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Feige Sau!

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20.11.2001
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Feige Sau!

Er lebt zu gerne, das ist sein Problem.
Genaugenommen wäre das ja kein Problem, wenn sie ihn weiter hier arbeiten und wohnen ließen. Wenn sie sein Ansuchen auf Asyl nicht abgewiesen hätten.
Jetzt steht er da oben auf dem Dach des fünfstöckigen Hauses und traut sich nicht hinunterzuspringen.

Er fürchtet sich vor dem, was ihm »zuhause« droht. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder hat er Essen zu den Widerstandskämpfern gebracht, bis die vom Militär seinen Bruder verhaftet und ermordet haben. Mohamed konnte sich verstecken und ist geflohen, als er vom Schicksal seines Bruders erfuhr. Sicher warten sie jetzt schon darauf, ihn von den österreichischen Behörden frei Haus geliefert zu bekommen … Aber diese Genugtuung gönnt er ihnen nicht. Lieber will er es selbst erledigen. Das erspart ihm dann die Schubhaft und den Flug und die ganze Angst dabei.

Blauer Himmel und ein sonnenbeschienenes Meer aus Schornsteinen, Bäumen, Satellitenschüsseln und Handymasten bieten sich ihm als Anblick. Darunter weiß er das Leben, ein Wechselbad aus Sorgen und Glück, solange man darin schwimmen darf. Er stellt sich vor, auf dem Sprungbrett eines Schwimmbeckens zu stehen, aber auch das klappt nicht. Es wächst nur Wut in ihm. Auf sich, weil er zu feig ist für diesen letzten Schritt; auf die Behörden, die sich zwischen Kaffee und Beamtenforelle nicht vorstellen können, was ihm in seiner Heimat droht. Oder es einfach nicht wollen, weil es für sie ein Spiel ist, an dessen Regeln sich zu halten sie vorgeben, doch wenn keiner hinschaut, schieben sie gern ein paar andersfarbige Spielsteine mehr vom Feld, als die Regel erlaubt. Tod oder Leben, die Würfel sind gefallen. Stempel, Unterschrift, nächster Akt. Mohamed ist klar, dass es keinen Sinn hätte, die Faust gegen sie zu erheben, und er senkt den Blick auf seine abgewetzten Turnschuhe.

Zweieinhalb Jahre ist er bereits hier. Zuerst in der Erstabschiebestelle Ost in Traiskirchen, dann im Wiener Schubhaftgefängnis, wo er in Hungerstreik trat, wenige Tage in ein Krankenhaus verlegt wurde und gleich, nachdem er wieder zwei Kilo zugenommen hatte, zurück in Schubhaft kam, bis in letzter Instanz doch noch ein Asylverfahren bewilligt wurde. Man entließ ihn und er dachte, das sei ein gutes Zeichen und er hätte eine Zukunft.

Seit fünfzehn Monaten ist er nun auf freiem Fuß, hat Hilfsarbeiten angenommen und begonnen, deutsch zu lernen. Er ist kein Sprachentalent und es fiel ihm nicht leicht, doch er bemühte sich redlich. Anita, eine junge Frau aus der Nachbarschaft, übte manchmal mit ihm und so machte er gute Fortschritte. Wofür, wenn sie ihn jetzt doch abschieben? Er könnte seinen Abschiedsbrief auf deutsch verfassen, damit sie sich den Übersetzer sparen. Er erspart ihnen gleich den ganzen Brief; egal in welcher Sprache, sie könnten ihn doch nicht verstehen.
»Und jetzt spring endlich«, sagt er sich, doch seine Beine bewegen sich keinen Millimeter, er wagt noch nicht einmal den Blick nach unten, aus Angst, das Gleichgewicht zu verlieren, wenn er sich nach vorne beugt. Tränen rinnen über seine braunen Wangen, mit ihnen tropfen seine kleinen Träume auf das Blech, von wo sie der Wind davonträgt; alles, was er sich jetzt noch wünscht, ist ein Tritt von hinten, der ihn in den Abgrund befördert. »Du elender Feigling, jetzt spring endlich«, fordert er sich selbst noch einmal auf, und wieder funktioniert es nicht.
Er dreht sich um, wischt sein Gesicht mit dem Ärmel trocken und zieht sich zurück in das Haus, von dessen Dach er springen wollte. So, wie er gekommen ist, meidet er auch jetzt den Aufzug, gelangt über die Stiegen nach unten und ungesehen aus dem Gebäude. Und wie er gekommen ist, irrt er weiter ziellos durch die Straßen und Gassen der Stadt, als suche er ein Loch, durch das er der Realität entfliehen kann. In welche Richtung er geht, registriert er nicht mehr, erlebt alles wie in einem Traum. Ein Rausch aus Angst, Wut und Verzweiflung. Häuser, Menschen, Autos ziehen an ihm vorüber. Verschwimmen wie ihre Geräusche.

Erschöpft lässt er sich auf eine Bank fallen. Sein Gesicht glänzt vor Schweiß und Tränen. Erst jetzt nimmt er wahr, dass er sich auf der Mariahilfer Straße befindet. Menschen rennen hektisch herum, als kaufte ihnen sonst jemand etwas vor der Nase weg. Eine junge Frau nimmt ihn wahr, bleibt stehen. Greift nach Taschentüchern, überlegt kurz, steckt sie wieder weg und geht weiter. Mohamed schließt die Augen. Er sieht sich inmitten eines Flusses, in dem er in einen Strudel geraten ist, der ihn erbarmungslos nach unten zieht. Am Ufer stehen Schilder mit der Aufschrift: »Rettungsringe zuwerfen verboten!« Er wünscht sich, endlich zu ertrinken, stattdessen strampeln und rudern seine Arme und Beine wild umher. Er macht die Augen wieder auf und denkt: Anita! In der nächsten Sekunde schimpft er sich für den Gedanken, sie so zu missbrauchen. Er weiß schließlich, dass sich strafbar macht, wer ihm Unterschlupf gewährt. Anita soll nicht für ihn ins Gefängnis müssen. Er steht wieder auf, sieht sich um. Keine Polizei in Sicht. Ob sie sein Bild in der Fahndung haben? Er will ihnen nicht lebend in die Arme laufen.

Mohamed geht weiter. Ständig nach den Tentakeln des Gesetzes Ausschau haltend, wendet er seinen Blick abwechselnd in alle Richtungen. Er zuckt zusammen, sucht instinktiv nach einem Versteck, als er beim Scannen der Umgebung eine Uniform registriert – nur ein Parkplatz-Sheriff. Ein paar Gassen weiter nimmt er die Aufschrift »U3 Neubaugasse« wahr, läuft den Abgang zwei Stufen auf einmal nehmend hinunter, erreicht den Bahnsteig. Zwei Minuten bis zum nächsten Zug, sagt die Leuchtschrift. Mohamed wartet. Balanciert am Bahnsteigrand entlang. »Treten Sie bitte hinter die gelbe Sicherheitslinie!«, faucht es aus den Lautsprechern. Erschrocken springt er zurück. Aus dem Tunnel hört er schon die Räder quietschen, er schaut ins Schwarze, wartet auf die erlösenden Lichter. Dann rollt die U-Bahn in die Station und Mohamed …
Er könnte vor Angst in die Hose machen, aber für den Sprung in den Tod reicht es nicht. Er steigt ein. Sein Herz schlägt wie eine Flügelratsche.
Bis zur nächsten Station braucht der Zug keine Minute, doch heute fährt er unerträglich viele Schweißperlen lang, und unzählige Male hämmert es in Mohameds Kopf: Feigling! Dann endlich: Zieglergasse, Türen auf, hinaus. Bahnsteig. Panik, er weiß nicht wohin. Ein paar Meter schwimmt er im Strom der Menschen.

Auf der Rolltreppe stößt er mit einem Mann zusammen. Schwarzer Parka, Kapuze auf dem Kopf, flucht Unverständliches in Richtung Mohamed. Tschetschene, schätzt Mohamed, als er ihm ins Gesicht sieht. In Traiskirchen hat er erfahren, dass viele Flüchtlinge von ihren brutalen Gewalterfahrungen traumatisiert sind. Er hat mitbekommen, wie ein sadistischer Aufseher sich manchmal einen Spaß daraus gemacht hat, einige von ihnen zu reizen. Mohamed fiel auf, dass es immer Tschetschenen waren, die der Wärter auswählte, und fragte sich, ob es bei ihnen besonders leicht ginge. Einige haben sich tatsächlich gewehrt, als wollte man sie nun auch hier foltern. Mohamed spürt Bäche aus Schweiß von seinen Achselhöhlen an den Rippen hinunterrinnen, bis das T-Shirt sie aufsaugt. Eine Idee schießt ihm in den Kopf. Du bist meine Rettung …, denkt er und fragt: »Ist was, feige Sau?«
Keine Reaktion. Mohamed tritt gegen sein Schienbein. Der Kapuzenmann packt ihn an der Jacke, schimpft abermals und lässt ihn mit einem Ruck los, dass er gegen die Seitenwand der Rolltreppe taumelt. Oben angekommen, zeigt ihm der Mann den Mittelfinger und will schon weitergehen, doch Mohamed zieht ihn am Arm, will ihn nicht gehen lassen. Dann stehen sie sich gegenüber, Mohamed blickt sich um. Immer noch keine Polizei.

Während er den Mann weiterhin provoziert, lockt er ihn ans gegenüberliegende Ende des U-Bahn-Abganges. Das rechteckige Loch im Boden ist an drei Seiten mit einer hüfthohen Mauer eingefasst, an der vierten enden Rolltreppe und Stufen. Mohamed und der Kapuzenmann sind schon fast an der Schmalseite angelangt, die sein Ziel ist, da besinnt sich der Mann und meint: »Ey, Mann, ist gut. Stay cool. Tanzen, Mann! Was bist du für ein Schwarzer? Tanz, und alles ist gut!« Er beginnt, sich rhythmisch zu bewegen, fordert Mohamed noch einmal dazu auf, es ihm nachzumachen.
Mohamed geht einen Schritt zurück, nennt ihn einen Feigling. Noch ein Schritt. »Na, komm! Trau dich, feiges Arschloch!«
»Ich, feiges Arschloch?!« Der Mann hat aufgehört zu tanzen. Mohamed geht, ohne ihn aus den Augen zu lassen, zu der niedrigen Mauer, genau über dem unteren Ende der Rolltreppe. Der Mann folgt ihm, will wissen: »Was ist los, du?«
»Zeig, dass du kein feiges Arschloch bist, schmeiß mich da runter.«
Eine Hand klatscht gegen die Stirn unter der Kapuze. »Deppert?« Der Mann wendet sich ab, doch da sagt Mohamed, während er weiter nach rechts geht, sodass er sich über den Stufen befindet: »Feiger, tschetschenischer Arsch!«
Der Mann kommt zurück. »Sag du nochmal und ich geb dir feige, tschetschenische Arsch! Du … «, droht er und will sich umdrehen und gehen. Mohamed erwischt ihn am Handgelenk, drückt Daumen und Mittelfinger an die Knöchel, dass es sich anfühlt wie Handschellen. Eine Mischung aus Angst, Verzweiflung und Wut blickt ihm aus der Kapuze entgegen. Mohamed lässt los und sagt: »Na komm, mach schon, feiger Tschetschene.« Mohamed setzt sich auf die Mauer. »Heb meine Füße hoch und schieb an!«
Der Tschetschene schaut, greift seitlich an Mohameds Beine, wirft ihm einen fragenden Blick zu. »Anschieben?«
»Ja, aber von vorne.«
»Du deppert.« Er lässt los, geht kopfschüttelnd zwei Schritte weg.
Mohamed wiederholt sein »Feiger, tschetschenischer Arsch!«, dabei zieht es ihm innerlich alles zusammen, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
Dem Tschetschenen ist es jetzt zu viel; er kommt zurück. Mohamed streckt ihm seine Beine entgegen, macht sich steif. Ist froh, seinem Schicksal zu entkommen. Er fühlt sich erlöst, als er spürt, wie seine Beine hochgehoben werden. Wie er über die Mauer hinweg- statt abgeschoben wird. Seine Lippen formen ein »Danke«, doch sein Inneres will keine Stimme hergeben. An der untersten Stufe bricht er sich das Genick.
Der Tschetschene läuft weg.
Menschen stehen herum, schauen, halten es für einen Streit unter Drogendealern. Über Foltertraumen steht schließlich nichts in der Zeitung.


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Du nervst, Are-Efen. Klugscheiße woanders! (Und nein, das ist keine Zustimmung zu deinen Worten, ich hab bloß keine Lust auf solchen Schwachsinn einzugehen.)

und wenn es darum geht, vom Dach zu springen, hat er höchstens den Sprungturm im Schwimmbad als Referenz vor Augen und verharmlost demzufolge gewaltig.
Woher z. B. nimmst du dir ein Recht zu so einer Aussage? Du kennst mich überhaupt nicht, und wagst es, mir zu unterstellen, ich sei bestenfalls auf einem Sprungturm gestanden?

 

Da war von einem Autor die Rede!
Und nachdem das ich bin, hab ich mich angesprochen gefühlt.
Anscheinend schreibst du nicht nur überall unverständliches Zeug, sondern weißt auch selbst nicht, was du schreibst.

 

Ob ein anderer durch direkte Aufforderung zu einer Straftat bzw. einem Mord gebracht werden kann oder nicht, dürfte die Therapeutin ebenfalls wissen....
Ist es nicht so, dass wenn einer den Mut zu: "na, schieß doch, schieß doch!" aufbringt, dem Täter geradezu der Wind aus den Segeln genommen wird und er die Waffe senkt.

Warum sollte hier eine umgekehrte Reaktion stattgefunden haben.

Entweder guckt sie zuviele Filme oder sie hat in dem Bereich "Morden" so viel Erfahrung und weiß, wie man jemandem, der kurz davor ist zu töten, dazu bringen kann, nicht zu schießen. Anders kann ich mir diesen Schwachsinn nicht erklären!

 

Liebe Susi, ich bin sehr froh, dass du mir von dieser Geschichte erzählt hast. Ich habe sie gerne gelesen, weil sie auf eher trockene und dennoch tiefgehende Weise vom Schicksal dieses Selbstmörders erzählt. Schockierend, was sich in so einem Menschen abspielen kann - ich finde, das hast du dir gut zusammengereimt und versucht nachzuvollziehen.

Was ich auch gut finde, ist die Tatsache, dass du aus dem Internet-Video eigentlich eine "positive" Botschaft resümierst und die Menschlichkeit hinter diesen grauenvollen Bildern entdeckst. Ich hätte eher gedacht, der Filmer und der Mörder hätten es von ihrer Seite darauf angelegt, einen Mord aufzuzeichnen und den Mann soweit provoziert, dass diese Geschichte so endet. So hat jede Münze ihre (mindestens) zwei Seiten.

Die Diskussionen, die dein Text ausgelöst hat, habe ich fast ebenso interessiert gelesen wie deine Geschichte. Einiges kann ich nur damit kommentieren, dass es uns in unseren Landen wohl so gut geht, dass man sich den Antrieb zu solch einer Tat bzw. Herausforderung zu dieser Tat gar nicht vorstellen kann - man sollte das als Glück betrachten. Und die Details, die so einige Kritiker offenbar vermissen, könnte man getrost der Phantasie des Lesers überlassen, so wie es offenbar die Intention das Schreibers war.

Liebe Grüße
Barbara

 

Liebe Barbara!

Danke auch hier fürs Lesen der Geschichte und Deinen Kommentar!

ich bin sehr froh, dass du mir von dieser Geschichte erzählt hast.
Und ich freu mich sehr, daß Du sie gelesen hast! Wobei ich hier ja schon ein bisschen drauf gehofft habe, aber bei der Anna Irene war ich echt überrascht! :)

weil sie auf eher trockene und dennoch tiefgehende Weise vom Schicksal dieses Selbstmörders erzählt. Schockierend, was sich in so einem Menschen abspielen kann - ich finde, das hast du dir gut zusammengereimt und versucht nachzuvollziehen.
Danke für das Lob!

Was ich auch gut finde, ist die Tatsache, dass du aus dem Internet-Video eigentlich eine "positive" Botschaft resümierst und die Menschlichkeit hinter diesen grauenvollen Bildern entdeckst. Ich hätte eher gedacht, der Filmer und der Mörder hätten es von ihrer Seite darauf angelegt, einen Mord aufzuzeichnen und den Mann soweit provoziert, dass diese Geschichte so endet. So hat jede Münze ihre (mindestens) zwei Seiten.
Interessanterweise hab ich beim ersten Mal sogar einen Mord gesehen, aber das war wohl nur, weil man automatisch so denkt. Erst danach dachte ich, da stimmt doch was nicht, und hab es noch einmal angesehen und genau aufgepaßt, wer von beiden welche Handlungen setzt. Ich hab es wochenlang immer wieder angesehen, um den Ablauf zu studieren und langsam als Tatsache zu akzeptieren (solang es so verstörend wirkte, hätte ich nicht drüber schreiben können).

Die Diskussionen, die dein Text ausgelöst hat, habe ich fast ebenso interessiert gelesen wie deine Geschichte. Einiges kann ich nur damit kommentieren, dass es uns in unseren Landen wohl so gut geht, dass man sich den Antrieb zu solch einer Tat bzw. Herausforderung zu dieser Tat gar nicht vorstellen kann - man sollte das als Glück betrachten. Und die Details, die so einige Kritiker offenbar vermissen, könnte man getrost der Phantasie des Lesers überlassen, so wie es offenbar die Intention das Schreibers war.
Die meisten Kritiker fanden sie ja eh gut. :)
Und wenn jemand meint, Tschetschenen tanzen nicht, dann weiß er entweder noch nicht, daß Tschetschenen deshalb noch lange nicht weltfremd sind, oder ihm kommt gar nicht die Idee, daß man sich, wenn man jemandem in so einer Situation helfen will, auch mal an dessen Kultur orientieren und sich in seinen Vorschlägen danach richten kann, egal, was die eigene Tradition vorschreibt. Und wenn das Gegenüber schwarz ist, sind Tanzen und Musik einfach die naheliegendsten Dinge, die einem einfallen können.

Danke nochmal, Barbara,

alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo taucher!

Ich weiß zwar nicht, was Du willst und warum Du die Geschichte ausgräbst, wenn sie Dir eh gar nicht gefällt, aber macht ja nichts.

Zufällig beschäftige ich mich grad seit zwei Tagen mit Deiner Geschichte - allerdings vergeht mir nach sowas Hingespucktem direkt die Lust, meine Kritik zu einem Ende zu bringen.

Grüße,
Susi

 

Hallo Häferl,

bin auf deine Geschichte gekommen, weil gerade neue Beiträge gepostet wurden -und bin froh drüber, die Geschichte hat mich sehr beeindruckt.
Super geschrieben, hat mich mitgenommen.

Ich hab mich nur durch die erste Hälfte der Diskussion gekämpft, die mir dann aber irgendwann zu gruselig wurde, deswegen bitte nicht böse sein, wenn ich hier jetzt versehentlich jemand anders wiederhole.
Zwei Sachen kamen mir komisch vor:

1) Ich finde es unglaubwürdig, dass jemand einen anderen zu beruhigen versucht, indem er ihn zum Tanzen auffordert. Zumal, wenn man vorher beschimpft wurde. Meinen "Beobachtungen" nach wird in der Regel sowas gesagt wie "krieg dich ma wieder ein", oder meinetwegen dein "Stay cool." -Aber tanzen?

2) Wäre ich Tschetschene, wäre ich beleidigt. Da ist dieser fluchende Mann mit Kapuze. Der wird dann automatisch von Mohamed als Tschetschene identifiziert. Außerdem nimmt Mohamed an, er kann einen Tschetschenen zu einem Mord provozieren (weil die Tschetschenen alle durch Gewalt traumatisiert sind und man/Mohamed annehmen darf, dass dieser bestimmte Tschetschene hier deswegen selber gewaltbereit ist) -und dann hat Mohamed auch noch Recht damit.
Ich weiß, im Text heißt es, die meisten Tschetschenen - aber wird irgendwie klar, was ich meine? Ich lese da eine Verallgemeinerung, die ich sehr gefährlich finde. Wenn ich Streit suche, sollte ich mich an Tschetschenen halten, da hab ich die größten Erfolgschancen?
Ich weiß, so ist die Geschichte nicht gemeint und "der Tschetschene" reagiert ja auch zunächst mit Beschwichtigungsversuchen. Fakt ist aber, am Ende bringt er Mohamed um. Ich kann da jetzt hineininterpretieren, dass ich die meisten Tschetschenen zu Gewaltverbrechen provozieren kann, die sind ja eh alle traumatisiert...
Der Geschichte liegt glaube ich nichts ferner, als rassistisch zu sein, deswegen -kann der Kapuzenmann nicht lieber unbekannter Nationalität sein und Mohamed durch irgendeine andere Handlung auffallen als (mutmaßlich tschetschenisches) Fluchen? Zum Beispiel durch Umstoßen von Mülleimern oder Anrempeln von Passanten oder so?

Oh je, mein Kommentar zu deiner Geschichte ist ähnlich konfus wie andere, die du hier bekommen hast... hatte versucht, das zu vermeiden, aber naja :(

Sieh's positiv: Bei DER Menge an Kommentaren musst du mit der Geschichte irgendwas richtig gemacht haben.

 
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Hallo Möchtegern!

Danke fürs Lesen und Deinen Kommentar, freut mich sehr, daß Dich die Geschichte mitgenommen hat!

Ich finde es unglaubwürdig, dass jemand einen anderen zu beruhigen versucht, indem er ihn zum Tanzen auffordert. Zumal, wenn man vorher beschimpft wurde. Meinen "Beobachtungen" nach wird in der Regel sowas gesagt wie "krieg dich ma wieder ein", oder meinetwegen dein "Stay cool." -Aber tanzen?
Nimm statt »zu beruhigen« »aufzumuntern«, das wäre vielleicht treffender. ;)
Deine Beobachtungen treffen »in der Regel« wahrscheinlich auch zu, aber nicht in dieser Ausnahmesituation – in der Regel sehen Konflikte ja auch so aus, daß einer den anderen angreift, hier wird aber von Mohamed bewußt ein »Bring mich um« provoziert. Die Aufforderung zum Tanzen war aber auch Teil des Videos, zu dem ich die Geschichte geschrieben habe, die gab es also tatsächlich.

Wäre ich Tschetschene, wäre ich beleidigt. Da ist dieser fluchende Mann mit Kapuze. Der wird dann automatisch von Mohamed als Tschetschene identifiziert. Außerdem nimmt Mohamed an, er kann einen Tschetschenen zu einem Mord provozieren (weil die Tschetschenen alle durch Gewalt traumatisiert sind und man/Mohamed annehmen darf, dass dieser bestimmte Tschetschene hier deswegen selber gewaltbereit ist) -und dann hat Mohamed auch noch Recht damit.
Ich weiß, im Text heißt es, die meisten Tschetschenen - aber wird irgendwie klar, was ich meine? Ich lese da eine Verallgemeinerung, die ich sehr gefährlich finde. Wenn ich Streit suche, sollte ich mich an Tschetschenen halten, da hab ich die größten Erfolgschancen?
Ich weiß, so ist die Geschichte nicht gemeint und "der Tschetschene" reagiert ja auch zunächst mit Beschwichtigungsversuchen. Fakt ist aber, am Ende bringt er Mohamed um. Ich kann da jetzt hineininterpretieren, dass ich die meisten Tschetschenen zu Gewaltverbrechen provozieren kann, die sind ja eh alle traumatisiert...
Der Geschichte liegt glaube ich nichts ferner, als rassistisch zu sein, deswegen -kann der Kapuzenmann nicht lieber unbekannter Nationalität sein und Mohamed durch irgendeine andere Handlung auffallen als (mutmaßlich tschetschenisches) Fluchen? Zum Beispiel durch Umstoßen von Mülleimern oder Anrempeln von Passanten oder so?
Ein aggressiver Passant wäre natürlich einfach und unverfänglich, und ich verstehe auch Deine Bedenken. Auf dem Video war es aber sichtlich kein solcher Passant, und für mich war das Video eine Vorgabe, zu der ich zwar dazugedichtet habe, das Sichtbare aber keinesfalls verändern wollte. Es war zwar auch nicht zu erkennen, welcher Nationalität der Mann angehörte, aber bei der Frage, welche Voraussetzungen ein Mensch mitbringen muß, um sich zu so etwas provozieren, oder besser: so mißbrauchen zu lassen, kommt man an einer entsprechenden Traumatisierung kaum vorbei, und um die geht es hier.
Natürlich soll das nicht heißen, daß das auf alle Tschetschenen zutrifft, aber zu der Zeit gab es eben gerade besonders viele traumatisierte Flüchtlinge aus Tschetschenien. Asyl in Not schreibt z. B. hier:
Zwei Kriege haben dieses Land verwüstet. Entführungen, Verhaftungen, Folter, Vergewaltigung waren und sind im Nordkaukasus an der Tagesordnung, 250 000 Menschen sind dem Völkermord zum Opfer gefallen. Furcht beherrscht den Alltag der TschetschenInnen, sie sind der Willkür der Mächtigen ausgesetzt, hier wie dort.
Wer von Gewalt gegen sich oder seine Angehörigen traumatisiert ist, ist besonders gefährdet, in Situationen, die sich gegen oder auch nur scheinbar gegen ihn richten, überzureagieren, sich leicht reizen und zu unbedachten Reaktionen hinreißen zu lassen. Der Tschetschene in meiner Geschichte reißt sich ja eigentlich recht lange zusammen, sicher auch, weil er weiß, daß sie ihn wieder zurückschicken, wenn er sich etwas zuschulden kommen läßt. Er versucht sogar, Mohamed wieder zu sich zu holen, indem er ihn zum Tanzen auffordert, aber er schafft es eben nicht und sieht den Weg nicht, einfach wegzugehen und Mohamed reden zu lassen, was er will. Wahrscheinlich, weil es diesen Weg in der ursprünglich traumatisierenden Situation auch nicht gab, er ist in seinem Trauma gefangen.

Psychologische Zusammenhänge können nicht rassistisch sein, weil die Psyche in allen Menschen nach den selben Regeln arbeitet, es nur auf die jeweiligen Erfahrungen und wie sie verarbeitet werden ankommt. Daher ist auch mein Aufzeigen solcher Zusammenhänge nicht rassistisch. Aber wenn gewisse Voraussetzungen auf viele Angehörige eines Volkes zutreffen, dann natürlich auch die Folgen. Bei den Therapien für die Flüchtlinge wird gespart, weil ein Teil der Bevölkerung findet, daß die Flüchtlinge eh schon so viel Geld kosten und warum sollen sie es sich auf unsere Kosten gutgehen lassen, und es will ja niemand in der Politik Wählerstimmen verlieren, also spart man in diesem Bereich zuerst.
Würde man die seelischen Verletzungen, für die wir ihnen keine oder nur zu geringe Behandlung gönnen, körperlich darstellen, würden wir sie auf der Straße verbluten lassen.

Die in der Geschichte verpackte Forderung sollte also in beiden Fällen – sowohl bei der unmenschlichen Abschiebung Mohameds als auch bei dem traumatisierten Tschetschenen – ein menschlicher Umgang mit Flüchtlingen sein.
Hätte der Tschetschene eine Therapie bekommen, hätte er mit der Situation anders umgehen können, er würde weiter geduldig auf die Entscheidung seines Asylantrages warten und versuchen, sich hier einzuleben. Und wer weiß, vielleicht hätte eine Hilfsorganisation wie Asyl in Not Mohameds Abschiebung noch verhindern können? Aber aufgrund der eingesparten Therapie des Tschetschenen war es eben anders, und jener Teil der Bevölkerung hat wieder ein gefundenes Fressen in der Zeitung stehen, mit dem das nächste Wettern untermauert wird.
Was ist das für eine Politik, die für Wählerstimmen Menschen verbluten läßt?


Nun bin ich natürlich im Überlegen, wie ich das deutlicher machen kann, aber eigentlich will ich an der Geschichte jetzt nicht mehr allzuviel ändern. Eher werde ich ihr in nächster Zeit einmal eine Schwester schreiben, aus Sicht des Tschetschenen, und sie als Serie zusammenfassen.

Oh je, mein Kommentar zu deiner Geschichte ist ähnlich konfus wie andere, die du hier bekommen hast... hatte versucht, das zu vermeiden, aber naja :(

Sieh's positiv: Bei DER Menge an Kommentaren musst du mit der Geschichte irgendwas richtig gemacht haben.

Bei der langen Antwort mußt Du wohl irgendwas richtig gemacht haben. ;)


Hallo nochmal, taucher!

ich bespucke niemanden
und auch nichts
und spucken ist mein thema nicht
Das ist auch gut so, ich mag nämlich spuckende Leute nicht.

die länge eines kommentars sagt nichts aus
über dessen qualität
weder so noch so
Damit hast Du grundsätzlich sicher recht, und solange eine Geschichte aktuell ist, finde ich da auch gar nichts dagegen einzuwenden. Aber wenn man eine Geschichte von so weit unten raufholt, wie diese bereits war, sollte man – meiner Meinung nach – ein bisschen mehr zu sagen haben, zum Beispiel Verbesserungsvorschläge bringen oder zumindest seine Meinung verständlich darlegen und begründen. Aber das bleibt natürlich Dir überlassen, wie Du das handhabst.
Aber ich will natürlich auch nicht behaupten, daß ich böse wäre, weil Du sie raufgeholt hast. ;)

Dafür, daß ich mich geärgert habe, weil ich mir seit zwei Tagen Gedanken zu Deiner Geschichte »Selbst wenn ich wach bin« mache, kannst Du natürlich nichts, weil Du das auch gar nicht wissen konntest, trotzdem hat es mich getroffen, währenddessen so einen Fast-Food-Kommentar serviert zu bekommen. Ich hab mir inzwischen auch Deine anderen Beiträge von gestern angesehen und verstehe angesichts all dessen, was Du in »Selbst wenn ich wach bin« verpackt hast, nicht, warum Du solche Kommentare schreibst, da ich mir nicht vorstellen kann, daß es das ist, was Du Dir bei Deiner Geschichte wünschst.

und "eh gar nicht gefallen" hat auch niemand gesagt
Na immerhin …

Danke fürs Lesen und
liebe Grüße Euch beiden,
Susi :)

 

Hallo nochmal, Möchtegern!

Ich hab die Geschichte nun doch noch etwas überarbeitet und dabei hoffentlich eine Spur deutlicher in der Intention gemacht, insbesondere hab ich auch den Schluß noch um zwei Zeilen erweitert.
Möglicherweise haben die anderen Kritiker ja schon allein deshalb in die richtige Richtung gedacht, weil sie mich schon kennen - das ist bei Dir wohl eher nicht der Fall.

Würde mich freuen, wenn Du mir sagen kannst, ob sie jetzt deutlich genug ist, um eine flüchtlingsfeindliche Aussage auszuschließen. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl,

erstmal die leicht formulierten Sachen vorneweg:

Mir gefällt der neue Schluss, also die neuen zwei Zeilen. Kein bisschen subtil, gefällt mir aber.

Zu meinem vorherigen Kommentar nochmal: Ich hatte nicht gewusst, dass das Tanzen Teil des Videos war. Ich kenne das Video nicht. In diesem Fall betrachte meine Kritik als gegenstandslos.

An der neuen Version gefällt mir auch, dass die Perspektive des Kapuzenmannes mit eingebracht wird. (Okay, nicht viel davon, aber du hast ihm jetzt Emotionen verliehen, Angst...)

Gut, jetzt der Teil, mit dem ich mich schwer tue:

Ich frage mich inzwischen, ob es meine Kritik ist, die hinterfragt werden sollte, nicht deine Geschichte. Um das nochmal klarzustellen, die Intention des Autors (also deine) war meiner Meinung nach nie zweideutig, auch in der ersten Version, die ich kenne, nicht.

Ich (und vielleicht nur ich?) werde immer "nervös", sobald einer bestimmten Gruppe bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Das ist vermutlich Unsinn. Und du hast wohl Recht damit:

Psychologische Zusammenhänge können nicht rassistisch sein, weil die Psyche in allen Menschen nach den selben Regeln arbeitet, es nur auf die jeweiligen Erfahrungen und wie sie verarbeitet werden ankommt.
Es stimmt, per se sind die Zusammenhänge nicht rassistisch. Mein Problem ist, dass diese Zusammenhänge sich so hervorragend für rassistisches Denken und Handeln eignen. Etwa nach folgendem Muster:
- Ich kann blonde Menschen nicht leiden.
- Die meisten Schweden sind blond.
- Ich kann Schweden nicht leiden.
(Blonde Haare haben nichts mit Psyche zu tun, das ist jetzt absichtlich ein dämliches Beispiel.)
Ähnlich ließe sich ableiten:
- Gewalttätige Menschen sind gefährlich = zu vermeiden = ablehnenswert.
- Die meisten Menschen aus Land X neigen zu Gewalttätigkeiten (aus welchen Gründen auch immer).
- Menschen aus Land X sind gefährlich und daher zu meiden (und Hass gegen sie steht dann an nächster Stelle).

Ich hatte kürzlich ein Gespräch, in dem mir jemand erklärte, er habe nichts gegen schwarze Afrikaner, er würde jedoch Afroamerikaner vermeiden. Begründet wurde das mit dem post traumatic slave syndrom.

Das ist eine Form von Rassismus, auf die mir meistens keine schlagfertige Antwort einfällt. Ich kann nämlich nicht leugnen, dass die meisten Afroamerikaner von ehemaligen Sklaven abstammen. Ich kann auch nicht leugnen, dass das zu bestimmten Verhaltensweisen der heutigen Afroamerikaner führen mag. Wie also argumentiere ich gegen jemanden, der mir darlegt, er würde bestimmte Eigenheiten im Verhalten von Afroamerikanern ablehnen und daher Afroamerikaner ablehnen?

Normalerweise stottere ich dann etwas zusammen von wegen "nicht verallgemeinern" und "Individuen als Individuen beurteilen". -Das wirkt aber meistens eher schwach.

Gut, also mein Fazit ist:

In der Geschichte steht nach wie vor, dass viele tschetschenische Flüchtlinge durch Gewalt traumatisiert sind und daher die Wahrscheinlichkeit zur Gewaltbereitschaft bei vielen tschetschenischen Flüchtlingen relativ hoch ist.
Aber gut, dann ist das nun mal so.

Und wenn eine Mutter ihre Kinder aufgrund eines solchen Gedankenganges vor den tschetschenischen Nachbarn warnt, dann macht mich das nach wie vor verrückt, aber nach wie vor fällt mir nichts Besseres ein als meine Gardinenpredigt gegen die Verallgemeinerung.

Aber daran ist deine Geschichte völlig unschuldig.
Tut mir leid, wenn ich da unnötig die Pferde scheu gemacht habe.

Lieben Gruß,
Möchtegern

 

Hallo Möchtegern!

Danke für Deine nochmalige und sehr ausführliche Antwort!

Mir gefällt der neue Schluss, also die neuen zwei Zeilen. Kein bisschen subtil, gefällt mir aber.
Freut mich, daß Dir der Schluß gefällt. Daß er alles andere als subtil ist, ist mir bewußt, und ich hab auch überlegt, ob ich das wirklich so schreiben soll, bis ich es aus Überzeugung gemacht habe: Subtiles ist was Feines für Menschen, die ohnehin eine ähnliche Meinung vertreten und sich dann freuen können, ihre Meinung in der Geschichte - möglichst noch gut versteckt - wiederzufinden, aber alle anderen läßt es bestens weiterschlafen, und ich schreibe ja sowas nicht nur, um mich mit Gleichgesinnten zu unterhalten, sondern würde gern in den anderen auch etwas bewegen.

Zu meinem vorherigen Kommentar nochmal: Ich hatte nicht gewusst, dass das Tanzen Teil des Videos war. Ich kenne das Video nicht. In diesem Fall betrachte meine Kritik als gegenstandslos.
Was die beiden geredet haben, war auf dem Video übrigens nicht zu hören, man hat nur die umstehenden Passanten gehört.

Ich (und vielleicht nur ich?) werde immer "nervös", sobald einer bestimmten Gruppe bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Das ist vermutlich Unsinn. Und du hast wohl Recht damit:
Psychologische Zusammenhänge können nicht rassistisch sein, weil die Psyche in allen Menschen nach den selben Regeln arbeitet, es nur auf die jeweiligen Erfahrungen und wie sie verarbeitet werden ankommt.
Es stimmt, per se sind die Zusammenhänge nicht rassistisch. Mein Problem ist, dass diese Zusammenhänge sich so hervorragend für rassistisches Denken und Handeln eignen.
Wenn man das will, kann man glaub ich jedes Argument so verdrehen, daß es den umgekehrten Sinn bekommt. Aber es wäre der falsche Weg, Probleme nicht anzusprechen, nur weil es immer irgendjemanden gibt, der etwas falsch verstehen will – das ist der Weg mancher Partei, die Probleme zwar erkennt und parteiintern die entsprechenden Beschlüsse gefaßt hat, diese aber nicht nach außen vertritt, weil es zu viele Wählerstimmen kosten oder den Koalitionspartner verstimmen würde. Als AutorIn sollte man konsequenter sein.

Etwa nach folgendem Muster:
[…]
- Gewalttätige Menschen sind gefährlich = zu vermeiden = ablehnenswert.
- Die meisten Menschen aus Land X neigen zu Gewalttätigkeiten (aus welchen Gründen auch immer).
- Menschen aus Land X sind gefährlich und daher zu meiden (und Hass gegen sie steht dann an nächster Stelle).
Von einer Neigung zu Gewalt steht eigentlich gar nichts in meiner Geschichte. Wenn man will, kann man sie natürlich hineinlesen, aber genaugenommen steht da, daß der Tschetschene Versuche unternimmt, Mohamed zu beruhigen, und daß er nicht nur einmal versucht, den Schauplatz zu verlassen, es aber nicht kann; das hat doch nichts mit Gewaltbereitschaft zu tun. Ich hab bei der letzten Überarbeitung auch einen besseren Auslöser eingefügt – das Halten am Handgelenk wie mit einer Handschelle. Sein Unterbewußtsein verbindet dies nun mit der Angst bei einer möglichen Folter oder in Gefangenschaft erlebten Gewalt und schickt ihm die entsprechenden Angstgefühle, den Druck, etc. – und das erst läßt ihn Mohameds Anweisungen folgen … Sei es aus dem Bedürfnis heraus, sich zu wehren, oder weil er eine Autorität in Mohamed sieht, deren Anweisungen er Folge leisten muß, damit ihm nichts passiert.
Der Mann kann ansonsten ein völlig friedlicher Mensch sein, aber gewisse Erfahrungen hinterlassen in jedem ihre Spuren, und die lassen sich nicht einfach verwischen.
Warum also sollte man sie meiden und hassen, wo sie doch selbst Opfer sind? Warum wird an der Behandlung ihrer psychischen Verletzungen gespart, obwohl man ganz genau darüber Bescheid weiß, wie sie sich auswirken können? Weil es Wählerstimmen kosten könnte? Oder weil es »uns« ganz Recht ist, wenn einem so etwas passiert, damit wieder einer mehr abgeschoben werden kann?

Die Denkweise, die Du hier schilderst, würde ja auch heißen, Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen sind oder geboren wurden, zu meiden, weil manche von ihnen noch viel von damals verinnerlicht und nicht aufgearbeitet haben, und natürlich auch nicht mit deren Kindern, weil es da besonders viele gibt, die in ihrer Kindheit mißhandelt oder mißbraucht wurden. Solange sie keine Therapie machen, kann in jedem durch einen passenden Auslöser etwas aufbrechen. – Am besten gibt man sich dann also mit gar keinen anderen Menschen mehr ab.

Ich hatte kürzlich ein Gespräch, in dem mir jemand erklärte, er habe nichts gegen schwarze Afrikaner, er würde jedoch Afroamerikaner vermeiden. Begründet wurde das mit dem post traumatic slave syndrom.

Das ist eine Form von Rassismus, auf die mir meistens keine schlagfertige Antwort einfällt. Ich kann nämlich nicht leugnen, dass die meisten Afroamerikaner von ehemaligen Sklaven abstammen. Ich kann auch nicht leugnen, dass das zu bestimmten Verhaltensweisen der heutigen Afroamerikaner führen mag. Wie also argumentiere ich gegen jemanden, der mir darlegt, er würde bestimmte Eigenheiten im Verhalten von Afroamerikanern ablehnen und daher Afroamerikaner ablehnen?

Normalerweise stottere ich dann etwas zusammen von wegen "nicht verallgemeinern" und "Individuen als Individuen beurteilen". -Das wirkt aber meistens eher schwach.

Aber genau das tust Du dabei ja nicht: Du beurteilst sie nicht als Individuen, wenn Du ihr Schicksal zu leugnen versuchst, nur weil es viele betrifft und es womöglich rassistisch klingen könnte. Indem man es leugnet, vergibt man auch die Chance, ihnen zu helfen, damit fertigzuwerden.
Natürlich handelt Dein Gesprächspartner falsch, indem er sie meidet – ich hab zwar nichts über das »post traumatic slave syndrom« gelesen, aber ich kann mir vorstellen, daß die Reaktion desjenigen genau das ist, was sie nicht brauchen, da das Gemiedenwerden ja wohl eins ihrer Probleme ist, das vermutlich am besten mit Anerkennung bzw. Akzeptanz geheilt wird.

Egal, ob es Afroamerikaner, Tschetschenen, Nigerianer oder was auch immer sind: Ihre Verletzungen zu leugnen, um antirassistisch zu wirken, ist ein Verkaufen der Menschen zugunsten eigener politischer Korrektheit – gut gemeint, aber der falsche Weg.
So kann man nämlich dann auch den Druck nicht sehen, unter dem sich die Menschen hier beweisen müssen. Für Therapien ihrer inneren Verletzungen ist kein Geld da, aber deutsch sollen sie lernen und arbeiten und brav sein und sich widerstandslos beschimpfen lassen, und wenn sie einen Termin versäumen, haben sie Pech gehabt.
Daß Verdrängung nie gut ist, weiß zwar mittlerweile schon fast jedes Kind, aber wenn es um Flüchtlinge geht, machen wir die Augen zu, weil es womöglich als rassistisch angesehen werden könnte, darüber zu sprechen, daß ihre Psyche nach den Erlebnissen vielleicht nicht mehr nur eine Blumenwiese ist.
Man muß sie schon als das sehen, was sie sind, nämlich Kriegsverletzungen, und dementsprechend sollten die Betroffenen, von wo auch immer sie kommen, ein Recht auf Behandlung haben, wie wir ihnen ja auch ärztliche Versorgung für körperliche Wunden gewähren.

Genauso, wie die Probleme als Kind mißhandelter oder mißbrauchter Menschen nicht kleiner werden, indem man sie leugnet, werden auch die der Flüchtlinge nicht besser, wenn man darüber schweigt.
Daß kollektive Erfahrungen natürlich auch kollektive Folgen haben, wird niemand bestreiten können – die Angst des Deutschen, rassistisch zu denken, sobald es um solche kollektiven Gemeinsamkeiten geht, ist nicht zuletzt auch eine Folge des Zweiten Weltkriegs. In dieser Angst fällt es schwer, solche Fragen objektiv zu beurteilen. Und wie, wenn es nicht so eine kollektive Psyche gäbe, hätte Erwin Ringel sein Buch »Die österreichische Seele« schreiben können? Muß man ihm nun posthum Rassismus vorwerfen?

Aber gut, dann ist das nun mal so.

Und wenn eine Mutter ihre Kinder aufgrund eines solchen Gedankenganges vor den tschetschenischen Nachbarn warnt, dann macht mich das nach wie vor verrückt, aber nach wie vor fällt mir nichts Besseres ein als meine Gardinenpredigt gegen die Verallgemeinerung.

Am besten wäre sicher, ihnen einfach menschlich zu begegnen. Das ist wie bei den Pflanzen: Es wächst das, was man sät. (Auch in den Kindern.)

Tut mir leid, wenn ich da unnötig die Pferde scheu gemacht habe.
Es ist eh nicht so, daß ich ausführliche Antworten ungern schreiben würde … :Pfeif: ;)

Danke nochmal,
liebe Grüße,
Susi :)

 

hallo susanne

eine geschichte, so glaube ich, ist auch etwas geschichtetes
wie bei einem kuchen fängt man mit dem boden an
und alles endet mit glasur oder kuvertüre plus sahne
wie auch immer
anfänge und enden neu zu erfinden
erfordert eigentlich eine neue torte
ein flickwerk wird durch das flicken nicht besser

gruss
der flicktaucher

Du kannst ruhig weiter Kuchen backen ... Ich überarbeite hier lieber meine Geschichten. Dafür sind aussagekräftige Kritiken, in denen auf Details eingegangen wird, recht hilfreich, deine konfusen Sprüche eher weniger, die könntest du dir genausogut sparen, da du ja nie auf die Geschichte eingehst oder deine Meinung begründest. Du hörst dich einfach nur selbst gern reden, ob der andere etwas damit anfängt, ist dir völlig egal.

 

in meinem kuchenbackmontag wollte ich dich nicht angreifen
Nein, du bezeichnest bloß meine Geschichte als Flickwerk, ohne das zu begründen - aber wahrscheinlich ist das ja ein verstecktes Lob und ich erkenne es bloß nicht ...

dennoch stehst du atombombe bei fuss
Deine Interpretation. Mich nerven bloß deine kurzen, von oben herab klingenden Sprüche.

na ja,
das hätte ich nicht erwartet
Du hast nicht wirklich erwartet, daß ich mich über deinen Kuchenbackspruch zu meinem "Flickwerk" freue, oder?

wo immerhin mir deine geschichte langsam ans herz wächst.
Das hast du mir bisher weder gesagt noch gezeigt. Im Grunde weiß ich über deine Meinung zu meiner Geschichte rein gar nichts, da du sie mir ja nicht mitteilst.

warum beantwortest du verbesserungsvorschläge?
glaubst du, dass literatur so funktioniert?
Das ist keine Frage der Literatur, sondern eine des menschlichen Umgangs. Für mich stehen Menschen hinter den Nicks, und wenn jemand zu mir sagt "Das finde ich nicht gut" oder "Das würde ich so machen", dann gehe ich eben darauf ein.
Irgendwie hab ich das Gefühl, du hast den Sinn dieses Forums nicht verstanden. Es geht hier darum, voneinander zu lernen, nicht darum, Geschichten nur zu bewerten.

ist literatur demokratisch?
Hat diese Frage etwas mit meiner Geschichte zu tun? Nein, denn es geht hier (auf kg.de) nicht um die Meinung von Mehrheiten, sondern darum, welchen Kritikpunkten ein Autor zustimmt - keine Mehrheit kann ihn zwingen, auch nur ein Wort zu ändern, wenn er es trotz aller Kritik für seine Geschichte passend findet. Wenn ich einen Vorschlag gut finde oder einen Kritikpunkt berechtigt, auch wenn er nur von einem Leser kommt, dann ändere ich es.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich würd mich wirklich freuen, wenn mir noch jemand seine Meinung zu meiner Überarbeitung sagen könnte. :)

 

Salü Häferl,

Ich hab mich aus den Diskussionen herausgehalten, weil sie für meine Begriffe weit und oft auch völlig sinnlos an Deiner Geschichte vorbei liefen. Ausserdem kenne ich mich nicht so gut aus in den österr. Gesetzen. Nun hast Du intensiv überarbeitet und ich stelle fest, dass ich die Geschichte wieder in einem Atemzug gelesen habe.

Sie ‚gern’ gelesen zu haben kann ich nicht sagen, denn das Thema kann ich nicht gern haben und die Tragik geht mir so unter die Haut, dass ich ihr lieber ausweichen möchte. Ganz im Sinne des letzten Satzes! Aber das ist in der Vehemenz und Klarheit Deines Schreibens schier unmöglich. Ich muss mich hineinziehen lassen in diese unsägliche Not, Einsamkeit und Todessehnsucht - die ja gerade dadurch zu einem Flehen nach dem Überleben wird.

Eine sehr gute, sehr tiefgehende Geschichte ist Dir gelungen. Ich wünschte, sie könnte so stehen bleiben und würde nicht wieder durch Diskussionen in ihre Wirkung verflacht. Ich wünsche Deiner Geschichte Würdigung - von mir hat sie sie. Und Du als Autorin hast sie natürlich auch.

Liebe Grüsse,
Gisanne

 

Hallo Are-Efen!

Danke fürs nochmalige Lesen! Besonders freu ich mich, daß ich diesmal mit Deinen Worten etwas anfangen kann – leider versteh ich oft nur Bahnhof, wenn ich Kommentare von Dir lese, daher freut es mich wirklich, daß Du hier in für jeden verständlichen Worten schreibst. :)

Habe das Schwimmbecken-Bild im Text entdeckt ...
Der ganze Absaz von blauer Himmel bis abgewetzte Turnschuhe scheint mir neu zu sein --- und sehr realistisch, oder auch substantiell.
An sich war der Absatz schon drin, nur das »Schummeln« der Vollzugsorgane hab ich neu eingebaut: »weil es für sie ein Spiel ist, an dessen Regeln sich zu halten sie vorgeben, doch wenn keiner hinschaut, schieben sie gern ein paar andersfarbige Spielsteine mehr vom Feld, als die Regel erlaubt.«
Freut mich aber, daß Dir der Absatz gefällt!

Hier stehen sich »Er lebt zu gerne« und »c'est la vie« praktisch gegenüber.
Mir wäre es ehrlich gesagt am liebsten, wenn der Junge das alles so »So ist das Leben eben« hätte nehmen und irgendwie durchstehen können.
Das hätte ich ihm natürlich auch gewünscht, aber abgesehen davon, daß das auf dem Video auch keinen besseren Ausgang genommen hat, wäre dann ja die Aussage der Geschichte eine andere, dann würde da nämlich stehen, daß sie ja nur wollen müssen; nur ihr von der Politik gewürfeltes Schicksal hinnehmen und tapfer ertragen müssen, dann würde sich schon alles irgendwie zum Guten wenden. – Märchen wollte ich keines schreiben. ;)

Ich empfinde dieses Arbeiten an dem Text als sehr positiv
Diese Meinung von Dir freut mich wirklich sehr!

Ah, ja, die ganze Szene mit dem Tschetschen ist grundlegend geändert worden --- überwältigend.
Ganz besonders das »hinweg- statt abgeschoben«.
Ja, die Szene hab ich ab dem Zusammentreffen auf der Rolltreppe überarbeitet, sodaß die Friedfertigkeit des Tschetschenen besser hervorkommt (hoffe ich) und auch klar wird, warum er auf das Tanzen kommt (daß er nicht darauf kommt, weil er als Tschetschene so gern tanzen würde, sondern deshalb, weil er weiß, daß Schwarze gern tanzen – das war ein Kritikpunkt in einer der vorigen Kritiken).

Etwas, was mich beim Lesen immer wieder störte, und so auch jetzt wieder, ist das Verb fliehen im Imperfekt am Anfang des Satzes; es klingt nicht schön.
Mit einem anderen Verb lässt sich die Flucht eventuell auch besser verdeutlichen.
Bisher hab ich noch keine Lösung gefunden, aber ich hab es mir in meinem Word-Dokument markiert und hoffe, daß mir bald etwas einfällt. Vorschläge nehm ich natürlich auch gern. :)


Liebe Gisanne!

Danke nicht nur fürs nochmalige Lesen und Kommentieren, sondern ganz besonders auch für die Empfehlung! :kuss:
Das hat mich direkt dazu veranlaßt, gleich noch ein paar Änderungen vorzunehmen:
Hier hab ich zwei von drei »geht« vernichtet: »gelangt über die Stiegen nach unten und ungesehen aus dem Gebäude. Und wie er gekommen ist, irrt er weiter ziellos durch die Straßen und Gassen der Stadt, als suche er ein Loch, durch das er der Realität entfliehen kann. In welche Richtung er geht«, die Stelle mit dem gedachten »Bitte hilf mir« hab ich durch »Mohamed wiederholt sein »Feiger, tschetschenischer Arsch!«, dabei zieht es ihm innerlich alles zusammen, als hätte er in eine Zitrone gebissen« ersetzt, und am Schluß steht jetzt statt dem gesagten »Danke«: »Seine Lippen formen ein »Danke«, doch sein Inneres will keine Stimme hergeben«.

Ausserdem kenne ich mich nicht so gut aus in den österr. Gesetzen.
Inzwischen ist sowieso alles wieder geändert, jetzt haben wir ja einen Asylgerichtshof, und nachdem die EU gerade erst einheitliche Regeln beschlossen hat, ändert sich bald wieder alles. Das führt (dient?) natürlich auch dazu, daß sich niemand, der sich nicht speziell damit befaßt, gut auskennt.

Nun hast Du intensiv überarbeitet und ich stelle fest, dass ich die Geschichte wieder in einem Atemzug gelesen habe.
In meine nächste Geschichte bau ich Dir eine Atempause ein. ;)

Sie ‚gern’ gelesen zu haben kann ich nicht sagen, denn das Thema kann ich nicht gern haben und die Tragik geht mir so unter die Haut, dass ich ihr lieber ausweichen möchte. Ganz im Sinne des letzten Satzes! Aber das ist in der Vehemenz und Klarheit Deines Schreibens schier unmöglich. Ich muss mich hineinziehen lassen in diese unsägliche Not, Einsamkeit und Todessehnsucht - die ja gerade dadurch zu einem Flehen nach dem Überleben wird.
Diese Wirkung freut mich ganz besonders! :)

Ich wünschte, sie könnte so stehen bleiben und würde nicht wieder durch Diskussionen in ihre Wirkung verflacht.
Grundsätzlich hab ich auch nichts gegen Diskussionen, nur gegen gewisse Arten, sie zu führen (sodaß es eigentlich keine Diskussionen mehr sind).


Danke nochmal Euch beiden, hab mich sehr über Eure Kommentare gefreut!

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Salü nochmal Häferl,

»Seine Lippen formen ein »Danke«, doch sein Inneres will keine Stimme hergeben«. :thumbsup:

Was ich von Dir und Deinem enormen Engagement für Deine Geschichte lerne: Dass es sich lohnt, dran zu bleiben! Und so freue ich mich auf Deine Nächste. Nein, füg' keine rücksichtsvolle Atempause ein, oder nur dann, wenn es Dein Stil verlangt :)

Ein schönes Wochenende, herzlich,
Gisanne

 

Liebe Gisanne!

Danke für Deine nochmalige Rückmeldung, freut mich, daß Dir die neue Danke-Version gefällt! :)

Was ich von Dir und Deinem enormen Engagement für Deine Geschichte lerne: Dass es sich lohnt, dran zu bleiben!
Ja, meistens zahlt es sich aus, wenn man Geschichten auch später noch einmal überarbeitet. Mit dem Abstand zur Geschichte, der sich mit der Zeit von selbst ergibt, kommt man der Sicht des Lesers näher und kann dadurch manche Kritikpunkte besser verstehen.

Was das neue Ende betrifft, bin ich jetzt doch wieder unsicher geworden, ob das wirklich gut ist. Es ist schon sehr holzhammerartig, andererseits ist eben sonst die Gefahr, mißverstanden zu werden. Hier auf kg.de denken wahrscheinlich die meisten auch ohne den Schluß in die richtige Richtung, aber was ist mit normalen Lesern, die vielleicht sogar zu jenen gehören, die die Flüchtlinge am liebsten gleich ohne Ansehen ihrer Gründe wieder wegschicken würden, weil sie Angst haben, ihrer Frauen und Arbeitsplätze beraubt zu werden? Von denen kann ich doch nicht erwarten, daß sie auf Subtiles zu denken beginnen bzw. einen subtilen Hinweis überhaupt erkennen.
Daß das bei kritischen Lesern wie hier auf kg.de anders ist, ist klar. Ich hatte ursprünglich schon einen anderen Holzhammerschluß, den ich dann aufgrund der Kritiken wieder rausgenommen habe. Jetzt hab ich einen anderen und denke wieder dran, ihn zu löschen. Ich kann mich da einfach nicht entscheiden. :heul:

Und so freue ich mich auf Deine Nächste. Nein, füg' keine rücksichtsvolle Atempause ein,
Freut mich, daß Du Dich schon drauf freust! Wenn ich auch noch nicht besonders viel von der Handlung weiß (bin beim Studieren heterozygoter Pflanzen), aber wie ich Deine Atempause einbaue, weiß ich schon! :)

Dir einen schönen Wochenbeginn,
liebe Grüße,
Susi :)

 

Salü Häferl,

ja, der Schluss:

Beide schauen in Frau Trávničeks Kinderwagen. Ihr Sohn sitzt darin, lacht aufgeregt und hält sich einen Stoffhasen vors Gesicht. Sie lacht stumm und weiht ihre Freundin grinsend ein: »Er spielt so gerne Was ich nicht seh, das ist nicht da.«

Ich hock jetzt schon eine Weile drüber. Die drei Worte fallen mir am meisten als Bremser auf, wobei das Erste noch gut placiert und stimmig ist. Dann aber die Doppelung und das 'grinsend'. Vielleicht genügt:

"Beide schauen in Frau Trávničeks Kinderwagen. Ihr Sohn sitzt darin, lacht aufgeregt und hält sich einen Stoffhasen vors Gesicht. Sie lächelt stolz und erklärt ihrer Freundin: »Er spielt so gerne Was ich nicht seh, das ist nicht da.«
Oder vielleicht besser: Mit stolzem Lächeln erklärt sie ihrer Freundin: ...

Von denen kann ich doch nicht erwarten, daß sie auf Subtiles zu denken beginnen bzw. einen subtilen Hinweis überhaupt erkennen.

'Von denen' kannst Du das sicher so oder so nicht erwarten. Da hilft kein Hammer. Aber die Anderen, denke ich, zwingst Du schon recht ins subtile Denken!

Auch Dir eine schöne Woche und liebe Grüsse,
Gisanne

Jetzt schau ich nach den heterozygoten Pflanzen ... Um die Vorfreude anzuheizen ...

 

Aloha, Häferl!

Ich bewege mich ja selten auf dem Terrain außerhalb phantastischer Erzählungen, nicht etwa, weil ich so furchtbar weltfremd bin, sondern weil ich das Angebot in den mich primär interessierenden Bereichen als ausreichend betrachte. Da Du Dich aber stets so liebevoll und umfassend meinen kleinen Beiträgen widmest, wechsle ich das Genre und nehme mich dieser empfohlenen Geschichte an ... Die bisherigen Kommentare habe ich nicht gelesen, es mag also durchaus Widerholungen geben.

Der Empfehlung kann ich nur insoweit folgen, dass Du stilistisch bei der Umsetzung des Charakters Mohamed und der Darstellung seiner Intentionen und Gefühle Großes geleistet hast. Natürlich dient die Erzählung dem Verinnerlichen von Problemen, die Mohamed und andere Betroffene haben und schlussendlich damit der Polarisierung. Hier liegt die Herausforderung und gleichzeitig ein kaum lösbares Problem: Der namen- und – im wahrsten Sinne des Wortes - gesichtslose Tschetschene löst Mohameds Problem, wenn auch zögerlich. Der Ansatz eines Zögerns ist erkennbar und Du bist sicher die Letzte, der ich irgendetwas unterstellen möchte, aber schlussendlich kann er nicht aus seiner Haut und ‚erledigt’ Mohamed, indem er ihn über die Mauer schiebt. Das ist mir zu beliebig und klischeehaft, auch wenn es im Einzelfall zutreffen könnte … Er macht den Provokanten richtig fertig, schlägt ich zusammen und der wird trotz bleibender Schäden und Behinderung abgeschoben. Darauf lass ich mich ein, aber ein Mord? Die Motive des Tschetschenen bleiben undurchsichtig, er ist kalt und brutal, auch wenn er sich dem Ansinnen zunächst verweigert. Als handelnder Charakter bleibt er dennoch blass.

Zum Schluss, der eigentlich m.E. keiner ist, stichst Du dem Leser noch mit dem Zeigefinger ins Auge. Das mag beim easy-reading Konsumenten sicher erforderlich sein, damit er oder sie auch mal aufwacht, ich sehe aber nicht, dass es gerade diese Klientel ist, die sich durch Stil und Inhalt angesprochen fühlen wird. Mich stört es, den Gedanken kann ich mir selbst erschließen … Ein Hinweis auf Publikum auf dem Bahnsteig, dass die Aktion mitbekommt reicht völlig aus. Die abschließende Konversation und die betont nicht-deutschen Familiennamen der Damen fine ich persönlich als Leser abstoßend, da sich mir den Kontext bereits lange erschlossen hat.

Den ‚Gesinnungsbraunen’ leistet dies nur Vorschub, da es gerade die Klischees erfüllt, von denen sie so gerne sprechen. Die andere Lösung, die Braunen interagieren zu lassen, um Mohamed über die Mauer gehen zu lassen ist genau so fatal … Aus der Klemme kann ich Dir nicht helfen, die Quadratur des Kreises ist mitunter eben nicht möglich.

Die Aussage ist bedrückend und beunruhigend und die Umsetzung – ich schreibe das gerne nochmals und ausdrücklich auf! – von Mohamed finde ich brillant. Leider lässt die Erzählung aber auch an vielen Stellen zu wünschen übrig und zu viel Spielraum für Interpretationen in Bereichen, die als indiskutabel betrachte. Ich finde es gut und mutig, sich diesem Thema auf eine so eindringliche Art anzunehmen, kann aber mit dem erhobenen Zeigefinger am Schluss, der noch dazu versucht, mir ins Auge zu stechen, ganz und gar nichts anfangen. In der Umsetzung des ‚Selbstmordes’ durch einen scheinbar beliebigen Fremden kommt zwar zum Ausdruck, dass zumindest Mohamed die Probleme anderer Asylanten erkannt hat, Du nährst damit aber auch vordergründig genau das Vorurteil, dass eben viele haben. Dies wird zwar zum Schluss genau durch die Konversation der Damen versucht zu relativieren, der Mord/Selbstmord steht jedoch nach wie vor im Vordergrund und die seichte Handlung/Konversation hebt diese Aktion nicht einmal im Ansatz auf.

Ich habe es verstanden, aber grundsätzlich tendiere ich eher zu der Aussage ‚Ziel verfehlt’.

Liebe Grüße in die Berge
>x<

 

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