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Unterschlupf

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14.03.2002
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Unterschlupf

Zittrigen Schrittes stolpern wir über knirschenden Kies bis zu einer schweren, niedrigen Holztür. Es ist bereits stockdunkel. Wir zögern beide, instinktiv, dann treten wir ein. Die Gaststätte empfängt uns mit einer abgestandenen, holzigen Wärme. Wir sehen uns um, und ich will reflexhaft meine Hand in Christians Jackentasche stecken, nach Unterschlupf suchen bei ihm. Gerade noch rechtzeitig ziehe ich meine Hand zurück. Er hat zum Glück nichts bemerkt.

Es ist auffällig still hier. Von irgendwoher klingt das stete Ticken einer Uhr. Beruhigend auf eine Art und Weise, von der ich nicht sicher sagen kann, ob ich sie kenne. Der Raum ist spärlich beleuchtet, beinahe dunkel. Kerzen brennen auf den Tischen, und in der linken hinteren Ecke flackert das Feuer eines offenen Kamins. Hinter dem Tresen am anderen Ende der Stube poliert ein dürrer, bärtiger, großgewachsener Mann, den ich auf etwa siebzig schätze, bedächtig Gläser. Einige Gäste sitzen an den Tischen, ausschließlich Männer, alle einzeln. Sie trinken Bier und sehen nicht auf, als wir hereinkommen. In die rechte Wand ist eine Tür eingelassen, durch die torbogenartige Öffnung fällt Licht, eine Treppe führt von dort hinunter. Ich bemerke erst, daß sich mein Blick verfangen hat, als mich Christian am Arm packt und an einen Tisch nahe dem Kamin zieht.

Wir setzen uns und schweigen. Vielleicht, weil das eben Erlebte noch zu frisch ist. Rückfahrt von Italien. Noch etwa vier Stunden von Düsseldorf entfernt. Seit dem Morgen durchgefahren. Mit dem festen Vorsatz aufgebrochen, heute nacht wieder im eigenen Bett schlafen zu dürfen.

Irgendwo hinter Freiburg dann unser Streit, an irgendeiner Nichtigkeit entzündet, Christian fährt von der Autobahn ab. Wir streiten auch noch auf der Bundesstraße, sogar noch auf irgendwelchen Landstraßen. Wir sind so vertieft in Anschuldigungen und Rechtfertigungen, Beleidigungen und Beleidigtsein, daß wir nicht mehr darauf achten, wohin uns die Straße führt. Irgendwann durch den Wald, irgendwie plötzlich ein Reh auf der Straße, Vollbremsung. Das Reh erschrickt sich, bleibt dennoch stehen. Glotzt mit großen unbedarften Augen in das grelle Licht der Scheinwerfer, rührt sich nicht. Steht minutenlang dämlich glotzend da, bis Christian endlich Licht und Motor abschaltet. Wir sagen nichts. Warten nur, vor Schreck selbst ganz starr.

Nachdem Christian den Motor wieder angelassen hat, die Scheinwerfer aufleuchten, ist die Straße frei, das Reh verschwunden. Als wäre es nie dagewesen. Wir fahren weiter, noch immer unfähig, etwas zu sagen. Wenige Minuten in schleichender Bewegung, schweigender Behutsamkeit. Die Gaststätte taucht unerwartet auf. Gleich einem gestrandeten Rettungsschiff am Ufer einer einsamen Insel liegt sie in der Mitte einer kleinen Lichtung, umringt von dichtem, dunklem Wald. Wir parken, steigen aus, sind hier.

Mit schlurfenden Schritten kommt der Wirt an unseren Tisch. Er hat ein Tuch über den linken Arm geworfen, zwei neue Kerzen in der rechten Hand, die er entzündet und in die beinahe niedergebrannten Stümpfe drückt. Dann fragt er mit einem knappen 'Bitte?' nach unseren Wünschen. Christian bestellt Bier und Schnaps. Ich entscheide mich für Tee und schließe mich dem Schnaps an, ein wenig enttäuscht darüber, daß es keinen Rum gibt. Keinen heißen Tee mit Rum. Das Vermächtnis aus der Tiefebene, wie Christian es spöttisch nennt, und meist fügt er mit übertriebenem Pathos hinzu: Wie schon deine Mutter, und wie ihre Mutter schon vor ihr.

Etwas Linkisches ist an diesem Wirt. Während er an unserem Tisch steht, betrachte ich ihn verstohlen. Sein ergrauter Bart und die vielen Falten, die dünnen Arme und die hohe Stirn, sein gebückter Gang und seine Gemächlichkeit bestätigen meine Schätzung. Um die siebzig müßte er sein. Vielleicht sogar älter. Nur seine Augen - klein, warm und braun - wollen nicht dazu passen. Gerade, als meine unverhohlenene Neugierde durchbricht, geht er zurück zu seinem Tresen, und enttäuscht lasse ich meinen Blick durch die Stube schweifen.

Das Mobiliar sieht alt aus, uralt. Von einer klobigen, unbeholfenen Form, die niemals einen Weg in einen Antiquitätenhandel finden wird. Die niedrige Holzdecke mit ihren riesigen Balken ist dunkel, in der Nähe des Kamins schwarz und glänzend. Die Fenster sind vorhanglos, bleigefaßt und so klein, daß ich Mühe hätte, durch sie nach draußen zu klettern.

Merkwürdig, wie manche Gedanken sich ins Bewußtsein schleichen. So scheinbar ohne eigenes Zutun, so ganz ohne Anlaß. Ich lausche dem Ticken der Uhr, kann sie nirgendwo entdecken. Der ganze Raum, außergewöhnlich rustikal und karg, ist so unspektakulär, daß ich dazu übergehe, die übrigen Gäste zu beobachten.

Zwei Tische weiter sitzt ein Greis, der gerade mit einem unachtsamen Blick den Rest seines Glases hinunterspült. Die Tür zum Keller steht noch immer offen, ich erwarte irgendwelche Geräusche: das Klirren von Getränkekisten, die die Treppe heraufgetragen werden, Schnaufen und Schritte. Ich lausche und starre, doch da ist nichts.

Ein leises Grunzen schreckt mich auf. Ich wende den Kopf. Auf dem Gesicht des Alten breitet sich ein obszönes Grinsen aus, macht eine Zahnlücke sichtbar und wirkt bedrohlich und debil zugleich. Doch nicht er hat das Geräusch verursacht. Es kam aus der Ecke neben der Kellertür, in der ich eine zusammengesunkene Figur auszumachen glaube, mir abgewandt, vielleicht mit einer Kapuze über dem Kopf.

Ich kann mich erinnern, vor langer Zeit einmal aus der Beobachtung von Menschen in Cafés und Kneipen ein Vergnügen gezogen zu haben. Bevor ich Christian geheiratet habe, lange bevor ich ihn überhaupt kannte. Eine Beschäftigung, von der ich wünsche, sie zumindest jetzt mit ihm teilen zu können. Um ein wenig das Gefühl zu vertreiben, hier am falschen Ort zu sein. Doch ich ahne, nein: glaube sicher, daß er nicht darauf eingehen wird. Daß er mir zu verstehen geben, mich anzischen wird, mein Verhalten sei peinlich. Da zudem die einzigen Geräusche von dieser Uhr rühren, die irgendwo in der Dunkelheit verborgen sein muß, ist seine Reaktion vorhersagbar: er würde sich meiner schämen, und ich bekäme ein schlechtes Gewissen.

"Mein Gott, was habe ich mich vorhin erschrocken", wende ich mich flüsternd an Christian, der nur nickt und mit der Kerze spielt. Ich warte auf eine Antwort, doch es folgt nichts. Ich weiß nicht genau, was seine Wortkargheit bedeuten mag. Unser Streit war heftig, sicher. Aber Christian gehört nicht zu den Menschen, die sich in Schweigen zurückziehen. Seine Unnachgiebigkeit ist mehr beredter Natur. Was zugegebenermaßen manchmal, besser: oftmals, anstrengend sein kann, nein: ist.

Ich erschrecke vor meiner eigenen nachdrücklichen Offenheit. Habe ich diesen Umstand jemals wirklich vor mir selbst zugegeben? Ich wiederhole und variiere die Aussage in Gedanken: Christians eloquenter Starrsinn ist ermüdend. Nein, das habe ich nicht. Dabei ist es die Wahrheit. Und es ist doch nur eine Kleinigkeit. Eine Kleinigkeit, im Vergleich zu unseren Schwierigkeiten, vielmehr: zu seinen Unzulänglichkeiten, im Bett.

Wieder erschrecke ich, doch wird die Empfindung von etwas ganz anderem begleitet. Ja, denke ich, mit den Lippen die Worte formend, Unzulänglichkeiten im Bett. Etwas bemächtigt sich meiner und verschafft mir das berauschende Gefühl eines Triumphs.

Der Wirt serviert dem Greis im Vorbeigehen ein weiteres Bier, auf dem Tablett unsere Bestellung.
"Roßler, den hemmer selber brennd", sagt er in einem schwer verständlichen, kehligen Dialekt, der mich an die Schweiz erinnert, und doch anders klingt. Es fehlt ihm das, was ich bei Schweizern als lustig empfinde. Sein auffordender Blick nötigt uns, den Schnaps in seiner Gegenwart zu trinken. Unsicher proste ich ihm zu. Die klare Flüssigkeit ist stark, scharf und ekelhaft. Und sie tut gut. Der Wirt grinst, ich lächle Christian an, dieser hat keine Miene verzogen. Schon schüttet er einen großen Schluck Bier nach.

"Können wir noch etwas zu essen bekommen?" frage ich.
"Wenn dFrau usem Keller kunnd, konn se schu no was riechde; ich kennd Ihne so e kaldi Bladd onbiede."
Ich schaue ihn an, verständnislos. Ungeachtet meiner Verwirrung fährt er fort:
"Mir hen au erschd vor zwei Daag e Sau gschlaachded. 's git au frischi Blued- un Laeberwurschd in de Bfonn. Mid Braegele wenn Se welle."
Ich bin es von starken Dialektsprechern gewohnt, daß sie sich um eine Art Hochdeutsch bemühen. Zugegebenermaßen klingt das zwar meist recht lächerlich, aber der Versuch hat etwas Rührendes. Nicht jedoch dieser Kerl. Selbstbewußt steht er vor uns, sieht abwechselnd von Christian zu mir und erwartet eine Antwort. Ich habe kaum etwas davon verstanden. Da meldet sich Christian, wie aus einem Schlaf erwachend, und doch sofort präsent:
"Nein, meine Frau mag leider weder Blut- noch Leberwurst. Aber Bratkartoffeln klingt gut. Und dazu ein wenig Wurst und Speck."

Der Wirt grunzt zufrieden, dann zieht er ab. Ich raune Christian, der sofort wieder in seine lethargische Haltung zurückgefallen ist, völlig entgeistert zu:
"Du hast ihn doch nicht etwa verstanden, oder?"
Christian sieht in die Kerze. Nach einer Weile antwortet er tonlos:
"Meine Eltern kommen ursprünglich aus dieser Region. Ich bin hier aufgewachsen."

Sofort versinkt er wieder in sich. Nimmt einen weiteren Schluck Bier, richtet seinen Blick auf die Flamme, entzieht sich. Ohne eine Erklärung, weshalb er mir noch nie davon erzählt hat. Doch ich bin nicht bereit, das einmal begonnene Gespräch so einfach wieder abbrechen zu lassen:
"Was hat er denn noch gesagt?"
"Er sagte, daß seine Frau im Keller sei, und daß diese dann etwas zu essen bereiten könne, wenn sie wieder nach oben kommen wird. Er hat uns eine kalte Platte angeboten, oder frische Blut- und Leberwurst mit Bratkartoffeln."
Die Frau ist im Keller. Deswegen steht die Tür offen. Ich wende meinen Blick, erwarte jeden Moment eine weibliche Kopie unseres hageren Wirts die Treppen heraufsteigen, doch nichts geschieht.

Ich nippe an meinem Tee, der noch immer recht heiß ist, Christian leert sein Bier. Mit einer kurzen Kopfbewegung, die der Wirt sofort registriert, signalisiert er seinen Wunsch nach einem weiteren Glas.
"Hältst du es für eine gute Idee, jetzt so viel zu trinken?" sorge ich mich, doch Christian winkt ab:
"Laß man."
Ein ungewohntes Gefühl baut sich in mir auf: Wut. Wut auf Christian, der ganz darauf aus scheint, sich hemmungslos zu betrinken. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er mich fahren lassen wird. Und Lust auf eine weitere Auseinandersetzung habe ich eigentlich auch nicht mehr. Zumal er mir mit seinen ständigen Mäkeleien dieses Thema gründlich vermiest hat.

Erstaunen erfaßt mich. Was denke ich da gerade? Stimmt das etwa? Meine aufwallende Wut flaut ab. Ja, wenn ich es recht bedenke, so scheint es zu stimmen. Christian nutzt jede sich bietende Gelegenheit, mir klarzumachen, daß ich gar nicht Auto fahren kann. Läßt er mich doch einmal ans Steuer, macht er mich mit seinen Kommentaren halb verrückt. Beim Einparken greift er mir ins Lenkrad. Über den Witz mit dem Frauenparkplatz kann er sich immer wieder totlachen. Und lese ich eine Karte, so prüft er mißtrauisch nach, ob sich nicht doch eine bessere Route findet.

Die Wut, die sich jetzt aufbaut, unterscheidet sich von der ersten erheblich. Was ihr an Hitze fehlt, wiegt sie durch Unnachgiebigkeit zehnfach auf. Ich kann spüren, wie sie stärker wird in mir. Sie gebietet mir, mich auf die Suche zu machen. Wie Wind, der Segel strafft. Und ähnlich einem Kapitän, der auch bei Wetter seinen Schoner sicher zu navigieren versteht, weiß ich in dieser Wut meine Gedanken zu steuern.

Ich führe sie zurück nach Italien, zu einem Nachtspaziergang in San Gimignano, der mich die letzten Tage über unentwegt beschäftigte. Die Türme, für die das Städtchen in der Toskana berühmt ist, am Tage kitschig, erhielten durch die Beleuchtung eine Eleganz und Macht, die mich faszinierte. Wir gingen umher, meine Freude überschwenglich, ich erzählte Christian, was ich im Reiseführer gelesen hatte: daß heute nur noch wenige der beinahe hundert Türme erhalten seien, weshalb sie erbaut worden waren und wann. Christians einzige Sorge galt unserem Auto, unseren Sachen, ob wir nicht Gefahr liefen, bestohlen zu werden.

Er konnte meine Begeisterung nicht teilen, aus Sorge, dachte ich. Jetzt sehe ich es anders. Ich blicke zur Kellertreppe und weiß: Christians Profiliersucht, seine Gier nach Darstellung, die ich so lange glücklich durch Bewunderung befriedigt habe, konnte es nicht ertragen, sich von mir belehren zu lassen. Er hatte mir meine Freude absichtlich madig gemacht.

Ich wende mich ihm zu. Er kratzt sich am Kopf, stiert in die kleiner werdende Kerze, sein Daumen tippt ans Glas, synchron mit dem Ticken der Uhr. Auf einmal kommt es mir so vor, als würde er schrumpfen, versinken. Ich betrachte sein volles, kurzrasiertes Haar. Begutachte die Brille, die ihn so intellektuell aussehen läßt und sehe ihn mit einem Mal ganz anders.

"Wieviel Uhr ist es eigentlich?" will Christian plötzlich wissen. Und ohne den Blick von der Kerze zu lassen fährt er fort: "Ich bin so müde, es kommt mir ungeheuer spät vor."
Vorsichtig antworte ich: "Ich weiß es nicht, ich muß meine Uhr im Auto liegengelassen haben. Sieh doch auf deinem Handy nach."
"Habe ich bereits. Die Anzeige funktioniert nicht."
Ich bemerke Unsicherheit in seiner Stimme und seiner Körperhaltung, erkenne auch, daß er sie zu verstecken versucht.
Der Wirt kommt an unseren Tisch, stellt ein weiteres Bier ab, Christian wendet sich an ihn:
"Entschuldigen Sie, wie spät ist es denn inzwischen?"
"Ha do mieße Se uffd Uhr gugge", lautet dessen kryptische Antwort.
"Kann man bei Ihnen auch übernachten?" fragt Christian unbeirrt weiter, ein deutliches Schwanken in seiner Stimme.
Der Wirt lacht nur und geht davon. Ein feines Grinsen zwingt sich in die Kühle meines Blicks. Wie es wohl für ihn sein mag, ausgelacht zu werden? Sicher eine ganz neue Erfahrung.
"Dann kommen wir eben sehr spät zu Hause an", bestimmt Christian, und ich widerspreche in normaler Lautstärke:
"Du wirst heute nicht mehr fahren."
"Gut, dann schlafen wir im Wagen."

Ich trinke von meinem Tee und lasse meine Augen umherwandern. Ganz ohne Absicht bleiben sie auf der Kellertür ruhen. Etwas zieht mich dorthin, seit wir die Stube betreten haben. Von dort geht es aus; mein Aufbegehren, mein neues Ich, es macht mich trunken.

Kopfschüttelnd, mit geschlossenen Augen atme ich tief ein und aus. An was für einen Ort sind wir hier nur geraten, frage ich mich, er verändert mich. Zwischen Unsicherheit und Rausch hin- und hergerissen, werfe ich einen kurzen Blick auf Christian. Auch auf ihn übt die Gaststätte eine Wirkung aus, auch er wird von ihr verändert. Ich frage mich, wie das möglich ist. Frage mich, ob unser Auto wohl noch draußen stehen wird. Und wird die Straße noch da sein, der Wald? Wäre es nicht so, stelle ich aufgeregt fest, würde es mich nicht verwundern. Mir ist nach Lachen. Die Vorstellung hat etwas unglaublich Komisches.

Mit einigem Kraftaufwand versuche ich, meine Gedanken an einen anderen Ort zu zwingen, meinen Blick weg von der Kellertür. Italien? Nein. Schulferien auf Usedom? Nein. Das Meer im Herbst vor meinem Wechsel nach Düsseldorf? Meine Arbeitskollegin Rita an der Kaffeemaschine, die Avancen meines Vorgesetzten im Büro? Nein, nein, nein, Christian. Christian am Abend, Besuch von Freunden. Ich sehe ihn reden, immer wieder ihn, ab und an Lara, selten Marcus, niemals mich. Ich habe es so gewollt, vielleicht. Bleibt mir nun noch eine Wahl? Ich glaube nicht. Es ist entschieden, ich ergebe mich.

Die Uhr tickt, die Kerze brennt, ein leises Grunzen aus der dunklen Ecke neben der Kellertür. Es beunruhigt mich nicht mehr. Ich habe mich darüber erhoben.

Meinen Blick auf die Kellertür geheftet, stehe ich langsam auf. Aus dem Augenwinkel sehe ich Christian einen großen Schluck nehmen. Langsam gehe ich quer durch den Raum, kein Blick, der mir folgt, meine Schritte im Takt der Uhr, vorbei an der Gestalt, deren Kopf ich für eine Kapuze gehalten hatte. Ich habe keine Angst. Wie ich unter dem Tor hindurchschlüpfe und die Stufen langsam hinabsteige, befällt mich ein wildes Gefühl von Freiheit.

 

Hallo Claus,

hat mir sehr gut gefallen, deine Geschichte. Wunderbar atmosphärisch, mit vielen Details, die zahlreichen Adjektive haben nicht gestört sondern die Stimmung verstärkt. Sie entfaltet sich langsam, nach und nach, und so wie deine Erzählerin im Laufe der Geschichte einiges begreift, ging es auch mir beim Lesen. Ich konnte mit ihr mitgehen und saß zusammen mit den beiden im Gasthaus. Die Vergangenheitspassagen sind schön eingeflochten, das passte. Das Gasthaus löst Veränderungen aus, in welchem Ausmaß genau und ob nur bei ihr oder auch bei ihm, bleibt verborgen, und das ist auch gut so. Irgendwie bringt es sie dazu, sich und ihn aus der Distanz zu sehen und sich letztendlich zu befreien. Ihr Erstaunen über ihre Erkenntnisse hast du gut rübergebracht.

Sprachlich hab ich nichts anzumerken, gewohnt sauber und stilsicher. Die Dialektsequenzen haben mir gut gefallen.
Eins nur:
„Eine Kleinigkeit, im Vergleich zu unseren Schwierigkeiten, nein: zu seinen Unzulänglichkeiten, im Bett.“ Das eingeschobene „Nein“ hat mir als Stilmittel das erste Mal gut gefallen, vielleicht auch noch das zweite, dann aber benutzt du es zu oft.

Und zum Schluss noch ein wenig Neid auf dich und all diejenigen, die so schnell zu einem vorgegebenen Thema eine tolle Geschichte hinkriegen… Sowohl thematische als auch zeitliche Korsagen lassen bei mir kein einziges Wort entstehen.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Claus

Eine sehr stimmungsvolle Geschichte hast Du hier geschaffen. :)
Obwohl augenscheinlich nicht viel passiert. Man muss hier tiefer gucken, denn mit Deiner Prot passiert doch eine ganze Menge.
Du hast so schön bildhaft beschrieben. Ich konnte mir alles sehr gut vorstellen und das Ganze wunderbar verfolgen.
Obwohl ich davon ausgehe, auch im Keller passiert nicht viel bin ich schon neugierig, was das nicht viel ist. Warum ist es die Kellertür, die sie so magisch anzieht? Eine Frage, die ich zwar gern lösen möchte, aber für die Geschichte nicht ausschlaggebend ist.
Du hast eine schöne Art zu schreiben und was von vielen so manches Mal bemängelt wird, finde ich sehr schön. Die vielen Adjektive.
Ich benutze sie auch sehr gerne und lese auch ausgesprochen gern Geschichten, in denen diese großzügig verwendet werden. :D
Der Mann Deiner Prot scheint ein ziemlich geltungssüchtiger Mensch zu sein. Gut, dass sie sich von seinen Fesseln befreien möchte.

Hat mir sehr gefallen :thumbsup:

Liebe Grüße von Susie

 

Vielen Dank für das Lob, @Juschi und @Kürbiselfe. Daß euch beiden die Verwendung von Adjektiven aufgefallen ist, verwundert mich auch gar nicht. Ich bin eigentlich gar kein Freund davon, aber hier hatte ich den Eindruck, daß sie vonnöten waren.

@Juschi: Deine Bemerkung zur "nein: <besser>"-Konstruktion werde ich überdenken, vermutlich ändern. Ich war mir da ein wenig unsicher. Und daß die Dialektsequenzen gut geworden sind, freut mich. Haben mich doch ein wenig Arbeit gekostet. Und ich frage mich, ob sie allgemein verständlich sind.

 

Hallo Claus

Und daß die Dialektsequenzen gut geworden sind, freut mich. Haben mich doch ein wenig Arbeit gekostet. Und ich frage mich, ob sie allgemein verständlich sind.
Ja, sie sind, trotz der kurzen Dialekteinwürfe, die auch verständlich waren. :D

Liebe Grüße von Susie

 

Hi cbrucher,

eine Sreßsituation bringt ein Paar in ein außergewöhnliches Lokal.
Deine Prot hat warscheinlich zum ersten Mal, wirklich klare Gedanken, betr. ihres Mannes und ihrer Ehe.

So weit klar. ;)

Doch da ich sehr neugierig bin, möchte ich wissen, was du uns mit deiner KG sagen willst. :hmm:
Ich gehe mal davon aus, dss du nicht nur beschreiben wolltest, dass eine Ehefrau erkannt hat, auf ihren Mann verzichten zu können, oder?

Ich rätsele mal ein bisschen: Die Kellertür erweckt von Anfang an, die Aufmerksamkeit deiner Prot.
Etwas magiches scheint von ihr auszugehen.
Der Wirt erzählt, dass seine Frau dort unten sei, um etwas harauf zu holen.
Doch sie kommt nicht wieder.
Deine Prot fragt sich, wo sie bleibt. Dem Wirt scheint es wurscht zu sein.
Er hat gerade was er benötigt. Erst wenn er seine Frau braucht, wird er sie wirklich vermissen.
Genau so wurschtig ist der Mann deiner Prot.

Jetzt drängt sich mir,(in meiner überreichen Fantasie :D ) der Gedanke auf, dass die Wirtin nicht zurückkommen wird.
Irgendwie scheint deine Prot dies zu fühlen, vielleicht zu hoffen.
Sie lässt das, was sie erwarten wird, wenn sie wieder zu Hause ist revue passieren.
Nein, so will sie nicht mehr leben.
Sie lässt sich von der Magie des Kellers leiten.
Was sie dort findet, teilst du uns nicht mit.

Sie verschwindet einfach, vielleicht findet sie dort unten ein Zeittor, oder so etwas, sie verlässt ihr altes Leben, um ein neus zu beginnen.
Ich würde es ihr wünschen ;)

Mag sein, dass du es so üüüberhaupt nicht ausdrücken wolltest.
Aber wenn eine Geschichte so offen bleibt, wie deine, muß der Leser seine Fantasie walten lassen :shy:

Ich liebe es, hinein zu interpretieren :D

Hab ich schon gesagt, dass mir deine KG gefallen hat? :)

liebe Grüße, coleratio

 

Hab noch was vergessen.

Du schreibst: ...Er steht -er- an unserem Tisch

... Ich führe -ich- sie zurück :shy:

bey bey,

 
Zuletzt bearbeitet:

@coleratio: Vielen Dank fürs Lesen und Deinen interessanten Kommentar. Vor allem für Dein interessantes Hineininterpretieren.

coleratio schrieb:
Mag sein, dass du es so üüüberhaupt nicht ausdrücken wolltest.

Vielleicht. Vielleicht nicht. Ist letztlich doch egal, was ich wollte. Was zählt, ist ja, was dasteht. Und ich halte Deine Argumentation für schlüssig.

Nachtrag: Die Fehler habe ich natürlich instantan korrigiert. Vielen Dank!

 

Hi cbrucher,

die zwischenmenschlichen Beziehungen kannst du sehr gut darstellen, gefällt mir. Auch die Szenerie, die Unschlüssigkeit und Gefühle der Frau sind gut ausgearbeitet.

Was mich nicht so begeistert, ist, das letztlich nicht viel geschieht. Ich bin schon jemand, der etwas Action braucht oder zumindest eine Wendung irgendwo. Das sie letztendlich nur in den Keller geht, ist irgendwie enttäuschend. Man möchte wissen, wie's weitergeht, was es mit dem ominösen Wirt auf sich hat.

Zum Sprachlichen: du bist kein Freund von "und", hab ich recht? :) Gerade am Anfang teilst du die meisten Sätze nur mit Komma, z. B. könnte hier eins rein:

Nachdem Christian den Motor wieder angelassen hat und die Scheinwerfer aufleuchten, ist die Straße frei, das Reh verschwunden.

Nur mit Komma wirkt es teilweise abgehackt, mit einem "und" hier und da fließt es mehr und ist leichter aufzunehmen.

Dagen stören auch mich die Ajektive nicht, man hat nun mal nicht viel Platz zum Beschreiben, daher sind sie effektiv, wenn sie nicht überstrapaziert werden.

Hinter dem Tresen am anderen Ende der Stube poliert ein dürrer, bärtiger, (und?) großgewachsener Mann, den ich auf etwa sechzig Jahre schätze, bedächtig Gläser.
Eigentlich überflüssig, der Satz, wegen:

Sein ergrauter Bart und die vielen Falten, die dünnen Arme und die hohe Stirn, sein gebückter Gang und seine Gemächlichkeit bestätigen meine Schätzung. Um die sechzig müßte er sein.

Wiederholt sich, ich würde den Alten zu Beginn nur kurz anreißen und später drauf eingehen, wenn er an den Tisch kommt.

Sodele, alles in allem befriedigend, wenn auch nicht ganz überzeugend.

Grüße vom Peter

 

@Peterchen:

Vielen Dank fürs Lesen und die ausführliche Antwort.

Was mich nicht so begeistert, ist, das letztlich nicht viel geschieht.

Meine Texte haben selten viel äußere Handlung. Das Innen interessiert mich mehr. Gepaart mit meinem Ideal von absoluter Figurensicht. Keine relativierenden Erzählereinschübe, keine relativierenden Einblicke in anderer Figuren Gedanken. Was letztlich bedeutet, daß der wirkliche Handlungsort der Kopf der Protagonistin ist (ich hoffe mit dieser Aussage nicht aus dem challenge geworfen zu werden). Und ich glaube, daß da sehr viel Handlung geschehen kann. Und in diesem Text auch geschieht. Aber vermutlich haben wir da nur unterschiedliche Ansichten.

Man möchte wissen, wie's weitergeht

Tja.

Zum Sprachlichen: du bist kein Freund von "und", hab ich recht?

Das ist ein sehr interessanter Hinweis. Kann sein, ich muß einmal darauf achten, ja! Werde den Text daraufhin noch einmal analysieren, und auch einige andere...

Eigentlich überflüssig

Ich sehe die doppelte Beschreibung des Wirts nicht als redundant an. Der erste Blick geschieht aus der Ferne, eine Vermutung (das Alter) erfolgt. Aus der Nähe wird dieser Eindruck bestätigt und dann eben gerade wieder aufgehoben. Zumal sich nichts wirklich wiederholt.

Sodele

Jetzedle. Mit den Dialektstellen hattest Du keine Schwierigkeiten, oder?

 

Jetzedle. Mit den Dialektstellen hattest Du keine Schwierigkeiten, oder?

Gerade da hab ich zweimal gelesen! Bin nämlich ein Emskopp, also ausm Norden, nur sodele kennt man auch hier :D

 

Du zeichnest das Bild einer zerrütteten Beziehung. Die Ehe ist kaputt. In diesem Bild gibt es keine Harmonie, sie geht neben ihm unter, er dominiert. Will dominieren. Sie kennt ihn nicht einmal richtig, auch er weiß nicht viel von ihr. Sie verstehen sich nicht, sprechen - wie es in der Dialektsequenz verdeutlicht wird - nicht einmal die selbe Sprache. Und dies wird ihr in diesem Gasthaus bewusst. Ein gewisses Spiegelbild ihrer Ehe findet sich in dem Wirtspaar, die sich nicht einmal mit Namen anreden; die nebeneinander, aber nicht miteinander leben.

Es ist Gewohnheit, die diese Ehe bestimmt - diese Eintönigkeit findet sich in der Beschreibung des unspektakulären Wirtshauses, in dem immer wiederkehrenden Ticken einer unsichtbaren Uhr. Die Zeit rinnt, die Ehe auch, eintönig, langweilig, von kleinen Krisen dominiert. Sie sind nicht richtig glücklich, sie sind aber auch nicht richtig unglücklich. Es ist die Einsamkeit zu zweit, die hier deutlich wird, das Alleinsein in der Ehe. Und darüber die Zeit, die blind verstreicht, wieviel, ist nicht klar, aber dass sie verstreicht, wird im Bild der Kerzen, im Ticken der Uhr und im Nichtauftauchen der Frau, im Nichtreden des Paares, auf das man die ganze Zeit wartet, überdeutlich.

Und auch die Gegensätze der beiden sind unüberwindbar, verbildlicht in der Geographie: sie kommt aus dem Norden, er aus Süddeutschland - getroffen haben sie sich in der Mitte, geblieben sind sie da aber nicht. Es ist in gewisser Weise die unüberwindbare Individualität, die hier aufeinander stößt, dem Leser wird klar: das kann nicht gutgehen. Sie glauben sich zu kennen, wissen aber nicht umeinander.

Warum endet die Ehe in gerade dieser Situation? Es spielt eigentlich keine Rolle. Sie ist austauschbar, eine unter vielen anderen, aber irgendwie macht es "Tick", vielleicht beim Bewusstwerden des Wirtsehepaares, vielleicht aufgrund des Schlafmangels, es ist egal. Auch hier wiederholt sich die Eintönigkeit, die Szene ist nicht spektakulär oder bestimmend. Es ist einfach nur vorbei, etwas neues beginnt. Das Ende ist ein Anfang.

Bisher die beste Geschichte, die ich von dir gelesen habe. Mit unerwartet viel Tiefe, wenn man sich damit auseinandersetzt, viel Raum für Deutung und vielen Bildern.
Eine Anmerkung zum Dialekt: "wenn Se wenn" erscheint mir geläufiger als "wenn Se welle", sofern das Gasthaus, wovon ich aufgrund des restlichen Dialekts ausgehe, in Mittelbaden liegt. Auch den Vergleich mit dem Schweizerdeutsch fand ich treffend. Stilistisch hab ich ansonsten nichts auszusetzen.

LG Anea

 

Lieber Claus!

Also mir gefällt Deine Geschichte, ich finde sie tiefgehend genug, daß sie nicht mehr Handlung braucht. Du erzählst darin eigentlich die ganze Geschichte einer Beziehung, oder vielmehr die Veränderung und Anpassung der Protagonistin, bis zu ihrer Befreiung. Was die Details ausmachen, wie das Steuern des Autos zum Beispiel, kann man sie direkt auf die Beziehung umlegen. Das Aneinandervorbei, das nicht bemerken, was der andere tut, usw. – und er steuert, ins Nichts. Steuert die Beziehung an einen toten Punkt und das Auto in eine verlassene Gegend, in der die Männer alle in einem Gasthaus sitzen und vom Leben um sie nichts mehr mitbekommen. Wahrscheinlich sind die anderen Frauen dessen ebenfalls überdrüssig geworden und auch im Keller verschwunden… (Was natürlich niemandem aufgefallen ist, die Männer starren ja alle nur vor sich hin.)
Auch das Verrinnen der Zeit gefällt mir in seiner Darstellung.

Einige gute Gedanken hast Du zusätzlich mit reingepackt, die ich aber nicht einzeln erwähne, obwohl oder gerade deshalb, weil ich dazu wahrscheinlich eine ganze Seite schreiben könnte/würde, und dann ginge es am Ende nicht mehr um Deine Geschichte. ;) Ein paar nenn ich Dir aber in der Liste unten.

Und ich glaube, daß mir von den Geschichten, die ich bisher von Dir gelesen hab, diese hier am besten gefällt. Die geht am meisten in die Tiefe. :)

So, jetzt noch die paar üblichen Kleinigkeiten:

»Zittrigen Schrittes tapsen wir über knirschenden Kies bis zu einer schweren, niedrigen Holztür. Draußen ist es bereits stockdunkel.«
– Der erste Satz klingt sehr schön, wobei ich mir nicht sicher bin, inwieweit man mit zittrigen Schritten tapsen kann, werde das in entsprechender Situation testen. ;-)
Aber: Da sie ja noch draußen sind, ist das »Draußen« im zweiten Satz fehl am Platz. Es ist bereits stockdunkel.

»meine Hand in Christians Jackentasche stecken, nach Unterschlupf suchen bei ihm.«
– würde »nach« streichen: Unterschlupf suchen bei ihm. Evtl. auch »bei ihm« nach vor ziehen: bei ihm Unterschlupf suchen. – (mit »nach« klingt es, als suche sie irgendein Ding oder vielleicht die Ratte namens »Unterschlupf«)

»Von irgendwoher klingt das stete Ticken einer Uhr.«
– von irgendwoher tickt eine Uhr (ein Ticken ist ein Ticken und eigentlich kein Klingen, und daß es eine Uhr ist, impliziert, daß es ein stetes Ticken ist ;-))

»den ich auf etwa sechzig Jahre schätze,«
– einerseits könntest Du »Jahre« streichen, andererseits kommt mir das Alter etwas gar niedrig vor, für die Beschreibung, die Du anschließend lieferst. Ich würde ihn auf mindestens siebzig altern lassen.
»Einige Gäste sitzen an den Tischen, ausschließlich Männer, alle einzeln. Sie trinken Bier und sehen nicht auf«
– ein interessantes Bild, Du hast das Charakteristische an Männern gut getroffen…:D

»Sie trinken Bier und sehen nicht auf, als wir hereinkommen. In die rechte Wand ist eine torbogenartige Tür eingelassen, Licht fällt durch den Bogen, ein Treppe führt von dort hinunter. Ich bemerke erst, daß sich mein Blick dort verfangen hat, als mich Christian am Arm packt und mich an einen Tisch nahe dem Kamin zieht.«
– Wiederholungen von »dort«, »als« und »mich« (das zweite »mich« kannst Du einfach streichen)
– außerdem Wdh. von »Bogen« – Vorschlag: Licht fällt durch die Rundung auf eine Treppe, die nach unten führt.

»Irgendwo hinter Freiburg dann unser Streit, an irgendeiner Nichtigkeit entzündet, Christian fährt von der Autobahn ab. Wir streiten auch noch«
– zweimal streiten, stört aber nicht so

»Das Reh erschrickt sich, bleibt dennoch stehen. Glotzt mit großen unbedarften Augen in das grelle Licht der Scheinwerfer, rührt sich nicht. Steht minutenlang dämlich glotzend da,«
– vielleicht statt dem ersten »Glotzt« »Starrt«?
– warum das »dennoch«? Wenn es vor Schreck stehenbleibt, ist das dennoch überflüssig

Irgendwie frag ich mich grad, warum Du in diesem (rückblickenden) Abschnitt die Gegenwartsform wählst?
»Nachdem Christian den Motor wieder angelassen hat, die Scheinwerfer aufleuchten, ist die Straße frei, das Reh verschwunden.«
– würde nach »Straße frei« unbedingt ein »und« schreiben (ohne Beistrich)

»wie schon deine Mutter, und wie ihre Mutter schon vor ihr.«
Wie schon
– eventuell das zweite »schon« durch ein »bereits« ersetzen?

»und die hohe Stirn, … und seine Gemächlichkeit«
– eine hohe Stirn ist keine Bestätigung für ein Alter, die hat man oder man hat sie nicht; Gemächlichkeit ist auch nicht unbedingt altersbedingt, aber das geht noch.

»Von einer klobigen, unbeholfenen Form, die niemals einen Weg in einen Antiquitätenhandel finden wird.«
– der Vergleich mit dem Antiquitätenhandel gefällt mir nicht, außerdem sollte man gar nicht glauben, was Leute so alles kaufen; ich schlage Dir stattdessen vor: …, plump, einfach nur plump.

»Die Fenster sind vorhanglos, bleigefaßt und so klein, daß ich Mühe hätte, durch sie nach draußen zu klettern.«
– Stellst Du Dir beim Anblick von Fenstern üblicherweise vor, wie es wäre, durch sie nach draußen zu klettern? Jedenfalls frage ich mich, warum die Protagonistin auf so einen Gedanken kommt?

»rustikal und karg«
– widerspricht sich das nicht?

»doch da ist nichts.

Ein leises Grunzen schreckt mich auf. Ich wende den Kopf. Auf dem Gesicht des Alten breitet sich ein obszönes Grinsen aus, macht eine Zahnlücke sichtbar und wirkt bedrohlich und debil zugleich. Doch nicht er hat das Geräusch verursacht.[/b]
– Zu diesen beiden »doch« kommt noch eins im nächsten Absatz, bei »Doch ich ahne«, dann im übernächsten »doch es folgt nichts«, und in den nachfolgenden paar Absätzen ist auch noch je eins versteckt

»Ich kann mich erinnern, vor langer Zeit einmal aus der Beobachtung von Menschen in Cafés und Kneipen ein Vergnügen gezogen zu haben. Lange bevor ich Christian geheiratet habe, bevor ich ihn überhaupt kannte.«
– hier wird die Selbstaufgabe schön deutlich, weshalb es ihr auch nicht gelingt, das Gefühl, am falschen Ort zu sein, zu vertreiben…

»Doch ich ahne, nein: glaube sicher, daß er nicht darauf eingehen wird. Daß er mir zu verstehen geben, nein: mich anzischen wird, mein Verhalten sei peinlich. Da zudem die einzigen Geräusche von dieser Uhr rühren, die irgendwo in der Dunkelheit verborgen sein muß, ist seine Reaktion vorhersagbar: er würde sich meiner schämen, und ich bekäme ein schlechtes Gewissen.«
– finde ich ausgesprochen gut beschrieben, von der Beobachtung her, jedoch sind mir die »nein:« zu viel (auch die im Anschluß noch kommenden), ebenso wie die »daß«. Vorschlag: Doch ich ahne, bin mir fast sicher, er würde nicht darauf eingehen. In seiner netten, zischenden Art gäbe er mir zu verstehen, wie peinlich mein Verhalten sei.

»Was zugegebenermaßen manchmal, nein: oftmals, anstrengend sein kann, nein: ist.«
– nochmal zu den »nein:«: Du könntest eventuell ein bis zwei durch »oder besser gesagt« oder »vielmehr« ersetzen ;-)

»Die klare Flüssigkeit ist stark, scharf und ekelhaft. Und sie tut gut.«
– wie wärs mit »Aber sie tut gut.«?

»Ich bin es von starken Dialektsprechern gewohnt, daß sie sich bemühen, Hochdeutsch zu sprechen.«
– oiso, waunst Du so vawehnt bist, red i ob jetz nua mea im Dialekt mit dia, des träniat Dei Sprochempfindn. :p
Klingt übrigns scho irgndwie recht gspreizt, der Sotz, ois kummat de Protagonistin frisch vom Hofodl (Hofadel), mitm Fächa und gspreizte Finga, hoche Stimm… Du waßt, wos i man? Und des paßt hoit irgndwie net so gaunz zu ia.

»"Meine Eltern kommen ursprünglich hier aus der Region. Ich bin hier aufgewachsen."«
– auch eine sehr vielsagende Stelle, abgesehen davon, daß sie sich ganz zufällig dahin verfahren haben, wo er herkommt, zeigt sie auch, wie wenig die beiden voneinander wußten. Aber zweimal »hier« muß ich kritisieren. ;-)

»Christian nutzt jede sich bietende Gelegenheit, mir klarzumachen, daß ich gar nicht Auto fahren kann. Beim Einparken greift er mir ins Lenkrad. Über den Witz mit dem Frauenparkplatz kann er sich immer wieder totlachen. Lese ich eine Karte, mißtraut er mir und präsentiert dann eine andere, bessere Route.«
– hier würde ich noch einfügen, daß sie sich deshalb schon ganz unsicher fühlt, etc., denn wenn man ständig gesagt und gezeigt bekommt, daß man alles falsch macht, bleibt das nicht ohne Wirkung. Man macht dann Fehler aus Angst, Fehler zu machen.

» Ich kann spüren, wie sie stärker wird in mir.«
– würd ich umdrehen: wie sie in mir stärker wird.

»Wie Wind, der Segel strafft.«
– würde schreiben »Wie der Wind, der Segel strafft.«, vielleicht auch noch ein »die« vor »Segel«

»Und ähnlich einem Kapitän, der auch bei Wetter seinen Schoner sicher zu navigieren versteht«
– sowohl die Segel als auch das sind schöne Vergleiche. Würde statt »bei Wetter« (auch Sonnenschein ist ein Wetter) »bei Sturm« oder »bei hohem Wellengang« schreiben

»ich erzählte Christian, was ich im Reiseführer gelesen hatte:«
– ein »ich« könntest Du z.B. durch »was im Reiseführer stand« vermeiden

»Christians Profiliersucht, seine Gier nach Darstellung, die ich so lange glücklich durch Bewunderung befriedigt habe, konnte es nicht ertragen, sich von mir belehren zu lassen. Er hatte mir meine Freude absichtlich madig gemacht.«
– gefällt mir ausgesprochen gut, die Stelle! (Ich verkneife mir jetzt, über meinen Ex zu plaudern…:D)

»sein Daumen tippt synchron mit dem Ticken der Uhr an sein Glas. Auf einmal kommt es mir so vor, als würde er schrumpfen, versinken. Ich betrachtete sein volles, kurzrasiertes Haar. Begutachte die Brille, die ihn so intellektuell aussehen läßt und sehe ihn mit einem Mal ganz anders.«
:thumbsup:

»Ich bemerke Unsicherheit in seiner Stimme und seiner Körperhaltung, bemerke auch, daß er sie zu verstecken versucht.«
– hier gäbs eventuell ein »bemerke« zu vermeiden, Vorschlag: Ich nehme Unsicherheit … wahr, bemerke …

»"Dann kommen wir eben sehr spät zu Hause an", bestimmt Christian, und ich widerspreche in normaler Lautstärke:
"Du wirst heute nicht mehr Auto fahren."
"Gut, dann schlafen wir eben im Auto."«
– zweimal »eben«

»Ich trinke von meinem Tee und lasse meinen Blick umherwandern. Ganz ohne Absicht bleibt mein Blick auf der Kellertür ruhen. Etwas zieht mich dorthin, seit wir die Stube betreten haben. Von dort geht es aus; mein Aufbegehren, mein neues Ich, es macht mich trunken.

Kopfschüttelnd, mit geschlossenen Augen atme ich tief ein und aus. An was für einen Ort sind wir hier nur geraten, frage ich mich, er verändert mich. Zwischen Unsicherheit und Rausch hin- und hergerissen, werfe ich einen kurzen Blick auf Christian.«
– vielleicht bringst Du ja ein oder zwei davon weg? ;-)

»Frage mich, ob unser Auto wohl noch draußen stehen wird.«
– ob unser Auto noch draußen steht.

»würde es mich nicht verwundern.«
– das »ver-« könntest Du streichen, »wundern« allein tuts auch

»Mit Kraftaufwand zwinge ich meine Gedanken an einen anderen Ort,«
– mit Kraftaufwand? :shy: Vielleicht besser »Mit Konzentration«? Oder »Ich strenge mich an, meine Gedanken an einen anderen Ort zu zwingen«?

Alles Liebe,
Susi :)

PS.: Fällt mir jetzt grad noch ein/auf: Wenn man die Handlung der Geschichte, wie schon oben beschrieben, auf die Beziehung allgemein umlegt, also das Steuern des Autos auch für das Steuern der Beziehung sieht, dann ergibt sich aus dem Keller noch eine ganz andere Aussage, nämlich daß es besser ist, von ganz unten neu anzufangen, als hier zu bleiben, in der Gaststube, dieser Leichenhalle...

 

Vielen Dank fürs Lesen und die ausführlichsten Kommentare, @Anea und @Häferl. Solche Kommentare zu lesen, darauf hofft man ja eigentlich. Dazu im Detail:

@Anea:

Bisher die beste Geschichte, die ich von dir gelesen habe. Mit unerwartet viel Tiefe, wenn man sich damit auseinandersetzt, viel Raum für Deutung und vielen Bildern.

Vielen Dank, das läßt mich ganz rot werden... Was die Tiefe angeht: Du hast tatsächlich so ziemlich alles herausgepickt, was ich in der Geschichte angelegt habe. Und ich habe mir ausnahmsweise einmal viele Gedanken darüber gemacht, ein ganzes Geflecht von Bildern zu weben. Daß dieser Versuch so gut ankommt bei Dir, bestärkt mich dann doch in der Überlegung, auch künftig mehr Sorgfalt walten zu lassen.

Was das "Dialekt-Wollen" angeht: Ja, der Dialekt stammt aus Mittelbaden. Meine Muttersprache. Und ich kenne die Variante "wenn", wie Du sie vorschlägst. Allerdings hat sich in dem Teil, aus dem ich komme, tatsächlich das mittelhochdeutsche "wellen" erhalten. Interessanterweise allerdings: "sollen - sodde".

@Häferl:

Deine Kommentare neigen dazu, den Umfang der kommentierten Geschichten zu übersteigen... Wenn Du dann schon schreibst

Häferl schrieb:
So, jetzt noch die paar üblichen Kleinigkeiten

dann weiß man, daß man gerade das erste Zehntel gelesen hat.

Also, an die Arbeit

  • "Draußen ist es bereits stockdunkel" - "Draußen" wird gestrichen
  • "nach Unterschlupf suchen" - bleibt, ist ein Ding
  • "klingt das stete Ticken einer Uhr" - bleibt; macht das Geräusch dinglicher, hebt die Gleichmäßigkeit hervor; zudem hatte ich an eine große Standuhr gedacht, bei der das Ticken schon einen Klangcharakter hat
  • "sechzig Jahre" - wird geändert
  • Wortwiederholungen "dort, als, mich" - Werde ich mir genau ansehen
  • "erschrickt sich, bleibt dennoch stehen" - Meiner Erfahrung nach rennen alle Tiere davon, wenn sie sich erschrecken, deshalb das "dennoch".
  • Wortwiederholung "glotzen" - Absicht
  • Gegenwartsform für Rückblick - Hat es Dich gestört? Es ist gerade erst passiert, noch völlig präsent.
  • "wie schon deine Mutter" - Großschreibung wird übernommen, die Wiederholung ist Absicht
  • "hohe Stirn" - ist keine Bestätigung für ein Alter, stimmt. Mal sehen.
  • "Antiquitätenhandel" - lasse ich mir noch einmal durch den Kopf gehen, bleibt vorerst.
  • "rustikal und karg" - Weshalb sollte sich das widersprechen?
  • Wortwiederholung "doch" - Mal sehen, was sich tun läßt.
  • "nein: <Verbesserung>-Konstruktion" - braucht noch Zeit
  • "Und sie tut gut." - "Und" wird auf keinen Fall durch 'Aber' ersetzt. Es ist ein "Und", das einen Widerspruch vereinigt. Was implizieren kann, daß es gerade deshalb gut ist, weil es ekelhaft ist.
  • "Ich bin es von starken Dialektsprechern..." - Doch, das paßt zu ihr.
  • Wortwiederholung "hier" - wird geändert
  • Man macht dann Fehler aus Angst, Fehler zu machen. - Überlasse ich dem Leser, wenn er das daraus lesen will. Meiner Protagonistin muß das nicht zwangsläufig so gehen.
  • "Wie Wind, der Segel strafft" - bleibt
  • "bei Wetter" - Kennst Du die Phrase 'Bei Wind und Wetter'?
  • Wortwiederholung "ich" (Reiseführer) - bleibt
  • Wortwiederholung "bemerke" - werde ich vermutlich ändern
  • Wortwiederholung "eben" - wird geändert
  • Wortwiederholung "Blick" - mal sehen
  • "ob unser Auto wohl noch draußen stehen wird" - überlege ich mir noch
  • "verwundern" - bleibt
  • "Kraftaufwand" - Gucke ich mir noch einmal an

Vielen Dank für Deine Mühe, nochmal. Du hast da wirklich eine ganze Menge gefunden.

 

Gegenwartsform für Rückblick - Hat es Dich gestört? Es ist gerade erst passiert, noch völlig präsent.
Gestört nicht direkt, es fiel mir seltsam auf. ;)

Ach ja, da hab ich noch was vergessen:

"sagt er in einem schwer verständlichen, kehligen Dialekt,"

Ich würde "schwer verständlichen" streichen, da Du den Dialekt ja in der wörtlichen Rede zitierst und sich der Leser so selbst ein Bild machen kann, wie schwer verständlich der Dialekt ist (ich hatte übrigens auch keine Probleme).

Alles Liebe,
Susi :)

 

@Häferl:

Wenn Dich die Zeitwahl doch seltsam aufgefallen ist, sollte ich das noch einmal überdenken. Mal sehen, ob sich noch jemand dazu meldet.

Die Stelle "schwer verständlichen, kehligen Dialekt" bleibt. Gerade, weil wohl jeder die Zeilen entziffern konnte (was nicht unbedingt meine Absicht war, aber ich werde den Dialekt nicht künstlich komplizieren), sollte zumindest klar sein, daß die Protagonistin es nicht wirklich versteht.

 

Okay, das Ambiente beschreibst Du ganz gut. Aber mehr als die Nicht-Bewältigung einer Beziehungskrise, verlagert an den durch den Challenge vorgegebenen Ort, kann ich nicht erkennen. Das Ende ist offen, von mir aus. Aber es macht die Geschichte nicht rund, sie bleibt völlig in der Luft hängen. Ich erwarte ja keine Auflösung. Aber Du legst im Grunde eine ganze Reihe Fäden aus, die alle wichtig zu sein scheinen, aber diese Fäden führen nirgendwo hin. Man mag sie Bilder nennen, und vielleicht hat es eine tiefere Bedeutung, dass man ständig ein Ticken hört, die Eheleute aber nicht dazu in der Lage sind, auf dessen Ursprung - die Uhr - zu schauen. Dann sind da Klischees - der saufende Mann, der meint, die Frau kann nicht Auto fahren - die die Geschichte gewöhnlicher machen als nötig.

Fazit: sprachlich ok, inhaltlich ganz gut erzählt, aber für mich nicht rund; Challenge-Vorgabe ist erfüllt, die Story könnte aber eigentlich auch in einem Motel, einem McDonalds oder in einer Pizzeria spielen.

Uwe
:cool:

 

Hallo Klaus,

die Unruhe im eigenen Kopf ist so laut, dass deine Protagonisten die Geräusche eines Gasthauses nicht hören. Sie sind mit sich selbst beschäftigt. Es ist ihre Uhr die tickt, nur eine andere Zeit wird sie erst anzeigen, wenn es für die beiden eine andere Zeit gibt.

Deine beiden Menschen streiten, dabei werden sie laut, hören sich aber nicht zu. Sie sinniert eher darüber, was er ihr vorenthält, was er ihr nicht zutraut, als seine Öffnung anzunehmen. Die offene Kellertür ist schon merkwürdig angesichts der Tatsache, dass dich deine Protagonistin zwar etwas Neuem zu öffnen scheint, sich aber dem was sie hat, verschließt. Das Neue erscheint gar fast bedrohlich, PLatte - geschlachtet- Blutwurst.
Sie weiß nichts von ihm, nicht mal die Herkunft. Kann es sein, dass sie nicht weiß wo er geboren wurde?
Während du mit einem Klischee brichst (Frauen wollen reden, Männer sind schweigsam), erscheitn das, was die Frau stört mir auch fast banal, Aber das Leben ist eben oft banal.

In Verbindung mit dem Unfall hätte ich dieses Gasthaus fast als Zwischenwelt gelesen, wenn ich nciht vorher deinen Kommentar zu Van über die Abneigung gegen esoterische Mystik gelesen hätte.

Atosphärisch sehr angenehm zu lesen, sehr assoziativ zu interpretieren hat mir deine Geschichte von der Stimmung her gefallen, auch wenn ich nicht weiß, ob ich dich verstanden habe.
Einige Details noch:

Die Gaststätte empfängt uns mit einer abgestandenen, holzigen Wärme
Wozu der unbestimmte Artikel vor Wärme? Und wie stelle ich mir die holzig vor? Meine erste Assoziation war alter Kohlrabi.
umringt von dichtem, dunklem Wald.
muss einfach mal nachfragen. ME wird der Dativ nur einmal gesetzt, danach folgt der Nominativ. Aber vielleicht bin ich auch gerade mit der richtigen Regel am falschen Ort. ;)

Lieben Gruß, sim

 

Hey cbrucher,

ja, eine atmosphärisch dichte, schöne Geschichte. Ich habe sie gern gelesen - leider habe ich meinen 523 Vorpostern nichts mehr hinzuzufügen, außer:
" umringt von dichtem, dunklem Wald.
muss einfach mal nachfragen. ME wird der Dativ nur einmal gesetzt, danach folgt der Nominativ. Aber vielleicht bin ich auch gerade mit der richtigen Regel am falschen Ort."
Ja, stimmt - dunklen Wald :)

gruß
vita
:bounce:

 

@Uwe Post:

Dein posting hat mich ziemlich aufgebracht. Weshalb ich es hier einmal Satz für Satz zergliedere:

  • "Okay, das Ambiente beschreibst Du ganz gut" - Könnte ich das bitte noch einmal ohne den jovialen Unterton haben? Wenn Dich etwas stört, dann nimm Dir bitte die Zeit, es darzulegen.
  • "Aber mehr als die Nicht-Bewältigung einer Beziehungskrise, verlagert an den durch den Challenge vorgegebenen Ort, kann ich nicht erkennen." - Reicht das Thema nicht für eine Geschichte? Und ich denke von einer reinen Verlagerung an einen, wie Du implizierst, beliebigen Ort kann man nicht sprechen. Der Ort und seine Atmosphäre haben entscheidenden Einfluß auf das Geschehen.
  • "Das Ende ist offen, von mir aus." - Als offen würde ich es bezeichnen, wenn die Protagonistin am Tisch sitzen bliebe.
  • "Aber es macht die Geschichte nicht rund, sie bleibt völlig in der Luft hängen." - Das sehe ich nicht so. Wenn Du schon "Beziehungskrise" als einziges Thema konstatierst, so steht am Ende die Trennung. Wie sollte es denn weitergehen?
  • "Aber Du legst im Grunde eine ganze Reihe Fäden aus, die alle wichtig zu sein scheinen, aber diese Fäden führen nirgendwo hin." - Das solltest Du mir etwas genauer auseinandersetzen. Und dem Faden "Ticken" vielleicht noch die fehlende Reihe hinzufügen.
  • "Man mag sie Bilder nennen, und vielleicht hat es eine tiefere Bedeutung, dass man ständig ein Ticken hört, die Eheleute aber nicht dazu in der Lage sind, auf dessen Ursprung - die Uhr - zu schauen." -
    Aus Deinem "vielleicht" lese ich heraus, daß Du keine Lust hattest, Dir darüber tiefere Gedanken zu machen. Und dann halte ich eine Kritik für fragwürdig. Wenn Du Dir Gedanken machst und mir dann nachweisen kannst, daß das Ticken keinen Sinn ergibt, muß ich das akzeptieren. Aber kritisierst Du hier nicht, daß es Dir zu anstrengend war? Ich habe einige Zeit in den Text investiert. Und vielleicht habe ich Mist gebaut. Dann aber bitte nachweisen.
    Oder wolltest Du damit sagen, daß der Text keine Lust macht, über ihn nachzudenken? Wäre legitim, steht aber nicht da. Was dasteht klingt eher nach "wer geneigt ist, mag sie Bilder nennen, aber eigentlich ist es nur sinnlose Verwirrung".
  • "Dann sind da Klischees - der saufende Mann, der meint, die Frau kann nicht Auto fahren - die die Geschichte gewöhnlicher machen als nötig." - Ob der Mann säuft oder nicht, läßt sich aus der Geschichte wohl kaum herauslesen. Oder hast Du noch nie zwei Bier und einen Schnaps an einem Abend getrunken? Und zu dem anderen Klischee: abgesehen davon, daß nirgends steht, daß die Protagonistin mit ihrer Sicht der Dinge richtig liegt, steht da auch nicht, ob er das glaubt oder nicht. Sie wirft ihm lediglich vor, er würde ihr diese Vorstellung vermitteln wollen. Vielleicht kann sie auch tatsächlich nicht Auto fahren. Ich kann in diesen denkbaren Möglichkeiten nichts Gewöhnliches entdecken.
  • "Fazit: sprachlich ok" - Wenn Du nichts zu bemängeln aufführst, hätte ich gerne ein "sehr gut".
  • "inhaltlich ganz gut erzählt" - Ist Inhalt eine Frage der Erzählweise?
  • "aber für mich nicht rund" - Ist das als Urteil auf die ganze Geschichte zu verstehen? (Als Fazit im Fazit somit?) Wenn ja, so ist das Dein Eindruck. In Ordnung.
  • "Challenge-Vorgabe ist erfüllt, die Story könnte aber eigentlich auch in einem Motel, einem McDonalds oder in einer Pizzeria spielen." - Abgesehen, daß Deine Vorschläge für alternative Orte in keiner Weise für die Geschichte tauglich sind, bin ich ob dieser Aufzählung dann doch etwas konfus. Du willst doch nicht etwa sagen, daß ich jedes Vorkommnis von "Gaststätte" im Text durch "McDonald's" ersetzen kann und sich an der Geschichte nichts ändert, oder? Die Aussage, daß man einen anderen Handlungsort hätte wählen können, halte ich für vollkommen trivial und überflüssig. Natürlich. Man hätte die Geschichte auch zeitlich dreihundert Jahre vor oder zurück versetzen, oder aus dem Wirt einen Außerirdischen machen können. Aber dann wäre es nicht mehr diese Geschichte.
    Wie auch schon Kürbiselfe bemerkt hat, enden Deine Postings in dieser Rubrik mit der Bewertung, ob die Kriterien des challenge erfüllt sind. Nun weiß ich natürlich nicht, inwieweit Du bereits Jury-Arbeit damit erledigst, dennoch halte ich die Bemerkung für unnötig, solange Du nicht sagen willst, daß die Geschichte die Bedingungen nicht erfüllt.

@sim:

In Verbindung mit dem Unfall hätte ich dieses Gasthaus fast als Zwischenwelt gelesen, wenn ich nciht vorher deinen Kommentar zu Van über die Abneigung gegen esoterische Mystik gelesen hätte.

Vielleicht habe ich mich dort mißverständlich ausgedrückt. Ich mag diese esoterische Angebote nicht, die Harmonie und Glück und Sinn verheißen. Ein bißchen mystisch darf es bei mir schon sein, solange es aber verspricht, böse zu sein.

Atosphärisch sehr angenehm zu lesen, sehr assoziativ zu interpretieren hat mir deine Geschichte von der Stimmung her gefallen, auch wenn ich nicht weiß, ob ich dich verstanden habe.

Vielen Dank für das Lob. Besonders freut mich, daß Du den Punkt "assoziative Interpretation" ansprichst. Ich nehme an, daß Du darunter auch Deinen Ansatz zu "Platte - geschlachtet- Blutwurst" faßt.

Ob Du mich verstanden hast? Ich glaube nicht, daß es darum geht. Und auch nicht um ein "richtig". Was interessiert schon, was ich denke. Der Text ist ja auch noch lange nicht gut, bloß weil ich ihn für gut halte.

Die Gaststätte empfängt uns mit einer abgestandenen, holzigen Wärme
Wozu der unbestimmte Artikel vor Wärme? Und wie stelle ich mir die holzig vor?

Der unbestimmte Artikel steht, weil es mir besser gefällt als 'empfängt uns mit abgestandener, holziger Wärme'. Und zu holzig: Wärme ist an sich immer gleich. Abgestanden und holzig charakterisieren den Geruch.

umringt von dichtem, dunklem Wald

Ich bin mir nicht sicher, ob ihr (Du und vita) recht habt. Ist ja eine Aufzählung. Wie ist es mit "erzählte von langem, langem Kampf" gegen "erzählte von langem, langen Kampf"? Ich glaube, daß die Regel mit anderen Worten gilt: "im dichten, dunklen Wald". Ich habe leider im Wahrig gar nichts dazu gefunden. Und auch mein Grammatik Duden listet nur verschieden Vorgänger auf, die die Deklination verändern können, also "einem kleinen Jungen" und "manch kleinem Jungen".

@vita:

Vielen Dank fürs Lesen und das Lob. Zu "umringt von dichtem, dunklem Wald" vergleiche oben.

 

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