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Feige Sau!

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20.11.2001
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Feige Sau!

Er lebt zu gerne, das ist sein Problem.
Genaugenommen wäre das ja kein Problem, wenn sie ihn weiter hier arbeiten und wohnen ließen. Wenn sie sein Ansuchen auf Asyl nicht abgewiesen hätten.
Jetzt steht er da oben auf dem Dach des fünfstöckigen Hauses und traut sich nicht hinunterzuspringen.

Er fürchtet sich vor dem, was ihm »zuhause« droht. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder hat er Essen zu den Widerstandskämpfern gebracht, bis die vom Militär seinen Bruder verhaftet und ermordet haben. Mohamed konnte sich verstecken und ist geflohen, als er vom Schicksal seines Bruders erfuhr. Sicher warten sie jetzt schon darauf, ihn von den österreichischen Behörden frei Haus geliefert zu bekommen … Aber diese Genugtuung gönnt er ihnen nicht. Lieber will er es selbst erledigen. Das erspart ihm dann die Schubhaft und den Flug und die ganze Angst dabei.

Blauer Himmel und ein sonnenbeschienenes Meer aus Schornsteinen, Bäumen, Satellitenschüsseln und Handymasten bieten sich ihm als Anblick. Darunter weiß er das Leben, ein Wechselbad aus Sorgen und Glück, solange man darin schwimmen darf. Er stellt sich vor, auf dem Sprungbrett eines Schwimmbeckens zu stehen, aber auch das klappt nicht. Es wächst nur Wut in ihm. Auf sich, weil er zu feig ist für diesen letzten Schritt; auf die Behörden, die sich zwischen Kaffee und Beamtenforelle nicht vorstellen können, was ihm in seiner Heimat droht. Oder es einfach nicht wollen, weil es für sie ein Spiel ist, an dessen Regeln sich zu halten sie vorgeben, doch wenn keiner hinschaut, schieben sie gern ein paar andersfarbige Spielsteine mehr vom Feld, als die Regel erlaubt. Tod oder Leben, die Würfel sind gefallen. Stempel, Unterschrift, nächster Akt. Mohamed ist klar, dass es keinen Sinn hätte, die Faust gegen sie zu erheben, und er senkt den Blick auf seine abgewetzten Turnschuhe.

Zweieinhalb Jahre ist er bereits hier. Zuerst in der Erstabschiebestelle Ost in Traiskirchen, dann im Wiener Schubhaftgefängnis, wo er in Hungerstreik trat, wenige Tage in ein Krankenhaus verlegt wurde und gleich, nachdem er wieder zwei Kilo zugenommen hatte, zurück in Schubhaft kam, bis in letzter Instanz doch noch ein Asylverfahren bewilligt wurde. Man entließ ihn und er dachte, das sei ein gutes Zeichen und er hätte eine Zukunft.

Seit fünfzehn Monaten ist er nun auf freiem Fuß, hat Hilfsarbeiten angenommen und begonnen, deutsch zu lernen. Er ist kein Sprachentalent und es fiel ihm nicht leicht, doch er bemühte sich redlich. Anita, eine junge Frau aus der Nachbarschaft, übte manchmal mit ihm und so machte er gute Fortschritte. Wofür, wenn sie ihn jetzt doch abschieben? Er könnte seinen Abschiedsbrief auf deutsch verfassen, damit sie sich den Übersetzer sparen. Er erspart ihnen gleich den ganzen Brief; egal in welcher Sprache, sie könnten ihn doch nicht verstehen.
»Und jetzt spring endlich«, sagt er sich, doch seine Beine bewegen sich keinen Millimeter, er wagt noch nicht einmal den Blick nach unten, aus Angst, das Gleichgewicht zu verlieren, wenn er sich nach vorne beugt. Tränen rinnen über seine braunen Wangen, mit ihnen tropfen seine kleinen Träume auf das Blech, von wo sie der Wind davonträgt; alles, was er sich jetzt noch wünscht, ist ein Tritt von hinten, der ihn in den Abgrund befördert. »Du elender Feigling, jetzt spring endlich«, fordert er sich selbst noch einmal auf, und wieder funktioniert es nicht.
Er dreht sich um, wischt sein Gesicht mit dem Ärmel trocken und zieht sich zurück in das Haus, von dessen Dach er springen wollte. So, wie er gekommen ist, meidet er auch jetzt den Aufzug, gelangt über die Stiegen nach unten und ungesehen aus dem Gebäude. Und wie er gekommen ist, irrt er weiter ziellos durch die Straßen und Gassen der Stadt, als suche er ein Loch, durch das er der Realität entfliehen kann. In welche Richtung er geht, registriert er nicht mehr, erlebt alles wie in einem Traum. Ein Rausch aus Angst, Wut und Verzweiflung. Häuser, Menschen, Autos ziehen an ihm vorüber. Verschwimmen wie ihre Geräusche.

Erschöpft lässt er sich auf eine Bank fallen. Sein Gesicht glänzt vor Schweiß und Tränen. Erst jetzt nimmt er wahr, dass er sich auf der Mariahilfer Straße befindet. Menschen rennen hektisch herum, als kaufte ihnen sonst jemand etwas vor der Nase weg. Eine junge Frau nimmt ihn wahr, bleibt stehen. Greift nach Taschentüchern, überlegt kurz, steckt sie wieder weg und geht weiter. Mohamed schließt die Augen. Er sieht sich inmitten eines Flusses, in dem er in einen Strudel geraten ist, der ihn erbarmungslos nach unten zieht. Am Ufer stehen Schilder mit der Aufschrift: »Rettungsringe zuwerfen verboten!« Er wünscht sich, endlich zu ertrinken, stattdessen strampeln und rudern seine Arme und Beine wild umher. Er macht die Augen wieder auf und denkt: Anita! In der nächsten Sekunde schimpft er sich für den Gedanken, sie so zu missbrauchen. Er weiß schließlich, dass sich strafbar macht, wer ihm Unterschlupf gewährt. Anita soll nicht für ihn ins Gefängnis müssen. Er steht wieder auf, sieht sich um. Keine Polizei in Sicht. Ob sie sein Bild in der Fahndung haben? Er will ihnen nicht lebend in die Arme laufen.

Mohamed geht weiter. Ständig nach den Tentakeln des Gesetzes Ausschau haltend, wendet er seinen Blick abwechselnd in alle Richtungen. Er zuckt zusammen, sucht instinktiv nach einem Versteck, als er beim Scannen der Umgebung eine Uniform registriert – nur ein Parkplatz-Sheriff. Ein paar Gassen weiter nimmt er die Aufschrift »U3 Neubaugasse« wahr, läuft den Abgang zwei Stufen auf einmal nehmend hinunter, erreicht den Bahnsteig. Zwei Minuten bis zum nächsten Zug, sagt die Leuchtschrift. Mohamed wartet. Balanciert am Bahnsteigrand entlang. »Treten Sie bitte hinter die gelbe Sicherheitslinie!«, faucht es aus den Lautsprechern. Erschrocken springt er zurück. Aus dem Tunnel hört er schon die Räder quietschen, er schaut ins Schwarze, wartet auf die erlösenden Lichter. Dann rollt die U-Bahn in die Station und Mohamed …
Er könnte vor Angst in die Hose machen, aber für den Sprung in den Tod reicht es nicht. Er steigt ein. Sein Herz schlägt wie eine Flügelratsche.
Bis zur nächsten Station braucht der Zug keine Minute, doch heute fährt er unerträglich viele Schweißperlen lang, und unzählige Male hämmert es in Mohameds Kopf: Feigling! Dann endlich: Zieglergasse, Türen auf, hinaus. Bahnsteig. Panik, er weiß nicht wohin. Ein paar Meter schwimmt er im Strom der Menschen.

Auf der Rolltreppe stößt er mit einem Mann zusammen. Schwarzer Parka, Kapuze auf dem Kopf, flucht Unverständliches in Richtung Mohamed. Tschetschene, schätzt Mohamed, als er ihm ins Gesicht sieht. In Traiskirchen hat er erfahren, dass viele Flüchtlinge von ihren brutalen Gewalterfahrungen traumatisiert sind. Er hat mitbekommen, wie ein sadistischer Aufseher sich manchmal einen Spaß daraus gemacht hat, einige von ihnen zu reizen. Mohamed fiel auf, dass es immer Tschetschenen waren, die der Wärter auswählte, und fragte sich, ob es bei ihnen besonders leicht ginge. Einige haben sich tatsächlich gewehrt, als wollte man sie nun auch hier foltern. Mohamed spürt Bäche aus Schweiß von seinen Achselhöhlen an den Rippen hinunterrinnen, bis das T-Shirt sie aufsaugt. Eine Idee schießt ihm in den Kopf. Du bist meine Rettung …, denkt er und fragt: »Ist was, feige Sau?«
Keine Reaktion. Mohamed tritt gegen sein Schienbein. Der Kapuzenmann packt ihn an der Jacke, schimpft abermals und lässt ihn mit einem Ruck los, dass er gegen die Seitenwand der Rolltreppe taumelt. Oben angekommen, zeigt ihm der Mann den Mittelfinger und will schon weitergehen, doch Mohamed zieht ihn am Arm, will ihn nicht gehen lassen. Dann stehen sie sich gegenüber, Mohamed blickt sich um. Immer noch keine Polizei.

Während er den Mann weiterhin provoziert, lockt er ihn ans gegenüberliegende Ende des U-Bahn-Abganges. Das rechteckige Loch im Boden ist an drei Seiten mit einer hüfthohen Mauer eingefasst, an der vierten enden Rolltreppe und Stufen. Mohamed und der Kapuzenmann sind schon fast an der Schmalseite angelangt, die sein Ziel ist, da besinnt sich der Mann und meint: »Ey, Mann, ist gut. Stay cool. Tanzen, Mann! Was bist du für ein Schwarzer? Tanz, und alles ist gut!« Er beginnt, sich rhythmisch zu bewegen, fordert Mohamed noch einmal dazu auf, es ihm nachzumachen.
Mohamed geht einen Schritt zurück, nennt ihn einen Feigling. Noch ein Schritt. »Na, komm! Trau dich, feiges Arschloch!«
»Ich, feiges Arschloch?!« Der Mann hat aufgehört zu tanzen. Mohamed geht, ohne ihn aus den Augen zu lassen, zu der niedrigen Mauer, genau über dem unteren Ende der Rolltreppe. Der Mann folgt ihm, will wissen: »Was ist los, du?«
»Zeig, dass du kein feiges Arschloch bist, schmeiß mich da runter.«
Eine Hand klatscht gegen die Stirn unter der Kapuze. »Deppert?« Der Mann wendet sich ab, doch da sagt Mohamed, während er weiter nach rechts geht, sodass er sich über den Stufen befindet: »Feiger, tschetschenischer Arsch!«
Der Mann kommt zurück. »Sag du nochmal und ich geb dir feige, tschetschenische Arsch! Du … «, droht er und will sich umdrehen und gehen. Mohamed erwischt ihn am Handgelenk, drückt Daumen und Mittelfinger an die Knöchel, dass es sich anfühlt wie Handschellen. Eine Mischung aus Angst, Verzweiflung und Wut blickt ihm aus der Kapuze entgegen. Mohamed lässt los und sagt: »Na komm, mach schon, feiger Tschetschene.« Mohamed setzt sich auf die Mauer. »Heb meine Füße hoch und schieb an!«
Der Tschetschene schaut, greift seitlich an Mohameds Beine, wirft ihm einen fragenden Blick zu. »Anschieben?«
»Ja, aber von vorne.«
»Du deppert.« Er lässt los, geht kopfschüttelnd zwei Schritte weg.
Mohamed wiederholt sein »Feiger, tschetschenischer Arsch!«, dabei zieht es ihm innerlich alles zusammen, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
Dem Tschetschenen ist es jetzt zu viel; er kommt zurück. Mohamed streckt ihm seine Beine entgegen, macht sich steif. Ist froh, seinem Schicksal zu entkommen. Er fühlt sich erlöst, als er spürt, wie seine Beine hochgehoben werden. Wie er über die Mauer hinweg- statt abgeschoben wird. Seine Lippen formen ein »Danke«, doch sein Inneres will keine Stimme hergeben. An der untersten Stufe bricht er sich das Genick.
Der Tschetschene läuft weg.
Menschen stehen herum, schauen, halten es für einen Streit unter Drogendealern. Über Foltertraumen steht schließlich nichts in der Zeitung.


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Hallo Häferl,

ich denke, wir beide sind soweit auseinander, dass es schwerfällt auf jeden Punkt einzugehen - das würde jedes Maß sprengen. Zu offensichtlich auch, dass du mich bei manchen Aspekten nicht wirklich verstanden hast. Mal die wichtigsten Punkte:

Zitat von Streicher
eine narbe auf der wange und rätsel um die vorgeschichte machen die figur interessanter..(wenns nicht gerade ein pirat ist)

Ich weiß schon, was Du meinst, und wäre die Geschichte rein zur Unterhaltung, würde ich Dir auch zustimmen, aber ich halte es gerade bei dem Thema für unwesentlich. Jeder Mensch soll menschlich behandelt werden, nicht erst, wenn er besonders interessant aussieht oder einen besonders sympathischen Eindruck macht.


ich hätte mohamed gerne in der Hinsicht "interessanter", dass ihn eben nicht jeder automatisch bemitleiden soll, auf seiner seite stehen soll und am ende denken soll "jetzt hat der arme junge sich doch umgebracht" - die geschichte vermittelt das bild eines perfekten asylsuchenden (in der hinsicht, dass er völlig schuldlos und aus sehr guten gründen hier ist), den die vollgefressene westliche welt in den tod treibt.. man kann dem in dieser (!) geschichte nur zustimmen.. aber sie ist mir viel zu einseitig...

dass du so einseitig denkst, zeigt auch diese reaktion:

Selbst wenn jemand Asyl beantragt, weil die wirtschaftliche Lage in seinem Land so schlecht ist, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung nicht sichergestellt ist, würde ich ihn nicht zurückschicken. Würde jemand, dem es gut genug geht, daß er keine Angst um seine Existenz haben muß, so einfach sein Zuhause, Teile der Familie und Freunde aufgeben und davonlaufen? Ein normaler Mensch wohl eher nicht.

bei jedem Einzelfall muss man dir zustimmen - aber in der summe aller einzelfälle halt nicht... 1. ist politisches asyl kein weg, um aus wirtschaftlichen gründen in einem land aufgenommen werden zu dürfen.. man kann über letzteres reden aber eben nicht unter der asyl-thematik. 2. hilft man menschen in problemregionen nicht damit, dass man sie bei uns aufnimmt, sondern damit, dass man vor ort etwas unternimmt. 3. kann keine gesellschaft zahllos arme und ungebildete menschen aufnehmen - gerade das sieht man in D.+ AUT im vergleich zu ländern wie kanada, die die einwanderungsthematik viel rigider handhaben..s chau dir mal die ausbilungs- und sozialquoten von migranten in den deutschsprechigen ländern an..die mehrzahl dieser menschen wird nie unabhängig vom staat leben können..

Keineswegs habe ich ihn als jemanden beschrieben, der sofort zuschlägt, manche Leser lesen vielleicht ihre eigenen Vorurteile in die Geschichte hinein. Aber ich gebe zu, daß man für manche von mir zur Charakterisierung verwendeten Dinge sehr genau lesen und sensibel sein muß, um sie zu finden. Wer sich zum Beispiel bei Schönwetter eine Kapuze aufsetzt, will in den meisten Fällen seine Ruhe und gar nicht allzuviel von der Umwelt mitbekommen. Ich schreibe sowas nicht bloß, um dem Tschetschenen irgendein Aussehen zu verpassen – in manchen meiner Geschichten lasse ich Äußerlichkeiten meiner Protagonisten völlig aus, weil sie mir nicht wichtig erscheinen, im Gegensatz zu der in meinen Augen vielsagenden Kapuze hier.

an der stelle frage ich mich, ob ich dich völlig mißverstehe, ob du mich veräppeln willst oder so naiv bist? welches bild weckt denn ein tschetschene mit kaputzenjacke am hellichten tag in einem leser? ein bild von jemandem, der seine ruhe haben will? sicher nicht. sondern zumindest von jemandem, der gefährlich sein könnte..(dass es nicht zwangsläufig (!) so sein muss, ist natürlich klar) - aber warum sonst tschetschene, warum überhaupt eine nationalität? und genau deshalb habe ich auch ihn als "den armen" bezeichnet - erst erweckst du mit dieser einseitigen charakterisierung, den eindruck er wäre gefährlich - und dann ist der gar nicht so gefährlich, er muss zur beihilfe zum selbstmord quasi gezwungen werden.. der nächste migrant, den die gesellschaft (der leser) falsch einschätzt - das willst du suggerieren..

Den unterstrichenen Teil hab ich neu eingefügt, und ich denke, das, was jetzt an Positivem in der Geschichte vorhanden ist – Anita und ein im Keim erstickter Versuch, zu helfen – entspricht ungefähr dem, wie es mit der Hilfsbereitschaft in der Gesellschaft aussieht. Gern würde ich eine Gesellschaft zeigen, die sich mehrheitlich hinter die Flüchtlinge stellt – dann würden nämlich auch die Politiker anders agieren – aber so ein Bild male ich erst, wenn es der Realität entspricht, und es sich nicht bloß um einzelne handelt, die überhaupt zu irgendeiner Hilfe bereit sind.

das als fazit: genau das suggeriert deine geschichte - für meine augen viel zu einseitig und bis zum geht nicht mehr: migranten sind menschen, die ein ganz schweres los haben - und wir hier in der westlichen welt schauen (fast) alle weg.. DAS ist in meinen augen nicht glaubwürdig (und schon gar nicht die realität, von der du sprichst, denn in Deiner Realität blendest du viel zu viel aus) - deshalb hätte ich für mehr glaubwürdigkeit auch positives der westlichen gesellschaft eingebaut und mohamed zumindest eine "narbe" verpasst - im übertragenen sinne natürlich - beispielsweise könnte er als aktives mitglied der opposition in seinem diktatorischen heimatland jemand umgebracht haben - dann kann der leser darüber nachdenken, ob man diesem jungen politisches asyl geben sollte oder nicht.. das wäre eine interessante frage..in deiner geschichte sind hingegen alle denkens-werten fragen bereits beantwortet..asylsuchende = gut, unsere gesellschaft = schlecht. das ist mir zu wenig.

grüße, streicher

PS: kennst du den film babel? ist erst 1-2 jahre alt - darin schießt nen vielleicht zehnjähriger marokkoanischer bauernjunge mit nem neuen gewehr durch dir gegend und trifft über fast nen kilometer in einem touristenbus eine touristin, die fast (?) stirbt - am ende wird er festgenommen und sein großer bruder, der auf ihn aufpassen sollte, dabei getötet - DAS war nachdenkenswert... natürlich trug auch der kleine junge eine schuld und natürlich auch der große bruder - aber so ganz einfach (wie in deiner geschichte) war diese konstellation dann doch nicht - das ist es, was ich meine..

 

Kurzgeschichte, die: (Übersetzung von amerik. short story) Wort und Begriff seit ca. 1920 in dtsch. Literatur nachweisbar; bezeichnet kurze mit Novelle, Skizze, Anekdote verwandte Erzählungen, die geradlinig entwickelt, hart gefügt, punktuell-ausschnitthaft gedrängt, ein Geschehen schlaglichtartig der selbstverständlichen Alltäglichkeit enthebt und es, ohne es auszudeuten, als Ereignis geprägt in einem unerwarteten, unausweichlichen, pointierten Schluss wieder zurück in seinen gewohnten Rahmen sinken lässt.

Aus: Otto F. Best ‚Handbuch literarischer Fachbegriffe’

Ich habe diese Geschichte am 26. Juni empfohlen, weil sie obiges Zitat inhaltlich, sprachlich und handwerklich voll erfüllte.
Seither wurden dem Autor/der Autorin Meinungen, Gedankengänge, Vorschläge und Inhaltslücken unterbreitet, die teilweise sicher berechtigt waren und ja auch bereitwillig genutzt wurden.

In der letzten Zeit aber wird mAn der gesteckte Rahmen einer Kurzgeschichte mit persönlichen Weltanschauungen weit überschritten. Besser wäre, mit einer e i g e n e n Geschichte die eigene Meinung zu diesem Problem, im Forum allen Lesern und Kritikern zur Diskussion zu stellen.

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Hallo Berg!

Freut mich sehr, daß Du Dich nun auch zu der Geschichte entschließen konntest und sie Dir gefallen hat.

Der Mann, der gerne leben würde, aber unmenschliche Regeln lassen ihm keine andere Wahl als zu sterben.
Ganz so ist es nicht, nur er sieht in seiner Angst eben keinen anderen Weg. Andere sind da hartnäckiger.

Der andere Mann, der nicht anders kann, als zu töten, wenn er provoziert wird.
’tschuldige, daß ich Dir auch da ein bisserl widersprechen muß (ich weiß, das liegt daran, daß es in der Geschichte noch nicht so richtig rüberkommt): Es geht nicht darum, daß er nicht anders kann, als zu töten, sondern darum, daß er tut, was von ihm verlangt wird, um dadurch der als bedrohlich empfundenen Situation zu entkommen. Hätte Mohamed eine Packung Reis ausgeschüttet und von ihm verlangt, die Körner mit dem Mund aufzupicken, hätte er das gemacht, um dann wieder gehen zu dürfen.

Dein Lob will ich damit natürlich nicht zurückweisen, sondern hoffe, daß die Geschichte unter den genannten Gesichtspunkten noch mehr unter die Haut geht. ;)


Liebe Are-Efen!

Deine Gedanken finde ich sehr interessant und freue mich, daß Dich die Geschichte so beschäftigt. :)
Gegen Deine Sicht hab ich gar nichts einzuwenden, obwohl ich meine, sie gehört noch ein Stück weiter gedacht. ;-)


Hallo Streicher!

aber sie ist mir viel zu einseitig... […]
dass du so einseitig denkst,
Ja, der Erzähler ist nah an Mohamed und ich stelle mich meistens auf die Seite der Opfer und nicht unter die von oben herab Urteilenden. Auch meine Informationsbeschaffung ist entsprechend einseitig, nämlich (abgesehen von sich neutral gebenden Nachrichten) immer zwischen links und noch weiter links.

1. ist politisches asyl kein weg, um aus wirtschaftlichen gründen in einem land aufgenommen werden zu dürfen.. man kann über letzteres reden aber eben nicht unter der asyl-thematik.
Meinst Du denn, daß, wenn in einem Land wirtschaftliche Not herrscht, andere als politische Gründe dahinterstehen?

2. hilft man menschen in problemregionen nicht damit, dass man sie bei uns aufnimmt, sondern damit, dass man vor ort etwas unternimmt.
Das taugt nur leider nicht immer, um akute Not zu lindern. Wie ja auch der Kosovo wirtschaftliche Hilfe bekommen hat, woraufhin die Leute der Reihe nach heimgeschickt wurden (Arigonas Familie ist kein Einzelfall), obwohl weder von wirtschaftlicher noch von politischer Stabilität gesprochen werden kann.

3. kann keine gesellschaft zahllos arme und ungebildete menschen aufnehmen - gerade das sieht man in D.+ AUT im vergleich zu ländern wie kanada, die die einwanderungsthematik viel rigider handhaben..s chau dir mal die ausbilungs- und sozialquoten von migranten in den deutschsprechigen ländern an..
Wir sollen also nur den Flüchtlingen helfen, die uns auch etwas bringen, ja? Ja, wir sind wirklich sehr weit voneinander entfernt, deshalb ist ein konstruktives Arbeiten zwischen uns auch kaum möglich, denn dafür müßtest Du meine Intention zumindest akzeptieren können.

die mehrzahl dieser menschen wird nie unabhängig vom staat leben können..
Es haben eben nicht viele Länder die Standards, die bei uns gelten (und von jenen, die sie haben, gibt es wohl eher selten Flüchtlinge), daher werden viele Ausbildungen nicht anerkannt. Das heißt nicht, daß die Leute nicht arbeiten können.
Bleiberecht erhalten sie außerdem auch nur, wenn sie (u.a.) selbsterhaltungsfähig sind, d. h., sie müssen derzeit ein höheres Einkommen erzielen, als der (bundesländerweise verschieden hohe) Sozialhilferichtsatz ist.
U.a. das Bau- und Baunebengewerbe saniert sich mithilfe solcher Gesetze und den daraus resultierenden billigen Hilfsarbeitern.
Ich selbst habe einmal nebenbei für einen Installateur die Abrechnung gemacht – von dreizehn Beschäftigten zwei Österreicher, die beiden haben gut verdient, die anderen haben offiziell Kollektivvertragslohn bekommen. Eines Tages hat er dann damit geprahlt, daß die elf ihm alle ein Drittel ihres Lohnes in bar zurückbringen, weil sie ja froh sind, überhaupt eine Arbeit zu haben. (Danach hat er sich seinen Krempel natürlich selbermachen können.) Also komm mir nicht mit Sozialquoten.

an der stelle frage ich mich, ob ich dich völlig mißverstehe, ob du mich veräppeln willst oder so naiv bist? welches bild weckt denn ein tschetschene mit kaputzenjacke am hellichten tag in einem leser? ein bild von jemandem, der seine ruhe haben will? sicher nicht. sondern zumindest von jemandem, der gefährlich sein könnte.
Du solltest nicht von Dir auf andere Leser schließen. Mit Vorurteilen im eigenen Denken und/oder dem Glauben, daß gefährliche Menschen sich immer entsprechend kleiden, damit man sie auch ja erkennt, mag er bedrohlich wirken. Psychologisch betrachtet ist eine Kapuze etwas Schützendes.

.(dass es nicht zwangsläufig (!) so sein muss, ist natürlich klar) - aber warum sonst tschetschene, warum überhaupt eine nationalität?
Weil es jemand schwer Traumatisierter sein mußte, sonst wäre es unglaubwürdig, daß er sich in so etwas hineinziehen läßt. Und zum Zeitpunkt des Schreibens der Geschichte wurde sowohl in den Medien als auch in den Newslettern von Asyl in Not von besonders vielen Tschetschenen mit schweren posttraumatischen Störungen berichtet (wenn ich mich richtig erinnere, waren zu dem Zeitpunkt in Traiskirchen mehr als neunzig Prozent Tschetschenen).

und genau deshalb habe ich auch ihn als "den armen" bezeichnet - erst erweckst du mit dieser einseitigen charakterisierung, den eindruck er wäre gefährlich - und dann ist der gar nicht so gefährlich, er muss zur beihilfe zum selbstmord quasi gezwungen werden.. der nächste migrant, den die gesellschaft (der leser) falsch einschätzt - das willst du suggerieren..
Tut mir leid, wenn Du Dich auf den Schlips getreten fühlst, weil der Tschetschene mit seiner harmlosen Kapuze Deine Vorurteile nicht bestätigt hat, trotzdem liegst Du mit Deiner Behauptung, was ich suggerieren wollte, ziemlich daneben. Es ging mir viel mehr darum, zu zeigen, welche Verzweiflung es tatsächlich gibt – Mohamed ist ja kein Einzelfall, zur Zeit des Schreibens hat sich etwa ein Steyrer Asylwerber ein Messer in den Bauch gerammt, nachdem er einen negativen Bescheid bekommen hat. Sowas macht doch niemand, wenn er nicht tatsächlich Ängste wie Mohamed hat.

migranten sind menschen, die ein ganz schweres los haben
Ja, solange sie nicht zumindest einen positiven Asylbescheid haben, haben sie ein schweres Los.

(und schon gar nicht die realität, von der du sprichst, denn in Deiner Realität blendest du viel zu viel aus)
Ich wollte keinen Roman schreiben, und wenn ich noch mehr einblenden würde, gefiele Dir das sicher auch nicht.
- deshalb hätte ich für mehr glaubwürdigkeit […] mohamed zumindest eine "narbe" verpasst - im übertragenen sinne natürlich - beispielsweise könnte er als aktives mitglied der opposition in seinem diktatorischen heimatland jemand umgebracht haben - dann kann der leser darüber nachdenken, ob man diesem jungen politisches asyl geben sollte oder nicht..
Nein, ich will keine Vorurteile füttern.

asylsuchende = gut, unsere gesellschaft = schlecht. das ist mir zu wenig.
Du selbst reduzierst sie auf das. Für mich stand der psychologische Hintergrund an erster Stelle.

kennst du den film babel? ist erst 1-2 jahre alt -
Nur vom Hörensagen bzw. Kritiken darüber. Aber wenn Du ihn zufällig einmal im Fernsehprogramm entdeckst, freu ich mich, wenn Du mich drauf hinweist. Mein Thema war aber eben ein etwas anderes.


Danke Euch dreien und auch Gisanne fürs (nochmalige) Stellungnehmen zu dieser Geschichte,

liebe Grüße,
Susi :)


Hallo kind!

Die Antwort auf deine Beiträge spare ich mir, da sie ohnehin nur provozierend gemeint sind und ich auch gar keine Lust habe, meine Zeit mit Kritikern zu verbringen, bei denen anzunehmen ist, daß sie sich sowieso bald wieder löschen lassen oder gelöscht werden.

 
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ich denke, das denken schadet niemandem
weder dir und schon gar nicht mir

dein beitrag ist einfach widerwärtig vorurteilsbehaftet
übrigens: mein onkel ist tschetschene und hat sich über diese sequenz sehr aufgeregt.
such mal nach in
http://de.wikipedia.org/wiki/Tschetschenen
man könnte genauso gut über kurden
kirgisen, oder besser, weil aktuellstens
georgier
oder sonst wen herfallen

und dein urteil über beamte ist indistuktabel diskriminierend

Es wird hier über niemanden "hergefallen", ganz im Gegenteil. Ich spreche bloß etwas Unangenehmes an, das Leute, die es "gut meinen", versuchen zu verstecken. In Wirklichkeit tun sie den Traumatisierten, woher auch immer sie gerade kommen, aber nichts Gutes damit. Weder das Leiden der Menschen selbst wird besser, indem man nicht darüber spricht, noch schaltet man die möglichen Folgen damit aus.
Was ist denn Schlechtes daran, zu sagen, daß z. B. junge Tschetschenen nie richtigen Frieden kennengelernt haben, sondern Unterdrückung und Krieg ihren Seelen Wunden zugefügt haben, die sie eben leichter reizbar etc. machen? Das sind Tatsachen, die keiner zugeben will, und deshalb gibt es auch zu wenig Geld für Therapien (viele werden nur aus Spenden finanziert!). Therapie, die sich ja nicht gegen die Menschen richtet, sondern ihnen hilft - die ihnen aber oft nicht zur Verfügung steht, weil die Bevölkerung nicht kapiert, daß sie notwendig ist. - Ich falle also nicht über sie her, sondern trete für sie ein, bloß nicht in dem beschwichtigenden Stil, den manche Gutmenschen so drauf haben, weil ich weiß, daß es nichts bringt, Probleme wegzureden.

Und mein Urteil über Beamte saug ich mir auch nicht aus den Fingern. Es vergeht keine Woche, in der es keine Berichte über deren Fehlverhalten bzw. Fehlentscheidungen gibt. Man braucht immer nur in die gerade aktuellen Nachrichten schauen und findet schon wieder das nächste.

und jetzt reg dich ruhig weiter auf
und betone deine psychologischen recherchen!
Ich reg mich nicht auf. Vielleicht solltest du mal ein bisschen innere Ruhe finden?


Noch ein kleiner Nachtrag an so_04:

Tschetschenen sind, was das Tanzen angeht, eine sehr verschlossene Volksgruppe. Getanzt wird ausschließlich Lezginka, ein Nationaltanz, in dem ein Mädchen einen Jungen mit Blickkontakt zum Tanzen auffordert. Sie imitieren dabei einen Schwan, er einen Raubvogel, der sie beschützt. Mehr ist nicht drin!
Schau mal hier:
Seite 7 schrieb:
An Haltestellen tanzten die Leute, sie sangen und weinten für jene Menschen die diesen Tag nicht mehr erleben konnten und irgendwo in der Fremde zurückgelassen werden mussten.
Seite 10 schrieb:
Die Tschetschenen sind außerdem ein schönes und stolzes Volk. Sie halten ihr Wort, sie zum Freund zu haben bedeutet viel und sie sind sehr gastfreundlich. Ihre schönen und zurückhaltenden Mädchen lassen niemanden gleichgültig, genauso wie ihr schneller Tanz. Die Tschetschenen sind die Franzosen des Kaukasus.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

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