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Unterschlupf

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14.03.2002
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Unterschlupf

Zittrigen Schrittes stolpern wir über knirschenden Kies bis zu einer schweren, niedrigen Holztür. Es ist bereits stockdunkel. Wir zögern beide, instinktiv, dann treten wir ein. Die Gaststätte empfängt uns mit einer abgestandenen, holzigen Wärme. Wir sehen uns um, und ich will reflexhaft meine Hand in Christians Jackentasche stecken, nach Unterschlupf suchen bei ihm. Gerade noch rechtzeitig ziehe ich meine Hand zurück. Er hat zum Glück nichts bemerkt.

Es ist auffällig still hier. Von irgendwoher klingt das stete Ticken einer Uhr. Beruhigend auf eine Art und Weise, von der ich nicht sicher sagen kann, ob ich sie kenne. Der Raum ist spärlich beleuchtet, beinahe dunkel. Kerzen brennen auf den Tischen, und in der linken hinteren Ecke flackert das Feuer eines offenen Kamins. Hinter dem Tresen am anderen Ende der Stube poliert ein dürrer, bärtiger, großgewachsener Mann, den ich auf etwa siebzig schätze, bedächtig Gläser. Einige Gäste sitzen an den Tischen, ausschließlich Männer, alle einzeln. Sie trinken Bier und sehen nicht auf, als wir hereinkommen. In die rechte Wand ist eine Tür eingelassen, durch die torbogenartige Öffnung fällt Licht, eine Treppe führt von dort hinunter. Ich bemerke erst, daß sich mein Blick verfangen hat, als mich Christian am Arm packt und an einen Tisch nahe dem Kamin zieht.

Wir setzen uns und schweigen. Vielleicht, weil das eben Erlebte noch zu frisch ist. Rückfahrt von Italien. Noch etwa vier Stunden von Düsseldorf entfernt. Seit dem Morgen durchgefahren. Mit dem festen Vorsatz aufgebrochen, heute nacht wieder im eigenen Bett schlafen zu dürfen.

Irgendwo hinter Freiburg dann unser Streit, an irgendeiner Nichtigkeit entzündet, Christian fährt von der Autobahn ab. Wir streiten auch noch auf der Bundesstraße, sogar noch auf irgendwelchen Landstraßen. Wir sind so vertieft in Anschuldigungen und Rechtfertigungen, Beleidigungen und Beleidigtsein, daß wir nicht mehr darauf achten, wohin uns die Straße führt. Irgendwann durch den Wald, irgendwie plötzlich ein Reh auf der Straße, Vollbremsung. Das Reh erschrickt sich, bleibt dennoch stehen. Glotzt mit großen unbedarften Augen in das grelle Licht der Scheinwerfer, rührt sich nicht. Steht minutenlang dämlich glotzend da, bis Christian endlich Licht und Motor abschaltet. Wir sagen nichts. Warten nur, vor Schreck selbst ganz starr.

Nachdem Christian den Motor wieder angelassen hat, die Scheinwerfer aufleuchten, ist die Straße frei, das Reh verschwunden. Als wäre es nie dagewesen. Wir fahren weiter, noch immer unfähig, etwas zu sagen. Wenige Minuten in schleichender Bewegung, schweigender Behutsamkeit. Die Gaststätte taucht unerwartet auf. Gleich einem gestrandeten Rettungsschiff am Ufer einer einsamen Insel liegt sie in der Mitte einer kleinen Lichtung, umringt von dichtem, dunklem Wald. Wir parken, steigen aus, sind hier.

Mit schlurfenden Schritten kommt der Wirt an unseren Tisch. Er hat ein Tuch über den linken Arm geworfen, zwei neue Kerzen in der rechten Hand, die er entzündet und in die beinahe niedergebrannten Stümpfe drückt. Dann fragt er mit einem knappen 'Bitte?' nach unseren Wünschen. Christian bestellt Bier und Schnaps. Ich entscheide mich für Tee und schließe mich dem Schnaps an, ein wenig enttäuscht darüber, daß es keinen Rum gibt. Keinen heißen Tee mit Rum. Das Vermächtnis aus der Tiefebene, wie Christian es spöttisch nennt, und meist fügt er mit übertriebenem Pathos hinzu: Wie schon deine Mutter, und wie ihre Mutter schon vor ihr.

Etwas Linkisches ist an diesem Wirt. Während er an unserem Tisch steht, betrachte ich ihn verstohlen. Sein ergrauter Bart und die vielen Falten, die dünnen Arme und die hohe Stirn, sein gebückter Gang und seine Gemächlichkeit bestätigen meine Schätzung. Um die siebzig müßte er sein. Vielleicht sogar älter. Nur seine Augen - klein, warm und braun - wollen nicht dazu passen. Gerade, als meine unverhohlenene Neugierde durchbricht, geht er zurück zu seinem Tresen, und enttäuscht lasse ich meinen Blick durch die Stube schweifen.

Das Mobiliar sieht alt aus, uralt. Von einer klobigen, unbeholfenen Form, die niemals einen Weg in einen Antiquitätenhandel finden wird. Die niedrige Holzdecke mit ihren riesigen Balken ist dunkel, in der Nähe des Kamins schwarz und glänzend. Die Fenster sind vorhanglos, bleigefaßt und so klein, daß ich Mühe hätte, durch sie nach draußen zu klettern.

Merkwürdig, wie manche Gedanken sich ins Bewußtsein schleichen. So scheinbar ohne eigenes Zutun, so ganz ohne Anlaß. Ich lausche dem Ticken der Uhr, kann sie nirgendwo entdecken. Der ganze Raum, außergewöhnlich rustikal und karg, ist so unspektakulär, daß ich dazu übergehe, die übrigen Gäste zu beobachten.

Zwei Tische weiter sitzt ein Greis, der gerade mit einem unachtsamen Blick den Rest seines Glases hinunterspült. Die Tür zum Keller steht noch immer offen, ich erwarte irgendwelche Geräusche: das Klirren von Getränkekisten, die die Treppe heraufgetragen werden, Schnaufen und Schritte. Ich lausche und starre, doch da ist nichts.

Ein leises Grunzen schreckt mich auf. Ich wende den Kopf. Auf dem Gesicht des Alten breitet sich ein obszönes Grinsen aus, macht eine Zahnlücke sichtbar und wirkt bedrohlich und debil zugleich. Doch nicht er hat das Geräusch verursacht. Es kam aus der Ecke neben der Kellertür, in der ich eine zusammengesunkene Figur auszumachen glaube, mir abgewandt, vielleicht mit einer Kapuze über dem Kopf.

Ich kann mich erinnern, vor langer Zeit einmal aus der Beobachtung von Menschen in Cafés und Kneipen ein Vergnügen gezogen zu haben. Bevor ich Christian geheiratet habe, lange bevor ich ihn überhaupt kannte. Eine Beschäftigung, von der ich wünsche, sie zumindest jetzt mit ihm teilen zu können. Um ein wenig das Gefühl zu vertreiben, hier am falschen Ort zu sein. Doch ich ahne, nein: glaube sicher, daß er nicht darauf eingehen wird. Daß er mir zu verstehen geben, mich anzischen wird, mein Verhalten sei peinlich. Da zudem die einzigen Geräusche von dieser Uhr rühren, die irgendwo in der Dunkelheit verborgen sein muß, ist seine Reaktion vorhersagbar: er würde sich meiner schämen, und ich bekäme ein schlechtes Gewissen.

"Mein Gott, was habe ich mich vorhin erschrocken", wende ich mich flüsternd an Christian, der nur nickt und mit der Kerze spielt. Ich warte auf eine Antwort, doch es folgt nichts. Ich weiß nicht genau, was seine Wortkargheit bedeuten mag. Unser Streit war heftig, sicher. Aber Christian gehört nicht zu den Menschen, die sich in Schweigen zurückziehen. Seine Unnachgiebigkeit ist mehr beredter Natur. Was zugegebenermaßen manchmal, besser: oftmals, anstrengend sein kann, nein: ist.

Ich erschrecke vor meiner eigenen nachdrücklichen Offenheit. Habe ich diesen Umstand jemals wirklich vor mir selbst zugegeben? Ich wiederhole und variiere die Aussage in Gedanken: Christians eloquenter Starrsinn ist ermüdend. Nein, das habe ich nicht. Dabei ist es die Wahrheit. Und es ist doch nur eine Kleinigkeit. Eine Kleinigkeit, im Vergleich zu unseren Schwierigkeiten, vielmehr: zu seinen Unzulänglichkeiten, im Bett.

Wieder erschrecke ich, doch wird die Empfindung von etwas ganz anderem begleitet. Ja, denke ich, mit den Lippen die Worte formend, Unzulänglichkeiten im Bett. Etwas bemächtigt sich meiner und verschafft mir das berauschende Gefühl eines Triumphs.

Der Wirt serviert dem Greis im Vorbeigehen ein weiteres Bier, auf dem Tablett unsere Bestellung.
"Roßler, den hemmer selber brennd", sagt er in einem schwer verständlichen, kehligen Dialekt, der mich an die Schweiz erinnert, und doch anders klingt. Es fehlt ihm das, was ich bei Schweizern als lustig empfinde. Sein auffordender Blick nötigt uns, den Schnaps in seiner Gegenwart zu trinken. Unsicher proste ich ihm zu. Die klare Flüssigkeit ist stark, scharf und ekelhaft. Und sie tut gut. Der Wirt grinst, ich lächle Christian an, dieser hat keine Miene verzogen. Schon schüttet er einen großen Schluck Bier nach.

"Können wir noch etwas zu essen bekommen?" frage ich.
"Wenn dFrau usem Keller kunnd, konn se schu no was riechde; ich kennd Ihne so e kaldi Bladd onbiede."
Ich schaue ihn an, verständnislos. Ungeachtet meiner Verwirrung fährt er fort:
"Mir hen au erschd vor zwei Daag e Sau gschlaachded. 's git au frischi Blued- un Laeberwurschd in de Bfonn. Mid Braegele wenn Se welle."
Ich bin es von starken Dialektsprechern gewohnt, daß sie sich um eine Art Hochdeutsch bemühen. Zugegebenermaßen klingt das zwar meist recht lächerlich, aber der Versuch hat etwas Rührendes. Nicht jedoch dieser Kerl. Selbstbewußt steht er vor uns, sieht abwechselnd von Christian zu mir und erwartet eine Antwort. Ich habe kaum etwas davon verstanden. Da meldet sich Christian, wie aus einem Schlaf erwachend, und doch sofort präsent:
"Nein, meine Frau mag leider weder Blut- noch Leberwurst. Aber Bratkartoffeln klingt gut. Und dazu ein wenig Wurst und Speck."

Der Wirt grunzt zufrieden, dann zieht er ab. Ich raune Christian, der sofort wieder in seine lethargische Haltung zurückgefallen ist, völlig entgeistert zu:
"Du hast ihn doch nicht etwa verstanden, oder?"
Christian sieht in die Kerze. Nach einer Weile antwortet er tonlos:
"Meine Eltern kommen ursprünglich aus dieser Region. Ich bin hier aufgewachsen."

Sofort versinkt er wieder in sich. Nimmt einen weiteren Schluck Bier, richtet seinen Blick auf die Flamme, entzieht sich. Ohne eine Erklärung, weshalb er mir noch nie davon erzählt hat. Doch ich bin nicht bereit, das einmal begonnene Gespräch so einfach wieder abbrechen zu lassen:
"Was hat er denn noch gesagt?"
"Er sagte, daß seine Frau im Keller sei, und daß diese dann etwas zu essen bereiten könne, wenn sie wieder nach oben kommen wird. Er hat uns eine kalte Platte angeboten, oder frische Blut- und Leberwurst mit Bratkartoffeln."
Die Frau ist im Keller. Deswegen steht die Tür offen. Ich wende meinen Blick, erwarte jeden Moment eine weibliche Kopie unseres hageren Wirts die Treppen heraufsteigen, doch nichts geschieht.

Ich nippe an meinem Tee, der noch immer recht heiß ist, Christian leert sein Bier. Mit einer kurzen Kopfbewegung, die der Wirt sofort registriert, signalisiert er seinen Wunsch nach einem weiteren Glas.
"Hältst du es für eine gute Idee, jetzt so viel zu trinken?" sorge ich mich, doch Christian winkt ab:
"Laß man."
Ein ungewohntes Gefühl baut sich in mir auf: Wut. Wut auf Christian, der ganz darauf aus scheint, sich hemmungslos zu betrinken. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er mich fahren lassen wird. Und Lust auf eine weitere Auseinandersetzung habe ich eigentlich auch nicht mehr. Zumal er mir mit seinen ständigen Mäkeleien dieses Thema gründlich vermiest hat.

Erstaunen erfaßt mich. Was denke ich da gerade? Stimmt das etwa? Meine aufwallende Wut flaut ab. Ja, wenn ich es recht bedenke, so scheint es zu stimmen. Christian nutzt jede sich bietende Gelegenheit, mir klarzumachen, daß ich gar nicht Auto fahren kann. Läßt er mich doch einmal ans Steuer, macht er mich mit seinen Kommentaren halb verrückt. Beim Einparken greift er mir ins Lenkrad. Über den Witz mit dem Frauenparkplatz kann er sich immer wieder totlachen. Und lese ich eine Karte, so prüft er mißtrauisch nach, ob sich nicht doch eine bessere Route findet.

Die Wut, die sich jetzt aufbaut, unterscheidet sich von der ersten erheblich. Was ihr an Hitze fehlt, wiegt sie durch Unnachgiebigkeit zehnfach auf. Ich kann spüren, wie sie stärker wird in mir. Sie gebietet mir, mich auf die Suche zu machen. Wie Wind, der Segel strafft. Und ähnlich einem Kapitän, der auch bei Wetter seinen Schoner sicher zu navigieren versteht, weiß ich in dieser Wut meine Gedanken zu steuern.

Ich führe sie zurück nach Italien, zu einem Nachtspaziergang in San Gimignano, der mich die letzten Tage über unentwegt beschäftigte. Die Türme, für die das Städtchen in der Toskana berühmt ist, am Tage kitschig, erhielten durch die Beleuchtung eine Eleganz und Macht, die mich faszinierte. Wir gingen umher, meine Freude überschwenglich, ich erzählte Christian, was ich im Reiseführer gelesen hatte: daß heute nur noch wenige der beinahe hundert Türme erhalten seien, weshalb sie erbaut worden waren und wann. Christians einzige Sorge galt unserem Auto, unseren Sachen, ob wir nicht Gefahr liefen, bestohlen zu werden.

Er konnte meine Begeisterung nicht teilen, aus Sorge, dachte ich. Jetzt sehe ich es anders. Ich blicke zur Kellertreppe und weiß: Christians Profiliersucht, seine Gier nach Darstellung, die ich so lange glücklich durch Bewunderung befriedigt habe, konnte es nicht ertragen, sich von mir belehren zu lassen. Er hatte mir meine Freude absichtlich madig gemacht.

Ich wende mich ihm zu. Er kratzt sich am Kopf, stiert in die kleiner werdende Kerze, sein Daumen tippt ans Glas, synchron mit dem Ticken der Uhr. Auf einmal kommt es mir so vor, als würde er schrumpfen, versinken. Ich betrachte sein volles, kurzrasiertes Haar. Begutachte die Brille, die ihn so intellektuell aussehen läßt und sehe ihn mit einem Mal ganz anders.

"Wieviel Uhr ist es eigentlich?" will Christian plötzlich wissen. Und ohne den Blick von der Kerze zu lassen fährt er fort: "Ich bin so müde, es kommt mir ungeheuer spät vor."
Vorsichtig antworte ich: "Ich weiß es nicht, ich muß meine Uhr im Auto liegengelassen haben. Sieh doch auf deinem Handy nach."
"Habe ich bereits. Die Anzeige funktioniert nicht."
Ich bemerke Unsicherheit in seiner Stimme und seiner Körperhaltung, erkenne auch, daß er sie zu verstecken versucht.
Der Wirt kommt an unseren Tisch, stellt ein weiteres Bier ab, Christian wendet sich an ihn:
"Entschuldigen Sie, wie spät ist es denn inzwischen?"
"Ha do mieße Se uffd Uhr gugge", lautet dessen kryptische Antwort.
"Kann man bei Ihnen auch übernachten?" fragt Christian unbeirrt weiter, ein deutliches Schwanken in seiner Stimme.
Der Wirt lacht nur und geht davon. Ein feines Grinsen zwingt sich in die Kühle meines Blicks. Wie es wohl für ihn sein mag, ausgelacht zu werden? Sicher eine ganz neue Erfahrung.
"Dann kommen wir eben sehr spät zu Hause an", bestimmt Christian, und ich widerspreche in normaler Lautstärke:
"Du wirst heute nicht mehr fahren."
"Gut, dann schlafen wir im Wagen."

Ich trinke von meinem Tee und lasse meine Augen umherwandern. Ganz ohne Absicht bleiben sie auf der Kellertür ruhen. Etwas zieht mich dorthin, seit wir die Stube betreten haben. Von dort geht es aus; mein Aufbegehren, mein neues Ich, es macht mich trunken.

Kopfschüttelnd, mit geschlossenen Augen atme ich tief ein und aus. An was für einen Ort sind wir hier nur geraten, frage ich mich, er verändert mich. Zwischen Unsicherheit und Rausch hin- und hergerissen, werfe ich einen kurzen Blick auf Christian. Auch auf ihn übt die Gaststätte eine Wirkung aus, auch er wird von ihr verändert. Ich frage mich, wie das möglich ist. Frage mich, ob unser Auto wohl noch draußen stehen wird. Und wird die Straße noch da sein, der Wald? Wäre es nicht so, stelle ich aufgeregt fest, würde es mich nicht verwundern. Mir ist nach Lachen. Die Vorstellung hat etwas unglaublich Komisches.

Mit einigem Kraftaufwand versuche ich, meine Gedanken an einen anderen Ort zu zwingen, meinen Blick weg von der Kellertür. Italien? Nein. Schulferien auf Usedom? Nein. Das Meer im Herbst vor meinem Wechsel nach Düsseldorf? Meine Arbeitskollegin Rita an der Kaffeemaschine, die Avancen meines Vorgesetzten im Büro? Nein, nein, nein, Christian. Christian am Abend, Besuch von Freunden. Ich sehe ihn reden, immer wieder ihn, ab und an Lara, selten Marcus, niemals mich. Ich habe es so gewollt, vielleicht. Bleibt mir nun noch eine Wahl? Ich glaube nicht. Es ist entschieden, ich ergebe mich.

Die Uhr tickt, die Kerze brennt, ein leises Grunzen aus der dunklen Ecke neben der Kellertür. Es beunruhigt mich nicht mehr. Ich habe mich darüber erhoben.

Meinen Blick auf die Kellertür geheftet, stehe ich langsam auf. Aus dem Augenwinkel sehe ich Christian einen großen Schluck nehmen. Langsam gehe ich quer durch den Raum, kein Blick, der mir folgt, meine Schritte im Takt der Uhr, vorbei an der Gestalt, deren Kopf ich für eine Kapuze gehalten hatte. Ich habe keine Angst. Wie ich unter dem Tor hindurchschlüpfe und die Stufen langsam hinabsteige, befällt mich ein wildes Gefühl von Freiheit.

 
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@Dante_1:

Vielen Dank für Deine kritischen und konstruktiven Bemerkungen, gerade auch, wenn Dir Text nicht gefallen hat. Dazu:

Kein steter Wechsel zwischen äußerer und innerer Handlung
Ich bezweifle zwar, daß dies so ganz richtig ist, aber ich denke, ich weiß, was Du damit meinst: Es geschieht nichts. So schnell kann ich dazu nichts sagen, werde die Geschichte unter diesem Aspekt noch einmal genau lesen.

Vermutlich haben wir in diesem Punkt ganz unterschiedliche Ansichten, denn Dein Postulat: "Äußere Handlung ohne innere funktioniert in der Regel, innere ohne äußere nicht" findet nicht unbedingt meine Zustimmung.

Deine Bemerkung, eine emotionale Entwicklung solle zu etwas führen, kann ich nicht ganz verstehen. Es geschieht in dieser Hinsicht eine ganze Menge, wenn auch nicht äußerlich.

Dante_1 schrieb:
Nimm mal das Bild [von den Schienen] und schau dir diesen Satz an:
Text schrieb:
Was zugegebenermaßen manchmal, besser: oftmals, anstrengend sein kann, nein: ist.
Dieser Bruch, dieses Entgleisen ist vollkommen beabsichtigt, wie ich auch an früherer Stelle schon geschrieben habe. Wenn der Zug des Lesers in den Graben fährt, dann ist das wunderbar. Jetzt kann er aussteigen und sich umsehen.

Was die andere Stelle angeht, so verstehe ich Dich nicht so ganz. Könntest Du mir einen (korrigierten) Vorschlag zuschicken? Hier oder per pn? Der Absatz gefällt mir ziemlich gut, wenn ich laut lese, die Zeichensetzung berücksichtige, kommt genau das heraus, was ich haben will. Aber ich lasse mich gerne überzeugen, wenn das doch anders besser ist.

Nachtrag

@Goldene Dame:

Du hast natürlich recht, ich hätte es auch in der Geschichte relativieren können. Auf Kosten der Figurensicht allerdings, zumindest von meiner Vorstellung von Figurensicht. In dem Moment, in dem ich sie im Text relativiere, gebe ich das auf, was mir am reizvollsten erscheint: die Darstellung einer Realität. Denn die Realität ist m.E. nur Mittelwert aller Einzelrealitäten (so langsam gerät das off-topic).

Ich will den Leser nicht dazu bringen, daß er Partei für jemanden ergreift. Er soll jemanden kennenlernen, seine Art zu denken, soll ihm klarwerden. Welche Sympathie ihm daraus erwächst, ist mir egal. Beispiel: man hätte Deinen challenge-Beitrag (den ich nach den Änderungen übrigens noch einmal lesen werde) auch aus der Sicht von Claude schreiben können. Jemand, dessen Partei man ganz sicher nicht ergreift. Und doch wäre es interessant zu erfahren, wie so jemand denkt.

Der Kernpunkt der Geschichte ist nicht, soll nicht sein, die (absolute) Wahrheit zu ermitteln. Nur die Wahrheit der Protagonistin.

Ich denke, wir haben da sehr unterschiedliche Ansichten und Ziele beim Schreiben. Vielleicht sagt Dir mein Ideal ja nicht zu, in jedem Fall vielen Dank für die Kritik.

PS: Ich bin kein Freund von Adjektiven, dieser Text bildet in dieser Hinsicht eher eine Ausnahme.

 

cbrucher schrieb:
Zu Deiner Interpretation: sicher hast Du Deine Erfahrungen mit eingebracht, aber Deine Erfahrung (eine gewisse Sensibilisierung für Zusammenhänge) sprang auch Passagen, Einzelstellen im Text an, oder liege ich da falsch?
Natürlich liegst du nicht falsch, aber solltest du meine Geschichten gelesen haben und meine Postings dazu kennen, wirst du feststellen, dass ich ein Freund von hintergründigen Texten bin. Ich liebe die Herausforderung dies auch stilistisch umzusetzen. Nur genügt es nicht diese Feinheiten einem kleinen Kreis in der Leserschaft verständlich zu machen. Ziel muss es sein, mehrere zu erreichen und zu sensibilisieren, worauf man hinaus will. Es ist nicht nur so, dass viele Leser zu schnell mit dem Lesen sind, sondern schlicht weg mit dem Anspruch des Autors überfordert werden. Dein Anspruch ist hoch. Wenn du willst, dass dieser dir gerecht wird, musst du auch die Empfindungen des Lesers mit berücksichtigen.

 

@Goldene Dame:

Möglich, vielleicht ist meine Umsetzung noch etwas unbeholfen, es gibt bestimmt noch viele Möglichkeiten, wie ich dem Leser besser für das sensibilisieren kann, was ich im Text anlege. Jegliche Vorschläge willkommen, hier oder per pn.

Übrigens bemerke ich gerade, in der von Dir zitierten Stelle ein "auf" vor "Passagen" vergessen zu haben. Werde das mal nachtragen.

 

He, das ist ja eine interessante Diskussion hier! Also wenn ich darüber nachdenke, warum ich Geschichten lese, dann muss ich sagen: Ich genieße es, in eine andere Haut zu schlüpfen, an Erfahrungen teil zu haben, die ich sonst nicht mache. Und dazu sind Handlungen, zumindest in den Rückblenden notwendig. Wenn mir dagegen Behauptungen und Werturteile geliefert werden, dann klingt es für mich - entschuldige cbrucher, wenn ich das jetzt so hart ausdrücken muss - eher wie eine Tagebuchaufzeichnung. Außerdem lese ich, um unterhalten zu werden, möglichst anspruchsvoll, d. h., dass ich zum nachdenken angeregt werde. Ich habe allerdings weniger Lust, Rätselraten zu spielen. Wenn ich also nach mindestens dreimaligem Lesen, deinen Hinweis darauf, dass deine Prot die Gefahr, vorschnelle Urteile zu ziehen, mit mir teilt, nicht finde, bezweifle, dass ich zu flüchtig lese. (Uff, ist das ein komplizierter Satz, ich hoffe, du verstehst mich jetzt! ;))

@Goldene Dame: interessant, dass du das hier ähnlich siehst! Genau dasselbe habe ich bei deiner letzten Geschichte kritisiert! Ich sehe da keinen Unterschied zu cbrucher. Nichts für ungut! ;)

Jetzt habe ich eure letzten Kommentare gelesen: He Leute, was heißt hier Anspruch! Gibt es die absolute Wahrheit! Jeder Leser versteht eine Geschichte immer aufgrund der eigenen Erfahrungen! Die sind einfach unterschiedlich. Wenn der Autor in eine bestimmte Interpretation deuten will, muss er das auch deutlich machen. Ansonsten reicht es auch, einen Zeitungsbericht zu schreiben unter dem Motto: Frauen fühlen sich von ihren Männern oft nicht verstanden. Ok, das ist überspitzt, soll nur verdeutlichen, in welche Richtung es geht.
Gruß
tamara

 

tamara, jeder Autor ist vernagelt, wenn es um seine Defizite geht. Das was du mir vorgehalten hast, war mir nicht neu. :D Aber deswegen sind wir bei KG.de, um zu lernen. Außerdem habe ich Aus Liebe ja entsprechend abgeändert. ;)

 

Aber deswegen sind wir bei KG.de, um zu lernen.
Wie schön, das zu hören! Oder wie cbrucher in seinem Profil schreibt:
Wenn jemand antwortet, ihm habe eine Geschichte von mir gefallen, schmeichelt das meinem Ego. Dennoch sind mir sachliche, kritische Anregungen und Hinweise lieber.
Das ermutigt mich!
:kuss:
tamara

 

Wirklich eine interessante Diskussion, freut mich wirklich sehr. Manchmal wünscht man sich, daß das viel öfter so aussieht. Auch wenn es inzwischen schon bei rotem off-topic-Alarm angelangt ist.

@tamara:

Entschuldige bitte, wenn ich Deinen Kommentar so schlampig beantwortet habe, im Text steht nicht explizit, daß sie sich Sorgen macht, vorschnell zu urteilen, vorschnell zu handeln. Aber im Text steht, daß sie sich nicht sicher ist, ob dieses Denken wirklich aus ihr selbst kommt. Ich glaube, ich meinte eher das. Sorry. Ich wollte Dir mit meinem schnodderigen Kommentar nicht unterstellen, den Text zu flüchtig gelesen zu haben, auf keinen Fall.

Zu Deinem Vorwurf, es sei eher ein Tagebucheintrag: Abgesehen davon, daß ich doch einen Unterschied in Form und Stil sehe, frage ich mich, was daran so schlimm sein sollte. Aber vielleicht haben wir eine unterschiedliche Ansicht. Tagebücher können interessant sein. Vielleicht gerade, weil man von vornherein weiß, daß es eine ganz subjektive Sicht ist. Vielleicht setzt das an einer unterschiedlichen Erwartungshaltung an.

Ich habe nicht vor, jemanden zum Rätselraten zu zwingen, aber ich habe auch nicht vor, eine Geschichte zu erzählen, in der alle Fragen beantwortet werden.

@Goldene Dame:

Ob ich jetzt gleich von Defiziten sprechen würde, weiß ich nicht. Vielleicht sind es ja auch manchmal Irrwege, die man wieder verläßt. Und was das Lernen auf kg.de angeht, gerade aus so einer Diskussion ziehe ich sehr viel, erachte ich für sehr wertvoll. Das wird Nachwirkungen haben, ich werde da noch länger darüber nachdenken können. Und vielleicht widerrufe ich dann ja auch reuig alles.

@tamara (ich komme nicht nach):

Bitte, bitte, immer her mit Kritik. Solange sie fair ist, und das ist sie, ziehe ich daraus nur Positives!

 

Bitte, bitte, immer her mit Kritik.
Na super, wenn ich mal wieder Lust habe, mich zu streiten (mein Mann ist meist so lieb zu mir!), dann werde ich eine Geschichte von dir verreißen! :D
Es ist mir jetzt auch egal, wie Off-topic wir sind, meinetwegen können die Mods alles in den Kaffeklatsch kopieren. Gerade aus diesen Diskussionen lerne ich auch am meisten, gerade wenn ich darüber nachdenke, warum mir eine Geschichte nicht gefällt, lerne ich sehr viel für mein Schreiben. Also purer Egoismus!
Ich schreibe Tagebuch, seit ich denken kann. Und das tue ich, damit ich mir über meine Gefühle klar werde. Wenn ich einem anderen etwas erklären will, erzähle ich mehr. Vielleicht steckt für mich auch ein moralischer Anspruch dahinter. Wie die goldene Dame schon gesagt hat, ist uns wohl klar, dass Erfahrungen relativ und Beurteilungen subjektiv sind. Wenn z. B. eine Frau deine Geschichte lesen sollte, die gerade unzufrieden mit ihrem Freund ist, aber nicht genau weiß warum, könnte sie auf die Idee kommen: Ja, genau, dieses Schwein! Klar, in einzelnen Fällen könnte es durchaus fruchtbar sein, wenn sie sich überlegt, dass man ein bestimmtes Verhalten von ihm anders interpretieren kann. Vielleicht kann jede Geschichte missbraucht werden. Aber ich als Autor kann versuchen, es so weit einzuschränken, wie ich meine. Ich habe z. B. in einer Geschichte erzählt, dass meine Eltern als Deutsche in Oberschlesien diskiriminiert worden sind. Ich habe ganz unschuldig nur das berichtet, was sie mir erzählt haben. Daraufhin kam die Kritik, dass ich doch auch darauf hinweisen muss, wie es dazu kam, drittes Reich et. Erst habe ich mich darüber sehr geärgert, weil ich meine, dass ich nicht alle Ursachen bis zu Adam und Eva in einer kleinen Geschichte zurückführen kann. Dann fiel mir ein, dass meine Geschichte von fanatischen Heimatvertriebenen missbraucht werden könnte, unter dem Motto: Seht her, welches Unrecht uns angetan worden ist etc. Das will ich auf keinen Fall, so hatte ich das (in meiner radikalen Figurensicht;)) nicht gesehen! Also habe ich ein paar Hinweise eingebaut, sozusagen aus Autorensicht, Hintergründe, an die meine Prots nicht gedacht haben. Der endlose Kreislauf auf Unrecht und Rache etc. Und damit fühle ich mich wohler. Vielleicht ist das in deiner Geschichte übertrieben, das sind jetzt meine Gedanken. Ich meine festgestellt zu haben, dass man durch Lesen toleranter werden kann, sich in andere hineinversetzen, die zwei Positionen in einer Auseinandersetzung sehen kann etc. Und das finde ich verdammt wichtig in unserer Welt. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu schnulzig!
lieben Gruß
tamara

 

Hallo cbrucher,

So würde ich das schreiben:

Irgendwann durch den Wald (gefahren), plötzlich ein Reh auf der Straße; Vollbremsung. Das Reh erschrickt sich, bleibt aber stehen, dämlich glotzend ins grelle Scheinwerferlicht. Minutenlang steht es da, reglos, bis Christian endlich Motor und Licht abschaltet. Wir sagen nichts, und warten nur - selbst ganz starr vor Schreck.

Im Gegensatz zu:

Irgendwann durch den Wald, irgendwie plötzlich ein Reh mitten auf der Straße, Vollbremsung. Das Reh erschrickt sich, bleibt dennoch stehen. Glotzt mit großen unbedarften Augen in das grelle Licht der Scheinwerfer, rührt sich nicht. Steht minutenlang dämlich glotzend da, bis Christian endlich Licht und Motor abschaltet. Wir sagen nichts. Warten nur, vor Schreck selbst ganz starr.

@All: Und vergesst mir die Handlung nicht! :klug: ;)


Grüße

Dante_1

 

@tamara, @Dante_1: Jetzt werdet ihr böse...

@Dante_1:

Mal im Detail zu Deinem Vorschlag:

  • Auf das "Irgendwie" will ich nicht verzichten, weil es zu der Konstruktion der ganzen Umgebung gehört. Es scheint niemandem aufgefallen zu sein, aber da steht: "Irgendwo hinter Freiburg [...] irgendeiner [...] irgendwelchen [...] Irgendwann [...] irgendwie"
  • "mitten" ist tatsächlich entbehrlich
  • Ob nun Semikolon oder Komma vor "Vollbremsung" macht für mich keinen Unterschied. In der Aufzählung bevorzuge ich da eher ein Komma.
  • Du wolltest vermutlich "dämlich ins grelle Scheinwerferlicht glotzend" schreiben, gefällt mir aber nicht, weil ich die volle Wiederholung (stehen und glotzen) haben möchte und dann zumindest unterschiedlicher Flektionen bedarf.

Nein, kann mich nicht überzeugen. Das "mitten" wird gestrichen, aber meine Variante hat mehr Rhythmus. Und die Wiederholung erachte ich als notwendig, sie verlangsamt noch einmal.

 

Hallo cbrucher, ich noch mal:

1) Himmel, sei doch nicht so empfindlich, niemand will dich zu etwas bekehren. Vielleicht haben wir ja einfach keine Ahnung. :)

2) Das sind alles Stilfragen, ich schreibe so, du schreibst so. Sage ja nicht: Du darfst so nicht schreiben, sondern ICH würde so nicht schreiben. Immerhin hast du ein Wort gekillt, das ist doch schon mal was! Je weniger, desto mehr. Also.

Schönen Abend.

Dante_1

 

@cbrucher: Oh, entschuldigung, war wirklich nicht böse gemeint, eher albern, gebe ich zu. Immer hin haben wir Smileys benutzt!
liebe Grüße
tamara

 

@tamara, @Dante_1:

Nein, ich war nicht böse, ehrlich nicht. Gerade nach Eurem Engagement für den Text und die eine oder andere Sichtweise, auf keinen Fall. Vielleicht hätte ich ja so ein smiley (habe auf www.gedichte.com einmal die Übersetzung "Grinsie" oder so ähnlich gelesen, sehr albern) verwenden, bleibe aber stur.

Zu den Stilfragen: ist meine Meinung. Letztlich muß der Verfasser entscheiden. Und um das gekillte Wort tut es mir nicht leid, hast mich überzeugt.

Nochmal ein besonderes, extragroßes Extra-Danke für Eure Kritiken!

 

Hallo,
eine sehr schöne, stimmungsvolle Sequenz aus einer zerrütteten Ehe. Es ist fasznierend zu sehen, wie deine Prot sich entwickelt, als sie durch die besonderen Umstände erkennt, dass sie vielleicht mal die Oberhand haben könnte in der Beziehung. Wenn Christians Schwächen nämlich klar werden. So Machtwechsel im Kopf finde ich unglaublich spannend. (Irgendwie scheinen sich da unsere Challenge-Beiträge ein wenig ähnlich oder?)
Deine Figuren hast du schön rausgearbeitet und sprachlich hab ich gar nichts zu meckern. Die Dialektstrecken find ich super!
Schönes Ding insgesamt :)
Liebe Grüße,
Zazie

 

Ich habe den Text noch einmal Opfer einer Überarbeitung werden lassen. Änderungen fanden allerdings nur im Detail statt.

@Zazie:

Vielen Dank für Dein Lob. Ich hatte mir bei der Lektüre Deines Beitrags auch schon gedacht, daß da eine Ähnlichkeit vorhanden ist. Vielleicht hatte ich auch deshalb so leicht einen Zugang dazu.

 

Na super, ich glaub, das passiert mir jetzt zum zehnten Mal in diesem Challenge, daß ich eine Geschichte ausgedruckt und mit Kommentaren versehen hab, und wenn ich sie ins Word kopieren will, ist sie frisch editiert...:heul:

 

@Häferl:

Sind wirklich nur minimale Änderungen, Dein Ausdruck stimmt vermutlich zu 99% mit der aktuellen Version überein. Und wenn sich etwas geändert haben sollte, dann ignoriere ich das einfach. Also mach' Dir keinen Kopf...

 

Lieber Claus!

Seit meinem ersten Lesen hat sich die Geschichte deutlich verbessert. Vieles habe ich jetzt besser formuliert gefunden, als ursprünglich, und auch einige, das Verständnis erleichternde Gedanken sind dazugekommen.

Ein paar Sachen hab ich mir aber trotzdem noch angestrichen. Und verzeih bitte, falls ich irgendwas aus meiner ersten Liste wiederhole, da ich es jetzt nicht vergleiche. ;)

Sind wirklich nur minimale Änderungen, Dein Ausdruck stimmt vermutlich zu 99% mit der aktuellen Version überein. Und wenn sich etwas geändert haben sollte, dann ignoriere ich das einfach. Also mach' Dir keinen Kopf...
Ich mach doch keine halben Sachen…;)

»Wir sind so vertieft in Anschuldigungen und Rechtfertigungen, Beleidigungen und Beleidigtsein, daß wir nicht mehr darauf achten, wohin uns die Straße führt. Irgendwann durch den Wald, irgendwie plötzlich ein Reh auf der Straße, Vollbremsung.«
– vor »plötzlich« finde ich das »irgendwie« unpassend; entweder würd ich es ganz streichen, oder, wenn Du es unbedingt unterbringen willst, wäre vielleicht hier eine andere Möglichkeit: »daß wir irgendwie nicht mehr darauf achten, …«

»Wir fahren weiter, noch immer unfähig, etwas zu sagen. Wenige Minuten in schleichender Bewegung, schweigender Behutsamkeit. Die Gaststätte taucht unerwartet auf.«
– die schleichende Bewegung will in meinen Augen irgendwie nicht so richtig zu einem Auto passen, »rollen« fände ich passender, das drückt auch langsames Fahren aus. Mein Vorschlag, unter Verwendung eines der von Dir geliebten Stilmittel…;): Wir fahren, nein: rollen weiter, schweigend, behutsam, immer noch unfähig, etwas zu sagen. Unerwartet taucht die Gaststätte auf.

»Die niedrige Holzdecke mit ihren riesigen Balken ist dunkel, in der Nähe des Kamins schwarz und glänzend.«
– statt »in der Nähe des Kamins« würde ich »oberhalb des Kamins« schreiben

»Die Fenster sind vorhanglos, bleigefaßt und so klein, daß ich Mühe hätte, durch sie nach draußen zu klettern.«
– so wie später, wenn sie sich bei solchen Gedanken ertappt und sich erschrickt, würde ich sie auch hier bereits kurz nachdenken lassen, wie sie auf die Idee des Aus-dem-Fenster-Kletterns kommt. Ist ja eher nicht so alltäglich, daß man ein Fenster sieht und nichts besseres zu tun hat, als zu überlegen, ob man da durch paßt. Ich sehe das also als erste innere Eingebung – die, einfach so stehen gelassen, untergeht.

»Der ganze Raum, außergewöhnlich rustikal und karg, ist so unspektakulär,«
– mit dem »rustikal« kann ich mich in dem Fall einfach nicht anfreunden – rustikal ist bäuerlich, und ich verbinde damit alles andere als etwas Karges: Schnitzereien, karierte Tischdecken und Vorhänge, verschnörkelte Lampen, an den Wänden aufgehängte Regale, auf denen die schönen Teller senkrecht an die Wand gelehnt stehen und unten drunter die Häferl hängen, irgendwo ein Ständer mit Pfeifen, geschnitzte natürlich, in der Ecke eine Teufelsgeige, usw. usf.

»Ich lausche und starre, doch da ist nichts.

Doch nicht er hat das Geräusch verursacht.«
– Wdh. von »doch«

»Ich kann mich erinnern, vor langer Zeit einmal aus der Beobachtung von Menschen in Cafés und Kneipen ein Vergnügen gezogen zu haben. Bevor ich Christian geheiratet habe, lange bevor ich ihn überhaupt kannte.«
– finde die »Ich kann mich erinnern«-Konstruktion nicht so gut. Laß sie doch einfach erinnern, z.B.: »Früher hatte es mir einmal Spaß gemacht, Menschen in Cafés und Kneipen zu beobachten.«
– »lange bevor ich ihn überhaupt kannte« klingt nicht so, als hätte sie es wegen ihm aufgegeben, würde also zumindest das »lange« streichen (oder den Satz umformulieren)

»Da zudem die einzigen Geräusche von dieser Uhr rühren,«
– was hältst Du von einer »Noch dazu«-Konstruktion? Finde, das würde dem direkten Denken mehr entsprechen, denkst Du »da zudem«?

»er würde sich meiner schämen, und ich bekäme ein schlechtes Gewissen.«
– würde ich direkter, also anklagender schreiben: und mir ein schlechtes Gewissen machen. (Wobei das »ein« vor »schlechtes« in jedem Fall überflüssig ist, man hat eh nicht ein, zwei oder drei schlechte Gewissen.)

»Ich weiß nicht genau, was seine Wortkargheit bedeuten mag.«
– würde »bedeutet.« schreiben oder es als Frage umformulieren: »Was mag seine Wortkargheit bedeuten?«

»Was zugegebenermaßen manchmal, besser: oftmals, anstrengend sein kann, nein: ist.«
– Vorschlag: »Was zugegebenermaßen manchmal anstrengend sein kann. Nein: ist. Oftmals anstrengend ist.« Das würde in meinen Augen die »nachdrückliche« Offenheit besser rausbringen als das Dahingestammel. ;)

»Ich erschrecke vor meiner eigenen nachdrücklichen Offenheit.«
– auch hier fände ich ein Zeigen besser als das Erzählen, zum Beispiel durch ein »Was denke ich da?« oder so

»Habe ich diesen Umstand jemals wirklich vor mir selbst zugegeben? Ich wiederhole und variiere die Aussage in Gedanken: Christians eloquenter Starrsinn ist ermüdend. Nein, das habe ich nicht. Dabei ist es die Wahrheit. Und es ist doch nur eine Kleinigkeit. Eine Kleinigkeit, im Vergleich zu unseren Schwierigkeiten, vielmehr: zu seinen Unzulänglichkeiten, im Bett.«
– Vorschlag: …jemals wirklich vor mir selbst zugegeben? Nein, das habe ich nicht. Dabei ist es doch die Wahrheit. Christians eloquenter Starrsinn ist ermüdend. Und das ist noch eine Kleinigkeit. Eine Kleinigkeit im Vergleich zu unseren sonstigen … seinen Unzulänglichkeiten im Bett.«

»Wieder erschrecke ich,«
– hier find ich es jetzt passend

»Unsicher proste ich ihm zu.«
– ich war mir nicht ganz sicher: dem Wirt prostet sie zu? Würde das dementsprechend statt »ihm« einsetzen.

»"Wenn dFrau usem Keller kunnd, konn se schu no was riechde;«
– d´Frau
– kann hier natürlich nur Vermutungen äußern, gefühlsmäßig würde ich aber auf ein »us´m Keller« tippen, und auch bei »riechde« vermute ich eine kürzere Aussprache, die kein langes i erfordert

»"Mir hen au erschd vor zwei daag e Sau gschlaachded.«
Daag

»Christian sieht in die Kerze.«
– wie gefällt Dir »meditiert in die Kerze« oder »meditiert die Kerze an«? (nur als Vorschlag, weil ich auf die Verbindung Kerze-Meditieren steh :D)

»richtet seinen Blick auf die Kerze«
– vielleicht magst Du ja statt »Kerze« mal »Flamme« schreiben?

»Die Frau ist im Keller.«
– würde hier ein »also« einfügen, das betont die Feststellung: Die Frau ist also im Keller.

»Ich führe sie zurück nach Italien, zu einem Nachtspaziergang in San Gimignano, der mich die letzten Tage über unentwegt beschäftigte.«
– sie denkt nicht »Ich führe sie zurück…«, Vorschlag: »Da war vor ein paar Tagen dieser Nachtspaziergang in San Gimignano, der mich seither unentwegt beschäftigt.« (»beschäftigt« weil es sie ja immer noch beschäftigt)

»Wir gingen umher, meine Freude überschwenglich, ich erzählte Christian,«
– würde da ein »und« einfügen: überschwenglich und ich erzählte

»was ich im Reiseführer gelesen hatte: daß heute nur noch wenige der beinahe hundert Türme erhalten seien, weshalb sie erbaut worden waren und wann«
– Vorschlag: »und daß sie von (Name) um (Jahrzehnt, Hausnummer 1870) erbaut worden waren«

»Er konnte meine Begeisterung nicht teilen, aus Sorge, dachte ich. Jetzt sehe ich es anders. Ich blicke zur Kellertreppe und weiß: Christians Profiliersucht, seine Gier nach Darstellung, die ich so lange glücklich durch Bewunderung befriedigt habe, konnte es nicht ertragen, sich von mir belehren zu lassen. Er hatte mir meine Freude absichtlich madig gemacht.«
– siehst Du, hier hast Du auch so ein »dachte ich«, worüber wir gestern diskutiert hatten, aber eben nicht nur. Bei einem »dachte ich« ist es ganz klar, daß man bereits einen Schritt weiter gedacht hat – der ist bei Deiner Geschichte vorhanden, bei der gestern diskutierten nicht.

»sein Daumen tippt synchron mit dem Ticken der Uhr an sein Glas.«
– zweimal »sein«, evtl. »das Glas«

»ob unser Auto wohl noch draußen stehen wird. Und wird die Straße noch da sein, der Wald?«
– zweimal »wird«, noch dazu so knapp hintereinander, ist nicht so toll. Warum hast Du den Satz geteilt, der war doch ursprünglich in einem Stück? Vorschlag: ob unser Auto noch draußen stehen, die Straße noch da sein wird, oder der Wald?

»Mit einigem Kraftaufwand versuche ich, meine Gedanken an einen anderen Ort zu zwingen, meinen Blick weg von der Kellertür.«
– den Kraftaufwand finde ich irgendwie störend, Vorschlag: Ich versuche, meine Gedanken an einen anderen Ort zu zwingen« – »zwingen« drückt ja genau den Kraftaufwand aus, den Du (vermutlich) meinst

»Das Meer im Herbst vor meinem Wechsel nach Düsseldorf?«
– »meinem Wechsel« fände ich besser durch »meiner Übersiedlung« ersetzt

»Bleibt mir nun noch eine Wahl? Ich glaube nicht, nein. Es ist entschieden, ich ergebe mich.«
– da Du in dem Absatz schon genügend »nein« hast, würd ich es hier streichen, ein so entschiedenes »Ich glaube nicht« kann durchaus für sich alleine stehen

Liebe Grüße,
Susi :)

 

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