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Shoe story
Die Sonne erhebt sich langsam über der Skyline der Stadt. Die letzten Regenwolken verziehen sich und weichen einem neuen Tag.
Welcher Wochentag es ist – ich weiss es nicht. Ob die morgendliche Stimmung ein gutes Omen ist – ich weiss es nicht. Ich befürchte aber, es geht dem Ende zu.
Einige Sonnenaufgänge habe ich von hier schon gesehen. Es stinkt hier. Es ist einsam – ich bin einsam. Mir fehlt Linki, und noch mehr vermisse ich Luca. Ich möchte weinen – kann aber nicht, möchte schreien – bin unfähig dazu – ich bin allein – ich wurde vergessen.
Ich denke über vergangene Zeiten nach – Zeit habe ich hier genug. Immer wieder denke ich an Luca, wie wir ihn zum ersten Mal getroffen haben. Bei Linki war es sofort Liebe auf den ersten Blick, bei mir wohl erst auf den zweiten, aber es war eine intensive Beziehung zwischen Luca und uns. Ich weiss noch, als wäre es erst einen oder zwei Knoten zurück. Ich war der Star der Ausstellung bei Luigis Schuhparadies. Das Leder hatte noch keine einzige Falte – das Weiss war so schön und glänzend als wäre ich in einem TV-Spot für Waschmittel. Luftkissen, luftdurchlässig, superleicht, fabrikneu, ja, und meine drei Streifen, auf jeder Seite drei leicht schräge Streifen von der Sohle bis zum Verbund.
Und was ist jetzt? Vom Weiss ist nichts mehr übrig, es ist wohl eine Mischung aus braun, schwarz und gelb. Ich habe viele Falten und einer meiner Streifen ist schon bis zur Hälfte abgelöst. Diese Tusse – ich hasse sie. Luca liebte uns. Er liebte mich. Ich weiss noch wie er den Verkäufer leicht errötet bitten musste uns vom Regal zu holen. Luca war nicht der Grösste, wie gross er ist hat er mir nie gesagt, ich glaube er schämte sich, weil er nicht die Figur des Basketball-Spielers hatte, welche lebensgross vor unserem Regal stand. Aber das machte mir nichts. Er probierte zuerst mich – wir passten sofort zusammen – ich erinnere mich immer noch an seinen Geruch.
Es war ein angenehmer Geruch, ich würde alles dafür geben, noch einmal an Lucas rechtem Fuss zu sein, alles. Aber ich bin Realist genug, dass ich weiss, dass wir nie wieder zusammen finden werden. Linki ist irgendwo unter mir begraben. Ich hatte Glück – wenn ich das überhaupt so nennen kann. Ich bin oben auf einem dieser Berge der Mülldeponie. Luca müsste wohl weinen, wenn er mich so sehen müsste – er ist ein sehr sensibler Mann. Ich weiss noch, wie er sich im Kino, bei Titanic, bei dieser berühmten Szene, eine Träne schnell wegwischte, damit niemand anders etwas davon mitbekam. Ich glaube, er hatte sich wegen uns in die erste Reihe gesetzt.
Das ist jetzt schon einige Jahre her. Luca nahm uns überall mithin. Er mochte das angenehme Gefühl, welches ich ihm vermittelte. Wir waren sogar dabei als er diese Tusse kennenlernte.
Luca hatte wieder mal Streit mit seiner Verlobten gehabt, und wir sind mit ihm in ein kleines Appartement gezogen. Er lief immer davon, wenn es irgendwo Streit gab. Aber dafür waren wir ja da – mit uns sah er richtig chic aus, egal, ob er rannte oder durch die Stadt flanierte. Er liebte Petra, seine Verlobte, immer noch, er mochte einfach die ewigen Streitereien nicht mehr ertragen. Er war gerade beim Abwasch und stellte sich dabei nicht mal so ungeschickt an, als Reto an unserer Türe klingelte. Er schlug Luca vor, in so einen neuen „High Society“-Club zu gehen. Luca lies sich irgendwie breitschlagen. Er putzte sich und uns richtig schön raus. Der Abend war ganz nett und auch schon fast gelaufen, als diese Tusse auf uns zukam. „Hast du mal Feuer“ – einen älteren, öderen Spruch gibt es wohl nicht mehr, aber Lucas Augen wurden grösser und er holte zitternd seine Packung Streichhölzer hervor, nach zwei abgebrochenen Hölzern klappte es dann auch.
Von diesem Zeitpunkt an ging es abwärts.
Er traf sich immer häufiger mit Gaby und sie nutzte ihn gnadenlos aus. Luca, der kleine schüchterne Informatiker mit wohl zu viel Geld.
Er lud sie überall ein, erledigte dies, kaufte das – alles für diese Gaby-Tusse. Luca kaufte sich sogar Jeanshosen und Lederjacken, nur, weil sie das so wollte. Sie hasste mich.
Ja, sie brachte Luca sogar dazu, sich neue Schuhe zu kaufen. Es waren richtig fiese, enge, unbequeme Schuhe, die Luca überhaupt nicht kleideten. Nur, weil sie mich nicht mochte. Sie hatte Luca sogar verboten, uns weiterhin zu tragen.
Dass diese Frau nichts von Schuhen verstand, war mir sofort klar, solche grossen Absätze, so viel zu eng, das kann gar nicht gesund sein, aber das ist dann ihre Sache, wenn sie mit 40 nur noch mit X-Beinen gehen kann. Irgendwie wünsch ich mir das sogar.
Der verhängnisvolle Tag begann wie heute, frisch und herrlich. Wohl aus Gewohnheit zog er mich und Linki an – er war mit Gaby verabredet. Ihr hättet diese Person schreien hören sollen, als Luca mit uns in Ihre hässliche pastellfarbene Zweieinhalbzimmerwohnung trat. Natürlich musste er uns ausziehen, obwohl wir kein Stück dreckig waren – im Gegenteil, wir waren wohl das Sauberste in dieser Wohnung.
Es war morgens früh, nach einer Nacht vor der Türe, als diese Tusse die Türe öffnete und uns mit einer Spagetti-Zange in einen dunklen Sack warf. Ihr Grinsen konnte ich nicht sehen, aber das war auch nicht nötig – ich spürte es.
Es war mein letzter Morgen in der Stadt. Ich spürte, wie ich mehrmals transportiert wurde, bevor ich hier landete. Ich konnte mich noch nicht einmal von Luca verabschieden. Denkt er noch an mich? Da bin mir sicher, und vielleicht sucht er mich sogar.
Es ist Mittagszeit, die Sonne brennt mir auf das Leder. Ich sehe, wie einer dieser grossen Müllwagen direkt auf mich zufährt. Er hält etwas vor mir an. Es wird laut, der Anhänger hebt sich – es wird kalt – es ist dunkel.