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Tanzende Schatten in der Nacht
Mitternacht.
Geschäftliche Themen haben mich in diese unwirkliche Gegend geführt. Es wird Zeit, ins Hotel zu gehen. Doch dafür muss ich bis zum Ende des Dorfes, die komplette Hauptstraße entlang. Bei diesem Gedanken seufze ich. ›Geisterstunde‹ schießt es durch meinen Kopf, ›und das in dieser Gegend mit den vielen Schauergeschichten‹, mein Körper verspannt sich ein wenig. Nach einigen Minuten drehe ich mich um und merke, dass das Licht des Restaurants nicht mehr zu sehen ist. Dunkelheit umgibt mich, hüllt mich ein und bereitet mir eine Gänsehaut. Das schwache Leuchten der Gaslaternen und der hell leuchtende Mond sorgen dafür, dass die Straße vor mir nicht von der Finsternis verschluckt wird.
Auf einmal zucke ich zusammen. Eine Kinderstimme ist in der Ferne zu hören.
›Das kann doch nicht sein, nicht um diese Zeit.‹ Ich gehe mit hochgezogenen und angespannten Schultern die Straße hinunter in Richtung meines Ziels.
Weitere Stimmen tauchen auf. Wie viele sind es? Drei? Das wird mir immer unheimlicher. ›Lachen sie? Oder sprechen sie miteinander?‹, das ist für mich nicht verständlich. Die sich mittlerweile gruselig anhörenden Stimmen sind undeutlich und weit weg. Ein kalter Schauer läuft meinen Rücken entlang.
Die Geräusche gehen mir durch Mark und Bein und verursachen ein eigenartiges Gefühl in mir. Die Verspannung im Nacken wird stärker, so sehr, dass ich einen leichten Schmerz verspüre.
Aber ich kann die Anspannung nicht loslassen, stattdessen Balle ich noch zusätzlich die Fäuste. ›Kinder um die Uhrzeit und das ausgerechnet in dieser Gegend, in der vor langer Zeit viele spurlos verschwunden sind.‹ Die Gedanken wirbeln in meinem Kopf umher und sorgen dafür, dass ich mich immer mehr verkrampfe. Warum denke ich jetzt an all die Schauergeschichten, die ich gelesen habe? ›Im Mittelalter sollen hier Untote ihr Unwesen getrieben haben.‹
Mein Körper geht in den Flucht- und Angriffsmodus zu gleich und ich spitze die Ohren. Ich bin nun total aufmerksam und höre nicht nur die drei Kinder, die anscheinend Spaß haben, sondern auch den leichten Wind, der die wenigen Bäume in meinem Umfeld rascheln lässt.
Dazu gesellt sich ein Geräusch, das ich nicht zuordnen kann. Mein Puls wird schneller und Adrenalin fährt mir durch meinen Körper. Ich spüre auf einmal ein Kribbeln durch mich hindurch. Eine Wolke schiebt sich vor den hellen Mond. Die Straße verdunkelt sich. Nun sind nur noch die schwachen flackernden Schatten zu sehen. Ich schüttle mich und beschließe weiterzugehen. Schritt für Schritt. Mein Herz pocht bei jeder Bewegung schneller und lauter. Meine Augen haben sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, denn ich nehme viel mehr wahr als noch vor einigen Augenblicke. Umrisse der Hauswände erkenne ich jetzt gut. Die Schatten wandern in verschiedenen Grautönen über die Wände, über die geschlossenen grauen Fensterläden und den Pflastersteinen der Straße. Gespenstisch tanzen sie vor mir her.
Bei jedem Schritt, den ich mache, glaube ich, dass die Schatten immer schneller um mich herum wirbeln. Sie scheinen mich zu verhöhnen. Die Kinderstimmen kommen näher und näher, ich sehe drei schemenhafte Gestallten auf der Mitte der Straße, und bleibe stehen. Auf einmal scheinen sie wie erstarrt zu sein und bewegen sich nicht. Sie schauen mich mit Teufelsfratzen an. Die Pulsader an meinem Hals fängt an zu pochen. Es fröstelt mich so, dass ich anfange, zu frieren. Aber es nützt nichts, ich muss noch das kleine Stück die Straße hinunter. Dahinten erkenne ich schon den Umriss des Schildes meiner Unterkunft. Ich fasse allen Mut zusammen und beginne auf die Dämonenkinder zu zugehen. Mit jedem Meter werden sie lauter und unheimlicher. Die Worte sind für mich nicht verständlich. ›Das ist bestimmt eine Sprache aus der Hölle‹, geht es mir durch den Kopf. Die Wolke schiebt sich weg von dem Mond. Die Schatten wandern.
Manche sehen nun aus, als würden sie mich verspotten. Endlich ist die Straße wieder heller und die Silhouetten lösen sich auf, jetzt bemerken mich die drei jungen Gestallten. Sie machen einen Buckel, fauchen und kreischen. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Es sind nur drei Katzen. Die Tiere verschwinden in der Dunkelheit. Es umhüllt mich eine eigenartige Stille, in der eine Stecknadel, die auf den Boden fällt, einen Knall erzeugen würde, wie eine Bombe. Mein schneller Atem ist das Einzige, was ich wahrnehmen kann, und ich gehe weiter auf mein erlösendes Ziel zu. Ein Windzug streift mich und erneut habe ich das Gefühl, von unheimlichen Geräuschen umgeben zu sein. Die Fensterläden klappern. Geisterstunde. Plötzlich heult in der Ferne ein Wolf. ›Werwölfe, gibt es die wirklich?‹ Ich renne, so schnell, wie ich kann zum Hotel. Als ich an der Tür ankomme, schnaufe ich vor Anstrengung.
Der Schweiß läuft mir an den Haaren entlang, am Auge vorbei über die Wange.
Bevor ich im Inneren verschwinde, drehe ich mich noch einmal zur Straße um.
Im Licht der Gaslaternen glaube ich, einen Schatten zu erkennen, haben. Doch bevor ich näher darüber nachdenken kann, schlüpfe ich durch die Tür und atme erleichtert aus.
Die Hauptstraße ist von den elektrischen Laternen, hell erleuchtet, aber das wurde mir erst viel später bewusst.