antworte!"
Miriam zuckt nur gelangweilt mit den Achseln. Wie bei jeder Frage ohne Bedeutung. Was ändert es schon, wenn sie antwortet.
Nicht einmal an die Frage kann sie sich erinnern. Worauf soll sie antworten? Was will er jetzt von ihr?
Hat er herausgefunden, dass sie ihn verraten hat? Hintergangen, betrogen, ausgeliefert? Wie kann er wissen, dass sie Sarah eingeweiht hat? Oder hat sie heute das Essen versalzen? Die Autoschlüssel verschlampt? Keine Batterien für die Fernbedienung besorgt? Es ist ohne Bedeutung.

Die flache Hand zieht neue Striemen auf ihre Wange.
Er schlägt nicht mit der Faust. Nicht ins Gesicht. Nicht mit der Faust ins Gesicht. Nicht mit der Faust ins Gesicht.
"Ich hab Sarah alles erzählt!" Gellender Triumph spricht aus ihren Worten. Jetzt ist es im Grunde auch egal, ob er es weiß. Sie hat die Tür geöffnet und die Hölle der Verräter aus freien Stücken betreten. Ihre Strafe steht geschrieben. In Stein gemeißelt. Jetzt kann es auch jeder wissen. Denn er schlägt ins Gesicht.
"Sie will, dass ich dich verlasse!"
Das kalte Blitzen in seinen Augen fängt Feuer. "Schlampe! Eher mach ich dich kalt!"
Er wird sein Versprechen wahrmachen. Wie alles, was er verspricht. Und sie hat es verdient. Aus freien Stücken ist sie durch die Tür getreten. Seine Schläge treffen hart und rhythmisch, ohne dass sie noch ausweicht. Es hat keinen weiteren Sinn. Still und leblos sinkt sie schließlich am Kühlschrank hinab.

Jetzt, fährt es ihr durch den Kopf, wird der eine Moment kommen, in dem ich verstehe. Hinter all dem hier steckt ein Sinn. Und in dieser einen Sekunde, zwischen der Welt und der Unterwelt kann sie ihre eine Frage stellen. Zwischen Küchenboden und ewiger Verdammnis.
"Warum?" Ihr Kopf steht in Flammen. Ruhiges, flackerndes Feuer, das ihren Verstand aufzehrt, bis alles vorbei ist.

Düüülüüü - düüdü
Düüülüüü - düüdü.
Bitte warten Sie!
Düüülüüü - düüdü.
Bitte warten Sie!

Miriam versucht zu blinzeln. Düüülüüü.
Sie will es nicht glauben. Eine Warteschleife. Jetzt und hier. Von der Ironie des Schicksals hat sie genug gehört. Das hier ist blanker Sarkasmus.

Bitte warten Sie!

Sie glaubt beinahe, Sarahs Stimme zu hören. Aber nur beinahe.

"W-A-R-U-M?" versucht sie herauszupressen, während sie fühlt, wie ihre blutige Zunge anschwillt.

Düüülüüü - düüdü.

Jetzt werden ihre letzten Atemzüge in einer Warteschleife des Schicksals einfach verhauchen. Unbemerkt. Krampfhaft versucht sie, sich aufzurichten. Aber sie hat sich nicht unter Kontrolle.
Eine Sekunde streift etwas über ihr Gesicht, wie Flügel. Dann wird ihr Atem leichter und sie beginnt zu schweben.
Düüülüüü - düüdü. Der Ton dringt tiefer in ihr schwindendes Bewusstsein.

Es wird noch einen Moment dauern.
Bitte warten Sie!
Ihr Anruf ist uns wichtig!
Sie werden umgehend mit dem nächsten freien Mitarbeiter verbunden.
Zur Zeit sind alle Leitungen belegt.
Man wird sich sofort um sie kümmern.

"Warum?" Nur gehaucht, aber diesmal verlässt der Ton ihre Lippen.
"Sie lebt!" Sarahs Stimme überschlägt sich fast, dicht neben ihrem Kopf. "Ganz ruhig, Süße! Du bist im Krankenwagen und Klaus ist verhaftet!"
Noch immer das unwirkliche Düüülüüü. Aber auch tatsächlich Sarahs Stimme.
"Warum?", fragt sie noch einmal.
"Klaus hat dich zusammengeschlagen!"
Das weiß sie doch. Miriam will heftig den Kopf schütteln. Erfolglos. Das hat sie doch gar nicht gemeint.
Ein Mann in weißem Kittel beugt sich über sie. "Sie sollten nicht sprechen, Frau Clemens. Sie haben eine Kieferfraktur." Dann schiebt er die Sauerstoffmaske noch einmal zurecht.
Aber Miriam wehrt ab.
"Warum?"
"Weil er dich zusammengeschlagen hat."
"Nein", bringt sie unter Schmerzen hervor.
"Warum ist er verhaftet?"

 

na, dann bin ich ja beruhigt :D Ich hatte schon Angst, mein Unterbewußtsein hätte nach einem Klischee gejankt und ich hätte es überlesen - auch beim x.ten Mal :D

 

Gerne!

Ich habe in die Richtung auch schon einiges mitgekriegt, finde, dass du das Thema aus einer total sensiblen Richtung angehst und dieser geschlagenen Frau sogar große Stärke aufsetzt.

Zitat:
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"Mann schlägt Frau. Warum bleibt sie?"

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Das ist mMn nicht das Thema. Wenn schon, dann "Mann schlägt Frau. Sie bleibt, weil sie ihr Eheleben lang ihre persönliche Grenze immer weiter ausdehnt."
Ich bin überzeugt, dass eine Frau, die sich "Nicht ins Gesicht" als Grenze steckt, schon viele anderen Grenzen hinter sich gelassen hat.

Für mich wird mit jedem Kommentar deutlicher: Vieles von dem, was an Kritikpunkten genannt wird, steckt in der Geschichte. Zwischen den Zeilen. Mehr soll die Geschichte nicht "servieren". Was sich dazu im Kopf abspielt ist doch dsa, was die Gänsehaut ausmacht oder den Leser erstaunt oder atemlos zurücklässt.
Das schafft diese Geschichte, ohne es noch durch weitere Worte bekräftigen zu müssen.

Merkt man dass mir der Text am Herzen liegt? ;)

Liebe Grüße
Barbara

 

Das Thema dieser Geschichte ist ein Konflikt, der zwischen zwei Menschen seit 20 Jahren besteht. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: kein Mensch schlägt 20 Jahre lang einen anderen ohne Grund.

Dieser Grund kann innerhalb oder außerhalb der Ehe von Klaus und Miriam zu finden sein, doch hier wird nicht danach gesucht. Daran krankt diese Geschichte - die Erklärung, Klaus schlägt seine Frau, weil sie das zulässt, ist keine Erklärung, mögliche Motive, wie die von Chica und Lakita vorgestellt, sind hier nicht sichtbar.

Die zentrale Frage ist nicht, warum Miriam alles erduldet, sondern warum Klaus ihr das antut. Du, arc en ciel, bist der Frage ausgewichen. Statt diese Frage zu behandeln, weichst du auf Äußerlichkeiten aus, bist wie der Fotograf, der zum Ort eines Verbrechens gerufen wird, wo er seine Fotos macht, damit sie am nächsten Tag in der Zeitung stehen: Verhaftet - brutaler Mann schlug seine Frau halbtot.

Das ist Bildzeitungsjournalismus, das ist, was hier zuerst Harkhov gesagt hat: Effekthascherei. Da eine arme, hilflose Frau, dort der brutale Schläger - die Sympathien der Leser können nur bei der Frau liegen. Auch die typische Freundin ist schon da, die den Journalisten gleich erklären wird, die Ehe war für die Frau von Anfang an eine Hölle, er hätte sie seit 20 Jahren immer wieder geschlagen. Warum und wieso, das interessiert niemand, Hauptsache, es wird wieder einmal die Geschichte vom schlagenden Mann und unschuldiger Frau erzählt. Schade.

Dion

 

@Barbara:

Es ist schön zu hören, daß Du mit dieser Geschichte zufrieden bist.
Und diese Bestätigung ist ebenfalls gut, zu hören:

Für mich wird mit jedem Kommentar deutlicher: Vieles von dem, was an Kritikpunkten genannt wird, steckt in der Geschichte. Zwischen den Zeilen.

Ich hatte beim Schreiben und Korrekturlesen selbst den Eindruck, daß es ein runder Text geworden war. Und dann kommen so viele hier und sagen, da fehlt so viel. Deine Hinweise kann man weder sehen, noch deuten.
Ich bin nicht für Holzhammer-Moral-Geschichten. Und ich schreibe auch keine Psychologie-Erklärungs-Texte.

Ich will Menschen, Situationen, Probleme beschreiben, aufzeigen, darstellen. Andere dazu anregen, darüber nachzudenken. Die Hinweise zu entschlüsseln.

Mehr soll die Geschichte nicht "servieren".
Genau.

Merkt man dass mir der Text am Herzen liegt?
ja, das merkt man :D


@Dion:

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: kein Mensch schlägt 20 Jahre lang einen anderen ohne Grund.
An keiner einzigen Stelle habe ich behauptet, Klaus würde ohne Grund schlagen.

Außerdem ist ja durchaus "angedeutet", daß es sich erst langsam so ergeben hat.
Erschreckenderweise geht es ja meist so los.
Seelische Grausamkeiten, eine nach der anderen. Ein leichter Klaps, ein Schubser, irgendwann mal ein Schlag. Dann ein härterer.... usw. Genau, wie bei Miriam.

Hat auch nur einer der beiden wirklich den Hintergrund wahrgenommen? Das Wort "Gewalt" in diesem Zusammenhang auch nur gedacht?

Dieser Grund kann innerhalb oder außerhalb der Ehe von Klaus und Miriam zu finden sein, doch hier wird nicht danach gesucht.
ich habe durchaus Hinweise darauf gegeben, daß Klaus "Gründe" sucht. Er nimmt jeden Frust im Leben anscheinend zum Anlaß, seine Frau zu schlagen. Daß der Mercedes-Fahrer oder das neue Bier nicht der Grund sind, ist klar. Warum aber sind sie Auslöser?

Jemand, der frustriert ist, unzufrieden, vielleicht einfach in seinem Leben "eingeklemmt", braucht meist ein Ventil. Und das sucht sich jeder da, wo er es für "richtig" hält.

Warum Klaus frustriert ist, ist ziemlich egal, finde ich. Denn nichts gibt ihm das Recht, seine Frau zu schlagen.

Druck entweicht zuerst an der schwächsten Stelle. Und diese Stelle ist für Klaus bei Miriam. Sie geht nicht. Er hat es langsam gesteigert. Nie ist sie gegangen. Sie schlägt ja nicht einmal zurück. Warum also sollte er - aus seiner Sicht - also nicht weiter bei ihr Dampf ablassen?

doch hier wird nicht danach gesucht.
Dies ist eine Kurzgeschichte über das Leben von Miriam. Nicht über Klaus. Hätte ich aus seiner Perspektive geschrieben, wären wohl die wirklichen, oder ihm scheinbar wichtigen Gründe für sein Schlagen in den Vordergrund gerückt. Oder zumindest im Hintergrund angedeutet worden.

Aber ich habe hier nicht einmal auktorial erzählt. Aber aus Miriams Kopf heraus gibt es keinen "Grund" in dem Sinne.
Sie hält es ja nicht einmal wirklich für etwas "Relevantes"/ für eine "Sache", denn es hat sich so langsam in ihr Leben geschlichen, daß sie nicht mehr die Gewalt wahrnimmt, sondern allein deren Steigerung.

Wieso sollte sie nach Gründen suchen? Nach Gründen wofür? Dazu müßte da erstmal ein "etwas" sein.

Als Leser hat man den großen Vorteil, daß man zwar die Sicht durch ihre Augen hat, aber nicht in der eingefahrenen Situation steckt, in der sie sich gefangen sieht. Man kann zusammenzucken und aufschreien: Er schlägt dich! Geh!
Man erkennt problemlos, daß es hier falsch läuft. Aber man steckt ja auch nicht drin - ihre Logik hat nur einen ganz kleinen Riß.
Deshalb vertraut sie sich ihrer Freundin an. Vielleicht ahnt sie, daß es weiter gehen wird? Vielleicht ahnt sie, daß er die Grenze überschreiten wird, die sie wiedereinmal gezogen hat.
Vielleicht will sie sich aber auch selbst in die Ecke treiben. Wieder und wieder hat sie sich Grenzen gesetzt, er ist darüber weggetrampelt, und sie hat ihn gelassen. Einfach eine neue Grenze weiter hinten errichet. Es fand ja nur in ihrem Kopf statt.
Aber jetzt legt sie eine Grenze fest, die sie nach außen bekannt gibt. Verletzt er diese, dann kann sie nicht mehr so leicht zurück, wie bei all den anderen Malen. Jetzt weiß jemand davon...

Andererseits: Die größte Angst scheint sie davor zu haben, daß jemand mitbekommt, was vor sich geht. Daß Klaus Spuren hinterläßt, die es nach außen tragen.
Statt aber weiterhin alles geheimzuhalten, erzähl sie selbst es ihrer Freundin. Nicht einer Fremden, nicht jemandem, der ihr helfen soll, niemandem, der ihr "nutzt" (objektiv). Sondern einer der Personen, vor denen sie es eigentlich verstecken will.

Warum tut sie das?
- um sich festzulegen, wie weit er gehen darf? Sich durch die Öffentlichkeit der Angelegenheit Rückendeckung zu verschaffen?
- um ihm zuvorzukommen? Jetzt macht sie es ja öffentlich?
- gibt ihr das ein Gefühl von Macht?
- sie hat das Gefühl, ihn zu betrügen. Zu hintergehen. Also auch, ihm weh zu tun. Und das bietet ihr vielleicht endlich eine Chance! Wehren. Wenn auch nur auf eine sehr pervers zurückgezogene Weise.

Als er sie wieder schlägt, und diesmal sogar ins Gesicht, ist ihr klar, daß sie diesmal wieder eine neue Grenze ziehen kann (nicht mit der Faust) Aus Reflex tut sie das auch zuerst. Aber so kann es nicht weitergehen.
Also wehrt sie sich jetzt zum ersten Mal. Bietet ihm Paroli.
Aber weder packt sie die Koffer, noch ruft sie die Polizei. Sie schlägt auch nicht zurück. Sie duckt sich ja noch nicht mal.
Stattdessen tut sie ihm - aus ihrer Sicht - weh: Ich hab Sarah alles erzählt. Jemand weiß davon. Dein Spiel ist aus. Ich habe Dich betrogen, indem ich alles verraten habe. Ich bin kein Opfer mehr, ich spiele mein eigenes Spiel.
Ihr Schlag ist nicht effektiv. Mehr wie ein Mückenstich in einen Elefanten.

Aber auf perverse Weise führt es dennoch zum Erfolg. Er ist noch wütender. Provoziert. Rastet völlig aus. Schlägt sie krankenhausreif. Und damit ist es endlich vorbei.

Was wollte sie dadurch?
- ihn auch verletzen?
- Ihn weit genug treiben, damit sie sich traut, ihn zu verlassen?
- Ihn dazu bringen, sie tatsächlich zu erschlagen?

Vor allem das letzte finde ich erschreckend. Sie ergibt sich so leicht und wehrlos in diese Situation. Gleitet einfach hinüber in das, was sie für den Tod hält. Vielleicht ist es leichter, zu sterben, als sich zu wehren? Vielleicht ist es leichter, ihn die Arbeit tun zu lassen, als sich umzubringen? Weil man nicht mal eine Entscheidung treffen muß? Weil er "schlud" ist, aber sie "mitschuld", denn sie hat ihn provoziert...

Du, arc en ciel, bist der Frage ausgewichen. Statt diese Frage zu behandeln, weichst du auf Äußerlichkeiten aus, bist wie der Fotograf, der zum Ort eines Verbrechens gerufen wird, wo er seine Fotos macht, damit sie am nächsten Tag in der Zeitung stehen:

Falsch: Ich bin in Miriams Perspektive, nicht in Klaus'. Dementsprechend verbietet sich eben die Ursachen - Erklärung, die Du willst.

Bildzeitungsjournalismus
Nein.
Effekthascherei
Nein.

Sollten solche Geschichten so in der Bild stehen, lohnt es vielleicht doch, sie zu kaufen. Sollte ich mal versuchen.

Für mich bleiben Bildzeitungs-Geschichten an der reinen Oberfläche, wollen polarisieren, schocken, unterhalten (auch mit dem Leid anderer)...
Ein Bild-Artikel, der zum Nachdenken anregen soll? Der versteckte Hinweise darauf gibt, wie solche Situationen sich aufbauen? Der Raum für eigene Gedanken gibt?
Der Journalist hätte nicht lange Freude an seinem Job und übersteht sicher die Probezeit nicht.

es wird wieder einmal die Geschichte vom schlagenden Mann und unschuldiger Frau erzählt. Schade.
wenn Du es dennoch so sehen willst, na gut. Dann kann man nur sagen: Schade.

Frauke

 

Hi Frauke,

ich wollte immer mal wieder eine Geschichte von Dir lesen, daher bin ich hier gelandet. Die Kritiken habe ich nur überflogen, daher mag es sein, dass ich hier irgendwas wiederhole, nimm es halt als zusätzliche Meinung.
Der Text ist routiniert geschrieben. Bis zu der Wendung, wo Miriam fast stirbt, ist der Text sogar zu routiniert. Er besteht nur aus Klischees. Die Frau, die sich schlagen lässt. Die Freundin, der sie es erzählt. Der schlagende Alkoholiker. Bis hierher nichts neues.
Mit der Bewusstlosigkeit kommt die Frage nach dem "Warum", 20 Jahre zu spät. Aber ich will gar nicht in die allgemeine Diskussion über Männer, die ihre Frauen schlagen, einsteigen, sondern bei der Geschichte bleiben.
Die Wendung kam für mich überraschend, und das ist auf jeden Fall ein Pluspunkt für die Geschichte. Dieses "Ein Mitarbeiter wird sich gleich um Sie kümmern" ... ist eine wirklich nette Idee. Ich verstehe bloß nicht so recht, was sie soll. Ein Wechsel von einer Wahrnehmungsstörung in eine andere? Realitätsverlust, oder eine übersinnliche, religiöse Begegnung? Ich muss sagen, fast wirkt es etwas lächerlich. Dann aber verwandelt sich das Düdüü von einer Warteschleife in ein Martinshorn, und wir sind zurück in der Realität (ist definitiv filmreif). Und in einem schlechten Krimi. Die Polizei, alarmiert von der Freundin, kam gerade im richtigen Moment, um den Täter auf frischer Tat zu ertappen. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätten sie auch wieder abziehen müssen, dann ohne Tat und ohne Klägerin (Miriam hätte die Schläge sicher verleugnet) keine Anklage.

Was bleibt? Eine routiniert geschriebene Geschichte über Misshandlung, mit Einblick in die Misshandelte, mit Klischees und Happy-End. Die Wendung in der Mitte ist kreativ, und die letzten beiden Sätze geschickt angeordnet zu einer Schlusspointe.

Auch wenn Klischees wie das vorliegende sogar realistisch sein mögen, hätte ich mir eine detailliertere Auseinandersetzung insbesondere mit dem Täter gewünscht. Alkohol, der verlierende Verein ... das ist mir zu einfach. Es muss ja keine Entschuldigung für den Kerl gefunden werden, darum geht es nicht. Aber es gibt einen Grund für sein Verhalten. Und das ist nicht, dass er schon wieder nicht im Lotto gewonnen hat. Nicht wirklich.
Und wenn man über Misshandlung reden will, bzw. sie bekämpfen will, muss man die tief liegenden Gründe beleuchten, finde ich, und das geschieht in dieser Geschichte meiner Meinung nach überhaupt nicht.

Fazit: sprachlich prima, inhaltlich gute Stellen in einer ansonsten eher gewöhnlichen Erzählung.

Uwe
:cool:

 

Hi Uwe!

Schön, daß Du Dich auch mal wieder zu meinen KGs verirrt hast :D

Zu Deiner Kritik:

Bis zu der Wendung, wo Miriam fast stirbt, ist der Text sogar zu routiniert.
ja, sobald ich dazu komme, werd ich die Küchenszene nochmal bearbeiten. Ich werd noch einen unterschwelligen Hinweis dazu einbauen, warum Klaus mit seinem Leben nicht so zurechtkommt. Warum er also vielleicht schlägt.
Eine echte "Erklärung" werde ich aber mit Sicherheit nicht einbauen. Die Geschichte ist aus Sicht von Miriram geschrieben, sodaß ich Klaus' Charakter nicht viel tiefer beleuchten werde.

Der schlagende Alkoholiker.
Er ist doch kein Alkoholiker. Jedenfalls habe ich davon nichts gesagt. Lediglich angesprochen: Stammkneipe, Bier... aber das macht ihn nicht gleich zum Alkoholiker. Das trifft auf genügend andere auch zu.

Ich freue mich, daß Dir die Wendung gefallen hat.

verstehe bloß nicht so recht, was sie soll. Ein Wechsel von einer Wahrnehmungsstörung in eine andere? Realitätsverlust, oder eine übersinnliche, religiöse Begegnung?
Allerdings hast Du interessante Assoziationen, die mich verblüfft haben :D

Sie ist bewußtlos. Glaubt, sie werde sterben / sei gerade gestorben.
In ihrer Logik muß zwischen dem Hier und dem Jenseits eine Instanz bestehen, die einem die wichtigste Frage beantworten kann. Ohne eine solche Instanz kommt sie offenbar nicht aus. Religiös? Vielleicht. Das Hölle-Konzept ist ja auch angesprochen.
Aber vor allem kommt hier der Aspekt hinein: Wenn das Leben so ungerecht ist, und sie auch in der Hölle enden wird, für ihren Verrat, dann muß wenigstens im Tod ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit zu finden sein.

Sie stellt also ihre Frage - denkt, sie ist gerade gestorben.
Aber statt einer Erklärung hört sie nur dieses Tuten.
Das kennt man doch leider, oder? Man will eine wichtige Frage stellen, hat es eilig... und landet in einer Warteschleife. Also der echte Frust. Wird irgendjemand einem irgendwann eine Antwort geben? Einfluß darauf hat man jedenfalls nicht. Man hat sein Möglichstes getan, und ist ausgeliefert.

Gerade sie, die immer auf die Reaktion angewiesen war, nie die Aktion in der Hand hatte... wird wieder zum Objekt gemacht. Deshalb nicht Irnoie, sondern Sarkasmus des Schicksals.

Aber die Warteschleife sollte auch noch eine übertragene Bedeutung haben. Sie denkt, sie ist in der Warteschleife zwischen Leben und Tod. Und im Grunde ist sie das auch, denn bei ihren Verletzungen war es sicher recht knapp für sie...

Nebenbei ist die Fahrt im Krankenwagen ja auch so etwas wie eine unfreiwillige Wartezeit für sie. Vielleicht zwischen altem und neuem Leben?

und wir sind zurück in der Realität (ist definitiv filmreif).
mach, gern :D

Alkohol, der verlierende Verein ... das ist mir zu einfach.
Naja, das sind nur die Auslöser, nicht die Gründe. Miriam mag denken, daß es Gründe sind. Aber uns dürfte schließlich klar sein, daß dem nicht so ist.

Lieben Gruß,
Frauke

 

Ich werd noch einen unterschwelligen Hinweis dazu einbauen, warum Klaus mit seinem Leben nicht so zurechtkommt. Warum er also vielleicht schlägt.
Eine echte "Erklärung" werde ich aber mit Sicherheit nicht einbauen. Die Geschichte ist aus Sicht von Miriram geschrieben, sodaß ich Klaus' Charakter nicht viel tiefer beleuchten werde.

Na bitte, arc en ciel, ich wollte in deiner Geschichte sowieso keine seitenlangen Abhandlungen oder Erklärungen, sondern lediglich einen Satz, der klarstellt, dass Klaus einen Grund hat für sein Verhalten, damit Missverständnisse, es gäbe grundlos schlagenden Männer, gar nicht erst aufkommen.

Mit dem Bildjournalismusvergleich, arc en ciel, meinte ich die Methode, mit der bestimmte Phänomene unserer Gesellschaft behandelt werden. Auch Spiegel, diese Bildzeitung für gebildete, arbeitet nach ähnlichem Prinzip, der Unterschied ist nur der, dass im Spiegel natürlich auch die Seite des Mannes beleuchtet würde – das hat mich gehindert, deine Schreibe mit der des Spiegels zu vergleichen.

Dion

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo arc en ciel

alles in allem hat sich deine Geschichte schön lesen lassen. Ich bin aber auch der Meinung, dass ich zu dieser Tragödie, welche sich in dieser Familie abspielt, noch ein wenig oberflächlich empfinde. Nicht die Tragödie selber, die beschreibst du genügend, aber die Hintergründe, warum die Frau ihren Mann immer in Schutz nimmt. Meinem Empfinden nach fehlt da etwas. Ich kann heutzutage nicht akzeptieren, dass eine Frau, nur weil sie es eben schon 20 Jahre toleriert immer weiter duldet. Auch über ihr eigenes Versprechen hin, wenn er sie ins Gesicht schlägt.
Da kommt bei mir eben nur der Gedanke auf, wenn sie sich nicht wehrt, hat sie mit den Konsequenzen zu rechnen und das erhoffte Mitleid bleibt von meiner Seite dann auch aus.
Um Mitleid aufbauen zu können fehlt der emotionale Zugang.

Trotzdem wünsche ich dir einen schönen Abend

Morpheus

 

Okay, wenn Du das mit der Stammkneipe so lassen willst. Das Stakkato - ich weiß nicht so recht, ob es zu dem Stil Deiner übrigen Geschichte passt.

Auf jeden Fall aber wie ich meine müsstest du dann einen Doppelpunkt hinsetzen: "Seine Stammkneipe: Eine neue Sorte Bier". Sonst finde ich den Satz einfach ungrammatisch, tschui.


FLoH.

 

@Morpheus:

Naja, wie schon mehrfach geschrieben: Ich werde noch ein Indiz oder so einbauen. Aber Erklärungen eben nicht.
Du wärst allerdings vermutlich überrascht, wie viele Menschen "ohne Grund" so etwas erdulden...

@floh:
nee, der Satz ist "ungrammatisch", richtig, aber er gehört für mich so. Das Stakkato ist nicht so gedacht, daß es Hektik verbreiten soll, sondern einfach die Bedeutungslosigkeit und Umwichtigkeit betonen.
Und wer es grammatisch "ersetzen" will, kann das "hat" sowohl aus dem Satz davor und danach "adoptieren". Noch ein "hat" einzubauen fänd ich zu wiederholend.

Schönen Abend noch,

Frauke

 

Veto:
Menschen erdulden nichts ohne Grund. Es gibt immer eine Ursache für ihr Handeln. Und dieses Motiv darzulegen, wäre nicht nur eine nette Beigabe zu Deinem Text, sondern ein essentieller Bestandteil von eben diesem - eine Grundvoraussetzung für den Leser, mitfühlen zu können. Die Ankündigung des Einbauens eines Indizes mag Hoffnung zu einer Vervollkommnung des Textes erwecken, eine Bereicherung in Bezug auf Nahvollziehbarkeit der beschriebenen Situation verspricht sie nicht.

Fazit: Stilistisch gut geschrieben, wobei die Tiefe der benannten Charaktere leider zu wünschen übrig lässt.


Ciao
Antonia

 

@Antonia:

wogegen legst Du denn Veto ein?

Du wärst allerdings vermutlich überrascht, wie viele Menschen "ohne Grund" so etwas erdulden...
dagegen etwa? dann lies mal, was ich da genau gesagt habe. Das "Ohne Grund" beschreibt die Einstellung von Menschen, keinen objektiven Zustand.
Aus dem Zusammenhang der Postings sollte sich das spätestens ergeben. Die Anführungsstriche sprechen aber für sich, denke ich.


Außerdem sollen sie einen Gedanken zu diesem Satz von Dir anregen:

Es gibt immer eine Ursache für ihr Handeln.

Immer eine Ursache? Ja, sicher. Das ist psychologisch oder auch phisikalisch schon fast eine Plattheit. Die Frage ist: Wie "groß" muß hier diese Ursache sein? Reicht vielleicht ein kleines i-Tüpfelchen?

eine Grundvoraussetzung für den Leser, mitfühlen zu können.
Veto. Es haben mir genügend Leute bisher bestätigt, daß sie offenbar auch so mitfühlen konnten. Nur eben anders, als Du es meinst.

Die Ankündigung des Einbauens eines Indizes mag Hoffnung zu einer Vervollkommnung des Textes erwecken, eine Bereicherung in Bezug auf Nahvollziehbarkeit der beschriebenen Situation verspricht sie nicht.
Wie sollte ich es Deiner Meinung nach denn anstellen? ...
Ich finde, Du könntest mir durchaus zutrauen, den Text zu verbessern / auszubessern.

Aber jetzt ist mal Schluß mit der Diskussion, daß ich noch nicht verbessert habe. Ganz nebenbei hab ich ja auch noch einen Job. Sobald ich mal zum Durchatmen komme, setze ich mich an eine Überarbeitung.

Frauke

 
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... sondern einfach die Bedeutungslosigkeit und Umwichtigkeit betonen.
Gerade diese Angabe eines Grundes sagt mir, dass da auf einer höheren Ebene etwas schief läuft. Das ist doch paradox: Zum einen soll der Satz Bedeutungslosigkeit und Unwichtigkeit des in ihm Gesagten widerspiegeln, und zum Anderen haust du mich (und andere?) mit diesem Fehler – ob beabsichtigt oder nicht – aus der Lesespur und ich frage mich, was da so Wichtiges an dem Satz ist, dass er sozusagen ein Recht darauf hat. Verstehst Du, was ich meine? – Und das Überladen von "hat" aus dem vorhergehenden Satz haut auch nicht hin, weil es dort eine grammatische (Partizip II), hier aber eine semantische Funktion hat (Besitz, relative Zugehörigkeit). Es würde gerade so richtig sein, wenn es hieße: "Der Sportverein hat jetzt andere Spieler. Seine Stammkneipe eine neue Sorte Bier". Unterschätze die Sturheit der deutschen Sprache nicht...
Überleg's Dir am besten nochmal, es ist ja Deine Geschichte.


FLoH.

 

Ich habe das Thema für einen eigenen Text missbraucht. Die Sache möge mir verzeihen.

 

Hallo Arc,

mir hat Deine Geschichte nicht gefallen. Sie hat mich nicht berührt, nicht wütend gemacht, kein Mitleid erregt. Sie läßt mich so gleichgültig zurück, wie die Protagonistin auf die Gewalt ihres Partners reagiert. Die "Prügelszene" wirkt auf mich klischeehaft und unrealistisch.

Ich habe mehrere mißhandelte Frauen kennengelernt und mich eine Zeitlang auch intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Auch ich habe schon Gewalt in einer Beziehung erfahren, allerdings sofort entsprechende Konsequenzen gezogen, da Unterwürfigkeit nicht gerade zu meinen Charaktereigenschaften zählt.
Ich kann keine der Frauen, mit denen ich gesprochen, oder von deren Erfahrungsberichte ich gelesen habe, in Deiner Geschichte wiederfinden. Mir fehlen Emotionen, Schmerzen, Leid. Sarah ist alles gleichgültig, sie scheint nichts zu fühlen, weder emotional noch physisch. Da ist keine Verzweiflung, keine Scham, keine Angst, kein Zynismus oder Selbsthaß. Deshalb kann ich mich auch nicht hineinversetzen.

Nur diese eine Stelle hat mir sehr gut gefallen:

Er schlägt nicht mit der Faust. Nicht ins Gesicht. Nicht mit der Faust ins Gesicht. Nicht mit der Faust ins Gesicht.
Eine Ausrede geht in eine neue über, an die Sarah sich klammert. Schade nur, daß ihre Gefühle dabei nichtmal gestreift werden.

Nur zwei kleine Anmerkungen noch:

Seine Stammkneipe eine neue Sorte Bier.
Da fehlt mir ein Verb. Und ich weiß nichtmal, welches...

"Gewohnheit", die Ruhe, mit der sie es aussprach
"Gewohnheit." Die Ruhe, mit der sie es aussprach...

Liebe Grüße von der Wiederauferstandenen

 

Liebe Frauke!

Du hast ja nun schon jede Menge Meinungen zu Deiner Geschichte, und die meisten davon finden sie realistisch, daher kommt vermutlich auch Deine Reaktion, den wenigen kritischen Stimmen mehr oder weniger mit einem »Schade« zu antworten. Subjektiv und von Deiner Warte aus betrachtet hast Du natürlich Recht: Was der Mehrheit gefällt, kann nur gut sein.

Aber von dieser Mehrheit haben nur sehr wenige schon selbst derartige seelische Tiefen ergründet, daß sie wirklich ein Urteil über realistisch oder unrealistisch abgeben können. Sie können Dir nur sagen, wie es auf sie wirkt, aber nicht wie es tatsächlich ist. Ich meine, wenn ich eine Geschichte lesen würde, in der es um eine Kastration geht, dann müßte ich auch dem Autor glauben und könnte ihm nur sagen, was ich beim Lesen empfinde. Deshalb solltest Du hier nicht nach einfachen Mehrheiten gehen, sondern auch darauf achten, welche Erfahrungen bzw. welches Wissen ein Kritiker mit einbringt. – sim zum Beispiel hat nicht umsonst gemeint, Du solltest Dich mit den Gründen näher auseinandersetzen: Er weiß, wovon er spricht.

Es liegt mir aber fern, mit meinen Worten irgendwelche lobenden Kritiken abzuwerten – natürlich ist es für Dich auch wichtig, zu wissen, wie die Geschichte wirkt, und schließlich kann ja niemand was dafür, wenn er so etwas noch nicht erlebt hat. Aber wo es wirklich um die Realität geht, solltest Du meiner Meinung nach auf die Leute hören, die dafür möglichst kompetent sind, auch wenn es nicht die Mehrheit ist.

Einen Sinn macht eine solche Darstellung nämlich in meinen Augen nur dann, wenn sie a) wirklich sehr realistisch ist und b) der Autor sich auch mit den Ursprüngen befaßt, sonst ist es, wie schon in einer anderen Kritik erwähnt, eher ein Hinzeigen und fast Bild-Zeitungs-Niveau – was Du ja nicht willst, und soweit kenn ich Dich ja auch schon, daß ich weiß, daß das nicht Dein Ziel ist. Deshalb auch meine ernsten und eindringlichen, aber nicht böse gemeinten Worte. ;)

Ich weiß nicht, ob Du meine Geschichte „Guten Morgen am Sonntag“ jemals gelesen hast – da ich sie vor einiger Zeit löschen ließ, kann ich sie Dir nur zuschicken, wenn Du möchtest. Darin findest Du einige nicht „realistische“, sondern reale Gedanken, aus den fünf Jahren, die ich mich „schlagen ließ“. – Ist Dir eigentlich dieser weit verbreitete Ausdruck auch schon aufgefallen? Wie selbstverständlich man hier von einem freiwilligen Akt spricht? „Sich schlagen lassen“ hat schon eine eigene Aussage…

Daß jemand in eine solche Situation kommt, passiert nicht so einfach. In 95 bis 100 % der Fälle wurde da schon durch die Erziehung vorgearbeitet. Du hast ja sicher schon gehört, daß man sich (unbewußt) gerne Partner sucht, die den Eltern in gewisser Hinsicht ähnlich sind – das heißt bei mißhandelten Kindern, daß sie sich gerne in eine Partnerschaft manövrieren, in der sie die selben Mißhandlungen wieder oder weiter erleben. Es wird kaum vorkommen, daß jemand, der ohne Gewalt erzogen wurde, in eine solche Beziehung kommt. – Somit ist die Erziehung die Ursache schlechthin. Das gilt auch für den gewaltbereiten oder -ausübenden Partner, der nicht gewalttätig wäre, hätte er nicht selbst Gewalt erfahren.

Punkt Nummer Zwei hat ebenfalls in der Erziehung seinen Widerhaken: Man hat gelernt, daß sich Liebe und Gewalt nicht widersprechen. Die Eltern, die einen geschlagen haben, behaupteten auch, einen zu lieben – und zahlreiche Religionslehrer und andere Außenstehende haben den Kindern das auch noch bestätigt. Wie sollte dann Gewalt die Liebe ausschließen, noch dazu, wenn ihr der Mann jedesmal Gründe angibt, für die sie sich entweder schuldig fühlen kann, oder ihn vielleicht sogar bemitleiden und verstehen, daß er zornig ist. Weiters gibt es dazu noch den schon genannten Punkt mit dem „wenigstens geschlagen werden“… – Da fällt mir grad das mit dem Alkoholiker ein: Ich glaube, es waren FLoH und Uwe, die einen Alkoholiker herausgelesen haben, obwohl Du nicht explizit davon geschrieben hast. – Aber wie anders kann man denn derartig ausrasten wegen einer neuen Biersorte, wenn man kein Alkoholiker ist? Meiner Meinung nach haben die beiden Recht – der Mann ist Alkoholiker.

Aus diesem als Kind erlernten Selbstverständnis, Opfer von Gewalt zu sein, kommen viele lange nicht heraus, bis sie wirklich krankenhausreif geschlagen werden. Wie als Kind fühlt man sich in der Rolle dessen, der sich nicht wehren kann, gefangen. Außerdem darf man es niemandem sagen, sonst wird alles nur noch schlimmer (diesen Punkt hast Du ja erwähnt, aber ohne der Ursache für diese Angst – für sich allein scheint sie ja eher unglaubwürdig, finde ich).
Mitunter bemitleidet man den schlagenden Teil ja sogar, weil man weiß, daß auch er seine Ursachen hat, vor allem aber nimmt man die ersten Ansätze von Gewalt nicht so tragisch. Es ist kein bewußtes Abstecken von Grenzen – das machen nur gesund erzogene Menschen, die auch Grenzen abzustecken gelernt haben. Mißhandelte haben das meistens nicht gelernt, deshalb können sie es auch in so einem Fall nicht.

Als ich mir sowas fünf Jahre lang „gefallen ließ“, habe ich immer gehofft, er würde eines Tages wieder aufhören, es könnte wieder so werden, wie es anfangs, d.h. die ersten drei Jahre bzw. bevor ich schwanger wurde, war.
Ich schob es auf die Umstellung für ihn, Vater zu werden bzw. geworden zu sein, entschuldigte es mit der nervlichen Belastung durch die Probleme in seiner Arbeit, hatte immer Mitleid, weil er doch selbst als Kind geschlagen wurde.
In den ersten beiden Jahren, in denen er mich schlug, zeigte er mir auch noch, daß es ihm Leid tat (wenn er sich auch nie in Worten entschuldigte), und als ich die ersten Gedanken an eine Anzeige hatte, redete ich mir ein, die blauen Flecken seien ja nicht so schlimm, überhaupt neige ich zu blauen Flecken und ich könne ja gar nicht nachweisen, daß jene von ihm seien. Solange er mich nicht schlimmer verletzt, dachte ich, würde mir ja gar niemand glauben.

Hier passen die gebrochenen Rippen in Deiner Geschichte dazu: Üblicherweise wird bei solchen Verletzungen nachgefragt, wie sie entstanden sind. Da Du von mehreren sprichst, halte ich das für unglaubwürdig. Einmal kann man vielleicht etwas anderes behaupten, aber wenn man das öfter macht, wird da genauer untersucht – jedenfalls bei uns, und ich nehme nicht an, daß man in Deutschland Rippenbrüche behandelt, ohne nach der Ursache zu fragen und gegebenenfalls zu forschen.

Zu alldem dazu bekommt man aber in so einer Situation auch oft Depressionen, die einen kraftlos machen können, einem jegliche Energie, etwas für sich selbst zu unternehmen, rauben. Darauf zu hoffen, daß alles eines Tages wieder gut wird, ist wesentlich einfacher, als sich zu Schritten aus dem Drama heraus zu überwinden. Dazu noch eine Portion Angst-vor-dem-Alleinsein (vor allem, weil man ja nie gelernt hat, über sich selbst zu bestimmen)…
Im Ausreden-Finden wird man dann sehr kreativ…

Auch die blauen Augen waren nicht deshalb schlimm, weil ich dann vor anderen zugeben hätte müssen, daß er mich geschlagen hat. Anfangs genierte ich mich, ging nur die notwendigsten Wege hinaus. (Heute gibt es ja für sowas endlich auch Zustelldienste, dann muß man kaum noch hinaus…) Daß man als Kind gelernt hat, Schuldgefühle zu haben, hat da sehr große Bedeutung. Es geht nicht darum, zuzugeben, daß der Mann einen schlägt, sondern darum, zuzugeben daß man eine jener Frauen ist, die »sich schlagen lassen«. – Diese Redewendung hat eine ungeheuer schuldzuweisende Bedeutung, die mitschuld ist am Problem des Nicht-reden-Könnens.
Aber auch, wenn ich mit blauem Aug und blauer Schläfe rausgegangen bin: Es hat mich eh nie jemand darauf angesprochen. Kein Mensch fand etwas dabei, mich alle paar Wochen mit blauen Augen zu sehen. Die Nachbarn haben ihn zwar dann ganz besonders herumschreien gehört, sie haben sich sogar bei mir einmal darüber beklagt und ich habe versprochen, mein Möglichstes zu tun, daß ich es verhindere, aber sie haben uns nie die Polizei geschickt. (Man kann gegen solche den gemütlichen Sonntags-Brunch störenden Geräusche einfach die Musik lauter aufdrehen, dann hört man sie schon nicht mehr.)
Den Mut zur Scheidung hatte ich erst, als ich mein Leben bedroht sah. Oder anders: Erst ab da war die Angst vor dem Alleinsein kleiner…

Aber um jetzt mehr über Deine Geschichte zu sprechen, geh ich einfach alles der Reihe nach durch und zitiere Dir die Stellen, die mir besonders aufgestoßen sind. Eventuelle Fehler nehm ich da gleich mit. ;)

»Einen Moment denkt sie an das, was sie Sarah am letzten Montag erzählt hat.«
– aus ihrer Sicht denkt sie nicht an das, was sie Sarah erzählt hat, sondern an das, was für sie Realität ist. Aber ich glaube zu wissen, was Du ausdrücken willst, das könntest Du vielleicht mit den Worten „Einen Moment denkt sie an die Worte, die sie noch letzten Montag zu Sarah sagte. Sie kamen plötzlich wie ein Echo retour.“

»Wenn sein Verein verloren hat. Seine Stammkneipe eine neue Sorte Bier.«
– Ich bin ebenfalls an diesem Satz hängengeblieben und ich verstehe ehrlichgesagt nicht, was Dich hindert, ihn grammatikalisch richtig zu schreiben. Ein einfacher Beistrich und eventuell ein „oder“ könnten doch das Problem beheben: Wenn sein Verein verloren hat, oder seine Stammkneipe eine neue Sorte Bier.

»spüren, wie die Tür sich Millimeter für Millimeter aufschob. Die Tür zur Hölle. Und sie war auf dem Weg dorthin. Unaufhaltsam.«
– ich glaube nicht, daß sie das so konkret empfunden hat, meiner Meinung nach würde sie das Gespräch erst als erleichternd empfinden und erst danach Schuldgefühle bekommen

»es kam alles Stück für Stück. Da gab es keinen Punkt, an dem man seine Sachen packt.«
– in meinen Augen läßt Du sie das viel zu bewußt erleben, weil Du eben die psychischen Faktoren, die mitspielen, nicht berücksichtigst. Wäre sie sich hier so bewußt, müßte der nächste Satz die Schlußfolgerung sein, daß der Punkt wohl längst überschritten war und es somit Zeit ist, die Sachen zu packen…

»Wenn sie genügend Zeit gewinnen konnte, schlief er manchmal ein und vergaß.«
– das glaube ich nicht: wenn er so in Rage ist, daß er sie schlagen würde, schläft er nicht einfach ein und läßt sich schon gar nicht von ihr hinhalten

»mit den gebrochenen Rippen? Jedes einzelne Mal? Den Quetschungen? Den blauen Flecken? Nicht mal, als das mit dem Baby passiert ist?"
"Die Fehlgeburt?" Miriam zuckte zusammen. "Wie hätte ich ihn da verlassen können? Wo ich doch gerade unser Kind verloren hatte?"«
– wie schon gesagt: mit den behandlungsbedürftigen Verletzungen solltest Du sparsamer umgehen, da es so unglaubwürdig ist
– daß sie mit ihm trotz Schuld mitfühlte, als das Kind „verlorenging“, ist wiederum gut nachvollziehbar und paßt zu dem von mir Gesagten über das Verständnis für seine Taten bzw. das Entschuldigen derselben

»"Na und?"«
– ein „Ja, aber …“ wäre passender

»Wir kennen uns schon über zwanzig Jahre! und nie hab ich was gemerkt. Nicht bei der Arbeit, nicht bei Euch zuhause.«
– entweder das Rufzeichen nach „Jahre“ weg oder „und“ groß
– aus „was“ würde ich „etwas“ machen
– bei euch

»Es geht weiter. Ganz gleichmäßig und ohne anzuhalten.«
– ebenso unglaubwürdig für mich, da viel zu bewußt gedacht (um es so sehen zu können, müßte sie Abstand haben, den hat sie nicht)

»"Gewohnheit", die Ruhe, mit der sie es aussprach, erstaunte sie selbst.«
– wenn Du eher sowas wie „Sie erschrak selbst, als sie es aussprach“ schreibst, finde ich es ok – wenn es nicht als bewußt gesagt sondern mehr als „rausgerutscht“ rüberkommt

»Meine Güte ist das schon spät.«
– würde sagen „ist es schon spät“

»Ich muss los, sonst werd ich mit dem Essen nicht mehr fertig, bis er heimkommt.«
– diesen Satz finde ich – nach all dem Negativen – einen der besten in der Geschichte; hier kommt das Sich-selbst-Schuld-Aufladen bzw. der Versuch, die Folgen zu vermeiden, ganz gut rüber, ginge aber auch noch ein bisschen in Richtung „Wenn ich nur alles richtig mache, dann wird es schon besser“ auszubauen

»Dann würde man die Spuren sehen und sie würde Erklärungen finden müssen.«
– wie oben gesagt: unwahrscheinlicher Gedankengang

»und nach und nach der Alltag. Danach die Wochenenden.«
– wenn ich mich recht erinnere, wurde diese Stelle wegen dem „Danach“ bereits kritisiert – ich möchte das unterstützen, da die Wochenenden ja jeweils dazwischen sind und nicht erst der Alltag und dann ein Haufen von Wochenenden hintereinander. Wenn Du meinst „diese Wochenenden“, müßtest Du es anders formulieren

»Er schlägt mich nicht, aber ich bekomme keine blauen Flecken, aber morgen früh tut's nicht mehr weh, aber es ist nie was Schlimmes passiert, aber er hat mir noch nie was gebrochen.
Er schlägt nicht ins Gesicht.«
– würde hier jeweils Punkte machen, mit den Beistrichen finde ich, daß sich das gar nicht sehr gut liest, und es wundert mich, daß ich das noch in keiner Kritik gelesen hab.

»Nicht einmal an die Frage kann sie sich erinnern. Worauf soll sie antworten? Was will er jetzt von ihr?
Hat er herausgefunden, dass sie ihn verraten hat? Hintergangen, betrogen, ausgeliefert? Wie kann er wissen, dass sie Sarah eingeweiht hat? Oder hat sie heute das Essen versalzen? Die Autoschlüssel verschlampt? Keine Batterien für die Fernbedienung besorgt? Es ist ohne Bedeutung.«
– ebenfalls für mich unglaubwürdig: Sie würde wissen, weswegen sie jetzt Schuldgefühle hat, das vergißt man nicht von einem Moment auf den anderen, und schon gar nicht ist es ohne Bedeutung, da sie doch die vermeintlichen Fehler vermeiden will

»"Ich hab Sarah alles erzählt!" Gellender Triumph spricht aus ihren Worten.«
– ich weiß, daß Dir das jetzt weh tun wird, da es ein wichtiger Punkt Deiner Geschichte ist, aber auch das halte ich für unglaubwürdig. Hätte sie plötzlich solchen Mut und solche Angst zugleich, würde sie schauen, daß sie aus der Wohnung rauskommt – eher wird sie aber nicht den Mut besitzen, sondern nur die Angst, der sie sich mehr stillschweigend ergibt


Den Rest finde ich ganz ok und es würde alles auch mit veränderter Vorgeschichte so passen.

Nur noch ein kleiner Formfehler:
»"W-A-R-U-M?" versucht sie herauszupressen«
– „W-A-R-U-M?“, versucht

Ich empfinde gerade das als wohl den größten Reiz am Schreiben. Rollen anzunehmen, in denen man niemals war / sein wird / sein will, oder die man sich erträumt, oder ähnliches...
und wenn es mir gelingt, und ich andere damit überzeuge, dann freut mich das sehr. Vor allem, wenn ich mit Problemthemen dazu beitragen kann, daß Menschen sich damit beschäftigen.
Gerade bei solchen Problemthemen finde ich es aber ganz besonders wichtig, daß sie der Realität entsprechen. Mit halben Informationen sollte man da nicht hantieren, zumindest nicht dann, wenn es einem um Verständnis oder Hilfe für die Betroffenen geht. Dann kann man nämlich mit (unbewußter) Falschinformation dem Verständnis mehr schaden als nützen.
Ja, Hornis letzte KG (Zwischen den Worten) ... und eine von Dreimeier (Tod durch ErSticken). - beide sehr empfehlenswert!
- Kommen hiermit auf meine Leseliste… ;)
Antonia: »Menschen erdulden nichts ohne Grund. Es gibt immer eine Ursache für ihr Handeln. Und dieses Motiv darzulegen, wäre nicht nur eine nette Beigabe zu Deinem Text, sondern ein essentieller Bestandteil von eben diesem«
Frauke: »Immer eine Ursache? Ja, sicher. Das ist psychologisch oder auch phisikalisch schon fast eine Plattheit. Die Frage ist: Wie "groß" muß hier diese Ursache sein? Reicht vielleicht ein kleines i-Tüpfelchen?«
Nein, ein i-Tüpfelchen reicht in meinen Augen nicht – wenn Dir am Thema etwas liegt. Erst die Behandlung der Ursachen macht in meinen Augen einen solchen Text wert- und sinnvoll. Sonst ist es nur ein Zur-Schau-Stellen, wie wenn man die Geschichte eines Selbstmörders dabei belassen würde, seinen Selbstmord darzustellen, weil man die Ursachen gar nicht sehen will.
Und ich hoffe, es ist Dir schon anhand der Länge meiner Kritik klar, daß ich nichts böse meine, sondern Dir helfen will, die Ursachen und die Realität zu sehen. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 
Zuletzt bearbeitet:

@arc en ciel:
Sehr schöne Geschichte, in der du Gewalt in einer Ehe aufzeigst. So, wie ich dich verstanden habe, kommt es dir nicht darauf an, dem Leser Gründe für die beschriebenen Verhaltensweisen zu bieten, sondern um aufzurütteln oder Situationen aufzuzeigen. Dies ist dir sehr gut gelungen. Du siehst ja an der Diskussion, wie erfolgreich die Story ist.


@Häferl:
Ich stimme mit dir überein, wenn du die Gewalt (aktive wie passive) auf die Erziehung zurückführst. Die Kindheit und Jugend steht ebenso für tausend andere Dinge wie Charakter, Benimm oder Berufswahl. Dieser grundsätzliche Bezug einer Persönlichkeit auf das Kindesalter ist seit Sigmund Freud bekannt.

Die entscheidende Frage in dieser Diskussion bezieht sich ja eigentlich auf die Mißhandlungen, und diesen Punkt haben wir ja an anderer Stelle schon mal angesprochen: In der Kindheit basiert das eigene Verhalten auf Immitation. Wenn ein Kind sieht, daß zwischen den Eltern keine Liebe vorhanden ist oder selbst keine Liebe zu spüren bekommt, so erfährt es auch nicht, was Liebe per se ist. Später weiß es dann genausowenig, wie es sich zu verhalten hat, wenn es mit Liebe konfrontiert wird, z.B. in der Partnerschaft. Das Kind hat ja nie gelernt, Gefühle der Zuneigung zu empfangen, sie zu verarbeiten und sie anschließend auf seine eigene, besondere Art an den Betreffenden wieder zurückzugeben. Der Akt des Gebens und Nehmens bleibt ihm gewissermaßen verschlossen.

Die Konsequenzen können in der Tat fatal sein: Man steckt dann gewohnheitsmäßig in einem Kreislauf von Gewalt, Erniedrigungen und Masochismus. Kein Selbstbewußtsein, keine Lebensfreude, unfähig eine korrekte Entscheidung zu fällen. Falsche Partnerwahl ist dabei nur ein Teilaspekt; es kommt noch ein ganzer Haufen von Komplexen hinzu, die einen behindern, mit den einfachen Dingen im Leben zurecht zu kommen. Und wenn das Opfer nach vielen Jahren aufgewacht ist, ist es meistens schon zu spät.

Würde mich interessieren, ob du meine Gedankengänge bestätigst.

Liebe Grüße,
Emil

 

@Emil - das kann man nicht alles so vereinfacht und schablonenhaft sagen, könnte man das, gäbe es längst die perfekte Therapie...
Aber das ist alles sehr viel komplizierter und für Außenstehende meist nicht so leicht zu verstehen, so will ich es eher bei einem "Jein" belassen und nicht Fraukes Thread vollposten, das hab ich eigentlich eh schon getan... :Pfeif:
(Kommt Zeit, kommt auch meine Mail irgendwann an...;))

 

Emil,

Masochismus bedeutet Freude an der Unterwerfung und am körperlichen Schmerz. Das hat mit dieser Thematik nichts zu tun.

Und wenn das Opfer nach vielen Jahren aufgewacht ist, ist es meistens schon zu spät.
Zu spät wofür? :confused:

Ist das nicht nur eine Phrase? Ich denke, es ist nie zu spät, um zu gehen.

 

Liebe raven,

für eine Einsicht ist es niemals zu spät - das bezweifle ich nicht. In dem vorliegenden Kontext meine ich Fälle, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, d.h. das Verlorene kehrt nicht wieder. 2 Beispiele: Was wäre, wenn der Mann die Frau zu Tode geprügelt hätte, und anschließend bereut? Oder: Wenn die Frau ihre üble Situation einsieht, wenn auch verspätet, kann sie dann noch ihre Jugendzeit wieder zurückholen? In beiden Fällen ist der Schaden ist nicht mehr behebbar, obwohl die Einsicht durchaus da sein kann. Und dies meine ich mit "zu spät aufgewacht".

Liebe Grüße,
Emil

 

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