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Vorsicht! Zicke fährt Fahrrad!

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15.09.2004
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Vorsicht! Zicke fährt Fahrrad!

Zicke fährt Fahrrad

Erbost saß ich auf meinem Fahrrad und strampelte den kleinen Hügel aufwärts nach Hause. Ich hatte mir geschworen, dass diese Diskussion nun wirklich die Letzte war. So behandelt mich niemand! Meine Meinung hatte ihm deutlich klar gemacht, sogar irgendwann die Worte „es ist aus zwischen uns“ gekräht und zum Schluss einen bühnenreifen Abgang hingelegt. Ich war nicht nur erbost, ich war stinkwütend! Zusätzlich spürte ich ein wages Ziehen hinter der dritten Rippe links! Sehnsucht? Mädchen sind wirklich zu blöde. Gefühle verdienen solche Typen gar nicht. Meine Gefühlsverwirrung stieg stetig an. Allerdings nicht ganz so steil wie die Straße. Schnaufend erreichte ich die Abzweigung in den Grünen Weg. Linker Hand lag das Grundstück von Dombrowskys, eingefasst von einem niedrigen Mäuerchen. Meiner Meinung nach gehörte darauf ein Zaun, aber dazu waren Dombrowskys wohl zu geizig. Wie immer schnitt ich die Kurve und war zusätzlich damit beschäftigt, die Diskussion mit dem Lackaffen in Gedanken weiter zu führen. Grauer Blitz von links! Da war was!

Erschrocken konnte mich nicht entscheiden ob ich bremsen, ausweichen oder darüber springen sollte. Also riss ich nur hektisch den Lenker nach links, worauf sich das Fahrrad benahm wie ein bockbeiniges Pferd. Das Vorderrad führte ein vollkommen eigenständiges Leben, schaffte mit Leichtigkeit den Bordstein und krachte dann gegen das Mäuerchen. Mit einem perfekten Salto vorwärts verließ ich mein Fahrrad. Die Landung erinnerte allerdings an einen zu lange gebackenen Pfannekuchen, der zu Boden fällt. Mit einem lauten Ächzen entwich die Luft aus meinen Lungen. Rücklings lag ich auf dem fein gestutzten Rasen der Dombrowskys. Bermuda-Gras im Übrigen, weich wie Moos, wenn man darüber läuft, aber hart wie Stein wenn man mit dem Rücken zuerst darauf landet. Sauerstoff! Das war es, was fehlte! Hektisch schnappte ich nach Luft.

Ich ging in Gedanken meinen Körper durch. Füße, Beine, Hintern, Rücken, Brustkorb, Hals, Kopf. Kein Körperteil hatte seinen angeborenen Platz verlassen und alles schien noch beweglich zu sein. Ein paar grüne Katzenaugen tauchten direkt über meinem Kopf auf. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich Minka, die grau getigerte Katze der Dombrowskys. Und es fiel mir schlagartig ein, dass Minka immer auf dem Mäuerchen zu liegen pflegte. Genau zwischen den großen Tannen, auf einem sonnigen Fleckchen. Sie musste es gewesen sein, die mir entgegen gesprungen ist. Vielleicht hatte sie eine Biene gestochen oder sie hatte einen plötzlichen unbezwingbaren Bewegungsdrang bekommen. Das Katzenmaul fauchte mir böswillig ins Gesicht. Ich wagte nicht, mich zu bewegen. Schließlich waren Katzen doch kleinere Ausgaben von Raubtieren und dieser Gedanke flößte mir gehörigen Respekt ein. Nachdem ich mich nicht rührte, drehte sie mir ihr Hinterteil zu, peitschte mir kurz mit ihrem Schwanz über das Gesicht und trollte sich dann. Ich fühlte mich ungerecht behandelt. Minka musste doch wissen, dass ich sie bestimmt nicht erschrecken wollte und außerdem hatte sie angefangen.

Es soll doch tatsächlich Mädchen geben, die behaupten, Katzen wären so unabhängig, weil sie extrem intelligent sind. Ich glaube allerdings, dass sie nur extrem blöd sind.

Gut, jetzt konnte ich mich wenigstens über zwei Dinge aufregen. Erstens der Kerl und zweitens die Katze. Nachdem ich mich aufgerappelt und meine Kleidung abgeklopft hatte, stieg ich über das Mäuerchen zurück auf den Bordstein. Diesmal freilich ohne Salto. Ich sah ich auf mein Fahrrad und musste feststellen, dass es noch einen weiteren Grund zur Aufregung gab. Ich hatte in der Schule gelernt, dass ein Rad immer rund zu sein hat. Ist es nicht rund, ist es kein Rad! Aber dieses Vorderrad, das mit den halb angerosteten Speichen, den dreckverschmierten Felgen und dem platten Reifen sah nicht aus, als ob es noch rund war. Kühl besah ich mir den Schaden und ließ mich dann hilflos daneben sinken. So einsam auf der Straße sitzend überkam mich auf ein Mal das Elend dieses ganzen Tages.

Über welchen Quatsch hatte ich vor meinem Idioten-Rodeo gestritten? Was hatte ich gesagt? „So lasse ich nicht weiter mit mir umgehen, du kümmerst dich gar nicht um mich. Immer sind dir deine Kumpels wichtiger. Ich komme an letzter Stelle“. Ordentlich durch- bzw. wachgerüttelt, wie ich jetzt war, fand ich die Sache mit seinen Kumpels gar nicht mehr so schlimm.
Es waren schließlich auch einige von denen zu meinen Freunden geworden. Vielleicht hatte ich ein kleines bisschen überreagiert. Grund für meine Aufregung war nämlich, dass er mich eine geschlagene halbe Stunde warten ließ. Und das, weil er ein bisschen an der neuen Playstation seines besten Freundes spielen wollte. Wenn ich genauer drüber nachdachte, hatte ich sogar enorm überreagiert. Ich musste mir eingestehen, dass ich manchmal eine schlimme Zicke sein konnte. Diese Einsicht war aber nur für mich alleine. Niemals würde ich sie irgendjemand mitteilen. Und doch… Ich beschloss, ihm weiterhin böse zu sein. Was eine richtig ernst zunehmende Zicke werden will, die zickt auch dann, wenn sie weis, dass es falsch ist.

Mit dieser Erkenntnis fühlte ich mich gleich besser und stand entschlossen auf.
Zum Glück war ich nur noch ein paar Häuser bis zur Wohnung meiner Eltern entfernt. Dort würde ich gleich meinen Vater fragen, ob er mein Fahrrad reparieren konnte. Allerdings wusste ich jetzt schon, dass ich mir für diese Hilfe eine kleine bis mittelgroße Predigt anhören musste. Die meistens seiner Vorträge handelten entweder über die bewusste Schonung geschenkter Gegenstände, über meine fehlende Aufmerksamkeit in der Schule oder gar über die gewünschte Höflichkeit gegenüber Elternteilen. Grmpf, das Fahrrad hatte ich letzte Weihnachten bekommen.

Ich zog den Lenker hoch und legte mir die Lenkstange auf die Unterarme. Jetzt schwebte das Vorderrad ein paar Zentimeter über dem Boden und halb tragend, halb schiebend zerrte ich mein Fahrrad die Straße entlang. Keuchend vor Anstrengung hatte ich gerade das Haus der Familie Schrader passiert, als sich dort ruckartig die Haustür öffnete und der Kopf von Sohn Timo erschien: „Hallo Beatrice, was hast du denn gemacht? Bist Du hingeflogen?“ - ‚Ach was, das ist ja wohl unschwer zu erkennen!’ dachte ich und verzog das Gesicht.
Während er vor die Tür trat, sprach er weiter: „Dein Fahrrad sieht ja schlimm aus! Oje, und erst das Vorderrad!“

Garantiert hatte er aus lauter Langeweile hinter dem Fenster gelauert. Er hatte nicht viele Freunde. Timo war ein schreckliches Weichei. Man konnte es an seiner fürchterlichen Frisur und an der viel zu großen, unmodernen Brille erkennen. Bei ihm hatte Mami das Sagen!

Ich legte das Fahrrad auf dem Gehweg ab, weil mir ein Gedanken kam. Vielleicht konnte ich ja Papas Vortrag umgehen! „Hi Timo“ grüßte ich mit zarter Stimme und schenkte ihm ein zuckersüßes, schwaches Lächeln. „Ich bin hingefallen!“ Mein mitleidheischender Blick verfehlte seine Wirkung nicht. Innerhalb einer Nanosekunde stand er neben mir. Dass die Haustür sperrangelweit aufstand, schien ihn nicht zu stören. „Oh je, Du Ärmste. Bist du verletzt?"

Selbst wenn mir etwas passiert wäre... Diesem Weichei hätte ich nie ge-standen, dass ich mir etwas getan habe. Sogar wenn mein linker Fuß blutend im Gepäckträgerkorb gelegen hätte, hätte ich nichts gesagt. Ich hätte nur das Problem gehabt, zu erklären, wem dieser Fuß gehörte und wo meiner ist. Aber das galt nur für normale Umstände! Im Moment saß ich allerdings in der Patsche und er war hoffentlich derjenige, der mir helfen konnte.

Also hauchte ich etwas von einer wild gewordenen Katze, wahrscheinlich tollwütig, die mich angefallen und so vom Rad geholt hatte. Einem Fahrrad das erst den Boardstein mitgenommen hatte und dann gegen eine Mauer geknallt ist und von einem Kampf mit einer wütenden Katze. Wie nebenbei erzählte ich von fürchterlich hämmernden Schmerzen in der Schulter und einem vermutlich gestauchten Knöchel. Die ganze Geschichte garnierte ich mit kleinen Seufzern, hilflosen Blicken und zuckenden Mundwinkeln. Timo war entsetzt. Fürsorglich bot er mir an, nach meinem Knöchel zu schauen und mir eine Tasse Tee zu kochen. Innerlich rollte ich mit den Augen. Weder wollte ich mir von ihm den Knöchel befingern lassen, noch seinen blöden Tee trinken! Er sollte mein Fahrrad reparieren! Jetzt hieß es, ihn auf die richtige Spur bringen…

Bevor ich mein Theater weiter spielen konnte, öffnete sich im ersten Stock des Hauses Schrader ein Fenster. Timos Mutter schaute zu uns herunter und rief: „Timo, Liebling! Kommst du? Wir essen gleich! Bring doch deine kleine Freundin mit!“ Plötzlich kicherte sie albern und gurrte: „Du Schlingel!“. Dann schloss sich das Fenster und Timo wurde zappelig. Wahrscheinlich wurde er immer nervös, wenn Mami rief und er noch einen Satz zu Ende sprechen musste.

Während er schon rückwärts zum Haus ging, sagte er: „Dein Vater kann das bestimmt reparieren. Kann mir gut vorstellen, dass er das passende Werkzeug hat und genügend Ahnung hat. Vielleicht musst du sogar ein neues Vorderrad kaufen. Frag ihn halt, er wird es schon richten!“ Die letzten Worte musste er schreien, da er bereits im Rahmen der Haustür stand. Krach! Jetzt war die Tür zu! Ich konnte es nicht fassen. Hatte ich eben nicht die beste Show der vergangenen Woche abgezogen? Ich war mir sicher gewesen, dass er sich für mich ein Bein ausreißen würde. Oder besser noch, sein Sparschwein plündern würde, um mir das neues Rad zu besorgen. Aber Mamis Essen war ihm wichtiger! Im Grunde hätte ich es mir denken können. Was sollte man von so einem Trottel erwarten?

Schnaubend nahm ich den Lenker wieder auf die Unterarme und setzte meinen Heimweg fort. Was ein katastrophaler Tag!

Mir schien es, als gäbe es in meinem Leben nur Lackaffen und Weicheier.? Zu allem Überdruss musste ich jetzt noch den Zeigefinger-Papa überstehen. Direkt nach dem Abendessen, so nahm ich nahm mir fest vor, würde ich mich in e-bay umzusehen: Das einzige was jetzt noch half, war ein Hund! Hunde spielen niemals Playstation und essen erst dann, wenn ICH es will. Somit war ein Hund auf jeden Fall besser als irgendein blöder unnützer Typ. Aber der größte Vorteil war unumstritten: Bösartige, doofe Katze würde er einfach zerfleischen…

 

Jaaaa genau, solche Zicken hasse ich: eine Freude sie leiden zu sehen.
Irgendwann kommen sie sowieso zurückgekrochen. Grins.

 

Hallo und herzlich willkommen Cloud! :)

Erstmal @ Jiri: Deine Antwort ist so kurz ausgefallen, dass Cloud wohl kaum etwas damit anfangen kann. Etwas ausführlicher wäre schön.

Zur Geschichte: Flott geschrieben, einige ganz coole Formulierungen. Bei Timo und der Wirkung, die der auf die "Heldin" hat, habe ich über die Verwandlung lachen müssen. Nette kleine Episode, zügig geschrieben, gut zu lesen. Nichts besonderes, aber für Alltag ausreichend. Insgesamt kommt das Mädel durchaus authentisch rüber in den Gedankengängen. Der umgangssprachliche Ton und die teils abgehckten Sätze passen hier gut. Die Schlussfolgerung am Ende als Pointe, sich einen Hund anzuschaffen, ist zwar nicht neu oder überraschend, aber doch nett platziert und ganz gut vorbereitet.


schöne Grüße
Anne

 

Hallo Jiri, hallo Anne,

vielen Dank für Eure Antworten!!

Anne, Du hattest vollkommen recht. Ich wußte nicht so genau, ob Jiri die Geschichte gefallen hat oder nicht, deshalb wußte ich nicht, ob ich Jiri zurückschreiben soll.

Da das erst meine dritte selbstgeschriebene Geschichte ist, genügt mir ein "nichts besonders, aber für den Alltag ausreichend" vollauf.

Vielen Dank nochmal, das motiviert....

Liebe Grüße
claud

 

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