Was ist neu

Posthume Abrechnung

Mitglied
Beitritt
16.08.2003
Beiträge
625
Zuletzt bearbeitet:

Posthume Abrechnung

Ich klage euch an. Schaut nicht so irritiert. Euch alle, niemanden im Speziellen, euch 144.000. Jeden einzelnen. Oder hat auch nur einer von euch jemals Widerspruch eingelegt? Applaudiert habt ihr. Aber das konntet ihr schon immer gut. Also, um zur Sache zu kommen - traut euch, beweist Mut zum ersten Mal: Tretet näher und hört mich an.

Die ganze Sache tangiert euch nicht, hab´ ich den Eindruck. Aber gut. Ist mir eigentlich auch lieber, als wenn ihr plötzlich Betroffenheit heucheln würdet.

Welches Verbrechen ich euch vorwerfe? Nennen wir es Tötung. Fahrlässige Tötung. Zu eurer Entlastung muss ich zugeben, dass ihr nicht zurechnungsfähig wart, geblendet durch euren Hass.

Drei Schüsse habt ihr abgegeben. Zweimal konnte ich euch standhalten. Dann hab ich resigniert. Ihr habt mich also auf dem Gewissen, ob ihr wollt oder nicht.

Jetzt sagt ihr, ihr habt nicht mich gemeint mit euren Kugeln. Ja, ich weiß. Nur: getroffen habt ihr trotzdem, das müsst ihr zugeben. Insofern ein schwacher Trost. Jetzt liege ich hier, das Ergebnis ist also dasselbe. Der Tod fragt nicht danach, was für eine Absicht ihr ursprünglich hattet. Komplett desinteressiert ist er. Nur der, den ihr eigentlich meintet, freut sich, das garantiere ich euch. Er wird ewig leben, glaubt mir. Sicher, er hätte es verdient zerstört zu werden. Ich verstehe somit eure Motivation. Nur: das Problem ist nicht er, das Problem seid ihr. Ihr wurdet dazu erschaffen, ihn zu bekämpfen. Dazu seid ihr nicht in der Lage, so wie ich es sehe. Ihr habt eure Bestimmung längst vergessen. Vernichten solltet ihr ihn durch eure Liebe, nicht töten mit eurem Hass. Ihr werdet somit dem Sinn eurer Existenz nicht gerecht und könntet genauso gut hier neben mir liegen, anstatt weitere Jahre eures Lebens zu vergeuden.

Ihr versteht nicht? Dann tut das, was ihr zu meinen Lebzeiten nie getan habt – hört mir zu, dieses eine Mal.

Ich gehörte nicht dazu. Ich hab´ gegen ihn gearbeitet. War kurz davor, ihn zu besiegen, unseren Feind. Nun habt ihr mich erledigt und er ist noch da, wie das Leben so spielt. Entschuldigung: der Tod.

Jetzt staunt ihr. Das hättet ihr euch eher überlegen müssen. Aber ihr wärt ja nie auf die Idee gekommen, dass etwas nicht so ist wie es scheint. Ihr habt euch in eurer Aggression nie die Mühe gegeben, hinter die Fassade zu sehen, nie. Seid verbohrt an mir vorübergehastet ohne nur eine Sekunde innezuhalten und zu hören.

Ihr habt euch also noch anderer Verbrechen schuldig gemacht. Ihr verheizt euch. Seid ihr erst verheizt, so könnt ihr nicht mehr brennen. Ihr macht euch schuldig an der Welt. Ihr meint, ihr kämpft auf der Seite des Guten. Das tut ihr, aber ihr tut es nur um eurer selbst Willen, anmaßend wie ihr seid. Ihr dreht euch um euch selbst, vergesst, dass es noch andere, größere Dinge gibt. Ihr tretet blind aus in alle Richtungen. Verschleudert eure Energie, lästert Gott indem ihr euch gegenseitig und damit seine Wesen zerstört. Ihr vernichtet Gott, indem ihr euch mit seinem Gegner auf eine Stufe stellt.

Dies ist meine Anklage an euch. Ihr werdet niemanden finden, der euch verteidigt. Ich wünsche euch, dass ihr erkennt, worauf es ankommt, bevor ihr ankommt. So wie ich jetzt. Ich weiß nicht, ob ihr heilbar seid. Aber die Zeit, die das ganze bräuchte – ich glaube fast, die habt ihr nicht.

Meine letzte Hoffnung: dass eines Tages jemand kommt, der ihn besiegt. Denn ihr werdet es nicht können. Allein deshalb nicht, weil ihr ihm erschreckend ähnlich seid, euch seiner Mittel dankbar bedient. Für einen anderen Zweck, gewiss. Aber das zählt nicht. Denn in einer Welt, die wir laut unserem Auftrag erschaffen sollen, heiligt der Zweck keinesfalls die Mittel und zu ihr führt nur ein Weg. Aber ihn werdet ihr nie betreten. Dass ihr ihn suchen sollt, habt ihr nie begriffen, wie so vieles nicht.

Nur noch eins: Ich bin froh, tot zu sein, da leben heißen würde, mit euch zu leben. Führt sie ab.

 

Hi Juschi,

Dein Text lässt mich ein wenig ratlos zurück. :confused:

Du schreibst eine Botschaft, die irgendjemand an die Menschheit, oder wen auch immer richtet. Sie ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen, und es wird nicht so richtig klar, was der Tode den Anderen eigentlich vorwirft.

Sprachlich ganz in Ordnung, aber inhaltlich wenig überzeugend.

Gruß
Jörg

 

Hallo Jörg,

danke für Deinen Kommentar. Ich warte nochmal weitere Kommentare ab, bis ich was zum Inhaltlichen sage. Aber wahrscheinlich hast Du Recht, und ich hätte den Text eher unter "Seltsam" oder so posten sollen... Mal sehen.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hi Juschi,
so ganz komm ich mit dem Inhalt auch nicht klar, aber im Gegensatz zu Jörg finde ich die Sprache durchaus gelungen. Man fühlt die Aggression des Prots. Und dies zu schaffen ist gar nicht mal so einfach. Dieser Teil ist dir auf jeden Fall sehr gut gelungen. Nur wem die Anklage genau trifft, solltest du noch einmal sagen, denn ich glaube, dass hier nicht nur die Menschheit gemeint ist.

Liebe Grüße...
morti

 

Hallo morti,

Dir auch ein Dankeschön für Deine Rückmeldung und das Lob in Bezug auf die Sprache und die rübergekommene Aggression des Prots - das hat mich besonders gefreut.

Ok, dann sag ich mal ein paar Sätze zum Inhalt. Ich hatte gehofft, der Text funktioniert auch ohne zusätzliche Erläuterungen und ist dann sozusagen vielfältig auslegbar, das ist mir wohl nicht gelungen.
Es geht im weitesten Sinne um Politik. Es geht darum, dass wann immer Menschen verbissen und fanatisch versuchen, ein gewisses Ziel zu erreichen und ein "Feindbild" im Kopf haben, sie blind werden für die Realität und sich verrennen. Die eigentliche Sache, das gemeinsame Ziel tritt in den Hintergrund, der Kampf als solcher wird immer wichtiger. In diesem Fall haben sie jemanden getötet (symbolisch, in Form von Rufmord), der eigentlich auf ihrer Seite kämpfte. Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass man noch so sehr für das "Gute" und aus eigener Sicht "Richtige" kämpfen kann - sobald man sich dazu der korrupten und falschen Mittel der anderen bedienen muss, ist es nichts wert. Soviel zu meinen Gedanken, die ich bei der Geschichte hatte...

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi,

das Problem dieser Geschiche ist meines Erachtens nach die Abwehrhaltung, die sie im Leser erzeugt. Es ist nicht die Zeit der Publikumsbeschimpfungen als Provokation. Deine Perspektive greift mich als Leser an, ohne dass ich begreife, was ich verbrochen habe oder wessen Seite ich gerade zugeordnet bin. Ich muss mich gegen einen Vorwurf verteidigen von dem ich nicht einmal beurteilen kann, ob er nun gerechtfertigt ist. Dadurch sperre ich mich ganz automatisch gegen den Inhalt, versuche gar nicht, ihn zu verstehen. Handtke war da bei seinem Theaterstück sehr viel deutlicher. Man ahnte wenigstesn, was er seinem Publikum vorwarf und warum er es beschimpfte.
Wenn man den Test davon unabhängig liest, kommen einem Assoziationen zur Religion, zur Gottlosigkeit und zu der eigenen Moral, die man im Kampf für das Gute immer wieder über Bord wirft. Oft glauben wir, die Mittel eines Gegenübers sind uns zur Verteidigung erlaubt, auch wenn wir sie ablehnen. Im Kleinen mögen das leichte Gesetzesübertretungen sein. Wenn der Staat sich dauernd an uns bedient, können wir ja auch gern ein paar unserer Einnahmen für uns behalten. Aber Diebe sind wir natürlich nicht.
Ein Buchtitel eines Bischofs aus Uganda fiel mir bei deiner Geschichte ein. Er lautet "Ich liebe Idi Amin" und das Buch war noch zu dessen Regierungszeit geschrieben und war ganz bestimmt kein Loblied auf den grausamen Diktator, sondern der Versuch, den entfachten Hass zu relativieren und in eine positive Kraft des Glaubens zu kanalisieren, mit der es sich leichter gegen ihn kämpfen ließe.

Leider verrät sich deine Geschichte selbst, denn sie liest sich, als sein sie voller Wut und Hass geschrieben.

Schade.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

danke für Deinen Kommentar, der mich etwas nachdenklich gestimmt hat.
Schade, dass die Perspektive der Geschichte in dir diese Reaktion hervorgerufen hat. Einerseits kann ich das ein bißchen nachvollziehen, andererseits würde die Geschichte aus einer anderen Perspektive heraus nicht funktionieren. Ich hatte gehofft, den Leser in das Geschehen (bzw. eher die Gedanken) hineinzuziehen, ohne dass er das GEfühl hat direkt als Person gemeint und angegriffen zu sein. Hat wohl nicht geklappt.

In Bezug auf den Inhalt der Geschichte hast Du einen der zentralen Aspekte herausgegriffen. Meine Hochachtung vor Deinem Beispiel aus Uganda und vor den Menschen, die ihre Wut und ihren Hass derart umwidmen und "das Böse durch das Gute" überwinden können. Und natürlich hat die Geschichte genau diesen Widerspruch: es werden Menschen angeklagt und verurteilt, weil sie jemanden ohne hinzusehen bekämpft haben - und so schließt sich der Kreis, und auch der Anklagende kann nicht anders, als genau das Verhalten an den Tag zu legen, was er den anderen vorwirft.

Bei deiner Diagnose, diese Geschichte sei mit dem Gefühl des Hasses geschrieben, fühle ich mich ein wenig ertappt. In der Tat steckt eine Menge von mir in dieser Geschichte, die eine Art Ventil war.

Danke für deine Gedanken zu der Geschichte!

Liebe Grüße
Juschi

 

@sim:

Ich habe mich bei diesem Text in keiner Weise angegriffen gefühlt. Der Sprecher klagt an. Aber wen, und ob sein Angriff gerechtfertigt ist, das will ich als Rezipient erst herausfinden. Ich konnte mich nicht mit den Angegriffenen identifizieren, ich nehme an, Du Dich auch nicht.
Nebenbei: Es sei nicht die Zeit der Provokationen und 'Publikumsbeschimpfung', schreibst Du. Abgesehen davon, daß ich bezweifle, hier eine Kopie des Sprechstücks vorzufinden, frage ich mich: impliziert Deine Aussage, das eigene Schreiben sei einer Mode, einer Erwartung anzupassen?

Weshalb die Geschichte bei Dir den Eindruck erweckt, sie sei voller Wut und Haß geschrieben, kann ich ebenfalls nicht nachvollziehen. Der Sprecher ist m.E. nur bedingt wütend, eher aber verbittert. Der Text spricht von Resignation ("Dann hab ich resigniert"). Er klagt an, er legt offen. Er prognostiziert das Scheitern. Aber er ruft nicht zu Handlungen auf, die Wut und Haß erforderten.

@Juschi: Vorschläge/ Detailanmerkungen

  • "dass ihr nicht zurechnungsfähig ward, geblendet durch euren Hass." - 1. 'wart' und 2. nicht besser 'verblendet'?
  • "das Problem seit ihr" - 'seid'
  • "Ich weiß nicht ob ihr heilbar seid." - Fehlendes Komma
  • "und könntet genauso gut hier neben mir liegen als weitere Jahre eures Lebens zu vergeuden" - Komma vor "als", das vermutlich "anstatt" heißen soll
  • "Ich bin froh, tot zu sein, da leben heißen würde, mit euch zu leben" - Man hat mir schon vorgeworfen, meine Stilvorschläge klängen zu gespreizt, aber dennoch: '... sein, da leben hieße, mit ...'

 

Hey Claus nochmal,

vielen Dank für deine Mission "Ich krame alle von Juschis alten Geschichten wieder hervor", freut mich :)

Dennoch ist es mir bei dieser Geschichte eher unangenehm, weil ich zu ihr ein gespaltenes Verhältnis habe und selbst nicht so genau weiß, was ich von ihr halten soll. Anhand der Rechtschreibfehler, die du rausgesucht hast, erkennst du, dass ich sie spätestens seit sims Kommentar selbst nicht mehr gelesen habe. Hatte sogar zwischenzeitlich mal darüber nachgedacht, sie hier löschen zu lassen. Das hat mit Sicherheit auch mit dem zu tun, was sim als Provokation bezeichnet hat - der Leser kann das Ganze glaube ich wirklich als Angriff und als Provokation verstehen, als was es so gar nicht geschrieben war, weil ich nicht den Leser als solches gemeint habe. Er könnte es aber so verstehen, und das ist fatal. Und die Geschichte wurde in der Tat mit einem Gefühl des Wutes und Hasses geschrieben - zur Verteidigung lässt sich wohl nur sagen, dass der Hass durch das Bannen in die Geschichte die Autorin verlassen hat ;) Nein, im Ernst: die Geschichte ist für mich ein Beispiel dafür, dass man als Autor die nötige Distanz zum Thema seiner Geschichte haben sollte. Die war hier mit Sicherheit nicht vorhanden.

Danke aber auf jeden Fall für die Detailanmerkungen. Außer der letzten werde ich alle umsetzen. Bei deiner letzten Anregung bleibe ich doch lieber bei der (zugegebenermaßen falschen) Umgangssprache, da es sich um eine direkte Anrede handelt.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo cbrucher und hallo Juschi,

ich wollte Juschi natürlich nie vorwerfen, dass sie bei Handtkes Theaterstück kopiert hätte. Eher sah ich ihre Geschichte in einer Tradition mit diesem Stück. Auch kann die Form der Publikumsbeschimpfung auch heute noch angebracht sein. Auch sollten sich Form und Stil einer Geschichte nie Trends und Erwartungen unterwerfen. WEnn ich so verstanden wude habe ich mich falsch ausgedrückt.

Bei dieser Geschichte hatte ich nur das Gefühl, dass die Form dem eigenen Anspruch widersprach. Du, cbrucher, nennst es Resignation, ich hatte das Gefühl, da ist jemand wütend auf mich. Ich habe in den Augen des Autoren versagt und ich weiß noch nciht einmal worin ich versagt habe. Das war mein ureigenes intuitives Gefühl beim Lesen der Geschichte. Anders kann ich eh nicht lesen und kritisieren.
Und ich hatte den überspitzten Eindruck, jemand schreit mich an, endlich zu lieben. ;)

Eine Paradoxie in meinem Augen.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

schön, dass du dich nochmal zu Wort meldest.
Du hast dich richtig ausgedrückt, zumindest auf eine Art und Weise, so dass ich dich verstandne habe ;) Und du hast mir damals erst das fatale und paradoxe dieser Geschichte vor Augen geführt. Dafür nochmal danke.

Und ich hatte den überspitzten Eindruck, jemand schreit mich an, endlich zu lieben.
Dieser Vergleich passt perfekt. Jemand voller Hass verurteilt andere während ihres Hasses.

Aber auch diese Geschichte gehört zu mir und ich habe eine Menge aus ihr gelernt :)

Liebe Grüße
Juschi

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom