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Tobelmännchen

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Tobelmännchen

Tobelmännchen


Es war einmal ein Mann. Es musste wohl lustig aussehen, wie er tobte und sich das rar gewordene Haar raufte, doch niemand lachte. Er befand sich auf einem riesigen Schiff. Er hätte auf Menschen wie eine wahnsinnig behaarte Kassandra gewirkt, doch kein Mensch war da. Unter Deck tanzten sie feuchtfröhlich, als ob es kein Morgen gäbe. Und in der Tat war es genau das, was der Mann verkündete, aber niemand hörte ihm zu. Er versuchte einen humpelnden Greis anzuhalten, um ihm den Untergang der Titanic zu eröffnen, doch der Greis schüttelte ihn ab und faselte etwas von echter Gefahr und Russlandfeldzug. Das brachte ihn zum Toben. „Ja, sind sie denn alle so blind!“, dachte er sich. Er stampfte auf und tat, was er aus Überzeugung tat. Er schrie und lehrte den Untergang. Allein die Titanic würde ertrinken und mit ihr die Insassen. „Ihr macht euch alle schuldig. Ja, seht ihr das denn nicht?“

Es war einmal ein Mann. Der tobte wie eine wildgewordene Furie, vielleicht um zu rächen. Er schrie um sich: „Seht zu, dass ihr an Land gewinnt! Die Titanic wird untergehen!“ Er tobte und zerraufte sich das rar gewordene Haar. Die weite See umgab ihn, denn alleine befand er sich auf einem alten Kahn. Er hielt Menschen an, um sie zu warnen und steigerte sich in seinem Wahn. Wasser riss durch die morschen Hölzer, die seinen Kahn zusammenhielten. Unter ging er mit schreierischer Fratze. Aus war es mit einem Mal.

 

ahaaaaa!

das ist eine geschichte! ja tatsächlich!

ein interesanter einfall, du zeichnest ein bild des wahnsinns, wenn ich das so auszudrücken die erlaubnis habe. aber das bild ist nicht bedrohlich, und es ist gut.

eine atmosphäre ist hier, die uns sagt, glaubt nicht an die wirklichkeit, die wirkliche wirklichkeit oder das wirkliche.

 

Äh. Geschichte? Gleichnis, würde ich sagen.
Die Ignoranz Vieler gegenüber der Weltuntergangs-Warnungen weniger. Also, das Titanic-Motiv ist da wirklich seeeehr klassisch. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Meine Interpretation ist zu einfach und es gibt einen komplizierteren Meta-Sinn, der mir entgangen ist. Oder das Gleichnis ist zu einfach und nicht mehr als ein erhobener Zeigefinger. Im ersten Fall muss ich mich entschuldigen, dann ist mir der Text wohl zu hoch. Im zweiten Fall muss ich sagen, dass Du, Zaza, schon wesentlich interessantere, differenziertere Texte mit mehr Tiefgang abgeliefert hast.

Fazit: kein Fazit.

 

Hauptgedanken des Textes ist aus meiner Sicht dieser: Die Probleme und die Wut der Hauptfigur entstammen einem Missverhältnis zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit. Dies wird erst sichtbar, wenn es bereits zu spät ist (das Missverhältnis tötet).
Psychologisch könnte man deuten, dass die Gesellschaft weiss zwischen subjektiven Empfindungen und intersubjektiven Tatsachen zu unterscheiden und die Nichtunterscheidung das Problem Einzelner ist.
Philosophisch/Erkenntnistheorhetisch könnte man das so sehen, wie Harkhov es andeutet: Die Diskrepanz zwischen Welt und der subjektiven Wahrnehmung ist das fundamentale Problem menschlicher Erkenntnis. Das sich bewusst machen dieser Grenzen eröffnet die Möglichkeit zu einem besseren Umgang mit dem, was wir Wissen nennen.

 

... doch diese Diskrepanz, so schwer sie auch zu überwinden ist, sollte nicht dazu verleiten, daß die Gesellschaft den subjektiv Wahrnehmenden verurteilt oder gar die von ihm verkündeten Gefahren gänzlich mißachtet. Vorsicht ist durchaus geboten. Der Greis ließ sich zwar nicht beirren, doch man kann ja nicht verlangen, daß jeder so willensstark ist.

Schöne Grüße,
ababwa

 

Heute hat mir der Zahnarzt einen Weisheitszahn gezogen, und nun habe ich viel Zeit.

Naja, Uwe, wenigstens warst Du kurz da, hehe.

Zu den anderen: Ja, viel mehr kann ich eigentlich auch nicht sagen. Es ging mir um Realitäten, und das konnte man wohl herauslesen.

Danke!

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Zaza!

Erst einmal: Alles Gute zum Geburtstag! :anstoss:

»Tobelmännchen« find ich einen netten Ausdruck für einen Tobenden... :D

Ich finde, die Geschichte regt schon ziemlich zum Denken an, und ich finde sie nicht so arg rätselhaft wie einige andere Deiner Geschichten. Aber ich weiß natürlich nicht, ob ich sie richtig, d.h. in Deinem Sinne, interpretiere.
Also da ist dieser Mann, der allein oben steht und seine Warnungen in den Wind schreit. Man kann es ja verschieden betrachten: Die unten vergnügen sich bis zum (vermeintlichen) Schluß – hier paßt die Formulierung „tanzten feuchtfröhlich, als ob es kein Morgen gäbe“ ausgesprochen gut –, machen sich vielleicht deshalb keine Gedanken, weil sie eh nichts gegen den Untergang tun könnten und lieber das Jetzt genießen. – Sie haben dann, wenn es tatsächlich zu einem Untergang kommt, aber immerhin gelebt, während der Mann sich nur aufgeregt hat.
Andererseits kann man es aber auch so sehen, daß der Mann es einfach nicht richtig anstellt. Denn wenn er will, daß er gehört wird, sollte er dorthin gehen, wo die Menschen sind, die er warnen will.

Dann aber scheint es gar nicht zu dem Untergang gekommen zu sein, vor dem er gewarnt hat, denn im nächsten Absatz steht er (oder sollte es ein anderer sein?) allein auf einem Kahn, die Leute wollen offenbar gar nichts mehr mit ihm zu tun haben, kennen seine Warnungen vermutlich schon zur Genüge und hören gar nicht hin.
Er sieht nicht mehr das Leben, sondern nur mehr seine Paranoia, und letztlich ist er allein es, der untergeht.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Danke, Häferl! Ich habe ganz vergessen, Dir zu antworten. Also hole ich das jetzt nach, da ich mich sowieso noch einmal mit dem Text beschäftigen wollte.

Schön, dass Du so genau Deine Gedanken wiedergibst. Das geht schon alles in die von mir gedachte Richtung. Nur eines: Der zweite Absatz soll schon etwas Verwirrung stiften dahingehend, dass er die Wirklichkeit des Ersten in Frage stellt. Vielleicht stand das Tobelmännchen schon seit jeher alleine auf seinem Kahn und hat sich alles eingebildet? Vielleicht.

"Er sieht nicht mehr das Leben, sondern nur mehr seine Paranoia, und letztlich ist er allein es, der untergeht."

Schön.

 

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