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Schreie in meinem Kopf

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30.08.2003
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Schreie in meinem Kopf

Ich höre meine Haut schreien.

Davon wache ich auf aus meinen Traum, in dem ich ein stolzer schwarzer Rabe war, der hoch über der Erde dahinflog, nichts als den endlosen Himmel um sich herum. Der sich mit starken Schwingenschlägen hinauf in die Luft schraubte, um dann in einem rasanten Gleitflug über das Land unter ihm hinwegzuschweben. Und als er dann erneut an Höhe gewonnen hatte, schrie er es aus ganzer Kehle hinaus in die Welt: ICH BIN FREI!

Von diesem Schrei erwache ich. Etwas schlafestrunken dauert es einige Augenblicke, bis ich gewahr werde, dass es nicht jener Rabe gewesen war, der schrie, sondern meine Haut. Im blassen Schimmer des Vollmonds, der durch die halbzugezogenen Vorhänge in mein Zimmer fällt, drehe ich mich auf die Seite und schiebe den rechten Ärmel meines Pyjamas hoch.
Reih in Reih, so blicken mich meine Narben an, akkurat gerade Linien, und ich wundere mich darüber, dass sie noch weißer leuchten als mein Arm, der ohnehin schon weiß ist. Weißes Fleisch. Weißes, schreiendes Fleisch. So liegt er da auf dem ebenfalls weißen Bettlaken, einzig jene Narbe von letztem Sylvester schimmert rosafarben. Damals wollte ich sterben, hatte tief ins Fleisch geschnitten und im Schmerz gelacht vor Glück – wenn ich dann nicht urplötzlich Angst bekommen hätte, wäre die ganze Misere längst beendet. Einmal mehr versagt, wie ich jeden einzelnen Tag versage - so hatte ich mir nur eine weitere schlaflose Nacht beschert, in der mein Körper gegen den Tod ankämpfte, der damals ebenso schnell in mich hineinkroch, wie das Blut aus meinem Arm floss. Ich hatte den Kampf gewonnen, mit Schüttelfrost und Panikattacken, aber ich lebe.
Die Erinnerung an damals zieht innerhalb einer Zehntelsekunde durch meinen Kopf, während ich aus dem Zimmer nebenan meine Mutter lallen höre, und ich sehe sie vor mir wie sie weinselig auf dem Boden sitzt, aus ihren Kopfhörern rauschen französische Chansons... und immernoch starre ich meinen Arm an.

BEFREIE MICH

Dort unten verläuft jener blaue Strich, über den ich schon so oft mit der Klinge hinweggeglitten bin. Am deutlichsten ist der direkt am Handgelenk zu erkennen, dort bei der großen rosafarbenen Narbe, aber in Richtung Unterarm verschwindet er in der Tiefe. Wie schnell das Blut wohl fließt? Ich weiß es nicht, aber ich stelle mir vor, ein Blutkörperchen zu sein, wie ich so durch die Adern hindurchsause, gefangen in diesem Labyrinth aus Fleisch – und ich schreie.

BEFREIE MICH, ICH WILL FREI SEIN

Wieder einmal reißt mich ein Schrei zurück in die Wirklichkeit, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich geschrien habe. Hoffentlich haben meine Eltern nichts gehört. Ich muss leise sein, sage ich mir, und fahre mit dem Fingernagel meines Zeigefingers sorgsam den blauen Strich nach.

... und wieder bin ich das Blutkörperchen, ich rase durch einen dunklen Tunnel und sehne mich nach nichts mehr als nach der Freiheit... ich rufe danach so laut ich kann, immer wieder, BEFREIE MICH, und dann... dann geschieht das Wunder – etwas Hartes versperrt mir kurze Zeit den Weg, und dann blicke ich hinauf und sehe den Mond gleich einer silbernen Scheibe am Himmel stehen, ich spüre diesen herrlichen Luftzug, diese Frische und Freiheit... ich stürme voran und fliege hoch in die Luft...

Einen Moment lang hänge ich diesem berauschenden Gedanken nach, dann wandert mein Blick vom Mond draußen, wie er da so einsam und weise hängt, zurück zu meinem Arm. Etwas stimmt nicht, genau, die Haut umschließt ihn so unberührt und unversehrt! Diese Schreie! Sie dröhnen in meinem ganzen Kopf, ich spüre sie in jeder Faser meines Körpers, sie sind laut und leise zugleich und hallen nach...

BEFREIE MICH

Ein Gedankenfetzen von einem hoch am blauen Himmel gleitenden Raben schießt mir durch den Kopf, und ich denke, dass ich so gerne jener Vogel sein würde – aber mit einem bitteren, kurzen Lachen sage ich mir, dass ich niemals so frei sein kann. Was habe ich denn hier. Schule, Leistungsdruck, immer die Beste sein, dann Studium, nebenbei Geld verdienen, Kinder in die Welt setzen, so werden wie meine Mutter und dann irgendwann tatterig und verwelkt abkratzen, unspektakulär, niemals frei gewesen und immer nur den Regeln gehorcht, sogar den Todeszeitpunkt von oben diktieren lassen. Wie erbärmlich.
Wäre ich jener Rabe, ich flöge höher und höher hinauf in den Sternenhimmel, die klare Nachtluft um mich herum, solange bis meine Schwingen kaum noch genügend Widerstand finden, und dann würde ich vom Mond zur schlafenden Erde blicken, mit dicht an meinen Körper gepressten Schwingen auf die Schwärze dort unten zuschießen und im rasanten Sturzflug schreien, so laut ich kann - ICH BIN FREI – und bevor ich auf der Schnellstraße zerschelle und von einem Lastwagen zerquetscht werde, ein letztes Mal zum Mond blicken.

Als mich eine Träne sacht an der Wange kitzelt und ich einige Male blinzle, wird mir klar, dass jene Schreie nicht nur von meinem Arm stammen, sondern auch von meiner Seele.
Irgendwie wundere ich mich, dass ich sie wirklich höre – so deutlich, als kämen sie aus meinen Boxen, doch diese stehen schweigend und still auf dem Tisch.

BEFREIE MICH, BITTE, ICH WILL FREI SEIN

Diese Schreie. Sie machen mich wahnsinnig. Ich setze mich auf, schiebe die Bettdecke beiseite und schüttele meinen Kopf, aber das bringt nichts, ich höre sie immernoch.

BITTE BITTE, BEFREIE MICH

Mein weißer Arm starrt mich an, ich starre zurück

ICH WILL FREI SEIN

Die Welt um mich verschwimmt, ich nehme nur noch meinen vernarbten Arm, der doch so schrecklich unberührt daliegt, wahr

BEFREIE MICH

und dann halte ich es nicht mehr aus. Mit etwas wackeligen Beinen stehe ich auf, ich muss mich kurz an meinem Kleiderschrank festhalten, weil die Schreie so laut sind, dass mir schwindlig ist, und dann gehe ich zu meinem Schreibtisch, die oberste Schublade ist es

ICH WILL FREI SEIN, BITTE

ich ziehe sie auf, hebe mit der einen Hand den Notizblock und das Geodreieck hoch und ziehe mit der anderen vorsichtig die kleine Pappschachtel aus ihrem sorgsam gehüteten Versteck.

BITTE BEFREIE MICH

Mit meinem Schatz in der rechten Hand taste ich mich vorsichtig zum Bett zurück, ja nirgendwo gegenstoßen, ja keinen Krach machen, setze mich auf die Bettkante

BEFREIE MICH

und ziehe das Handtuch unter dem Bett hervor, was extra für solche Zwecke dort versteckt liegt. Ich breite es über meinen Knien aus, nehme eines der schmalen weißen Paperbriefchen aus dem Karton, lege selbigen unter das Bett und klappe dann

LASS MICH FREI

die weiße Lasche zurück – und da liegt sie in ihrem Papierbettchen, so unschuldig, so friedlich, so glücksverheißend. Meine Klinge.
Mittlerweile sind die Schreie in meinem Kopf fast unerträglich geworden, so erwartungsvoll und drängend klingen sie – ich lasse das Paper fallen und stoße die Klinge hastig in meinen Arm, ein paar Zentimeter unterhalb des Handgelenks.

Diese Ruhe.
Wärme durchströmt mich.
Ein Gefühl von Frieden breitet sich in mir aus.

Ich drücke ein wenig fester zu, beobachte erleichtert die ersten dunkelroten Tropfen, wie sie sich ihren Weg in die Freiheit suchen, dann ziehe ich die Klinge gegen den leichten Widerstand des Fleischs in Richtung Ellbogen – nicht weit, nur einige Zentimeter.
Von einer unendlichen Last befreit, halte ich die Klinge hoch, kann sie im Gegenlicht des Mondes deutlich als schwarzen, scharfen Umriss erkennen. Ein einzelner Tropfen Blut sammelt sich unten am Rand, wird größer, wächst, und perlt schließlich befreit ab, stürzt hinab – dieser Anblick des großen runden Mondes mit dem Schemen der schwarzen Klinge und einem einzelnen, fallenden Blutstropfen davor, dieser Anblick brennt sich in mein Herz hinein.

Noch einmal stoße ich die Klinge ins Fleisch, ich weiß dass sich meine Gesichtsmuskeln zu einem breiten Lächeln verzogen haben, denn ich fühle nichts als Glück – ich laufe über vor Glück! Euphorisch drücke ich fester zu, ich zittere, aber meine Hand bleibt ganz ruhig – ich ziehe noch eine etwa sechs Zentimeter lange Spur entlang, dann schließe ich meine Augen und genieße einfach dieses wunderbare Glücksgefühl, dass in meinem ganzen Körßer fließt, dass in meinen Fingerspitzen kribbelt und was mich am liebsten laut singen ließe.
ICH BIN FREI

...

Nach einigen Herzschlägen blicke ich wieder hinaus zum Mond, der mich so unbeteiligt anschaut und meine Tat doch mit seinem silbernen Licht verziert, und dann wieder auf meinen Arm. Das ehemals hellblaue Handtuch ist dunkel geworden dort unten, und vorallem nass, es fühlt sich eklig an auf meinen Knien, diese warme Nässe, und ich hebe es auf, rolle es ein und schiebe es unters Bett, zu den anderen Klingen.

Mir ist so befreit zumute... herrlich.

Hier sitzen bleiben kann ich nicht, sonst saue ich alles voll, also stehe ich wieder auf – die Farbe der Poster an meinen Wänden leuchtet so intensiv, und jetzt bemerke ich auch den leichten Geruch nach Kaffee, der von der längst leergetrunkenen Tasse auf meinem Schreibtisch ausgeht. Vorsichtig, damit es nicht knarrt, öffne ich das Fenster und ziehe mich hinauf auf die Fensterbank, ich muss aufpassen, sonst schneide ich mich wieder versehentlich in die Finger, ich mag das nicht so, dann klebt die Klinge so arg beim Weiterschneiden – ich sitze.
Hallo Mond, sage ich leise... du bist so schön. So perfekt, wie du da oben stehst... darf ich zu dir kommen?
Aber sicher doch, Mädchen...

Die laue Nachtluft riecht gut, nach Klarheit, frisch irgendwie.

Ich greife hinter mich, taste etwas herum und dann habe ich gefunden, was ich suche, ich klappe die Schachtel auf, hole das Feuerzeug hervor und zünde mir eine Zigarette an.
Während ich den ersten tiefen Zug nehme, fällt mein Blick auf die Packungsaufschrift – Raucher sterben früher – und irgendwie muss ich lächeln. Diese Welt...

Hm, ich muss aufpassen, jetzt ist es auf die Packung getropft – ich fluche leise und versuche sie an meinem Schlafanzugbein abzuwischen. Ich halte meinen Arm so, dass die Handfläche tiefer liegt als der Ellbogen, und denke, dass das schön aussieht – die Blutlache, die sich in der leicht gekrümmten Hand bildet, und wie sich darin das blassblaue Licht des Mondes sowie das schwache rotorange Leuchten der Zigarette widerspiegeln...

Damit nichts auf den Teppichboden läuft, drehe ich mich um 90 Gad um und lasse meine Beine aus dem Fenster baumeln, da unten sehe ich die kleinen Autos, die selbst in der Nacht noch hektisch fahren müssen, aber weil wir im zwölften Stock wohnen, höre ich sie wenigstens nicht ganz so laut. Den Arm strecke ich aus und beobachte fasziniert die einzelnen kleinen Blutbäche, die dort hinabperlen... mit der anderen Hand halte ich die Kippe fest.
Als sie aufgeraucht ist, drücke ich sie aus, schließe meine Augen und lasse mich mit einem Gefühl tiefsten inneren Friedens nach vorne fallen.

 

Hi wölfin,
eine spannende, traurige Geschichte einer Borderline-Persönlichkeit. Beklemmend und schön zu gleich.
Hätte mir einen anderen Schluß gewünscht.
Sehr gut geschrieben. Du hast eine schöne, bildhafte Art, die Dinge zu beschreiben.
Wenn auch die Thematik von Selbstmord nicht unbedingt etwas für mich ist, hat Deine Geschichte mir sehr gut gefallen.
Bis denn
Liebe Grüße, die Kürbiselfe Susie :)

 

Hallo Kürbiselfe,

dank dir für deine Antwort und auch für das Loben meines Stils! *freu* :)
In puncto Schluss war ich mir nicht sicher, ob ich ihn so schreiben sollte wie er nun zu lesen ist, oder ob der letzte Satz in Richtung "ich weiß nicht mehr, wie oft ich solch etwas schon erlebt habe" gehen sollte... mal schaun, meinst du, ich sollte es umschreiben?

Liebe Grüße,
Wölfchen

 

Hi Wölfchen,
dass ich mir einen anderen Schluss gewünscht hätte, heißt nicht, dass der jetzige der falsche ist. Im Gegenteil. Ich würde ihn nicht umschreiben. Er ist genau richtig so, wie er ist. Lass es getrost so stehen. ;)
Liebe Grüße, Susie

 

Hallo Susie,

was für einen Schluss hättest du dir denn gewünscht? Und warum? *neugierig ist* ;)

Liebe Grüße,
Wölfchen

 

Hi Wölfchen,
wer sich hier keinen anderen Schluss wünscht, muss doch sehr abgestumpft sein. Natürlich wünscht man sich, dass das Mädchen nicht springt.
Vielleicht dass die Eltern reinkommen und sie endlich die Hilfe bekommt, die sie offensichtlich nötig hat. Was noch besser wäre: Sie merkt selbst, wie sinnlos der Tod ist und schwingt freiwillig ihre Beine wieder ins sichere Zimmer. Interessant wäre natürlich auch ein ungewolltes Ende, in dem sie zurück in ihr Zimmer will, aber dann doch nach hinten kippt, weil sie mit der blutverschmierten Hand am Fensterrahmen ausrutscht.
Da gibt es unendliche Möglichkeiten, aber nach wie vor bin ich der Meinung, dass bereits der richtige gefunden ist.
Liebe Grüße, Susie :)

 

Hi Susie,
ja aber irgendwie sieht man diesen Schluss, den ich gewählt habe, schon in gewisser Weise vorraus, oder?
Deine letztgenannte Variante finde ich interessant, das versehentliche Fallen - mal sehen, vielleicht findet etwas Ähnliches in einer anderen Geschichte Verwendung. ;)

Liebe Grüße,
Wölfchen

 

Hallo gbwolf,

ganz ruhig, ich lass den Schluss ja so, wie er ist! ;)
Allerdings hätte ich nicht gedacht, wieviel "Gutes" man an dieser Variante finden kann; ich fand ihn ja gar nicht so pralle.... eben weil er die "unvermeideliche Konsequenz" ist, ich hatte befürchtet, dass er zu vorhersehbar werden würde.
Schön, dass dieses Ende euch so gefällt! :)
Was die Spannung bzw. die Wortwahl anbelangt, so habe ich da nicht großartig an den Formulierungen herumgefeilt; vielmehr habe ich die Finger so gut wie gar nicht auf der Tastatur ruhen lassen, bis dass der Text fertig war *smile*

Liebe Grüße,
Wölfchen

 
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Wow!

Hallo Wölfin

Gestern las ich Deine Geschichte "Sind Sie sich sicher?" und als ich heute in diesem Forum - mein persönliches Lieblingsforum - eine weitere Geschichte von Dir sah, da dachte ich, die könnt ich ja auch mal lesen. Und es hatte sich definitiv gelohnt. Absolut.

Die schreibst echt toll. Wie Du all diese Gefühle in Worte fasst... Gefühle, die man kaum in Worte fassen kann... - Du kannst es. (Ich kenne diese Gefühle, ich bin selber SVVlerin...)
Meiner Meinung nach (dies auch an Red Right Hand) ist gerade die Wendung "in einem Gefühl tiefsten Friedens" sehr gut gewählt... das ist das, was viele sog. "normale" Leute nicht verstehen können.... dass jemandem Klingen und Blut wirklich tiefen Frieden geben können (und dass ich das sage, heisst nicht, dass ich jemanden dazu anstiften will, sich zu schneiden oder sagen will, es sei gut, denn das ist es nicht!).
Super gemacht hast Du auch die Teile, wo sie ihren Arm ansieht, die Narben darauf fast bewundert...

Den Schluss finde ich auch gut, die Geschichte steuert zwar irgendwie darauf zu, aber nicht so, dass es plump oder absolut vorhersehbar wirkt.

Wirklich, ich bin beeindruckt!

Liebe Grüsse,
DyingOrDead

PS: Diese Geschichte erinnert mich an das Lied "Narben" von Subway to Sally.

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HINWEIS AN KÜRBISELFE:

SVV (Selbstverletzendes Verhalten) ist nicht Borderline! Auch wenn die meisten Leute mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sich verletzen, so heisst das noch lange nicht, dass man dies auch umkehren kann, denn viele viele verletzen sich auch aus anderen Gründen/Störungen heraus.

 

Hallo Red Right Hand, hallo DyingOrDead,

hab mich erstmal riesig gefreut, dass noch Antworten zu der Geschichte kommen, da ich dachte sie wäre quasi "eingestaubt" ;-)

Vielleicht sollte ich vorweg sagen dass ich diesen Text innerhalb einer knappen halben Stunde am PC getippt habe und ihn dann einfach nicht noch einmal Korrektur lesen konnte, das ging erst einige Zeit später. Ja, ich bin auch SVVlerin und hab Borderline... hab mir den Text einfach von der Seele geschrieben und gehofft, er sei gut genug zum Veröffentlichen ;-)

Red Right Hand, zu dem Thema "bewusste Manipulation?", dass der Suizid der Protagonistin im Grunde irritierend sei und schlussendlich aber doch "stimmig" und fast erwartet, obwohl sie sich in einer Extremsituation befindet - zum Einen denke ich, dass es keine Manipulation darstellt, mittels einer Kurzgeschichte die Beweggründe zu einem Selbstmord nachvollziehbar darzulegen... oder? Extremsituation... gut, sie hat sich geschnitten, einmal mehr, wie sie es schon so oft getan hat -das stellt für sie längst keine Extremsituatiom mehr dar, sondern - so seltsam es für "gesunde" ;-) Menschen klingen mag - es gehört längst zum Alltag. Vielmehr hat sie durch ihren Traum erkannt, auf welche Weise sie endlich frei sein wird... daher die tiefe innere Ruhe. Dem Leser zu zeigen, wieso und weshalb jemand Suizid begeht... das war unterbewusst schon eine Absicht von mir.

Die andere Schlussvariante, die du vorschlägst, finde ich sehr interessant - ehrlicher wäre sie, da hast du Recht... ehrlicher in der Hinsicht, als dass die Abende so oft auf diese Art ausklingen, ohne großartig Erwähnung zu finden. Obwohl die Geschichte so auf den ersten Blick viel besser endet - die Protagonistin lebt weiterhin - ist sie doch unendlich trauriger, da hoffnungsloser... bei meinem Ende hat sie wenigstens ihre Erlösung gefunden (genau wie du sagst, DyingOrDead).

Nya, die Gedanken die sie beim Anblick ihrer Narben hat, das sind bloß meine eigenen...

Das Sallys-Lied finde ich übrigens genial...


Liebe Grüße,
Wölfchen

PS: Ich hoffe, ich hab dich nicht getriggert, DyingOrDead... =(

 

Mahlzeit, wie wär´s mal mit ´ner gegenläufigen Meinung?

Dein Text, Wölfin, verliert viel Worte, aber er bleibt platt und nichtssagend, was daran liegt, dass er vollkommen deskriptiv ausgerichtet ist - im Grunde nichts anderes als eine detailierte, idealisierte Beschreibung von Selbstverletzung. Man hat beinahe den Eindruck, in einen Werbetext geraten zu sein, so vollkommen unreflektiert ist er.
Über den Menschen hinter der Handlung erfährt man nicht viel, seine Motive werden in ein, zwei Sätzen abgefertigt - jaja, Leistungsdruck halt. Das ist schwach und enttäuscht mich. Das Wie ist doch wirklich nebensächlich bis uninteressant, das Warum wäre die Herausforderung gewesen.
Warum "Text" und nicht "Geschichte"? Weil ich mehr Ähnlichkeit zur Bedienungsanleitung meines Fernsehers entdecken kann als zu einer Geschichte, überspitzt ausgedrückt. Beides eine reine Beschreibung, monoton, linear, ohne Spannungsbogen.
Dazu das Ende. Naaaja. Ein Suizidende ist eh immer schon kritisch, eine Gratwanderung, da es wirklich kein angegriffeneres Ende gibt. Noch dazu ist es wirklich unmotiviert gewählt worden. Jaja, jetzt geht´s mir besser, ich rauch mir noch eine... ach, warum nicht gleich springen? Also bitte. Ist der Protagonist Halblemming oder geht es wirklich nur darum, pubertäre Todessehnsucht zu befriedigen? Genau diesen Eindruck macht es.

Grüße,
...para

 

Salut,

Der Text hat mir leider nicht zugesagt. Was schon daran liegt, dass die Motive und das daraus resultierende Verhalten des Protagonisten mir psychologisch falsch vorkommt. Meiner Meinung nach führt Leistungsdruck nicht zu SVV. Selbstverletztendes Verhalten hat meist etwas mit Selbsthass zu tun. Diese Menschen wollen mit dem Schmerz ja auch irgendetwas bewirken, Hass betäuben. In deiner Geschichte schildert deine Protagonistin eher wie geil es doch ist zu ritzen (woraus man ne gute Story machen könnte, aber in einem anderen Bezug). Die Idee ist leider nichts neues und der Suizid am Ende erinnert mich an die ganzen kitschigen Gedichte und Texte, die ich schon zu SVV gelesen habe.
So muss ich leider sagen: Bei einem solchen Thema ist mir die Charakterisierung zu blass, der Rest zu klischeehaft, emotional hat mich der Text kalt gelassen.

Stilistisch hingegen find ich's gelungen.

Ein einzelner Tropfen Blut sammelt sich unten am Rand, wird größer, wächst, und perlt schließlich befreit ab, stürzt hinab – dieser Anblick des großen runden Mondes mit dem Schemen der schwarzen Klinge und einem einzelnen, fallenden Blutstropfen davor, dieser Anblick brennt sich in mein Herz hinein.
Hiermit ist dir sogar ein richtig schönes Bild gelungen.
der ohnehin schon weiß ist. Weißes Fleisch. Weißes, schreiendes Fleisch. So liegt er da auf dem ebenfalls weißen Bettlaken
Zu viel weiß...

Du hast noch ein paar Flüchtigkeitsfehler, die wirst du aber bestimmt schnell finden, wenn du noch einmal drüber siehst.

lieben Gruß!
Thorn

 

@ Paranova:
Über gegenläufige Meinungen bin ich sogar sehr froh, nur so verbessert man sich und wenn ich keine Kritik wollte, wäre ich nicht auf diesem Forum ;)
Was die Vorrangstellung des Warum? anbelangt, so dachte ich eigentlich, es deutlich genug herausgestellt zu haben (nicht nur der Leistungsdruck, sondern vielmehr die Frage nach dem Sinn des Ganzen und, nicht zuletzt, die Schreie welche die Prot hört - so etwas dürfte kein unbedeutender Faktor sein); nichtsdestotrotz habe ich den Text überarbeitet - hoffe, es ist nun besser.
Was du als monoton und idealisierende Beschreibung bezeichnest, sollte eine klare Beschreibung dessen werden, was einen Menschen zum Selbstverletzenden Verhalten bzw. Suizid treiben kann; wie schon weiter oben erwähnt, wollte ich die Beweggründe versuchen zu verdeutlichen. (siehe überarbeitete Version) Ich hoffe, damit hat sich auch deine Bemerkung in puncto Schluss beantwortet - mag sein, du verspottest es weiterhin als "pubertäre Todessehnsucht", wie dem auch sei, ich habe versucht, die Frage nach dem Warum? nun deutlicher zu klären.

@ Thorn: Der Leistungsdruck sollte nicht das einzige Motiv der Prot sein; habe wie gesagt versucht, ihre Situation nun deutlicher zu beschreiben. Was sie in diesem Moment hauptsächlich zum SVV treibt, sind die Schreie, welche sie hört - das einzige Mittel, sie wieder erträglich zu machen, stellt für sie das Schneiden dar. Dass Selbsthass oft genug der Auslöser für SVV ist, ist wahr, jedoch bei weitem nicht der einzige. "Wie geil es ist zu ritzen" - ???? Nein, ein entschiedenes Nein, der Text schildert, warum es ihr in diesem Moment hilft, aber wie geil es sei...?!
Zum Thema Wiederholung des Wörtchens "weiß" - das war beabsichtigt ;)


Liebe Grüße,
Wölfchen

 

Also wölfin,
Deine Geschichte hat mich wenig überzeugt,
Also ich sehe nur die Glorifizierung dieser Erkrankung, nicht den Aufschrei, den solche Erkrankung eigentlich darstellt.
Der Leser erfährt nicht das ursächliche Problem. Was die Prot. durch die psychische Erkrankung verbergen will. Warum ist diese Geschichte überhaupt in Gesellschaft gepostet? Wo ist denn der gesellschaftliche Bezug?
Welche Konsequenzen hat die Erkrankung für die Gesellschaft? Das Milliarden Euro ausgegeben werden für Therapien, die doch nichts bringen? ;)

Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,
hm, es scheint, ich solle den Text am besten nehmen, zusammenknüllen und in die nächste Mülltonne werfen... ;)
Was die Prot durch die psychische Erkrankung verbergen will - wer weiß das schon, wenn es vermutlich nicht einmal sie selbst weiß?? Ich denke, das ist relativ unwesentlich, WOHER sie so ist, wie sie ist - die Tatsache, dass sie nun so handelt (handeln muss...?), sollte ja im Vordergrund stehen. *nicht zum x-ten Male wiederholen will dass sie die möglichen Beweggründe des Prots zum Suizid für den Leser verständlich machen wollte*
In Gesellschaft habe ich es gestellt, da die Thematik SVV bishin zum Suizid doch wohl ein gesellschaftliches Problem ist, das nicht von der Hand zu weisen ist.

Liebe Grüße,
Wölfchen

 

Liebe wölfin

die Tatsache, dass sie nun so handelt (handeln muss...?),
Gerade diese Aussage stellst du nur in den Raum, reduziert die Geschichte auf ein Niveau ohne Allgemeingültigkeit. Du stellst einen persönliches Empfinden in den Raum und verlangst, das der Leser den gesellschaftlichen Bezug riechen soll. Warum sollte er das? So wie du es schreibst, ist es eher Effekthascherei. Die Geschichte gehört deswegen nicht in den Müll. Nein, du könntest den Gedanken ausweiten, den Bezug zeichnen, indem du die Gesellschaft (Eltern,Familie, Schule ect.pp) in die Geschichte integrierst. Deren Umgang mit der Prot darstellst. Oder du must die Prot selbst vielschichtig zeichnen, indem du ihre Erfahrungen vermitteilst. Versuche deine Geschichte als einen Ausschnitt von etwas Größerem zu sehen. Dann wird es dir vielleicht bewußt, was ich meine.
Goldene Dame

 

Hallo wölfin,

ich habe jetzt nicht alle Kommentare zu Deiner Geschichte gelesen, also verzeih bitte, wenn ich etwas wiederhole, das schon gesagt worden ist.
So ganz hat mir Deine Geschichte leider nicht gefallen, tut mir leid. Das liegt nicht an der Art, wie Du schreibst, denn Dein Stil liest sich wirklich gut, aber es ist die Art, wie Du hier mit SVV umgehst.

Ich persönlich mag den Selbstmord am Ende nicht, denn jemand der sich selbst verletzt hat zwar oft Todessehnsüchte, aber er/sie ist in der Regel kein Suizidgefährdeter.
Dazu kommt noch, dass die Geschichte in dieser Form tatsächlich vermittelt, wie toll es ist, sich zu verletzen, aber das ist es eben nur für einen kurzen Moment. Wie bei einem Rausch wird man auch schnell wieder schmerzhaft auf den Boden der Realität zurück geholt. Es stimmt, dass der Anblick des Blutes in diesem Augenblick faszinierend ist, aber es dauert nicht lange, bis die Scham, vielleicht sogar Tränen der Verzweiflung kommen, weil man wieder einmal nicht stark genug war, den Drang zu widerstehen.

Mir kommt es so vor, als wäre dieses Thema irgendwie in Mode gekommen, und ich finde es erschreckend, wie viele junge Menschen sich selber verletzen. Es kann auch sein, dass die Zahl nicht gestiegen ist, sondern das Symptom jetzt bekannter ist. Mir persönlich gefallen eher Texte, die das Warum, und die Tatsache zeigen, dass man auch dagegen ankämpfen kann.

Liebe Grüße,
gori

 

Hallo wölfin, hallo an alle anderen. ;)

Es scheint, als wünschten wir uns angesichts dieser Geschichte die Pädagogik.
Es muss doch einen Sinn haben, warum Menschen sich selbst verletzen, es muss einen Sinn haben, warum ein Autor davon erzählt und diese Erzählung muss uns vor allem eine Erlösung bieten.
Das alles kann diese Geschichte nicht. Sie erzählt nur, was passiert. Sie erzählt es anhand einer einzigen Situation ohne Rüclblende und ohne Zukunft aber in einer Kombination aus Handlung und den Emotionen dazu.
Ich bin häufig der, der die Geschichte zu den Gefühlen anmahnt, häufig Tagebuchnitizen verreist und häufig den gesellschaftlichen Bezug vermisst. Hier in Gesellschaft sollte der natürlich zwingend sein.

Was wissen wir also über das Ritzen oder über SVV? Es ist nicht viel und auch diese Geschichte bringt uns nicht viel weiter. An Wölfins Aussage, sie schriebe auch aus eigener Erfahrung, kann ich aber festmachen, dass ihr die beschriebenen Gefühle durchaus vertraut sind. Ein anderer mag eher den erlösenden als beglückenden Moment in der Selbstverletzung erleben, aber überhaupt ein Erleben dazu zu kennen, ist für die gesellschaftliche Auseinandersetzung schon wichtig. Gerade, wenn, wie gori es empfindet, SVV zu einer Art Trenderscheinung geworden ist, könnte der Hinweis auf das Gefühl der "Erlösung" wichtig sein. Denn oft wissen die Menschen selbst nicht, warum sie sich Schaden zufügen. Von was sie sich "erlöst" fühlen bleibt im Dunklen. Aber gerade das wird zur gesellschaftlichen Frage, wenn die Antwort nicht in den Individuen und deren Geschichte liegt.

In dieser Hinsicht finde ich die Schilderung absolut ausreichend. Sie mag keine Fragen beantworten, sie wirft aber welche auf. Das ist genug.

Trotzdem hat sie mE Mängel. Die liegen aber eher in der internen Logik der Geschichte, die sich der internen Unlogik der Geschichte des Prots bedient, ohne uns diese plausibel zu machen.

Die Prot beschreibt das Glücksgefühl, die Erlösung durch die frischen Wunden, die kühle Luft und die Zigarette als Höhepunkt, bevor sie sich selig aus dem Fenster stürzt. Von Suizid kann da keine Rede sein. Der Tod ist die Folge, kann aber nach meinem Empdfinden nicht Absicht gewesen sein, es sei denn, es wäre deutlich, dass die Prot beginnt, an den Wunden zu leiden. Eher scheint mir der Sturz aus dem Fenster in einem endorphinverursachten Realitätsverlust begründet, fast als könnte Prot fliegen.

Auch wenn Kürbiselfe Borderline in der Geschichte gelesen hat, stimmt für mich der Hinweis von DyingOrDead. BL findet in der Geschichte nicht statt. Es geht ausschließlich um SVV. Wenn es dir wichtig ist, ihn unterzubringen, kannst du das tun, ich würde es allerdings lassen. Für mein Gefühl würde es dem Text eher schaden. SVV kann auch ohne Borderline stattfinden, es ist lediglich eines der möglichen Borderline Symptome multipler Neurosenstrukturen. Borderline in einer Geschichte komplett zu erfassen halte ich für unmöglich.

Mir hat deine Geschichte gefallen.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Thorn

Ich weiss nicht, ob Du aus eigener Erfahrung sprichst, antworte Dir aber einfach mal aus meiner Sicht (Eigenerfahrung). Leistungsdruck ist ein grosses Problem im Westen (ich schreibe absichtlich im Westen, dann in Afrika haben sie da weniger Probleme, "leider" - wer Hunger hat, hat Hunger und denkt nicht an Leistungsdruck) und kann sehr viel Selbsthass erzeugen. Hass auf sich selber, weil man den Erwartungen nicht genügt, die Leistung nicht bringt, schlechter ist als andere und so weiter. Dies wiederum kann zu SVV (selbstverletzendem Verhalten) führen. Das Muster sehe ich bei manchen, die ich kenne. Vielleicht fingen sie nicht deswegen an mit SVV, mag sein, aber wenn der Leistungsdruck grösser wird, dann wird oft auch die Anzahl der Verletzungen grösser...

Soviel von mir.

Liebe Grüsse,
DyingOrDead

PS: Auch Menschen, die nicht aus dem Grund ritzen, empfinden oft eine Art Hochgefühl (Du umschreibst es mit "geil") dabei.

*******************************************************************

Hallo Wölfin

Ich finde den Text gut genug, um ihn zu veröffentlichen. :)

Rasch nebenbei eingeschoben: Da mit der Extrem-Situation hast Du recht, Wölfin. Eine Freundin von mir sagte einmal "So hart das klingt, andere Menschen lesen morgens die Zeitung, ich hole abends meine Rasierklingen hervor..." Es wird Gewöhnungssache, alltäglich, man braucht keinen Grund mehr, ausser der Gewohnheit, geht wohl auch Drogensüchtigen da... wer richtig süchtig ist, nimmt nicht mehr nur dann Drogen, wenn es ihm schlecht geht.

Jupp, das StS-Lied IST genial :)

Nein, hast Du nicht. Vielleicht ein wenig. Aber ich bin selber schuld, ich muss auf mich selber aufpassen. Ausserdem hab ich x Texte, die SVV (oder Schlimmeres...) beschreiben gelesen und bin es mich ein wenig gewohnt.

Liebe Grüsse,
DyingOrDead

 

PS: AN SIM

Falls ich Dich falsch verstehe: Sorry.
Ich wollte nicht sagen, dass Wölfin die Begriffe Borderline oder SVV unterbringen soll in der Geschichte, ich wollte lediglich Kürbiselfe darauf aufmerksam machen, dass sie die beiden Begriffe durcheinander bringt, denn auch wenn die Prot. evtl. Borderlinerin ist, so können wir das nicht mit Sicherheit wissen, dass sie SVVlerin ist, da können wir 100% sicher sein.

LG, DoD

 

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