- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
„...der Sternenhimmel gehört demjenigen, der ihn sieht.“
im Maigrünen Wald umhergewuselt
„...der Sternenhimmel gehört demjenigen, der ihn sieht.“
Albert Hofmann
Eigentlich wollte ich arbeiten gehen. Ich reparierte damals alte Radios, die ich von meinem Cousin Gert bekam. Gert arbeitete auf einem Schrottplatz und einmal in der Woche besuchte ich ihm, ich brachte Weizenbier mit. Wir liefen dann immer Weizenbier trinkend durch die Mülltäler und ich suchte nach alten Radios und er erzählte mir.
Eigentlich arbeitete ich recht gerne. Es machte mir große Freude, abends bei dem Licht meiner grünen Schreibtischlampe mit einem Schraubenzieher in der Hand und meiner Brille auf der spitzen Nase eben diese Radios zu reparieren. Dann konnte ich sie verkaufen. Sie brachten nie besonders viel Geld, aber immerhin etwas. Es zählte nie viel Geld zu meinem Eigentum.
Wenn man das so hört, denkt man sicherlich, ich wäre ein großer Freund der Technik gewesen und das war ich auch eigentlich. Ich liebte die Gemütlichkeit, die herrschte, wenn ich die kupfernen Drähte eines kleinen Kabels behutsam verband. Ich fühlte mich immer sehr gut aufgehoben, wenn die dunkelgrüne Schreibtischlampe meinen jeweiligen Patienten in wohliges, goldenes Licht tauchte und alles andere im Schatten lag. Logisch waren alle Verbindungen, leicht verständlich und wenn ich dann doch einmal nicht die Ursache verstand, warum das jeweilige Radio doch immer noch nicht funktionierte, war es eine Spannung, die sich aufbaute. Ich schaltete die Schreibtischlampe nie aus, bevor ich nicht das Rätsel des Nicht-Funktionierens gelöst hatte. Niemals ließ ich ein unrepariertes Radio im Schatten stehen, niemals schaltete ich die Lampe aus, bevor ich nicht die Ungereimtheit aufgedeckt hatte um dann erst befriedigten Sinnes einzuschlafen. Ich besaß damals einen gesunden und vor allem erholsamen Schlaf, daran erinnere ich mich noch gut.
Wie gesagt wollte ich eigentlich arbeiten gehen. Ich hatte vor, daheim ein großes, braunes Radiogerät zur Funktionstüchtigkeit zurückführen, doch es kam anders.
Ich ging mit ihr in den Wald, spazieren, den Berg hoch. Eigentlich konnte ich mit der Natur nie besonders viel anfangen. Oft beunruhigte sie mich. Ich mochte es nicht, wenn es im Gebüsch raschelte und ich nicht wusste, welches Wesen sich dort bewegen mochte. Spazieren gehen hielt ich schon als kleines Kind als eine lästige Beschäftigung, die mir ziellos und undurchdacht erschien.
Doch sie sagte, dass sie jetzt gerne mit mir spazieren gehe wolle und ich besaß nicht die Kraft ihr zu wiedersprechen.
Es war schon recht gut, dass wir uns bewegten, denn so sah sie nicht direkt, wie aufgeregt ich doch war. Lange konnte ich ihr nicht in die Augen schauen und so hüpfte mein Blick in der vorbeiziehenden Natur umher. Sie erzählte mir von Amerika. Ich wusste, das sie dort wirklich hervorragende Radios hatten. Das sagte ich ihr auch und sie lachte mit ihren rötlichen Wangen. Ihr Wangen waren immer leicht rötlich. Wenn man sie ansah, konnte man leicht denken, sie schäme sich oder sie habe irgendetwas Schelmisches vor. Ich glaube ihr war das damals immer etwas unangenehm.
Der Wald erstrahlte damals in diesem unglaublichen Hellgrün, das es nur im Mai gibt. Eigentlich hätte ich das nie bemerkt, aber meine Augen sind ja so aufgeregt im Maigrünen Wald umhergewuselt, weil ich sie doch nicht anschauen konnte.
Sie erzählte so allerhand und ich liebte es, ihr dabei zuzuhören. Ab und zu schaute ich flüchtig in ihr feines Gesicht, dann riss ich meinen Blick jedoch schnell wieder weg und genoss einen kleinen Bauchkrampf auf maigrün.
Wie lange wir so gelaufen waren, kann ich nicht mehr genau sagen, aber nach einer ganzen Weile wollte sie sich dann hinsetzen auf so eine Wiese, maigrün natürlich. Wir setzen uns auf meine Jacke, ich wusste, dass sie dreckig werden würde. Eigentlich konnte ich es überhaupt nicht ausstehen, wenn mein Eigentum verschmutzt wurde. Das war nicht mehr das, was ich eigentlich mochte, doch es war neu und angenehm.
Wir waren Kaffee trinken gewesen, in so einem lauten Café mit vielen Menschen und viel Rauch. Ich hatte sehr viel Kaffee getrunken. Und sie hatte lakonisch in ihrem Tee rührend erzählt, dass man, wenn man in Amerika Kaffe bestellte, immer wieder nachgeschenkt bekäme. Ich war noch nie in Amerika gewesen, ich wollte auch noch nie hin, aber in diesem Moment wollte ich hin, mit ihr, unbedingt, am liebsten sofort.
Die Laubbäume wogten sacht im Wind. Aber es war nicht kühl, ziemlich warm für den Mai sogar. Ich war wunderbar-wohlig aufgeregt, der Kaffe hatte seine Wirkung dazugetan. Ich besaß jedoch in diesem Moment eine ungekannte, freudige Zufriedenheit. Ich besaß Schönheit einen Teil von unerfassbarer Schönheit, ich spürte, dass es Sinn machte, so spazieren zu gehen. Ich besaß in diesem Moment ein viel größeres Gefühl, als, wenn ich ein Radio repariert hatte, viel weiter und vielfältiger.
Fantastisch konnten wir von hier aus auf die Maigrünen Wiesen im Tal gucken und sie erzählte mir von einem Buch. Ich habe nie viele Bücher besessen. Ein paar zählten zu meinem Eigentum, aber die haben mir nie so besonders viel gegeben. Sie sprach leise von diesem Buch und von LSD und von dem Unterschied zwischen Eigentum und Besitz und davon, dass die kostbarsten Dinge Gratis sind. Ich hatte davon schon einmal gehört, aber es erschien mir damals als eine kleinliche Unwichtigkeit. Wenn sie Unsinn sagte, merkte ich es immer sofort. Dann fand ich sie immer noch schön, aber nicht mehr so großartig. Die Sonne wärmte beständig mein Gesicht, blendete aber nicht. Was sie da von ihrem Buch erzählte klang wahr, gerade, wenn ich auf die zarten, so wunderbar maigrünen Grashalme guckte und noch viel mehr, wenn ich auf ihre feingezeichneten Lippen sah. Meine Radios waren mir so fern. „Sag doch auch mal was!“, forderte sie mich auf und ihre Wangen schimmerten so herrlich rötlich. Ich zeigte ihr eine besonders schön geformte Wolke. Sie sah aus, wie ein Vogel. Dann erzählte ich ihr mit etwas unsicherer Stimme, dass ich verstanden hätte und wir küssten uns mit geschlossenen Augen. Schon nach kurzer Zeit hatte ich meine Augen wieder auf, ich glaube sie auch. Ich schaute damals in den Himmel, auf den Wolkenvogel und in ihre blauen Augen. Ich habe damals eine Menge besessen.