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Überlegungen am Sonntag, dem Gussgrat der Woche
Sonntagmorgen.
Ich schlug die Augen auf, fühlte die Einsamkeit, und sofort durchströmten Fragen mein Denken:
Warum kann man bei Ebay keine Tiere ersteigern? Eine Katze vielleicht.
Dann wäre ich nicht gezwungen, eines dieser trostlosen Tierheime aufzusuchen. Alles schon gemacht: Schlecht gelaunte Strickpullis füttern gleichsam schlechtgelaunte Pitbulls ab, obwohl diese sich dem Augenschein nach vor allem von Maschendraht ernähren oder zumindest versuchen, diesen mittels ihres Gebisses zu durchqueren, weil der Appetit auf Strickpullis noch einen Tick ausgeprägter ist. Unattraktive Hunde fristen ihr Dasein neben den randalierenden Zuhälterkötern, und wenn sie die Augen verdrehen könnten, würden sie es wohl machen. Die süßen Katzen sind immer aus, wenn man nachfragt.
Die übrigen Vertreter der Spezies haben entweder die Farbe von angetrockneter Rostschutzfarbe, hören auf den Namen Peterle, sind uralt oder eine Kombination aus allem. Ich starrte an die Decke meines Schlafzimmers und fragte mich, wie ich eine Katze solchen Zuschnitts rechtfertigen würde, wenn Besuch käme.
Besucher: »Oh verdammt.« Kurze Pause. »Was ist das da?«
Ich: »Meine Katze.«
Besucher: »Ich dachte zuerst, es wäre eine vergammelte Keksdose. War ganz baff, dass die sich bewegt.«
Ich: » Eine Keksdose mit Haaren dran?«
Besucher: »Ich mein nur. Irgendwie so kantig, das Biest. Und so viele Haare hat sie ja nicht.«
Ich: »Sie ist auch schon 15.«
Besucher: »15? Wie heißt die? Nofretete?«
Ich: »Sie hat keinen Namen. Aber ich find Keksdose nicht übel. Keksdose, komm. Fressi.«
Warum also zum Teufel geht das nicht mit Ebay?
Nette Bilder von Schmusekatzen, Gewichts- Höhen und Tiefenangaben, Abnutzungsgrad … click and buy. Das Tier wird versandfertig gemacht, noch einmal Sheba für unterwegs, Karton zu, gute Reise. Ich hätte inzwischen Zeit, alles für die Ankunft meines neuen Kumpels fertig zu machen: Katzenklo, einkaufen, den gesamten, zwölfstöckigen Wohnblock einzäunen.
Das kostet, aber man hat ja gespart.
Gut, das Vieh würde auf dem Weg von Salzgitter zu mir in irgendeinem DHL-Kastenwagen ersticken … aber ein Euro?
Ich erkannte die Unausgegorenheit meiner Gedankengänge und beschloss, mich zu erheben und für den Tag herzurichten.
Als ich an meinem Schreibtisch vorbei tappte, hielt ich inne, beugte mich zum Laptop herab und klickte auf T-Online.
Interessante Post: Würde ich kompromisslos jedes Angebot im Mailfach annehmen, wäre mein Penis danach sechs Meter lang und für alle Ewigkeit erigiert, aber vor lauter Rolexuhren an den Armen wäre es mir unmöglich, ihn mal anzufassen.
Eine Umverteilung von Spam-Mails würde viele Probleme lösen. In erster Linie wäre es natürlich zauberhaft, seiner Emails ansichtig zu werden, ohne das Gefühl zu haben, zu einem Klassentreffen der litauischen Sonderschüler eingeladen zu werden, die Gastgeschenke mitbringen - oder zumindest subtile Versprechen wie »Ficken wie ein Weltmeister«.
Offensichtlich zeichnet sich bei Müll-Post ein neuer Trend zum Vulgären ab. Noch vor einigen Monaten waren die Betreffzeilen von drolliger Hirnlosigkeit: »Barney, Jennifer meint, das musst du dir ansehen!«, gefolgt von der Offerte, Stargast bei einem usbekischen Dachkammer-Online-Casino zu sein, eine Milliarde Dollar Startgeld inklusive. Nur wohnt bei mir gar kein Barney, und »Ficken wie ein Weltmeister« ist auch ein Angebot, das erst einmal bei der Witwe von Max Schmeling hinterfragt sein will.
Wenn die wenigstens diese Obszönitäten weglassen würden; dann könnte ich meiner Omma bei GMX einen Account einrichten, die freut sich über Post, kann aber kein Englisch, und das ist dann wohl nur von Vorteil.
Anderseits würde meine Großmutter Papst Benedikt, die heiligen drei Könige und Rasputin anrufen, wenn sich der Explorer öffnet. Alles, was man nicht mit spuckenassem Finger umblättern kann, ist schwarze Magie für sie. Alles in allem keine allzu brillante Idee also.
An Sonntagen, die für mich von jeher der Gussgrat der Woche sind, quasi der sinnlose Fludderkram, der übrig bleibt, wenn der Sonntag eine Hose wäre, die man kürzt, also an diesem Sonntag, allen Sonntagen, wird die Ausarbeitung vermeintlich guter Ideen zu einem nebligen Unterfangen.
Ich hätte gern einen dieser Senseo-Kaffeautomaten, aber nur sonntagmorgens.
Unter der Woche, an Werktagen, also jenen Tagen, an denen man sich in der Firma stets dann mit Mahlzeit grüßt, wenn es nach Acht morgens ist, trinke ich meinen Kaffee aus dem braunen Monolithen in der Versandhalle. Es gibt sechs verschiedene Varianten. Cafe creme, Kaffee, Cafe latte, Arabica spezial, Cappucino und Moccacino, aber sie alle führen eine Nuance von Schnittlauch im Geschmack, weil es auch eine Taste für kräftige Brühe gibt, und alle Sorten fließen durch den gleichen Schlauch im Innern.
Der Automat gibt das Restgeld mit der Ehrlichkeit eines Hütchenspielers heraus, und irgendwo im Taunus sitzt ein fetter Mann mit Schuppenflechte vor einem 72-Zoll Plasmafernseher, den er vom angesammelten Trickdiebkleingeld angeschafft hat und frisst frittierte Spatzen in Panade.
Schätz ich mal.
Am Sonntag bin ich daheim, und ich habe nur eine alte Kaffeemaschine, die wie die Blutwäscheapparatur aus einem Film mit Boris Karloff aussieht und genug Kalk enthält, um mein Wohnzimmer mit Stalaktiten zu versehen.
Ich kochte mir einen Tee, der nicht Erdbeere, sondern »Strawberry Dreams« hieß, was passte, da er wie ein Traum schmeckte, an den man sich nur vage erinnert, in dem aber Lutscher und japanische Mangaschlampen vorkamen.
Mein Handy klingelte, indem es »A Forest« von The Cure abspielte, einem Song, den ich eigentlich liebe, der mich als Klingelton aber trotzdem nervt. Mir fiel wieder die Bildzeitungsschlagzeile ein: ERSTER POLITIKER GIBT SEIN NOKIA-HANDY ZURÜCK.
Was für ein unfassbarer Akt der Solidarität, wenn auch weniger im Geiste von ENDLICH – ERSTER ALTKANZLER SPENDET NIERE AN JUNKIE, sondern eher von »ERSTER MIGRANT VERGISST BRILLE IN TELEFONZELLE.«
Es war Olli.
»Hallo, Alter.«
Freunde neigen dazu, den Vornamen von Kumpels durch Füllwörter zu ersetzen, wobei »Alter« nicht schön, aber besser als »Kackbratze«, »Ziegenwämser« oder ein bedrohliches »Mein Freund« ist.
»Guten Morgen, Oliver«, sagte ich.
»Heute Abend spielen die Scorpions in der Westfalenhalle«, kam er zur Sache, und ich wusste, was er meinte:
Heute Abend konnten wir in Onkel Udos Kaschemme kickern, ohne vorher auf das Fertigwerden der ganzen Vokuhila-Gestalten warten zu müssen, die ja klar verhindert waren, weil sie sich bei »Rock you like a Hurricane« den Schweiß aus den Oberlippenbärten strichen.
»Aber ohne Drehen«, warf ich ein.
Oliver neigt dazu, beim Tischkickern, eigentlich Tischfußball, nicht aus dem Gelenk zu spielen, sondern die Stange mit den Kunststoffkerlchen rotieren zu lassen, was zu in etwa so realistischen Spielbedingungen führt, als würde man Skispringern eine Feststoffrakete auf den Rücken schnallen.
»Klar«, sagte Olli, »wie immer«.
»Wie immer«, sagte ich, »bedeutet, du drehst.«
»Ja.«
Wir verabredeten uns für acht.
Der nächste Anruf brachte das Angebot meiner Mutter, mir etwas vom Sauerbraten abzugeben, behelfsweise sogar innerhalb ihrer Wohnung. Ich lehnte unter tausend Danksagungen ab, denn ich habe Sauerbraten immer gehasst, was meine Mutter aber nie daran hinderte, mir welchen aufzutischen. Aus Gründen der Vergeltung biete ich ihr »Schaumwaffeln« an, wenn sie mich besucht. Dies setzt stets den gleichen mütterlichen Reflex in Gang: Ihre Miene verhärtet sich, und sie beginnt, meine Couch nach Zuckerschaumspuren abzusuchen, weil ich mal im Alter von acht Jahren auf einer dieser Waffeln eingeschlafen bin, als ich auf dem elterlichen Sofa lag. Daran erinnert sich meine Mutter sofort – aber die Handlung der einzelnen Episoden von »Das Haus am Eaton Place« vergisst sie direkt nach dem Abspann, so dass sie jedes Mal erneut die Augenbrauen hochziehen kann, wenn Mr. Hudson die stille Ruby wegen irgend einer nichtigen Verfehlung zusammenscheißt.
Eine Inspektion meiner Lebensmittelbestände ergab folgendes:
Eine Dose Corned Beef.
Ein Magnum – eines aus der Ästhetik-ich-erfahre-mich-selbst-mit-Stil-Edition, Hochlandkakao mit Chili, also ungenießbar, aber trendy.
Ein völlig ausgehärteter Berliner, der seine Marmeladenfüllung für immer bewahren würde wie ein in Bernstein gefangenes Insekt.
Ein nicht minder betoniertes Glas Nutella, schön in der Grabeskälte des untersten Fachs im Kühlschrank deponiert.
Ich fragte mich, ob hinter meiner Tapete gehässige Zwerge wohnen, und wenn nicht, wer sonst das Glas derart positioniert haben könnte. Ich vielleicht, und manchmal erwachte ich auch mit dem Gefühl, meine Zunge wäre ein Perserteppich aus geschmolzenen Schokonikoläusen. Die morgendliche Betrachtung meiner tiefbraunen Mundhöhle fügte sich zumeist vorzüglich in das Bild der Löffelspuren im Nutella-Glas. Offensichtlich stand ich nachts auf, wankte durch die Wohnung und fraß Nutella direkt aus dem Glas. Ich könnte mich selbst überlisten und Nusspli nehmen, aber wer weiß, ob ich nach einem Löffel noch ein Auge zubekommen würde.
Des weiteren fand sich noch ein Glas Würstchen, dessen Aufschrift etwas angeberisch klarstellte, dass es sich um »Lange Kerls« handelte, von denen ich mir aber sicher war, dass diese Kerls die Grätsche machen würden, wenn Luft dran kam, denn das Etikett zeigte noch den DM-Preis.
Die Pizzeria mit Bringdienst öffnete erst gegen siebzehn Uhr.
Also fasten oder Corned Beef aus der Mikrowelle. »Fasten« gewann nach Punkten.
Hätte ich eine namenlose Katze gehabt, hätte sie diesen Leckerbissen bekommen, aber ich konnte mich ebenso wenig dazu durchringen, ihn zu verzehren, wie ich nach dem Stuhlgang Streu durch die Gegend schieben könnte, schon weil die Menge an Streu aufgrund meines nächtlichen Nutellakonsums kaum aufzubringen gewesen wäre.
Im Fernsehen lief eine Wiederholung von Wetten Dass…?
Jemand bremste mit der Zunge Ventilatorblätter ab, und George Michael applaudierte begeistert. Ich beschloss, nur noch zuzuschalten, wenn jemand mit den Brustwarzen eine Stichsäge abbremste und sah eine Weile bei BIBEL-TV vorbei. Dieser Sender machte derart auf modern, dass die Anwesenheit Gottes kaum zu spüren war, obwohl es Gott geben musste, da ich andernfalls Oliver schon mehrmals zusammengeknüppelt hätte, wenn er die Kickerstange zum rotieren brachte.
Jedenfalls war der Geistliche, der gerade sprach, nicht als solcher zu identifizieren. Er trug weder volles Ornat oder den christentypischen zu engen Wollpullover mit grauem Hemd darunter, noch sah ich ein kleines Kreuz an seinem Revers.
Apropos Kreuz: Das Symbol des Christentums ist absurderweise ein Folterwerkzeug, das Instrument des Zutodekommens Christi. Ich will nicht blasphemisch sein, aber was wäre, wenn Jesus Christus stattdessen in eine Sense gelaufen wäre? Und welches Markenzeichen hätte dann NIKE?
Der vermeintliche Geistliche erzählte eine Alltagsgeschichte, die derart trivial anmutete, dass ich nicht ganz nachvollziehen konnte, welchen höheren Inhalt sie zu transportieren gedachte.
Es ging darum, dass der Erzähler einen Bettler am Passbildautomaten trifft und ihm Geld in die Hand drückt, worauf hin jener Bettler sich bedankt, aber nicht sofort losrennt, um sich mit Alkohol zu versorgen, sondern selbst Passbilder macht. Das Wort »Gott« kam nicht einmal vor, aber ich nehme an, es gibt in Bettlerkreisen einen Begriff für jene Ereignisse, und dieser lautet vermutlich »Pfarrerverarsche«.
Natürlich ist es genauso möglich, dass dieser Bettler in der Tat neue Passbilder brauchte und der Geistliche gerade recht kam, ihm diese zu finanzieren, aber erstens fertigt man ernst gemeinte Passbilder nicht in diesen Rummskabinen und zweitens drängte mein schäbiger Verstand auf die These, dass der Bettler einfach reinkletterte, den Vorhang zuzog und dann abwartete, bis der noble Spender sich verzog, um dann das Geld in etwas Sinnigeres zu investieren als Fotos, die man wahlweise mit digitalen Raumschiffen und Herzchen umrahmen kann.
Alkohol zum Beispiel.
BIBEL-TV machte mich nachdenklich, ja.
Ein BEST-OF der Castings von »Deutschland sucht den Superstar« lief auf RTL, gesponsert von Sony Ericsson. Die Handys dieser Firma gleichen sich ebenso wie die Kandidaten, die es bis ins Finale schaffen. Warum gibt es keine Mobiltelefone, die den Verwirrten und Vollpfosten ähneln, welche diese Show erst so interessant machen? Ein 700 Gramm schweres Nokia in beige, das nur SMS mit 4 Zeichen verarbeiten kann und die Akkulaufzeit eines durchschnittlichen bundesdeutschen Geschlechtsaktes hat, also ganz schön kurz?
Da könnte man gleich auf herkömmliche Telekommunikationsmittel zurückgreifen, und vielleicht liegt in der einen oder anderen Telefonzelle ja eine Migrantenbrille.
Ich bekam langsam wirklich Hunger.
Home Shopping Europe.
»Verticken wie ein Weltmeister«, kam es mir ich bei der Präsentation des George Foreman - Tischgrills in den Sinn.
Dieser Grill war zwar so winzig, dass er nur für den Bedarf von Menschen ausreicht, die allein leben, mit sich selbst sprechen und irgendwann aufs Dach krabbeln, um Reisebusse zu beschießen, aber immerhin verfügte das Gerät über einen echten Clou: Er grillte fettfrei. Das kann zwar jeder andere Grill auch, weil das Fett in die Holzkohle tropft, aber da es sich beim George-Forman Grill um ein Indoorgerät handelte, hatte man eine technische Neuerung erdacht, die mir den Atem stocken ließ: Der Grill steht schräg, und das Fett läuft in ein Gefäß vor dem Gerät. Klasse.
Sonntagmorgen, und mein Verstand war voll da.
Ich hatte die Vision einer Präsentation: Der Torsten Sträter-Dönerspieß. Horizontal. Das Fett läuft in einen Eimer. Das Grillgut hätte zwar ohne Fett die appetitliche Färbung des Überbleibsels einer Autopsie, aber wer daran Anstoß nahm, könnte den Spieß über ein spezielles Gelenk hochkant stellen. Das sähe übersichtlicher aus und das Fleisch würde besser bräunen.
Diese Idee musste ich am Abend Olli unterbreiten. Ich machte mir eine Notiz.
Das ZDF brachte »Fackeln im Sturm«, und ich wartete geschlagene vier Stunden darauf, dass Patrick Swayze irgendeine Blondine ergriff, über den Kopf wuchtete und »Halt die Balance, Baby« brüllte. Nichts da, stattdessen Nordstaaten gegen Südstaaten, innerfamiliäre, nicht nachvollziehbare Querelen und ständig wurde gegessen. Eine Stimme in meinem Kopf, die erstaunlich an die von Vincent Price am Ende des Videos von Michael Jacksons Thriller erinnerte, sagte düster:
»Auferstanden aus der Nacht, T-Online hat dir Post gebracht
kauf die Uhren und die Pillen
es ist nach des Betrügers Willen
von Pillen kannst du dich ernähren, nimm ein Pfund auf deine Tatze
hast du Angst, sie zu verschlingen
teste sie an deiner Katze
hast du keine, armer Tropf, stopf dir Nutella in den Kopf
ist dies zu hart, es zu zerkauen
musst du dich zu Mutter trauen
vom Sauerbraten nimm ein Stück
denn er wird trefflich munden
sonst gib dein Nokia zurück
und verplempere deine Stunden
mit TV und Hungersnot
fettfreiem Fleisch, das wirkt wie tot
das Hirn ist schräg
der Grill steht schief
und jetzt friss was –
Corned Beef?«
Dann dreckiges Gelächter.
Arschloch.
Ich beschloss, meinem Verstand eine Pause zu gönnen und legte mich auf die Couch.
Bevor ich endgültig wegnickte, stellte ich den Wecker meines Handys auf halb Acht und fügte in die Erinnerungsfunktion eine Notiz:
WENN OLLI WIEDER DREHT – ERSCHLAGEN UND EINFRIEREN.
In sieben Tagen ist ja wieder Sonntag.