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Warum Drachen Feuer speien können
Es ist allgemein bekannt, dass Drachen Feuer speien können. Das ist in verschiedenen Geschichten nachzulesen, von welchen ich hier zweie nur kurz erwähnen will.
Da gibt es zum einen die Sage von Siegfried - einem Prinzen aus Xanten am Niederrhein -, der etwa im fünften Jahrhundert nach Christus gelebt haben soll. Wie es heißt, hat Siegfried einen Drachen namens Fafnir erschlagen und dabei einen unermeßlich großen Schatz gewonnen, und zwar in der Nähe von Herford in Westfalen. Man sagt ferner, Fafnir habe versucht, sich durch Sprühen von Gift und Feuer zu wehren, allerdings habe es ihm nichts genützt. Eine andere Erzählung handelt von Beowulf. Er herrschte möglicherweise um die gleiche Zeit wie Siegfried in Dänemark und war König von Jütland. Beowulf hatte einen besonders bösartigen Drachen zu bekämpfen, der das ganze Königreich mit Feuer verheerte. Diese Sage endet damit, dass der König das Ungeheuer zwar töten kann, dann aber selbst an einem Biß der giftigen Drachenzähne stirbt.
Woher aber stammt diese Fähigkeit des Flammenwerfens? Ich habe bislang nur in einem Buch den Versuch einer Erklärung finden können. Demnach sollen diese Wesen so wie Fesselballons oder Zeppeline mit einer Art Gas gefüllt sein, welches ihnen das Fliegen ermöglicht. Da jenes Gas fortlaufend neu erzeugt werde - so meint der Autor -, müsse alles, was zuviel sei, von Zeit zu Zeit ausgestoßen werden, wobei es sich entzünde. Diese Idee klingt auf Anhieb zwar ganz einleuchtend; nur: Welches Gas sollte sich wohl bei normalen Lufttemperaturen von selbst entzünden? In Wahrheit verhält es sich auch anders. Drachen haben einfach glühende Kohlen in der Lunge, und woher das kommt, das will ich hiermit kurz berichten.
Vor langer Zeit - es dürfte schon einige Millionen Jahre her sein - wurden von zwei griechischen Göttern die Menschen erschaffen. Prometheus formte ihre Körper aus Ton und gab ihnen die Seele, Athene als die Göttin der Weisheit schenkte ihnen die Fähigkeit zu denken. Damit wußten die Menschen zunächst jedoch nicht viel Sinnvolles anzufangen, und so brachte Prometheus ihnen alles bei, was sie zum Leben wissen mußten. Er zeigte ihnen, wie man Häuser baut, Tiere zähmt, Obst und Gemüse züchtet; sie lernten von ihm Bergbau, Sternkunde, das Heilen von Krankheit und dergleichen mehr, mit anderen Worten: Sie erfuhren alles, was damals für sie notwendig war. Am Ende fehlte nur noch eines, und zwar das Feuer. Was das bedeutete, läßt sich unschwer vorstellen. Man denke sich ganz einfach, es gäbe kein Feuer auf der Welt - Watt hätte die Dampfmaschine niemals erfinden können. Prometheus dachte lange darüber nach, wie diesem Mißstand denn wohl abzuhelfen sei. Schließlich kam ihm eine Idee.
In der damaligen Zeit wurde die Sonne noch mit einem Pferdegespann über den Himmel gezogen (das ist heute nicht mehr nötig, da die Erde spätestens seit Galilei ihrerseits die Sonne umkreist), und hierfür war ein Gott namens Helios zuständig. Prometheus suchte sich einen trockenen Zweig, und um die Mittagsstunde, als die Sonne am höchsten stand und am heißesten brannte, näherte er sich dem Sonnenwagen und versuchte, das dürre Holz zu entzünden. Leider mißglückte das Unterfangen, da Helios ihn hierbei erwischte, und da der Sonnengott wußte, dass die Menschen nach dem Willen des Göttervaters Zeus das Feuer nicht bekommen sollten, jagte er Prometheus davon.
Nunmehr stand der Schöpfer der Menschheit ohne einen Funken Glut da, und mit ihm seine Geschöpfe - dabei war ein besonders harter Winter zu erwarten. Wäre Prometheus weniger klug gewesen, so hätte ich diese Geschichte vermutlich gar nicht schreiben können; so aber sagte er sich: Wenn ich keine Flammen von der Sonne bekommen kann, muß ich sie eben aus der Erde holen - wie auch immer.
Sein zweiter Versuch verlief denn auch wesentlich erfolgreicher. Es gab damals tief unter der Erde eine Schmiede, in der alle Metallgegenstände angefertigt wurden, welche die Götter benötigten. Der Schmied war der Gott Hephaistos, ein Sohn von Zeus, und um Helme, Schwerter, Trinkgefäße und dergleichen herstellen zu können, unterhielt er stets ein gewaltiges Feuer in seinem Kamin, welcher - nebenbei bemerkt - möglicherweise der Ätna war. Hephaistos liebte die Tiere sehr, und in der Schmiede hielten sich immer Fledermäuse, Katzen, Eulen und sonstige Geschöpfe auf. Vor allem hatten es ihm die Drachen angetan, und an manchen Tagen saßen deren zehn oder mehr um die Flammen, um sich zu wärmen. Prometheus kannte nun die Vorliebe des Schmiedes für jene Wesen, und so suchte er seinerseits die Freundschaft mit einem Drachen. Da er ein sehr umgänglicher und freundlicher Gott war, fiel ihm das auch nicht allzu schwer. Schon nach wenigen Wochen war es ihm gelungen, eins der geflügelten Geschöpfe ganz zutraulich zu machen, und diesem trug er auf, sich in die Werkstatt des Hephaistos zu begeben und dort ein paar glühende Kohlen zu entwenden. Natürlich bedurfte es einiger Überredungskunst, aber am Ende erklärte sich der Drache bereit, das Feuer für Prometheus zu beschaffen.
Um es kurz zu machen: Der Plan glückte in der Tat. Ohne alle Schwierigkeiten gelangte der Drache in die Schmiede, und als Hephaistos ganz mit dem Formen einer Goldkette beschäftigt war und auf die Feuerstelle gerade nicht achtgab, stibitzte das Tier ein Maul voll glimmender Kohle und flog durch die Esse davon. Die Glut machte ihm dabei nichts aus (Drachen haben bekanntlich eine dicke Hornschicht im Maul), doch als er wieder an die Erdoberfläche kam, drang ihm einiges an Rauch und Asche in die Nasenlöcher. Ja - und dann passierte es eben: Plötzlich mußte er heftig niesen, und beim damit verbundenen Einatmen fuhren ihm einige Stücke Glut in die Lunge, wo sie steckenblieben. Da es sich um ein besonderes Feuer handelte (es stammte ja immerhin aus einer göttlichen Feuerstätte), wollte die Kohle nicht verlöschen, und weil Drachen besonders widerstandsfähige Tiere sind, richtete sie auch weiter keinen Schaden an. Nur war es von nun an so, dass der Drache von Zeit zu Zeit - wenn er sich besonders freute oder sehr ärgerte - lange Feuergarben ausstieß. Und diese Fähigkeit gab er an seine Nachkommen weiter, was - wie bereits ausgeführt - etwa Siegfried und Beowulf zu spüren bekamen. Auf welche Weise allerdings die Glutstücke vererbt werden konnten, weiß ich nicht zu sagen.
Wie man übrigens weiß, ging die Geschichte für Prometheus recht unangenehm aus. Zur Strafe dafür, dass er die Menschen im Gebrauch der glühenden Kohlen unterwies, ließ Zeus ihn im Kaukasusgebirge an einen Felsen ketten; darüber hinaus wurde ein Adler damit beauftragt, den Gefangenen mehrere Stunden täglich mit Schnabelhieben zu peinigen. Es dauerte sehr lange, bis das bedauernswerte Opfer endlich von Herakles befreit wurde. Für die Entwicklung der Menschheit indes hat sich die Sache doch gelohnt.
Leider sind Drachen heutzutage sehr selten geworden. Und diejenigen, die man gelegentlich noch finden kann, stammen wohl kaum von dem ab, der seinerzeit für Prometheus und die Menschen das Feuer beschafft hat; sie leben in Südostasien, werden bis zu einem halben Meter lang und sehen aus wie große geflügelte Eidechsen. Auch vermögen sie ein wenig zu fliegen bzw. zu gleiten, was ihnen den hübschen Namen "draco volans" eingetragen hat, nur: Feuer speien können sie nicht. Aber andrerseits - es gibt ja noch viele aktive Vulkane, und wer kann es schon sagen: Entweder kommen ihre Flammen aus Hephaistos' Schmiede, oder es sitzen Drachen darin ...