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Posthume Abrechnung
Ich klage euch an. Schaut nicht so irritiert. Euch alle, niemanden im Speziellen, euch 144.000. Jeden einzelnen. Oder hat auch nur einer von euch jemals Widerspruch eingelegt? Applaudiert habt ihr. Aber das konntet ihr schon immer gut. Also, um zur Sache zu kommen - traut euch, beweist Mut zum ersten Mal: Tretet näher und hört mich an.
Die ganze Sache tangiert euch nicht, hab´ ich den Eindruck. Aber gut. Ist mir eigentlich auch lieber, als wenn ihr plötzlich Betroffenheit heucheln würdet.
Welches Verbrechen ich euch vorwerfe? Nennen wir es Tötung. Fahrlässige Tötung. Zu eurer Entlastung muss ich zugeben, dass ihr nicht zurechnungsfähig wart, geblendet durch euren Hass.
Drei Schüsse habt ihr abgegeben. Zweimal konnte ich euch standhalten. Dann hab ich resigniert. Ihr habt mich also auf dem Gewissen, ob ihr wollt oder nicht.
Jetzt sagt ihr, ihr habt nicht mich gemeint mit euren Kugeln. Ja, ich weiß. Nur: getroffen habt ihr trotzdem, das müsst ihr zugeben. Insofern ein schwacher Trost. Jetzt liege ich hier, das Ergebnis ist also dasselbe. Der Tod fragt nicht danach, was für eine Absicht ihr ursprünglich hattet. Komplett desinteressiert ist er. Nur der, den ihr eigentlich meintet, freut sich, das garantiere ich euch. Er wird ewig leben, glaubt mir. Sicher, er hätte es verdient zerstört zu werden. Ich verstehe somit eure Motivation. Nur: das Problem ist nicht er, das Problem seid ihr. Ihr wurdet dazu erschaffen, ihn zu bekämpfen. Dazu seid ihr nicht in der Lage, so wie ich es sehe. Ihr habt eure Bestimmung längst vergessen. Vernichten solltet ihr ihn durch eure Liebe, nicht töten mit eurem Hass. Ihr werdet somit dem Sinn eurer Existenz nicht gerecht und könntet genauso gut hier neben mir liegen, anstatt weitere Jahre eures Lebens zu vergeuden.
Ihr versteht nicht? Dann tut das, was ihr zu meinen Lebzeiten nie getan habt – hört mir zu, dieses eine Mal.
Ich gehörte nicht dazu. Ich hab´ gegen ihn gearbeitet. War kurz davor, ihn zu besiegen, unseren Feind. Nun habt ihr mich erledigt und er ist noch da, wie das Leben so spielt. Entschuldigung: der Tod.
Jetzt staunt ihr. Das hättet ihr euch eher überlegen müssen. Aber ihr wärt ja nie auf die Idee gekommen, dass etwas nicht so ist wie es scheint. Ihr habt euch in eurer Aggression nie die Mühe gegeben, hinter die Fassade zu sehen, nie. Seid verbohrt an mir vorübergehastet ohne nur eine Sekunde innezuhalten und zu hören.
Ihr habt euch also noch anderer Verbrechen schuldig gemacht. Ihr verheizt euch. Seid ihr erst verheizt, so könnt ihr nicht mehr brennen. Ihr macht euch schuldig an der Welt. Ihr meint, ihr kämpft auf der Seite des Guten. Das tut ihr, aber ihr tut es nur um eurer selbst Willen, anmaßend wie ihr seid. Ihr dreht euch um euch selbst, vergesst, dass es noch andere, größere Dinge gibt. Ihr tretet blind aus in alle Richtungen. Verschleudert eure Energie, lästert Gott indem ihr euch gegenseitig und damit seine Wesen zerstört. Ihr vernichtet Gott, indem ihr euch mit seinem Gegner auf eine Stufe stellt.
Dies ist meine Anklage an euch. Ihr werdet niemanden finden, der euch verteidigt. Ich wünsche euch, dass ihr erkennt, worauf es ankommt, bevor ihr ankommt. So wie ich jetzt. Ich weiß nicht, ob ihr heilbar seid. Aber die Zeit, die das ganze bräuchte – ich glaube fast, die habt ihr nicht.
Meine letzte Hoffnung: dass eines Tages jemand kommt, der ihn besiegt. Denn ihr werdet es nicht können. Allein deshalb nicht, weil ihr ihm erschreckend ähnlich seid, euch seiner Mittel dankbar bedient. Für einen anderen Zweck, gewiss. Aber das zählt nicht. Denn in einer Welt, die wir laut unserem Auftrag erschaffen sollen, heiligt der Zweck keinesfalls die Mittel und zu ihr führt nur ein Weg. Aber ihn werdet ihr nie betreten. Dass ihr ihn suchen sollt, habt ihr nie begriffen, wie so vieles nicht.
Nur noch eins: Ich bin froh, tot zu sein, da leben heißen würde, mit euch zu leben. Führt sie ab.