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Der Gesang der Goldammer

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18.06.2015
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Der Gesang der Goldammer

Die Felder waren bestellt, silberne Jauchewagen glänzten in der Sonne, verkuppelt mit Traktoren, an deren Reifen Brocken lehmiger Erde klebten. Über den Wipfeln des angrenzenden Waldstreifens schwebte ein Heißluftballon, der Passagierkorb voll mit Touristen, die ihre Blicke über die Garanten der Schweizer Ernährungssicherheit schweifen ließen, über die moosbewachsenen Hangare des Militärflughafens, oder, falls es sie nach Erhabenheit dürstete, über den Gerschensee, dessen Oberfläche an windstillen Junitagen gebürstetem Aluminium gleicht.
Ich saß am offenen Fenster und trank Kaffee. Vor mir auf dem Tisch lag die Berner Zeitung und daneben eine Broschüre zur Ü50-Darmkrebsvorsorge, deren Kosten der Kanton zu übernehmen versprach, ein verlockendes Angebot angesichts meiner finanziellen Lage. Die unentgeltliche Einführung eines Koloskops, was mehr konnte man vom Staat erwarten? Im Wissen, dass Darmkarzinome zwei meiner Onkel ins Grab gebracht hatten, erwog ich, der Empfehlung nachzukommen, auch wenn ich mir damit ein für alle Mal eingestanden hätte, die fünfzig überschritten zu haben. Die eigentliche Frage war allerdings eine andere: War ich bereit, den seligen Zustand der Unwissenheit aufs Spiel zu setzen, nur um im Fall der Fälle das eine oder andere zusätzliche Jahr den bereits hinter mich gebrachten anzuhängen? Ich hätte Linda anrufen können oder meinen Bruder oder irgendwen sonst. Jeder Mensch mit einem gewissen Sinn für Chancen und Notwendigkeiten wäre in der Lage, mir einen Rat zu geben, doch wie so oft verspürte ich kein Bedürfnis, einem Dilemma zusätzliches Gewicht zu verleihen, indem ich mit anderen darüber sprach. Laut schlürfend nahm ich einen Schluck Kaffee, presste die Zungenspitze gegen die Schneidezähne, um mich von der Last der Entscheidung zu befreien. Schließlich platzierte ich den Prospekt mittig auf die Zeitung, die ich zusammenfaltete und in wenig elegantem Bogen auf den Stapel Altpapier hinter dem Küchentisch warf. Prompt lugte die Broschüre zwischen den Seiten hervor, verharrte für eine Sekunde, bevor sie zu Boden glitt und zwischen verstreuten Cornflakes und Flaschendeckeln zu liegen kam.
Die Theophanie im Licht der Abendsonne setzte sich fort, der Ballon war noch etwas höher gestiegen. Ich atmete kräftig ein – der Geruch von Gülle entfaltet eine eigentümlich angenehme Wirkung, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat – und beschloss, meinen morgendlichen Vorsatz endlich in die Tat umzusetzen und die Wohnung für einen Spaziergang zu verlassen. Als ich das Fenster zuzog und nach unten blickte, bemerkte ich zwei Gestalten, die ums Haus schlichen. Die eine hielt etwas in den Händen, das aussah wie ein armlanges Stück Abflussrohr.

Zwei Monate zuvor war ich eingezogen. Nach der Trennung von Linda – sechzehn glückliche und zwei unglückliche Jahre lagen hinter uns – hatte ich es für eine gute Idee gehalten, den Verlockungen der Stadt ein Schnippchen zu schlagen und aufs Land zu ziehen, wo die Mieten bezahlbar sind und sich der Fluss meines Lebens zu einem ruhigen, aber mächtigen Strom ausweiten sollte. Ich prüfte die Angebote und nach einigem Zögern wählte ich als neue Bleibe den Dachstock eines Bauernhauses aus dem achtzehnten Jahrhundert, semilegal ausgebaut, wie ich vermutete, viel Holz und wenig Charme auf zweiundzwanzig Quadratmetern, die Hälfte davon unter einer Dachschräge, an der ich mir bereits bei der Besichtigung den Kopf gestoßen hatte. Trotz der lächerlich geringen Miete verfügte die Wohnung über ein eigenes Bad und einen separaten Eingang, was letztlich den Ausschlag gab. Die Distanz zu Bern war groß, doch da sich mein Unterrichtspensum weiterhin auf wenige Lektionen beschränkte – es tut mir leid, aber da lässt sich nichts machen – brauchte ich die eineinhalbstündige Fahrt zur Wirtschaftsschule bloß zweimal die Woche auf mich zu nehmen, vorbei an Schildern, die vor Wildwechsel warnen, und Wahlplakaten, auf denen sich SVP-Politiker präsentieren, die Gesichter blass und feist, die Krawatten so eng um die Hälse gezogen, dass man ihnen zu Hilfe eilen möchte.
Am Tag meines Umzugs lag auf dem Fußweg, der zum Bauernhaus führt, ein blutiger Klumpen Fleisch. Ich befürchtete, dass es sich dabei um einen grotesken Willkommensgruß handelte, doch Roland, dem das Anwesen gehört, beruhigte mich. Gelegentlich biete er den hiesigen Greifvögeln ein Rinderherz dar, und ab und zu lasse ein Milan oder ein Bussard ein Stück seiner Mahlzeit fallen. In der Wohnung angelangt, blickte ich aus dem Fenster und sah drei Schwarzmilane in den Fichten hinter dem Haus hocken und auf einen Baumstumpf starren, der offenbar als Futterstelle diente. Danach beobachtete ich sie jeden Tag. Ich mochte die dunklen Gesellen mit ihren stechenden Augen, sie wurden meine ersten Freunde in der neuen Heimat und blieben die einzigen.
Ich war eine Woche hier, als ich auf einem abendlichen Spaziergang durch den Wald auf mehrere Müllsäcke stieß. Daneben lagen zwei blaue Ölkanister, ein Luftbefeuchter, Mehrfachsteckdosen und meterweise Kabel. Am folgenden Tag ging ich aufs Gemeindeamt und meldete den Fund.
«Haben Sie vielen Dank. Wir kümmern uns um die Sache», sagte die Frau am Schalter und bat mich, die Stelle auf der Wanderkarte zu markieren, die sie mir zuschob.
«Wie geht es weiter?», fragte ich.
«Wir lassen es wegräumen.»
«Bestimmt lässt sich herausfinden, wem das Zeug gehört.»
«Mit einer DNA-Analyse?» Sie lächelte, ich war mir nicht sicher, wie ernst ihre Frage gemeint war.
«Etiketten, Adresskleber, irgendwas», sagte ich und erwähnte, dass mir kurz vor meiner Entdeckung ein weißer Toyota entgegengekommen war.
«Ein weißer Toyota», wiederholte sie.
Am nächsten Morgen fand ich meinen Wagen mit zerstochenen Reifen vor. Roland hörte mich fluchen und trat vor die Tür. Nachdem ich ihm die Geschichte vom illegal deponierten Müll und dem verdächtigen Auto erzählt hatte, bat er mich in seine Stube, füllte zwei Gläser mit Zwetschgenschnaps.
«Es ist nicht gut, dass einer seinen Abfall im Wald ablädt», sagte er. «Das sehe ich wie du.» Wir stießen an und er leerte sein Glas auf Ex. «Aber hier hält man zusammen. Man verpetzt sich nicht.»
«Verpetzt?»
«Du hast schon verstanden.»
«Was weißt du über die Sache?»
«Nichts. Könnte auch einer von auswärts gewesen sein.»
«Davon bin ich eigentlich ausgegangen. Bis vor fünf Minuten.»
Roland nickte. «Es gibt viele weiße Autos. Ein Toyota, sagst du? Bist du dir auch sicher?»
Ich winkte ab, trank mein Glas ebenfalls leer. «Wie hoch wäre die Buße? Zweihundert Franken? Wegen so was schlitzt man mir die Reifen auf?»
«Es geht wohl ums Prinzip», sagte Roland, räumte die Gläser weg und riet mir, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
«Mache ich», sagte ich, ging nach oben, rief die Rektorin an, um ihr mitzuteilen, dass ich es nicht zum Unterricht schaffen würde, und danach die Polizei, um Anzeige zu erstatten. Am frühen Abend kam ein Beamter vorbei, sah sich den Schaden an und prüfte, ob der Wagen ansonsten in Ordnung war. Ich sagte ihm, er solle die Frau auf dem Gemeindeamt fragen, wem sie von der Sache mit dem Müll erzählt habe. Er nickte, kniete sich noch einmal hin und strich mit den Fingern über einen der Reifen.
«Scharfe Klinge», sagte er und stieß einen leisen Pfiff aus.
Ich wartete zehn Tage, dann meldete ich mich bei der Dienststelle Gerschen, wollte wissen, ob sie den Abfall durchsucht hätten, wies darauf hin, dass man weder Hercule Poirot noch Sherlock Holmes heißen müsse, um zu begreifen, dass die Person, die sich an meinem Auto zu schaffen gemacht hatte, dieselbe war, die Wälder als Mülldeponien betrachtete. Der Mann am anderen Ende der Leitung blieb gefasst und gab mir zu verstehen, dass er sich dazu nicht äußern könne. Auch ich blieb gefasst, insgeheim war ich sogar froh darüber, dass die Spannung erhalten blieb, denn zu jenem Zeitpunkt war der Fluss meines Lebens gerade dabei, sich zu einem Rinnsal auszudünnen. Abgesehen von den Spaziergängen, die immer kürzer wurden, verbrachte ich meine freien Tage vor dem Fernseher. In der Kochnische stapelte sich das Geschirr, der Handstaubsauger, den ich mir zum Einzug gekauft hatte, verstaubte auf dem obersten Brett des Bücherregals. Ich spielte mit dem Gedanken, Linda anzurufen und sie zu fragen, wie es ihr ging. Stattdessen unterhielt ich mich mit meinen Freunden. Sankofas Schnabelansatz wies ein kräftigeres Gelb auf als das der anderen. Phönix plagte eine Verletzung, wie mir schien, seiner Handschwinge fehlte ein Finger. Er verhielt sich zurückhaltend, während sich Turul stets als erster auf das Fleisch stürzte, das Roland auf den Baumstrunk legte. Nach dem Gespräch mit der Dienststelle fragte ich die drei, ob ich auf eigene Faust ermitteln sollte. Sie drehten die Köpfe zu mir.
Bereits vorher hatte ich Ausschau nach dem weißen Toyota gehalten, nun aber ging ich systematisch vor, notierte mir die Kennzeichen von Wagen, die ich morgens vor der Bäckerei und abends vor einer der drei Dorfkneipen stehen sah, und machte deren Besitzer mithilfe einer SMS-Abfrage ausfindig. Nach kurzer Zeit umfasste meine Liste dreiundzwanzig Einträge, denn ich war mir tatsächlich nicht sicher, ob ich einen Toyota gesehen hatte.
«Man redet über dich», sagte Roland.
«Warum?»
«Weil du mit einem Notizblock in der Hand auf Parkplätzen herumstehst.»
«Ist nicht verboten, oder?»
«Lass es sein.»
Auch wenn mich Rolands Worte nicht zu ängstigen vermochten, verlagerte ich daraufhin meine abendlichen Spaziergänge auf den späten Nachmittag, inspizierte meinen inzwischen reparierten Wagen, bevor ich zur Arbeit fuhr, und wäre – falls es geklingelt hätte – vorsichtig genug gewesen, niemandem einfach so die Tür zu öffnen. Vor allem aber brachten mich seine Worte dazu, das Projekt abzubrechen. Inzwischen standen auf meiner Liste achtunddreißig Namen, mit denen ich nichts anzufangen wusste. Es hätte jeder sein können. Ich dachte darüber nach, zum Zeichen meiner Aufgabe eine weiße Fahne ins Fenster zu hängen, fand die Idee schließlich aber doch zu albern. Also verabschiedete ich mich still und leise aus dem Krimi, in den ich geraten war, und kehrte zum plätschernden Bächlein zurück, das ich mein Leben nannte und das keinen Anlass bot, eine Darmspiegelung als zwingend zu erachten.

«Kann ich helfen?», fragte ich.
Die beiden Gestalten blieben stehen und blickten erschrocken nach oben.
«Oh! Bitte entschuldigen Sie!», sagte die Frau. «Wir wollten bloß … Da hinten ist ein Schwarzmilan.» Sie trug eine dunkelgrüne Bluse, um ihren Hals baumelte ein Fernglas. Der Mann, der neben ihr stand, hob das Ding in die Höhe, das ich für ein Abflussrohr gehalten hatte und an dessen Ende eine massige Kamera geschraubt war.
«Wir möchten etwas näher», sagte er. «Wenn Sie erlauben.»
«Machen Sie nur», sagte ich im Wissen, dass Roland nicht zu Hause war, schloss das Fenster und öffnete vorsichtig das andere. Turul hockte auf einem Ast, Sankofa und Phönix waren unterwegs. Ich lehnte mich aus dem Fenster und schaute zu, wie der Mann unten an der Ecke stehen blieb und das Objektiv in die Höhe stemmte. Es sah verflucht anstrengend aus.
«Wollen Sie nach oben kommen?», fragte ich. «Da hätten Sie einen besseren Winkel.»
Das Licht der untergehenden Sonne färbte das Grün der Fichten zu Gold. Turul war unruhig geworden, aber sitzen geblieben. Er reckte den Kopf, drehte ihn hin und her. Nach einer Weile flog er auf und präsentierte sich auf einem anderen Ast.
«Noch besser», flüsterte der Mann. «Jetzt ist er ganz freigestellt.» Er hatte das Objektiv auf die Fensterbank abgestützt, das Auge gegen den Sucher der Kamera gepresst.
«Ist ein ziemlicher Knüppel, den Sie da haben», sagte ich.
«Sechshundert Millimeter, Blende vier. Hab dafür eine Niere verkauft.»
Ich lachte. «Braucht es kein Stativ?»
«Nicht unbedingt. Die Stabilisatoren sind sehr viel besser geworden.»
Die Frau hatte sich neben ihren Mann gekniet und den Milan durch das Fernglas betrachtet. Nun stand sie auf und blickte sich in der Wohnung um.
«Entschuldigen Sie die Unordnung», sagte ich. «Ich habe gerade viel um die Ohren.»
«Wenn Sie wüssten, wie es bei uns aussieht», sagte sie und lächelte. Ihre Wangen waren rot, Schweißperlen glänzten auf der Stirn. Ich schätzte sie auf fünfundsechzig, vielleicht siebzig.
«Möchten Sie sich setzen?», fragte ich. «Es hat Kaffee.»
«Das ist sehr freundlich. Danke.»
Ich wusch eine Tasse aus. «Kommen Sie aus der Gegend?»
«Wir wohnen in Birkried», sagte sie und auf mein Stirnrunzeln hin: «Eine halbe Stunde von hier.»
«Vögel sind Ihre Leidenschaft?»
«Oh ja.»
«Aber Sie fotografieren nicht?»
«Mir genügt es, sie zu beobachten. Meistens erspähe ich die Tiere, Armin hat da nicht so ein gutes Auge.»
«Da hat sie Recht.» Der Mann zog das Objektiv zurück, schraubte die Gegenlichtblende ab und setzte den Deckel auf die Frontlinse. «Das war toll, vielen Dank.»
«Turul gibt ein gutes Modell ab, nicht wahr?»
«Er hat einen Namen? Das bringt mich in Verlegenheit, ich fotografiere keine zahmen Tiere.» Er lachte und setzte sich zu uns, nachdem ich die Sitzfläche eines Hockers von einer leeren Müsli-Packung befreit hatte. Ich brühte noch mehr Kaffee auf und Armin zeigte uns auf dem Display seiner Kamera die Bilder, die er geschossen hatte. Die Sonne war hinter den Hügeln verschwunden, Grillen zirpten und es sang eine Goldammer, wie mir Verena erklärte.
«Man kann es sich ganz einfach merken. Wie, wie, wie hab ich dich lieb. Hören Sie?»
«Stimmt», sagte ich. Das Fenster ließ ich offen, obwohl ich wusste, dass mich zur nächtlichen Strafe die Mücken aussaugen würden. Wir schwiegen und lauschten und meine Augen wurden feucht. Ich wollte, dass die beiden noch etwas bleiben, doch mir fiel nichts ein, worüber wir sprechen konnten. Mein Blick fiel auf die Broschüre, die am Boden lag. Ich hob sie hoch und legte sie auf den Stapel Altpapier.
«Hab’s mir überlegt», sagte ich. «Aber ist wohl nichts für mich.»
«Was überlegt?»
«Eine Darmspiegelung», gab ich zur Antwort und erst jetzt wurde mir klar, wie unangemessen es war, das Gespräch auf dieses Thema zu lenken.
«Ja, das ist unangenehm», sagte Armin. «Aber nicht so unangenehm, wie man zunächst denkt.»
Verena legte die Hand auf seinen Arm. «Ich musste dich ganz schön bearbeiten.»
«Ja.» Er lachte.
Eine Stunde später brachen sie auf. Ich schrieb Armin meine Mail-Adresse auf einen Zettel, damit er mir die Bilder von Turul schicken konnte, und sagte, dass meine Wohnung zur Verfügung stünde, falls er Lust auf ein Gruppenfoto von Turul, Phönix und Sankofa habe. Nachdem sie weggefahren waren, setzte ich mich an den Tisch und wollte mir ein Glas Wein gönnen. Doch mich erfasste eine Unruhe und so begann ich die Wohnung aufzuräumen, kratzte Krusten von Tellern, spülte Gläser, wischte den Boden. Dabei bemerkte ich, dass Verena ihr Fernglas auf der Fensterbank hatte liegen lassen. Es sah edel aus, auf dem einen Tubus war ein weißer Adler eingraviert. Ich nahm es in die Hand, blickte nach draußen, doch es war bereits zu dunkel, um mehr zu erkennen als die Silhouetten von Bäumen und Hügeln. Ich stellte den Feldstecher auf den Tisch, dann griff ich nach dem Smartphone und wählte Lindas Nummer. Sie nahm nicht ab. Fünf Minuten später versuchte ich es erneut und in jenem Augenblick klingelte es an der Tür. Armin und Verena! Ich schnappte mir das Fernglas, rannte die Treppe hinunter, öffnete die Tür und blickte ins Gesicht von Micky Maus.

Das war vor zwei Tagen. Roland meint, dass, wer immer es auch gewesen sei, mich wohl ein bisschen härter als geplant erwischt habe. Ich gehe davon aus, dass er nichts mit der Sache zu tun hat, ansonsten zöge ich angesichts der Chuzpe, hier mit einer Schachtel Pralinen in der Hand aufzukreuzen, meinen Hut. Er steht am Fenster und fragt, ob er etwas für mich tun könne.
«Ich werde bestens versorgt», sage ich.
«Gut. Ich muss dann mal wieder.»
Hartes Licht fällt auf die weißen Betten. Meine Nase und das rechte Jochbein tun weh, den Zimmergenossen plagt ein schlimmer Husten. Ansonsten ist es ganz okay hier. Gestern hat mich Linda besucht, für einen Augenblick hat sie meine Hand gehalten. Bestimmt hat sie gedacht, dass ich wegen der Schmerzen weine. Armin hat mir eine Mail geschickt, in der er fragt, wann sie das Fernglas abholen könnten. Die Bilder von Turul, die er angehängt hat, sind wahrhaft schön. Mich versorgen zwei Krankenpfleger, der eine ist besonders nett. Ich habe ihn gefragt, ob man eine Darmspiegelung durchführen könne, wenn ich doch schon mal hier sei, aber in dieser Angelegenheit zeigen sie sich wenig flexibel.

 

Hallo @Peeperkorn,
spannende Geschichte. Ich bin selbst auf dem Dorf großgeworden, zwischen Grimmen und Stralsund, in Meck Pom, und kann nur bestätigen, was Du über die Dorfbewohner schreibst. Die Leute halten zusammen, sind misstrauisch gegenüber Fremden. Dass die Frau vom Amt den Besitzer des Autos informiert, kann ich mir vorstellen.
Der Held Deiner Erzählung wird wohl auch noch so eine Art linker Naturfreak gewesen sein, auch vom Äußeren. Damit macht er sich gleich verdächtig. Dort ist die Kleiderordnung sehr konservativ. Ich weiß noch, in welche Panik meine Mutter immer geriet, wenn ich von Berlin zu Besuch kam.
Alleine auf ein fremdes Dorf zu ziehen, ist sowieso eine schräge Idee. Sowas kann gut gehen, wenn man sich ein Haus baut und eine Familie hat, und die Kinder dort in die Schule gehen. Für Singles ist das nichts.
Die landschaftlichen Schönheit genießen dort meist nur die Touristen. Auch meine Heimatgegend, das Trebeltal, ein idyllisches Fleckchen Erde, ist nach der Wende von ihnen entdeckt worden. Die Einheimischen finden oft nichts dabei, ihre Umwelt zu zerstören, indem sie Sperrmüll im Wald entsorgen, auch wenn sie damit nur wenige Euros einsparen, denn die meisten sind geizig.
Gruß Frieda

 
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Hallo @Frieda Kreuz

Hab vielen Dank fürs Reinschauen und das Teilen deiner Erfahrungen. Ein bisschen übertrieben ist das natürlich schon alles, aber die Grundidee (A wird gerügt, weil er B dabei beobachtet hat, wie er illegal Müll entsorgt) habe ich so aufgeschnappt.

Hey @Henry K.

Auch dir vielen Dank für deinen Kommentar.

Insgesamt liest sich das gewohnt flüssig und elaboriert, für meinen Geschmack einen Tick zu rund, sodass mir, auch weil wir ja hier immer auch auf der analytischen Ebene sind, das eine oder andere Mal der Autor mit dem gespitzten Bleistift durchzuschimmern scheint, der sich den Kopf zerbricht, bis er das schönste Bild, die sprechendste Beschreibung oder den passendsten Ausdruck gefunden hat. Ist ja nichts Schlechtes. Im Gegenteil, man kann sagen, genau das macht die Kunst aus. Aber ein wenig geht einem Text dann das Spontane, das Erdige ab, was hier ja durchaus gut gepasst hätte.
Ja, so schlimm kann es nicht sein, elaboriert zu schreiben, mir gefällt es, wenn der Rhythmus stimmt, die Begriffe nicht abgenutzt sind, und verwende viel Zeit darauf, den passendsten Ausdruck zu finden. Es erzählt ja der Städter, daher habe ich hier auf das Erdige verzichtet. Wäre das personal erzählt, müsste man sich das nochmal überlegen.
Einen Wald schützen zu wollen, den man gerade erst zum ersten Mal betreten hat, ist geradezu anmaßend, finde ich.
Er meldet ja nur, was er gesehen hat. Finde ich jetzt nicht verkehrt. Danach lässt er sich da ein bisschen in die Geschichte reinziehen.
Immerhin: Die Freude am Leben soll ja so ab 50 wieder ansteigen und dann sogar noch später ihren absoluten Höhepunkt erreichen. Von daher vielleicht alles halb so wild.
So sehe ich das auch.
Und ist die Frau oder der Mann weg, sucht man sich jemand Neues mit Segelboot, der einen zur blauen Forelle einlädt
Das ist aber jetzt doch recht weit weg von diesem Text hier, finde ich. Der erzählt genau das Gegenteil.

Du weißt, was du hier tust, aber hast du bedacht, dass man das "der" (markiert) zunächst als Relativpronomen lesen könnte (mir so passiert), das sich dann auch noch entweder auf "Heißluftballon" oder auf "Gott" beziehen kann?
Ja, ich hab mir gedacht, es sind ja nur drei Buchstaben, dann merkt man, dass das ein Artikel ist. Mal schauen, ob noch wer stolpert.
Komma vor "aber" (habs sogar noch mal nachgeschlagen, und es muss gesetzt werden, weil "ein Wort gegenübergestellt wird").
Danke dir!
ich lese "die drei" hier nicht als Ellipse ("die drei Vögel") und würde daher "Drei" gross schreiben. Hat auch etwas mehr Aussage, weil die Vögel dann vom Tier zu einer Art Person werden.
Ich glaube eher, dass die Vögel dann zu einer Zahl werden :D. Man schreibt das nur gross, wenn die Zahl gemeint ist.
WTF? Kann man so einfach Fahrer ermitteln in der CH?
Yep! Früher gab es sogar ein Büchlein, in dem man das nachschlagen konnte, wenn ich mich richtig erinnere.

Merci nochmal und vielen Dank!

Lieber Gruss euch beiden
Peeperkorn

 
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Hey @Henry K.

Hm. Ich denke, du hast eine unzuverlässige Quelle erwischt. Hier sind bei allen relevanten Beispielsätzen eben Zahlen gemeint. "Er setzte alles auf die Vier". Ich halte mich bei solchen Fragen doch lieber an den Duden. Da (D78) wird zunächst die Regel formuliert, dass weibliche Substantivierungen gross geschrieben werden ("Eine Sechs würfeln") und danach die Regel, dass ansonsten alle Zahlwörter unter einer Million klein geschrieben werden. (Später kommen dann die Ausnahmen hundert, tausend, dutzend, die auch gross geschrieben werden können.) Unter anderem werden folgende Beispiele genannt, ohne dass Ellipsen erwähnt wären.

  • Alle vier waren jünger als zwanzig.
  • Es hatten sich an die fünfzig gemeldet.
Hier eine Seite, die noch etwas expliziter auf den hier vorliegenden Fall eingeht: https://www.annika-lamer.de/gross-oder-klein-die-richtige-schreibweise-von-zahlwoertern/

Ich bleibe dabei, dass ich, wenn ich schreiben würde: "Ich fragte die Drei, ob ich auf eigene Faust ermitteln sollte", der Prota eine Zahl fragen würde.

Der erste Satz meines Totentanzes lautet übrigens: "Diese drei hat er noch nie gesehen." Ich weiss noch, wie mich mein Lektor darüber aufgeklärt hat, dass man das klein schreiben muss. :D

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Haha, sehr schön gefunden, das habe ich befürchtet. :D Vielleicht galten 1955 aber auch andere Regeln. Ja, unser aller letzte Hoffnung weiss da vielleicht mehr.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo @Peeperkorn,

das habe ich sehr gerne gelesen. Ich genoss die Ruhe und das Ländliche, die Natur, im Text. Ich habe auch das Gefühl, das ist eine neue Stimme von dir, auch einen Ich-Erzähler habe ich lange nicht von dir gelesen. Das schreit ja alles nach einer Verlängerung des Textes, es liest sich wie der Einstieg einer längeren Geschichte. Mir gefällt die schnörkellose Sprache, da kann man sich entspannen und reinlegen, deinem Erzähler einfach folgen. Das ist sehr gut gemacht.
Wenn man so will, ist dieser Text sehr klassisch erzählt, und das meine ich ausschließlich positiv. Dein Prot hat einen Grundkonflikt, ist in einer Lebenskrise, er zieht aufs Land und entdeckt sich und die Welt neu. Gleichzeitig geht es handfest zu, Reifenschlitzen, Überfall. Das ist bis jetzt ein guter Mix aus Langsamkeit und Action.
Das Rinderherz vor seinem Haus zu Beginn ist eine schöne Versinnbildlichung für seinen eigenen emotionalen Zustand, der Zustand seines Herzens. Ja, eine gute Mischung, ich würde auch weiterlesen.

Beste Grüße
zigga

 
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Lieber @zigga

Es freut mich sehr, dass dir das Ding zusagt. Sehr. In deinem kurzen Kommentar steckt viel drin:

Ich habe auch das Gefühl, das ist eine neue Stimme von dir
Ja, das war eine der Hauptabsichten, neue Erzählstimme ausprobieren, eine leicht ironische, vor allem aber auch mal eine, bei der ich mich nicht künstlich einschränken muss und "nach Erhabenheit dürsten" und "Chuzpe" schreiben darf, ohne gleich aus dem Register zu fallen.
Mir gefällt die schnörkellose Sprache, da kann man sich entspannen und reinlegen, deinem Erzähler einfach folgen. Das ist sehr gut gemacht.
Insofern freut mich das natürlich sehr. Ich bin weiterhin der Ansicht, dass die Sprache nicht zum Selbstzweck werden sollte (was mein Schreiben angeht), auf der anderen Seite darf ein Satz schon auch mal gut klingen und über mehr als zwei Zeilen gehen, finde ich.
Wenn man so will, ist dieser Text sehr klassisch erzählt, und das meine ich ausschließlich positiv. Dein Prot hat einen Grundkonflikt, ist in einer Lebenskrise, er zieht aufs Land und entdeckt sich und die Welt neu.
Ja, ich habe seit langem wieder mal ganz bewusst eine klassische Plotstruktur verfolgt (Entdeckungsplot).
Gleichzeitig geht es handfest zu
Ich wollte den einen Plot aber noch etwas anreichern und einen zweiten Erzählstrang einflechten, mit zwei Schnittstellen (1. Der Prota glaubt, A steht vor der Tür, es ist aber B. 2. Der Prota glaubt, B steht vor der Tür, es ist aber A). Da war ich mir nicht sicher, ob das klappt, aber cool, dass du das als guten Mix wahrnimmst.
Das schreit ja alles nach einer Verlängerung des Textes
Ich denke, ich probiere mal noch ein paar Dinge aus, bevor ich wieder etwas Grösseres angehe. Aber ja, ist mir auch kurz durch den Kopf, dass sich das allenfalls ausbauen lässt. Mein Hauptidee ist aber vorerst: Schreiben, schreiben, schreiben und in ein paar Monaten schauen, ob sich daraus etwas ergibt.

Danke dir sehr für diesen Kommentar, zigga!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Lieber @Peeperkorn
Ein schönes Stück, mags total, auch weil es mich an meine coming age Zeit auf dem Lande erinnert. Der (Kuh-)Güllegeruch, der, wo immer er auftaucht, Heimatgefühle in mir auslöst. Klingt komisch, ist aber so.

Über den Wipfeln des angrenzenden Waldstreifens schwebte ein Heißluftballon, gleich einem Gott, der Passagierkorb voll mit Touristen, die ihre Blicke über die Garanten der Schweizer Ernährungssicherheit schweifen ließen, über die moosbewachsenen Hangare des Militärflughafens, oder, falls es sie nach Erhabenheit dürstete, über den Gerschensee, dessen Oberfläche an windstillen Junitagen gebürstetes Aluminium ist.
Boah, welch Monstersatz zum Auftakt. Leider bin ich darin zweimal gestolpert.

- "gleich einem Gott" kann ich nicht in Einklang mit einem ruhig über allem dahinschwebenden Luftfahrzeug in EInklang bringen, ist aber mein Problem.
- "gebürstetes Aluminium ist". Obwohl ich den Anblick nachvollziehen kann, klingt es für mich irgendwie holprig.
Vorschlag: ... dessen Oberfläche an windstillen Junitagen an gebürstetes Aluminium erinnert.

Vor mir auf dem Tisch lag die Berner Zeitung und daneben eine Broschüre zur Ü50-Darmkrebsvorsorge, deren Kosten der Kanton zu übernehmen versprach, ein verlockendes Angebot angesichts meiner finanziellen Lage.
Sieh mal an, ist anscheinend im Kt. Bern ab Juni 2022 möglich. Wenn ich das gewusst hätte, musste ich nämlich die Untersuchung noch selbst berappen, bin aber trotzdem froh, es gemacht zu haben, da ein grösserer Polyp entfernt werden konnte. (Nur so als positiver Input zu deinem eingebauten Gesundheitsthema :))

auch wenn ich mir damit ein für alle Mal eingestanden hätte, die fünfzig überschritten zu haben.
Ja, ja, immer dieses Augen verschliessen vor der Realität.

War ich bereit, den seligen Zustand der Unwissenheit aufs Spiel zu setzen, nur um im Fall der Fälle das eine oder andere zusätzliche Jahr den bereits hinter mich gebrachten anzuhängen?
Wieder dieses "was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss". Oder viel mehr die Angst vor einer möglicherweisen unangenehmen Wahrheit?

Jeder Mensch mit einem gewissen Sinn für Chancen und Notwendigkeiten wäre in der Lage gewesen, mir einen Rat zu geben, doch wie so oft verspürte ich kein Bedürfnis, einem Dilemma zusätzliches Gewicht zu verleihen, indem ich mit anderen darüber sprach.
Oder einfach Angst, die vorgefasste Meinung, es bestehe ja keine Notwendigkeit, von anderen Personen um die Ohren gehauen zu bekommen.

Prompt lugte die Broschüre zwischen den Seiten hervor, verharrte für eine Sekunde, bevor sie zu Boden glitt und zwischen verstreuten Cornflakes und Flaschendeckeln zu liegen kam.
Ha, sogar das Faltblatt schreit: nun mach endlich einen Termin! und wie beiläufig wird die leicht versiffte Alt-Junggesellenbude erwähnt. Und damit habe ich deinen Erzähler entgültig plastisch vor mir.

Theophanie musste ich googeln, was mich aus dem Text riss. Da war sie wieder, die Göttliche Erscheinung, immer noch (für mich) schwer vereinbar mit der ruhigen Szenerie in der Abenddämmerung.

der Geruch von Gülle entfaltet eine eigentümlich angenehme Wirkung, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat
Stimmt. Absolut. Ist so. :D

Am Tag meines Umzugs lag auf dem Fußweg, der zum Bauernhaus führt, ein blutiger Klumpen Fleisch. Ich befürchtete, dass es sich dabei um einen grotesken Willkommensgruß handelte, doch Roland, dem das Anwesen gehört, beruhigte mich. Gelegentlich biete er den hiesigen Greifvögeln ein Rinderherz dar, und ab und zu lasse ein Milan oder ein Bussard ein Stück seiner Mahlzeit fallen.
Klasse. Diese ambivalente Gefühle beim Anblick des Fleischklumpens. Willkommen auf dem Lande, FREMDER. Und den Roland mag ich sofort, den stelle ich mir so als 190 cm grosses, bärtiges Faktotum der Dorfgemeinschaft vor.

Ich mochte die dunklen Gesellen mit ihren stechenden Augen, sie wurden meine ersten Freunde in der neuen Heimat und blieben die einzigen.
Eine weitere Charakterisierung deines Erzählers. Sucht die Ruhe auf dem Lande, ohne sich gross integrieren zu wollen. Gekommen um zu bleiben, aber bitte nach seinen Regeln. Ärger ist vorprogrammiert.

«Wie geht es weiter?», fragte ich.
«Wir lassen es wegräumen.»
«Bestimmt lässt sich herausfinden, wem das Zeug gehört.»
«Mit einer DNA-Analyse?» Sie lächelte, ich war mir nicht sicher, wie ernst ihre Frage gemeint war.
«Etiketten, Adresskleber, irgendwas», sagte ich und erwähnte, dass mir kurz vor meiner Entdeckung ein weißer Toyota entgegengekommen war.
«Ein weißer Toyota», wiederholte sie.
:D Mir gefällt hier die Authentizität des Dialogs. Da kommt einer mal eben aus der Stadt und erklärt der Frau vom Amt, wie sie ihren Job zu machen habe. Blöd, dass ihr Mann am Abend die ganze Story am Jass-Stammtisch auspoltert und alle auf die stadtmüden Zuzüger schimpfen, die keine Ahnung haben, wie das hier bei uns läuft. Und Henä, genau dem Aschi sein Ghilfsmann, der mit der kurzen Zündschnur, stürzt sein Bier runter, knallt den Krug auf den Tisch und ruft "den sollte man selber in einen Abfallsack stopfen und dann einmal Bern einfach" und ja, so könnte das ganze in Fahrt gekommen sein ... hmm, Kopfkino.
füllte zwei Gläser mit Zwetschgenschnaps, der in der Gegend ein alternatives Frühstück darzustellen scheint.
Hm? Nicht, dass ich illegale Müllentsorgung und kriminelles Fremdlüften gutheissen will, aber diese leicht arrogante Haltung gegenüber der einheimischen Landgemeinschaft, wo er ja durch die Wahl seiner neuen Heimat auch dazugehören wird/sollte, stört mich. Aber das soll vielleicht so sein, der Erzähler ist mir in dem Moment einfach entfallen.

«Es geht wohl ums Prinzip», sagte Roland, räumte die Gläser weg und riet mir, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
«Mache ich», sagte ich, ging nach oben, rief die Rektorin an, um ihr mitzuteilen, dass ich es nicht zum Unterricht schaffen würde, und danach die Polizei, um Anzeige zu erstatten.
"Es geht wohl ums Prinzip" kann man auf zwei Arten verstehen: "Kümmere dich um deine Angelegenheiten" oder "wie man in den Wald ruft". Ich mag den Roland, he, he.
Und dann doch ne Anzeige, soviel zum "auf sich beruhen lassen".

Am frühen Abend kam ein Beamter vorbei, sah sich den Schaden an und prüfte, ob der Wagen ansonsten in Ordnung war.
Und wenn die Reifen abgefahren wären, gäbs jetzt noch eine Busse – und Gelächter am Stammtisch. Fräulein, noch einen halben Weissen.

Auch ich blieb gefasst, insgeheim war ich sogar froh darüber, dass die Spannung erhalten blieb, denn zu jenem Zeitpunkt war der Fluss meines Lebens gerade dabei, sich zu einem Rinnsal auszudünnen.
Tragisch. Statt einen Neuanfang mit neuen Menschen zu wagen, versinkt der Erzähler lieber in Selbstmitleid und zieht sich immer mehr in seinem Stöckli unter die enge Dachschräge zurück.

der Handstaubsauger, den ich mir zum Einzug gekauft hatte, verstaubte auf dem obersten Brett des Bücherregals.
Eigentlich eine Wortwiederholung und doch so treffende Ironie.
Ev. nur der Handsauger?

«Man redet über dich», sagte Roland.
«Warum?»
«Weil du mit einem Notizblock in der Hand auf Parkplätzen herumstehst.»
«Ist nicht verboten, oder?»
«Lass es sein.»
Herrlich. Eigentlich spielt Roland hier den Mediator, ohne viel zu sagen, kleiner Wink mit dem Zaunpfahl, aber der Erzähler will nicht hören und so nimmt das Unglück seinen Lauf.

Ich dachte darüber nach, zum Zeichen meiner Aufgabe eine weiße Fahne ins Fenster zu hängen, fand die Idee schließlich aber doch zu albern.
Ja, dann geh doch endlich auf ein Feierabendbier und zahl ne Runde und sagst, du versuchest einen Neuanfang, hier heimisch zu werden, Mann, ehrlich! :D

und es sang eine Goldammer, wie mir Verena erklärte.
«Man kann es sich ganz einfach merken. Wie, wie, wie hab ich dich lieb. Hören Sie?»
Ha und ich dachte immer, das seien die Grünfinken vor meinem Fenster. Goldammer, aha. Wieder was gelernt. Überhaupt hält dein jüngstes Hobby oft Einzug in deine Geschichten. Schön, mag ich.

Nachdem sie weggefahren waren, setzte ich mich an den Tisch und wollte mir ein Glas Wein gönnen. Doch mich erfasste eine Unruhe und so begann ich, die Wohnung aufzuräumen, kratzte Krusten von Tellern, spülte Gläser, wischte den Boden.
Prima, es besteht noch Hoffnung. Da hat der Besuch wohl jemandem die Augen geöffnet.

Verena und Armin waren zurückgekommen, um das Fernglas zu holen. Ich schnappte es mir, rannte die Treppe hinunter, öffnete die Tür und blickte ins Gesicht von Micky Maus.
Klassischer Twist, sehr schön. Alle Vorsicht dahin, weisse Fahne im Keller, Krimi aus dem Sinn und – BAMM!

Roland meint, dass, wer immer es auch gewesen sei, mich wohl ein bisschen härter als geplant erwischt habe.
Ui, wenn das mal kein Wink mit dem ganzen Gartenzaun ist. Roland wusste schon lange, dass was im Busch war.

Ich habe ihn gefragt, ob man eine Darmspiegelung durchführen könne, wenn ich doch schon mal hier sei, aber in dieser Angelegenheit zeigen sie sich wenig flexibel.
Dieser sarkastische Schlusssatz passt total, denn der Erzähler bleibt seiner fordernden Haltung treu und wird weiterhin einen schweren Stand haben im Dorf am göttlichen Gerschensee. Aber noch ist nicht aller Tage Abend ... (Fortsetzung willkommen.) ;)

Sehr gern gelesen, danke für diese eingängige, aber fein beobachtete Geschichte.
Liebe Grüsse, dot

 

Lieber @Peeperkorn,

je öfter ich deine Geschichte lese, desto stärker tritt für mich der Humor in den Vordergrund und ich hoffe, du hast das auch so gedacht. Es gibt so eine Postkarte, da liest ein Mann einen Brief: "Alles Scheiße, deine Elli" und er denkt: "Etwas knapp formuliert, aber inhaltlich stimmig."
Diese Art, wie dein Erzähler so lakonisch und distanziert von seinem Unglück erzählt ist schon wunderbar schräg. Am Ende dachte ich auch, einen Ticken mehr und es wäre noch eine Totentanzgeschichte geworden.

Die Theophanie im Licht der Abendsonne setzte sich fort, der Ballon war noch etwas höher gestiegen. Ich atmete kräftig ein – der Geruch von Gülle entfaltet eine eigentümlich angenehme Wirkung, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat
Schön, die Theophanie und die Gülle so dicht beeinander.
Die Distanz zu Bern war groß, doch da sich mein Unterrichtspensum weiterhin auf wenige Lektionen beschränkte – es tut mir leid, aber da lässt sich nichts machen – brauchte ich die eineinhalbstündige Fahrt zur Wirtschaftsschule bloß zweimal die Woche auf mich zu nehmen, vorbei an Schildern, die vor Wildwechsel warnen, und Wahlplakaten, auf denen sich SVP-Politiker präsentieren, die Gesichter blass und feist, die Krawatten so eng um die Hälse gezogen, dass man ihnen zu Hilfe eilen möchte.
müsste das nicht auch in der Vergangenheitsform sein?
Am Tag meines Umzugs lag auf dem Fußweg, der zum Bauernhaus führt, ein blutiger Klumpen Fleisch. Ich befürchtete, dass es sich dabei um einen grotesken Willkommensgruß handelte, doch Roland, dem das Anwesen gehört, beruhigte mich.
:lol:
«Haben Sie vielen Dank. Wir kümmern uns um die Sache», sagte die Frau am Schalter und bat mich, die Stelle auf der Wanderkarte zu markieren, die sie mir zuschob.
«Wie geht es weiter?», fragte ich.
Oh ja. Wunderbar, ab jetzt lässt er nicht mehr los, wie ein Terrier. Ich finde es voll richtig, dass er die Müllkippe meldet, denn sowas finde ich zum Kotzen und rücksichtslos gegen Mensch und Natur. Aber bei ihm verselbstständigt sich das ja nun.
«Nichts. Könnte auch einer von auswärts gewesen sein.»
«Davon bin ich eigentlich ausgegangen. Bis vor fünf Minuten.»
Roland nickte. «Es gibt viele weiße Autos. Ein Toyota, sagst du? Bist du dir auch sicher?»
Roland weiß schon, wer das war.
Ich wartete zehn Tage, dann meldete ich mich bei der Dienststelle Gerschen,
Hat auch was von Loriot.
Der Mann am anderen Ende der Leitung blieb gefasst und gab mir zu verstehen, dass er sich dazu nicht äußern könne. Auch ich blieb gefasst, insgeheim war ich sogar froh darüber, dass die Spannung erhalten blieb, denn zu jenem Zeitpunkt war der Fluss meines Lebens gerade dabei, sich zu einem Rinnsal auszudünnen.
Süß, diese Selbsterkenntnis, wie er unumwunden zugibt, dass er halt eine Leere zu füllen hat.
Ich spielte mit dem Gedanken, Linda anzurufen und sie zu fragen, wie es ihr ging.
Auch schön. Immer diese altruistischen Anrufe. :D
Nach dem Gespräch mit der Dienststelle fragte ich die drei, ob ich auf eigene Faust ermitteln sollte. Sie drehten die Köpfe zu mir.
Und das hat ein bisschen was von der Muppetshow.
«Möchten Sie sich setzen?», fragte ich. «Es hat Kaffee
Ungewöhnlich. Ich kenne nur. "Es gibt Kaffee."
Ich wollte, dass die beiden noch etwas bleiben, doch mir fiel nichts ein, worüber wir sprechen konnten. Mein Blick fiel auf die Broschüre, die am Boden lag. Ich hob sie hoch und legte sie auf den Stapel Altpapier.
«Hab’s mir überlegt», sagte ich. «Aber ist wohl nichts für mich.»
Ja und diese Sehnsucht, verbunden mit sozialer Unbeholfenheit, das ist auch schön.
Fünf Minuten später versuchte ich es erneut und in jenem Augenblick klingelte es an der Tür. Verena und Armin waren zurückgekommen, um das Fernglas zu holen. Ich schnappte es mir, rannte die Treppe hinunter, öffnete die Tür und blickte ins Gesicht von Micky Maus.
Das finde ich nicht so gut. Ich überspringe hier innerlich die Beschreibung, dass er erst zur Tür geht. Für mich hat er also jetzt schon die Tür geöffnet und da stehen die beiden schon. Dabei denkt er das ja nur. ich verstehe, dass du die Überraschung richtig fett haben willst, aber das ist ja einfach falsch, das würde für mich allenfalls im Präsens funktionieren.
Ich gehe davon aus, dass er nichts mit der Sache zu tun hat, ansonsten zöge ich angesichts der Chuzpe, hier mit einer Schachtel Pralinen in der Hand aufzukreuzen, meinen Hut.
Herrlich!
Hartes Licht fällt auf die weißen Betten. Meine Nase und das rechte Jochbein tun weh, den Zimmergenossen plagt ein schlimmer Husten. Ansonsten ist es ganz okay hier.
:lol:
Ich habe ihn gefragt, ob man eine Darmspiegelung durchführen könne, wenn ich doch schon mal hier sei, aber in dieser Angelegenheit zeigen sie sich wenig flexibel.
Ja, eine schöne Figur hast du hier kreiert, ich habe mich gut amüsiert, gerade, weil es da auch einen traurigen Hintergrund gibt, seine trostlose Lage, seine Unbeholfenheit, seinen Trotz und die Sprache, in die er sich rettet.

Liebe Grüße von Chutney

 

Lieber @Peeperkorn,

ich gestehe, dass ich mich erst jetzt melde, obwohl ich schon vor Tagen ein Drittel deiner Geschichte gelesen hatte, aber dann bin ich davon abgekommen und heute lese ich zum zweiten Mal und bin hell begeistert.
Nur am Rande möchte ich erwähnen, dass ich keine der bisherigen Kritiken kenne. Aber ist ja auch egal, wenn ich vielleicht genau das wiederhole, was schon alle vorher geschrieben haben. Es bleibt ja dennoch mein Feedback für dich.

Mir gefällt die Mischung, also der Mix in deiner Geschichte: zum einen die brutal schon fast kitschige ländliche Idylle mit blühender Landschaft, Milanen, Goldammern, Bergen und man meint fast im Hintergrund Heidi ein Liedchen trällern zu hören. Und dann die Genießer dieser Landschaft, die Milanbeobachter, wobei du bereits bei dem Pärchen mit kritischem Auge darauf schaust, wer von den beiden der eigentliche Beobachter ist, Sammler sind sie jedoch beide.

Dann mischt du den Bruch dazwischen, die ländliche Idylle hat Risse, da wirft jemand Müll in die schöne Gegend, zerstört damit das Bild und erst recht die doch eigentlich gelassen wirkenden Landbewohner, die sind von einer kriminellen Energie gesteuert, dass einem Angst und Bang werden kann. Und die Vetternwirtschaft, man ahnt, der Müllfrevel wird nie aufgeklärt werden, schon gar nicht das Reifenstechen und am Ende natürlich auch nicht die Körperverletzung,.

Diese Schamlosigkeit, ungestraft davon zu kommen, schwebt über allem, diese unverhohlene Tatmitwisserschaft und das Verlogene, das Willkommenheißen des Fremden, der aber nur dann willkommen bleibt, wenn er sich komplett unterordnet unter das ureigene korrupte System dort auf dem Land. Herrlich miteinander verwoben.

Und dazwischen, als sei das alles nicht schon genug der vielfältigen Lebendigkeit, packst du noch die Frage, übrigens eine sehr männliche Frage, ob man sich einer Darmspiegelung unterziehen soll oder nicht und ob nicht doch eine Art Wiedervereinigung mit Linda möglich ist.
Mir hat die Figur deines Protagonisten gefallen, sein Handeln, seine teils stoische Art, seine teils fast schon beckmesserische Art, am Ball zu bleiben, aber dann doch auch das Loslassenkönnen, die Selbstreflexionen, seine Resümees, seine Leidensfähigkeit. Du zeigst von ihm so viele Charakterseiten wie deine Geschichte Aspekte hergibt. Er ist sympathisch gezeichnet. Ach und dabei fällt mir ein, dass ich zwischendrin dachte: 'Hat diese Geschichte gar jede Menge biographische Züge?' Nein, das muss ich nicht wissen.

Und als Letztes möchte ich auf diesen feinen, leicht ironischen Humor zu sprechen kommen, der mir sehr gut gefallen hat. Diese Selbstironie, die Ironie in Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse, das fügt sich wunderbar und gelungen in die Geschichte ein.

Über den Wipfeln des angrenzenden Waldstreifens schwebte ein Heißluftballon, gleich einem Gott, der Passagierkorb voll mit Touristen, die ihre Blicke über die Garanten der Schweizer Ernährungssicherheit schweifen ließen, über die moosbewachsenen Hangare des Militärflughafens, oder, falls es sie nach Erhabenheit dürstete, über den Gerschensee, dessen Oberfläche an windstillen Junitagen gebürstetes Aluminium ist.
Hier befindet sich der Text kurz vor Kitschalarm, aber das ändert sich ja dann später und wer man glaubt, du würdest jetzt in diesem Stil weiterschwärmen, der täuscht sich. Hab ich schon mitgeteilt, dass ich anfänglich zu dieser Sorte Leser gehörte? :Pfeif:
Die unentgeltliche Einführung eines Koloskops, was mehr konnte man vom Staat erwarten?
In einem einzigen Satz der Regierungsführung eins überzuziehen, aber eigentlich nur darüber reden, ob es sich für den Protagonisten lohnt, da mitzumachen oder nicht, ist feiner stechender Humor. Schon mal überlegt, eine Satire zu schreiben?
War ich bereit, den seligen Zustand der Unwissenheit aufs Spiel zu setzen,
Genau. Diese Frage hab ich mir auch schon oft bei diversen Untersuchungen gestellt. Lieber dumm, aber glücklich sterben und das vermutlich früher oder wissend im Auge der brutalen Realität um ein Stückchen mehr Lebenszeit kämpfen?
doch wie so oft verspürte ich kein Bedürfnis, einem Dilemma zusätzliches Gewicht zu verleihen,
Stimmt, oftmals bekommt man dann von den Bekannten und Freunden und Verwandten noch zusätzlich befremdliche und verängstigende Dinge gesagt, auf die man selbst noch gar nicht gekommen war. Selten, dass sie positive Dinge erwähnen, die einem entfallen waren.
der Geruch von Gülle entfaltet eine eigentümlich angenehme Wirkung, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat
Darüber hätte ich gern mehr gewusst, weil ich mich an diesen tonnenschweren süsslichen gülletypischen Geruch nicht gewöhnen könnte. Sicherlich wird er irgendwann etwas weniger stechend in der Nase, aber jedes Jahr wieder aufgefrischt mit neuausgeschiedenem Nachschub.
– sechzehn glückliche und zwei unglückliche Jahre lagen hinter uns –
Gefällt mir in einem Satz das zu erwähnen, wofür andere eine halbe Seite benötigen, ohne dass sie dazu mehr mitgeteilt hätten als du.
die Krawatten so eng um die Hälse gezogen, dass man ihnen zu Hilfe eilen möchte.
Schon wieder dieser Schlag gegen die Politiker. Sehr gelungen der Vergleich und erinnert mich an den Satz: Politik ist nur der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt. Diese Form der Ironie mag ich sehr.
Ich mochte die dunklen Gesellen mit ihren stechenden Augen, sie wurden meine ersten Freunde in der neuen Heimat und blieben die einzigen.
Auch wieder so ein eingedampfter Satz, der ganz ganz viel aussagt.
«Mache ich», sagte ich, ging nach oben, rief die Rektorin an, um ihr mitzuteilen, dass ich es nicht zum Unterricht schaffen würde, und danach die Polizei, um Anzeige zu erstatten.
Den Protagonisten mag man einfach gern. Er will eigentlich keinen Zoff, aber er hat seine Prinzipien und er schafft es, sie zu leben, wenn auch er immerzu deswegen Ärger bekommt. Auch hier schaffst du es wieder in einem Satz eine ganze Geschichte unterzubringen. Bringt Spaß, deine Sätze zu lesen.
prüfte, ob der Wagen ansonsten in Ordnung war.
Genau und womöglich, so wäre es jedenfalls hier in Deutschland, zu schauen, ob der TÜV abgelaufen ist oder das Reifenprofil nicht tief genug ist, um als allererstes mal den Bürger, der ihnen Arbeit beschert hat, ein wenig zusammenzustutzen. Es gibt diese, wenn auch seltene, Exemplare auch hier.
Auch ich blieb gefasst, insgeheim war ich sogar froh darüber, dass die Spannung erhalten blieb,
Wieder so ein sympathischer Zug an diesem Protagonisten. Er möchte eigentlich keinen Ärger, aber bevor er vor Langeweile umkommt, ist er lieber heldenmutig, damit ein wenig Strudel im Wasser umherwirbeln. Und das alles hat irgendwie eine gehörige Portion Humor.
Sankofas Schnabelansatz wies ein kräftigeres Gelb auf als das der anderen. Phönix plagte eine Verletzung, wie mir schien, seiner Handschwinge fehlte ein Finger.
Sankofas ist ein phantasiereicher Name, gefällt mir und überhaupt, wie wieder mit einem Satz drei Vögeln ein individuelles Leben eingehaucht wird. Man spürt, dass er etwas für sie empfindet.
und machte deren Besitzer mithilfe einer SMS-Abfrage ausfindig.
Oh, das kann man in der Schweiz? Hier nicht. Aber auch wieder so ein einfacher Satz und schon weiß man, dass der Protagonist gerade seine sture, akribische Seite auslebt und ahnt, in welcher Gefahr er nun wieder schwebt. Er wirkt stark selbstgefährdend sozusagen.
Ich dachte darüber nach, zum Zeichen meiner Aufgabe eine weiße Fahne ins Fenster zu hängen,
Herrlich, genau das würde man ihm glatt zutrauen.
und das keinen Anlass bot, eine Darmspiegelung als zwingend zu erachten.
Mir gefällt auch, dass du immer wieder so hie und da das Darmspiegelungsthema aufblitzen lässt. Es zieht sich somit konsequent durch die Geschichte und bleibt Thema.
«Sechshundert Millimeter, Blende vier. Hab dafür eine Niere verkauft.»
Hab dafür eine Niere verkauft, ist das so ein Sprichwortsatz in der Schweiz? Man versteht es natürlich sofort, was damit gemeint ist.
Das Fenster ließ ich offen, obwohl ich wusste, dass mich zur nächtlichen Strafe die Mücken aussaugen würden.
Wieder so ein Charakterzug an diesem sympathischen Protagonist. Weil er diese Leute nicht aussperren will vom sog. Milanbaum und das würde er, wenn er das Fenster schließt, nimmt er lieber eine verdorbene Nacht mit Mücken hin. Das nenn ich Liebe zum Mitmenschen.
, öffnete die Tür und blickte ins Gesicht von Micky Maus.
Da musste ich, weil ich mit dieser Wendung null gerechnet hatte, nochmals lesen, ob ich irgendwo was überlesen hatte, aber dem war nicht so. Gute Wendung.
Ich habe ihn gefragt, ob man eine Darmspiegelung durchführen könne, wenn ich doch schon mal hier sei, aber in dieser Angelegenheit zeigen sie sich wenig flexibel.
Da ist er wieder, dieser feine ironische Humor, denn natürlich weiß der Protagonist, dass sie ihm nicht en passent mal eben eine Darmspiegelung verpassen werden, wo er eh schon brach im Bett dort liegt. Aber er ist halt auch ein schräger Kopf.


Eine Peeperkorn-Kaleidoskop-Geschichte, so würde ich sie nennen, denn man muss sich nur an einer Ecke mehr mit einer Schilderung befassen, um das alles wieder in ganz anderen Formen und Farben zu sehen. Herrlich gemacht, gut komponiert, Hut ab. Du bist ab sofort in die Reihe meiner großen Vorbilder eingezogen, denen ich es gerne nachtun möchte.

Danke für diesen Lesespaß und die gute Unterhaltung, lieber Peeperkorn!


Lieben Gruß

lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber @dotslash

Hab vielen Dank für deinen Kommentar. Beim Lesen habe ich mich zuweilen gefragt, wie die Geschichte wohl herausgekommen wäre, wenn wir sie zu zweit geschrieben hätten. Auf alle Fälle hätten wir Spass dabei gehabt, allenfalls hätte ich dich etwas zügeln müssen in deiner Fantasie. :D

- "gleich einem Gott" kann ich nicht in Einklang mit einem ruhig über allem dahinschwebenden Luftfahrzeug in EInklang bringen, ist aber mein Problem.
- "gebürstetes Aluminium ist". Obwohl ich den Anblick nachvollziehen kann, klingt es für mich irgendwie holprig.
Vorschlag: ... dessen Oberfläche an windstillen Junitagen an gebürstetes Aluminium erinnert.
Ja, der Gottvergleich, ich weiss noch nicht. Ich hatte am Anfang nur diese Lanschaftsbeschreibung und sonst nichts. Jetzt steht sie immer noch recht unverändert da. Muss schauen, ob das passt. Und bei den Vergleichen dünkt es mich umgekehrt oft recht umständlich, das auszuschreiben: wirkte wie / glich / schien / erinnert. Und die Grossen machen es ja auch, die Gleichsetzung mit "ist". Aber ja, muss man sparsam einsetzen, denke ich.
Sieh mal an, ist anscheinend im Kt. Bern ab Juni 2022 möglich.
Ah, wusste nicht, dass das früher nicht gratis war. Die Broschüre liegt auf dem Pult, ich sollte mich mal drum kümmern, statt sie in Geschichten einzubauen. :hmm:
Theophanie musste ich googeln, was mich aus dem Text riss. Da war sie wieder, die Göttliche Erscheinung, immer noch (für mich) schwer vereinbar mit der ruhigen Szenerie in der Abenddämmerung.
Darüber denke ich noch nach. Kennst du die Szene in "Independence Day", wo das Raumschiffe über der Stadt schwebt? So stelle ich mir das vor: Er zeigt sich am Himmel, ist auf einmal einfach da und du zitterst, denn du weisst nicht, ob er wirklich nett ist.
Klasse. Diese ambivalente Gefühle beim Anblick des Fleischklumpens. Willkommen auf dem Lande, FREMDER. Und den Roland mag ich sofort, den stelle ich mir so als 190 cm grosses, bärtiges Faktotum der Dorfgemeinschaft vor.
Hat mir ein Mann erzählt, der hinter seinem Anwesen Greifvögel füttert. Offenbar ärgern sich ein paar Leute darüber, dass die Vögel ab und zu was fallen lassen.
Mir gefällt hier die Authentizität des Dialogs. Da kommt einer mal eben aus der Stadt und erklärt der Frau vom Amt, wie sie ihren Job zu machen habe. Blöd, dass ihr Mann am Abend die ganze Story am Jass-Stammtisch auspoltert und alle auf die stadtmüden Zuzüger schimpfen, die keine Ahnung haben, wie das hier bei uns läuft.
Auch das hat mir jemand erzählt, Müllentsorgung, wir verpetzen hier niemanden, das war so der Kern. Den Rest kann man sich gut ausdenken.
Hm? Nicht, dass ich illegale Müllentsorgung und kriminelles Fremdlüften gutheissen will, aber diese leicht arrogante Haltung gegenüber der einheimischen Landgemeinschaft, wo er ja durch die Wahl seiner neuen Heimat auch dazugehören wird/sollte, stört mich.
Ja! Als ich gestern morgen erwacht bin, wollte ich - damit ich es nicht vergesse - noch vor dem Kaffee diesen Satz löschen, und habe es dann vergessen. Ich bin zur selben Erkenntnis gekommen wie du. Danke, dass du mich darauf hingewiesen hast, in meinem Kopf war der nämlich gar nicht mehr da.
Und wenn die Reifen abgefahren wären, gäbs jetzt noch eine Busse – und Gelächter am Stammtisch. Fräulein, noch einen halben Weissen.
:D
Eigentlich eine Wortwiederholung und doch so treffende Ironie.
Ev. nur der Handsauger?
Ich habe eine Vierstelstunde rechercheiert, ob es nicht doch vielleicht ein Synonym zu Staubsauger gibt. Handsauger wäre was, aber den Ausdruck findet man nicht, ich weiss nicht, ob man das schreiben darf. Und wenn dann jemand kommt und sagt: "Genau genommen saugt ein solches Ding ja keine Hände!"?
Überhaupt hält dein jüngstes Hobby oft Einzug in deine Geschichten.
Ja, das ist lustig, das hätte ich nicht erwartet.
Prima, es besteht noch Hoffnung. Da hat der Besuch wohl jemandem die Augen geöffnet.
Das war (da eine Landschaftsbeschreibung ja noch keine Geschichte ist) der Ausgangspunkt der Story. Ein Entdeckungsplot, der liebevolle Umgang des Paars miteinander und mit ihm öffnet ihm die Augen. Ich dachte dann, dass die Kitschgefahr gross wäre, wenn ich nur darauf fokussierte, und wollte das entsprechend einbetten.
Sehr gern gelesen, danke für diese eingängige, aber fein beobachtete Geschichte.
Und danke dir für deinen Kommentar und das Weiterspinnen der Geschichte. Jetzt weiss ich, was da im Hintergrund alles noch gelaufen ist. :)

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Liebe @Chutney

So schön, dass du auch in diesen Text reingeschaut hast!

je öfter ich deine Geschichte lese, desto stärker tritt für mich der Humor in den Vordergrund
Das ist lustig, weil es mir beim Schreiben auch so ging. Je länger ich daran arbeitete, desto mehr kippte das ins Groteske. Den Humor-Tag zu setzen, habe ich mich dann aber doch nicht getraut, da legt man ja gleich eine Erwartungs-Latte. Ich habe auch gemerkt, dass mir das beim Schreiben sehr viel mehr Spass macht als das Schwermütige. Vielleicht ein Wendepunkt in meiner Entwicklung? :) Wobei ich ja vor allem auch bei den Totentänzen schon auch immer darauf geachtet habe, dass da noch eine Prise Humor mit dabei ist.
und ich hoffe, du hast das auch so gedacht.
Hehe. "Toller Witz, ich lach mich kaputt" - "Das war kein Witz." Stille.
wunderbar schräg
Ein sehr schönes Kompliment, so war es gedacht.
müsste das nicht auch in der Vergangenheitsform sein?
Gute Frage. Ich dachte, dass ich alles, was immer noch so ist, ins Präsens setze, so auch z.B. "Roland, dem das Anwesen gehört." Im Sinne von: Ich erzähle dir, dass ich gestern ins Schwimmbad fuhr, weisst du, in das schöne, das gleich neben einem Weiher liegt. Aber ich fand's auch seltsam, lustigerweise aber nur bei dieser Stelle. Danach habe ich es in die Vergangenheit gesetzt und dann klang es noch seltsamer, weil man sich dann fragen könnte, weshalb man die Schilder inzwischen weggeräumt hat.
Immer diese altruistischen Anrufe.
"Vermisst du mich?" :D
Und das hat ein bisschen was von der Muppetshow.
:)
Ungewöhnlich. Ich kenne nur. "Es gibt Kaffee."
Wieder mal der Dialekt. Wir sagen im Schweizerdeutschen. Es hat Kaffee (hier) und es gibt Kuchen (dort).
Ja, eine schöne Figur hast du hier kreiert, ich habe mich gut amüsiert, gerade, weil es da auch einen traurigen Hintergrund gibt, seine trostlose Lage, seine Unbeholfenheit, seinen Trotz und die Sprache, in die er sich rettet.
Das finde ich eine sehr schöne Charakterisierung des Protagonisten. Ich denke, das könnte mich schon noch reizen, die etwas traurige, sentimentale Grundierung beizubehalten, aber das in noch etwas mehr skurrilen Humor einzupacken.

Hat mich sehr gefreut, liebe Chutney, hab vielen Dank!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Liebe @lakita

Du kannst nicht ahnen, welche Freude du mir mit deinem Kommentar gemacht hast. Der Dienstag war - literarisch betrachtet, ansonsten alles gut - ein harter Tag, ich hab (nicht hier) ein gewichtiges Feedback zu einem mir wichtigen Text erhalten und das war nicht einfach zu verdauen. Insofern war es dann ein riesiger Aufsteller, deine Gedanken zur Geschichte zu lesen.

Und dazwischen, als sei das alles nicht schon genug der vielfältigen Lebendigkeit, packst du noch die Frage, übrigens eine sehr männliche Frage, ob man sich einer Darmspiegelung unterziehen soll oder nicht und ob nicht doch eine Art Wiedervereinigung mit Linda möglich ist.
Du bist die erste, die das so direkt anspricht. In meinem Kopf war das eigentlich das Zentrum des Textes und die Liebe ist ja auch titelgebend - Wie, wie, wie lieb ich dich hab singt die Goldammer und im Verlauf der Geschichte soll das auch der Prota merken. Er sieht dieses Paar, das zusammen alt geworden ist, und er hört, wie die Frau ihren Mann gebeten hat, die Untersuchung zu machen. Aber niemand bittet ihn, auf seine Gesundheit zu achten. So war das gedacht. Damit das aber nicht allzu sentimental wird, hab ich das auf ein Minimum eingedampft, Linda kommt nur in drei Sätzen vor. Und dann ist die "Nebenhandlung" auf einmal gewachsen und gewachsen und es hat Spass gemacht, dass sie jetzt vielleicht etwas dominiert. Schön zu sehen, dass Linda nicht ganz verloren gegangen ist. Für mich wieder mal ein Beispiel dafür, dass zwischen Textplanung und Rezeption sehr viel geschehen kann.
Ach und dabei fällt mir ein, dass ich zwischendrin dachte: 'Hat diese Geschichte gar jede Menge biographische Züge?' Nein, das muss ich nicht wissen.
Bunt zusammengewürfelte Schnipsel und viel Fiktion. Wir haben uns neulich mit einem Mann unterhalten, der hinter seinem Haus Greifvögel füttert, und er hat uns von der Müllentsorgung erzählt und davon, dass ihm danach gesagt wurde, hier verpetze man niemanden. Die Broschüre zur Vorsorge liegt auf meinem Pult.
Und als Letztes möchte ich auf diesen feinen, leicht ironischen Humor zu sprechen kommen, der mir sehr gut gefallen hat.
Das freut mich riesig.
In einem einzigen Satz der Regierungsführung eins überzuziehen, aber eigentlich nur darüber reden, ob es sich für den Protagonisten lohnt, da mitzumachen oder nicht, ist feiner stechender Humor. Schon mal überlegt, eine Satire zu schreiben?
Nur ganz kurz. Ich finde das wahnsinnig anspruchsvoll, unter keinem Genre X liest man so häufig "Aber das ist ja gar kein X!" wie bei der Satire.
Den Protagonisten mag man einfach gern. Er will eigentlich keinen Zoff, aber er hat seine Prinzipien und er schafft es, sie zu leben, wenn auch er immerzu deswegen Ärger bekommt.
Das freut mich. Der Versuch, seinen Figuren sowohl Stärken als auch Schwächen anzudichten, scheitert ja häufig an kleinen Details, sodass sich Leser:innen an einer Schwäche festbeissen.
Oh, das kann man in der Schweiz? Hier nicht.
Ja, mein Vater hat das früher (es gab eine gedruckte Ausgabe) oft gemacht, um herauszufinden, "welches Arschloch mir den Vortritt genommen hat."
Wieder so ein Charakterzug an diesem sympathischen Protagonist. Weil er diese Leute nicht aussperren will vom sog. Milanbaum und das würde er, wenn er das Fenster schließt, nimmt er lieber eine verdorbene Nacht mit Mücken hin. Das nenn ich Liebe zum Mitmenschen.
Das ist die einzige Stelle, wo sich eine kleine Lücke zwischen deiner Rezeption und meiner Absicht auftut. Er will das Fenster offenlassen, um die Goldammer zu hören, und weil er glaubt, dass die beiden dann länger bei ihm bleiben, bei ihm, dem jetzt so richtig bewusst geworden ist, wie einsam er hier auf dem Land und überhaupt ist.
Eine Peeperkorn-Kaleidoskop-Geschichte, so würde ich sie nennen, denn man muss sich nur an einer Ecke mehr mit einer Schilderung befassen, um das alles wieder in ganz anderen Formen und Farben zu sehen. Herrlich gemacht, gut komponiert, Hut ab.
Ach, ich hatte mir Sorgen gemacht, dass der Text überfrachtet ist mit Heissluftballons, Greifvögeln, Rinderherzen, Abflussrohren und Darmspiegelungen. Es ist sehr befriedigend zu lesen, dass du das anders siehst!

Hab vielen Dank für diesen lieben Kommentar und vielen Dank noch einmal für die Empfehlung!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

nur kurz, denn es gibt schon viele treffende Kommentare: Deine Geschichte hat mir unglaublich gut gefallen - die Landschafts- und Seelenbeschreibungen, die Mentalitäten von Stadt- und Landmenschen, die mit leichtem, feinen Humor gewürzten Schilderungen, hier schon gleich im ersten Satz:

silberne Jauchewagen glänzten in der Sonne
Das Schöne im Gewöhnlichen, und solches kommt immer wieder und nie unpassend.
:) Vielen Dank, war sehr, sehr schön zu lesen!

Grüße Eva

 

Hallo @Eva Luise Groh

Deine Geschichte hat mir unglaublich gut gefallen - die Landschafts- und Seelenbeschreibungen, die Mentalitäten von Stadt- und Landmenschen, die mit leichtem, feinen Humor gewürzten Schilderungen
Danke dir sehr! Es hat mir besonders viel Spass gemacht, diese Geschichte zu schreiben, ich hatte viel Freude mit den Figuren und der Erzählstimme. Mein Plan war es eigentlich, noch eine Weile mit verschiedenen Stimmen zu experimentieren und zu schauen, welche sich allenfalls für etwas Grösseres eignen würden. Inzwischen habe ich das Gefühl, ich hätte da schon was gefunden. Aber das läuft ja nicht weg. Mal schauen.
Das Schöne im Gewöhnlichen
Diese Formulierung mag ich sehr. Das sollte ich vielleicht noch etwas bewusster anstreben - ohne es zu übertreiben.

Vielen Dank für deinen Kommentar, der trotz seiner Kürze nicht so schnell vergessen gehen wird. Der kommt ins Krisenzeiten-Kästchen. :)

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo @Peeperkorn

Erneut eine sehr gut zu lesende Geschichte von dir. Verglichen mit dem Kreuztrichter empfinde ich sie etwas lebendiger.

Das ist natürlich auch den Themen geschuldet. Am Kreuztrichter beschäftigte sich mit dem Ableben, enttäuschten Erwartungen und Hoffnungen und war deshalb sehr stark auf das Innenleben des Protagonisten konzentriert.

Hier gibt es auch schöne psychologische Tiefblicke. Aber es dreht sich eher darum, wie man den sogenannten "Herbst des Lebens" gestaltet. Wie geht man damit um, wenn die "wilde" Jugend vorbei ist und man sich der eigenen Sterblichkeit immer mehr bewusst wird? Ein schwieriger Lebensabschnitt, weil man auf der anderen Seite ja immer noch für viele Aktivitäten fit genug ist. Aber man merkt eben zunehmend, dass man nicht mehr der jüngste ist und andere jetzt die Welt gestalten wollen. Zu alt für den gesellschaftlichen Wandel und zu jung zum sterben.

Sehr gelungen fand ich die Quasi-Krimi Handlung, die du mit eingebaut hast. Das gab der Geschichte dann nämlich diesen Antrieb und die Spannung, die im Kreuztrichter ein wenig fehlte. Der Plot war gut durchdacht und hat mich gefesselt. Und technisch gesehen schreibst du ohnehin sehr flüssig und spannend.

Einige Abschnitte möchte ich noch heraus greifen:

Die Felder waren bestellt, silberne Jauchewagen glänzten in der Sonne, verkuppelt mit Traktoren, an deren Reifen Brocken lehmiger Erde klebten. Über den Wipfeln des angrenzenden Waldstreifens schwebte ein Heißluftballon, gleich einem Gott, der Passagierkorb voll mit Touristen, die ihre Blicke über die Garanten der Schweizer Ernährungssicherheit schweifen ließen, über die moosbewachsenen Hangare des Militärflughafens, oder, falls es sie nach Erhabenheit dürstete, über den Gerschensee, dessen Oberfläche an windstillen Junitagen gebürstetes Aluminium ist.

Wahnsinn! Hier merkt man deine Schreiberfahrung. Jeder kennt die Regel für einen guten Einstieg in die Geschichte. Und du hast es hier perfekt geschafft, mich als Leser in die ländliche Umgebung zu ziehen. Auch wenn es ein beinahe kafkaesker Bandwurmsatz ist. Aber das ist individueller Stil. Und mit knappen Beschreibungen hätte es hier auch nicht funktioniert.

Die eigentliche Frage war allerdings eine andere: War ich bereit, den seligen Zustand der Unwissenheit aufs Spiel zu setzen, nur um im Fall der Fälle das eine oder andere zusätzliche Jahr den bereits hinter mich gebrachten anzuhängen?

Hier wird das eigentliche Thema auf den Punkt gebracht. Wie ich es schon erwähnte: Man merkt das eigene Alter. Aber das eigentlich Problem ist, dass man eventuell noch jede Menge Lebenszeit hat, um sein eigenes Älter werden zu betrauern.

Am Tag meines Umzugs lag auf dem Fußweg, der zum Bauernhaus führt, ein blutiger Klumpen Fleisch.

Und schon ein früher Hinweis: Hinter der Idylle lauert das Grauen. Ganz besonders in Kleinstädten und Dörfern, wie es uns auch ein Stephen King immer wieder gezeigt hat...

drei Schwarzmilane in den Fichten hinter dem Haus hocken und auf einen Baumstumpf starren

Und das nächste beunruhigende Bild. Die drei Reiter der Apokalypse. Sehr subtil, ich mag das!

Am folgenden Tag ging ich aufs Gemeindeamt und meldete den Fund.

Und es beginnt... Ich mag zwar alt sein, aber ich bin nicht senil! Und die Welt muss gefälligst ihre Ordnung haben! Also auf zum Gemeindeamt. Und damit wird er genau zu dem zeternden alten Mann der er eigentlich nicht sein wollte.

Man begreift dann auch schnell, dass es so kein gutes Ende nehmen kann. Und das Ende hat es dann auch in sich:

und blickte ins Gesicht von Micky Maus.

Sehr genial gelöst. Ich brauchte tatsächlich einen Moment, bis ich mir im Kopf das korrekte Bild zurecht gelegt hatte. Gerade das in uns verankerte, harmlose Bild der Micky Maus verwirrt zuerst. Nur um dann umso heftiger zu wirken.

Sehr gern gelesen. Hut ab vor deinem Talent!

Liebe Grüße
Rainbow Runner

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Rainbow Runner

Schön, dass du reingeschaut hast, hab vielen Dank für deinen Kommentar!

Verglichen mit dem Kreuztrichter empfinde ich sie etwas lebendiger. Das ist natürlich auch den Themen geschuldet. Am Kreuztrichter beschäftigte sich mit dem Ableben, enttäuschten Erwartungen und Hoffnungen und war deshalb sehr stark auf das Innenleben des Protagonisten konzentriert.
Sehr gelungen fand ich die Quasi-Krimi Handlung, die du mit eingebaut hast. Das gab der Geschichte dann nämlich diesen Antrieb und die Spannung, die im Kreuztrichter ein wenig fehlte.
Ja, Lebendigkeit ist ein gutes Stichwort. Am Kreuztrichter war ja sehr auf Trauer und Tod fokussiert und Lebendigkeit wäre dem Text eher abträglich gewesen - in gewisser Hinsicht. In anderer Hinsicht sind lebendige Texte natürlich interessanter, spannender und angenehmer zu lesen. Die werden auch gekauft, da muss man sich schon darüber im Klaren sein, was man will.
Wahnsinn! Hier merkt man deine Schreiberfahrung. Jeder kennt die Regel für einen guten Einstieg in die Geschichte. Und du hast es hier perfekt geschafft, mich als Leser in die ländliche Umgebung zu ziehen. Auch wenn es ein beinahe kafkaesker Bandwurmsatz ist.
Oder: Weil es ein Bandwurmsatz ist? :D Der Bandwurm hat hier im Forum nicht den besten Ruf, so meine subjektive Einschätzung. Ich habe viele Texte in einem knappen, reduzierten Stil geschrieben, aber solche Sätze wie dieser hier machen eindeutig mehr Spass.
Sehr genial gelöst. Ich brauchte tatsächlich einen Moment, bis ich mir im Kopf das korrekte Bild zurecht gelegt hatte. Gerade das in uns verankerte, harmlose Bild der Micky Maus verwirrt zuerst. Nur um dann umso heftiger zu wirken.
Danke dir! Ich war nicht sicher, ob das klappt, aber genau diesen Effekt wollte ich erzielen.

Auch dieser Besuch war mir eine Freude, hab vielen Dank dafür!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo @Peeperkorn,

ich hab die anderen Kommentare nur überflogen, daher sorry, falls sich was doppelt..

Hat mir ganz gut gefallen. Schönes Porträt von jemandem, der sich wegen einer Trennung so orientierungslos in der Schwebe befindet, zwischen vernünftig sein, sich zusammenreißen und sich gehen lassen (Sinnbild dafür für mich die Darmspiegelung), der sich nach Gesellschaft sehnt, aber sich halt auch hängenlässt (etwas verwahrloste Wohnung), und sich in in etwas eher Kleines reinsteigert (Müll-Fund). Gut geschrieben, geschickt aufgebaut, hält einen schön bei der Stange.

Der letzte Part (ab "Das war vor zwei Tagen.") hat mich zumindest beim ersten Lesen irritiert, dass man sich das so selbst zusammensetzen muss, und er wirkte auf mich auch ziemlich überhastet, so als hättest du da keine Lust mehr gehabt und das Ganze nur noch zu Ende bringen wollen. Beim zweiten Lesen war der Eindruck nicht mehr so stark. Ich weiß, da gibt es nicht viel zu erzählen, aber ein bisschen komisch finde ich es trotzdem noch, dass du da plötzlich so einen Zahn zulegst. Gerade wenn man den Anfang und das Ende der Story mal nebeneinanderlegt, sind die von der Schreibe her ja ganz anders.

Den Humor fand ich gut, aber ich frage mich, ob diese Stimme für diesen Prot plausibel ist. Das "Jetzt" ist ja im Krankenhaus, und dass er das Ganze jetzt schon so etwas augenzwinkernd erzählt - hm, jetzt sitzt ist er also schon irgendwie wieder fester im Sattel? Warum? Hat ihn der Schlag wieder zu Sinnen gebracht? ;)

Detailkram:

Über den Wipfeln des angrenzenden Waldstreifens schwebte ein Heißluftballon, gleich einem Gott, der Passagierkorb voll mit Touristen, die ihre Blicke über die Garanten der Schweizer Ernährungssicherheit schweifen ließen, über die moosbewachsenen Hangare des Militärflughafens, oder, falls es sie nach Erhabenheit dürstete, über den Gerschensee, dessen Oberfläche an windstillen Junitagen gebürstetes Aluminium ist.
Sehr langer Satz. Und am Ende fände ich z.B. "Gerschensee, dessen Oberfläche an windstillen Junitagen gebürstetem Aluminium gleicht" besser.

erwog ich, der Empfehlung nachzukommen, auch wenn ich mir damit ein für alle Mal eingestanden hätte, die fünfzig überschritten zu haben.
Intuitiv würde ich sagen: "eingestand". Denn er sagt ja, er erwog es, nicht, er würde es erwägen, also tut er es ja bereits.

Die Theophanie im Licht der Abendsonne setzte sich fort,
Musste ich nachschlagen. In der Folge fragte ich mich, warum der Prot so einen Begriff kennt (als Lehrer an einer Wirtschaftsschule). Wenn du das "gleich einem Gott" am Anfang und hier die Theophanie streichen würdest, würde mir nichts fehlen.

Als ich das Fenster zuzog und nach unten blickte, bemerkte ich
[...]
«Kann ich helfen?», fragte ich.
Hier bin ich kurz gestolpert, weil der in meiner Vorstellung das Fenster zuzog und dann nach unten blickte. Aber du meinst ja während.

Dachschräge, an der ich mir bereits bei der Besichtigung den Kopf stieß.
Intuitiv: gestoßen hatte, weil er ja in einem Rückblick ist.

dass man weder Hercule Poriot noch Sherlock Holmes heißen müsse
Poirot

und machte deren Besitzer mithilfe einer SMS-Abfrage ausfindig.
Hui, das ging aber fix und einfach.

Ich dachte darüber nach, zum Zeichen meiner Aufgabe eine weiße Fahne ins Fenster zu hängen
Hier fände ich "Kapitulation" besser.

hob das Ding in die Höhe, das ich für ein Abflussrohr gehalten hatte und an dessen Ende eine massige Kamera geschraubt war.
Wäre die Kamera im Verhältnis nicht eher winzig? Wär eigentlich noch lustiger. :D Aber dann funktioniert das "Stemmen" nicht mehr so gut:

und schaute zu, wie der Mann unten an der Ecke stehen blieb und das Objektiv in die Höhe stemmte. Es sah verflucht anstrengend aus.
:lol:

«Wollen Sie nach oben kommen?», fragte ich. «Da hätten Sie einen besseren Winkel.»
Das Licht der untergehenden Sonne färbte das Grün der Fichten zu Gold. Turul war unruhig geworden, aber sitzen geblieben. Er reckte den Kopf, drehte ihn hin und her. Nach einer Weile flog er auf und präsentierte sich auf einem anderen Ast.
«Noch besser», flüsterte der Mann.
Ok, das Nach-oben-Kommen findet hier hinter der Bühne statt. Hat mich etwas irritiert und es fühlte sich an, als hättest du ein kleines Stück vorgeskippt.

«Vögel sind ihre Leidenschaft?»
Ihre

Der Mann zog das Objektiv zurück, schraubte die Gegenlichtblende ab und setzte den Deckel auf die Frontlinse.
Hm, da der Prot das Objektiv erst mit einem Abflussrohr assoziiert, dachte ich, dass der nicht viel Ahnung von Kameras etc. hat. Hat er aber anscheinend doch.

nachdem ich die Sitzfläche eines Hocker von
Hockers

und Armin zeigte uns auf dem LCD-Display seiner Kamera die Bilder,
Auch hier scheint er Ahnung von Kameras(/Technik) zu haben ("Display" würde ja im Grunde reichen).

Ich wollte, dass die beiden noch etwas bleiben, doch
blieben, würde ich sagen

Hat Spaß gemacht.
Viele Grüße
Maeuser

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Maeuser

Vielen Dank dafür, dass du reingeschaut hast. Schön, dass dir der Text Spass gemacht hat. Deine kritischen Anmerkungen treffen ins Schwarze und ich werde die total elegant aufnehmen. Ich habe mich nämlich inzwischen dazu entschlossen, den Text zu erweitern, und damit wird sich das eine oder andere automatisch erledigen.

Den Humor fand ich gut, aber ich frage mich, ob diese Stimme für diesen Prot plausibel ist. Das "Jetzt" ist ja im Krankenhaus, und dass er das Ganze jetzt schon so etwas augenzwinkernd erzählt - hm, jetzt sitzt ist er also schon irgendwie wieder fester im Sattel?
Ja, guter Punkt. In der erweiterten Fassung wird die Geschichte weiterhin im Präterium erzählt werden, die geht dann allenfalls erst richtig los. Ich werde das eventuell auch hier noch anpassen.
Der letzte Part (ab "Das war vor zwei Tagen.") hat mich zumindest beim ersten Lesen irritiert, dass man sich das so selbst zusammensetzen muss, und er wirkte auf mich auch ziemlich überhastet, so als hättest du da keine Lust mehr gehabt und das Ganze nur noch zu Ende bringen wollen. Beim zweiten Lesen war der Eindruck nicht mehr so stark. Ich weiß, da gibt es nicht viel zu erzählen, aber ein bisschen komisch finde ich es trotzdem noch, dass du da plötzlich so einen Zahn zulegst.
Ebenfalls einverstanden. Für mich war das hier nach der Krise nur noch die Konequenz und ich finde, die sollte in den meisten Fällen knapp gehalten werden. Aber das ist hier schon sehr hastig. Das ist auch die erste Szene, die ich ausbauen werde, Lindas Besuch zum Beispiel erzählen und auch Roland noch genauer charakterisieren. Also das Tempo der Vogelbeobachterszene ungefähr beibehalten. Es ist dann aber klar, dass der Text noch weitergehen muss.
Musste ich nachschlagen. In der Folge fragte ich mich, warum der Prot so einen Begriff kennt (als Lehrer an einer Wirtschaftsschule). Wenn du das "gleich einem Gott" am Anfang und hier die Theophanie streichen würdest, würde mir nichts fehlen.
Ein Darling kurz vor dem Tod. Ich schaffe es nur noch nicht, abzudrücken.
Hm, da der Prot das Objektiv erst mit einem Abflussrohr assoziiert, dachte ich, dass der nicht viel Ahnung von Kameras etc. hat. Hat er aber anscheinend doch.
Guter Punkt. Ich denke, dass ich den Prota noch dazu bringen werde, Vögel zu fotografieren. Damit wäre die Frage dann im Rückblick geklärt. Aber das LCD habe ich mal rausgenommen.

Intuitiv: gestoßen hatte, weil er ja in einem Rückblick ist.
Ja!
Hier fände ich "Kapitulation" besser.
Ich auch!
Wäre die Kamera im Verhältnis nicht eher winzig? Wär eigentlich noch lustiger.
Kommt ein wenig auf das Modell an. Ich habe das massig aber mal gestrichen, damit man sich hier keine Gedanken machen muss.
Ok, das Nach-oben-Kommen findet hier hinter der Bühne statt. Hat mich etwas irritiert und es fühlte sich an, als hättest du ein kleines Stück vorgeskippt.
Mein Bestreben ist, das Langweilige (Er öffnete die Tür und trat ins Bad. Dann schraubte er den Deckel von der Tube und strich ein wenig Zahnpaste auf die Bürste. Während er sich die Zähne putzte, fiel ihm ein ...) möglichst kurz zu halten. Das führt manchmal zu etwas abrupten Übergängen. Muss mir das noch mal durch den Kopf gehen lassen.
Die anderen Fehler habe ich korrigiert, merci für die genaue Lektüre!

Gute Anmerkungen, genau zum richtigen Zeitpunkt! Ich danke dir!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Peeperkorn,

da kommt einer aufs Land und anstatt in einen Verein zu gehen, um die Dörfler kennenzulernen, fällt dem nix besseres ein als einen - wahrscheinlich - hiesigen Unhold anzuzeigen, nur weil er Müll im Wald abgeladen hat.
Also wenn der so anfängt, ist ja klar, dass es sicher bald mit dem wieder wegen etwas anderem Ärger geben könnte. So jemand kann keiner im Dorf gebrauchen, der muss weg! Und wenn es nicht reicht, wenn ihm die Reifen zerstochen werden, kriegt er halt eins auf die Fresse. Genau so funktioniert die sozialgemeinschaftliche Auslese :D

Lieber Peeperkorn, ich finde, du solltest unbedingt eine Parallelgeschichte schreiben: Aus der Sicht des weißen Toyotafahrers. Das kriegst du sicher wunderbar hin und hast auch garantiert deinen Spaß dabei - und wir auch, weil wir dann endlich erfahren, wie denn alles so gekommen ist, wie es dann war.

Liebe Grüße aus dem Dorf :Pfeif:
bernadette

 

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