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1.Gebot: Pflege sie... (Beziehungs-Kurzgeschichte)
Die junge Frau nippte an ihrer Tasse Espresso und ließ einige Gedanken spielen. Sie fragte sich, wie ihr Leben wohl ohne Mann, ohne Kinder ablaufen würde und ob sie das wirklich so wolle. Just in dem Moment zwinkert ihr ein junger Herr vom Nachbartisch des Cafes aus zu. Die Frau wendete sich ihm zu und grinste ein wenig verlegen herüber. „Hallo“, sprach sie der fremde Mann einige Zeit später an. „Ich frage mich, ob Sie noch einen Kaffee trinken möchten“, und zeigte auf ihre leere Tasse. „Eh, gerne… Öhm, wollen Sie sich zu mir setzen?“, fragte ihn die Frau, die unsichere Gesten machte. Sie spürte etwas. Ihr Herz klopfte schneller und immer schneller. Der Mann setzte sich ihr gegenüber. Ihre Hände wurden nass, sie glaubte kein Wort mehr sagen zu können. „Danke!“
Nach einiger vergangener Zeit und einem aufschlussreichen Gespräch über Gott und die Welt verließen sie gemeinsam das Cafe, liefen über die voll- befahrene Hauptstraße und setzten sich auf in dem gegenüberliegenden Park. Die Sonne brannte zwar hart, doch die Bäume boten Schutz. „Was machen Sie überhaupt beruflich?“, fragte ihn die Frau. „Ich bin gerade in der Lehre zum Florist. Ich hoffe mal, dass ich übernächstes Jahr fertig bin. Ich liebe Pflanzen“, grinste er fröhlich, pflückte ein kleines Vergissmeinnicht und gab es der jungen Dame in einer eleganten Kniebeuge. „Ich liebe Sie, darf ich Sie zum Essen einladen?“, fragte er und blickte erwartungsvoll auf. „Sehr gerne“, sagte die, ein wenig über seine Ehrlichkeit verwunderte, überraschte Frau. Sie kamen sich näher. Ihre Gedanken wirbelten auf. „Oh mein Gott“, dachte sie. Ihre Lippen berührten sich, die Zeit schien zu stoppen. Ein inniger Kuss der scheinbar Berge versetzen könnte. Es war größer als alles andere was sie je fühlte. Liebe auf den ersten Blick, ein tiefes, noch nicht gestilltes Verlange, Sehnsucht, Neuland.
„Doch was ist nun? Wie ist es 3 Jahrzehnte später?“, fragte die in die Jahre gekommene Frau und stützte ihren Kopf in ihre Hände. Kleine Grübchen haben sich in den Jahren eingeschlichen, ebenso vereinzelte graue Strähnen. Doch sie hat sich recht gut gehalten. Besser als ihre, einst so innige Liebe zu ihrem Ehemann, dachte sie.
Sie wurde aus ihren Gedanken geholt. „Was ist los“, fragte sie ihr Mann, dessen Gesicht in tiefe Sorgenfalten gefallen war. „Irgendwas stimmt nicht.“ Er lehnte an dem Türrahmen, verschränkte seine Arme und hielt in einer Hand eine Pflanzen-Zeitschrift. Er blickte über seine Lesebrille hinweg und wartete.
„Harry, weißt du noch wie es war? Wie es damals war? Als wir uns bei 32° im Schatten, im Cafe, kennen lernten?“ Er seufzte, strich sich durch sein, immer noch recht dichtes, Haar und schwieg einige Zeit lang. „Ja“, nickte er ihr schließlich zu. Ihm war sichtlich unwohl zu Mute, sodass er sich von ihrem Blick abwendete. „Ich muss kurz die Pflanzen wässern. Bin gleich wieder da.“ Er wollte das Gespräch zwar hastig beenden, wie immer wenn sie mit ihm über ihre Beziehung reden wollte, doch dieses Mal fiel die Frau aus ihrer Fassung: „Nie hörst du nur ansatzweise zu, wenn es wichtig für uns ist! Du schenkst deinen Pflanzen mittlerweile doch mehr Aufmerksamkeit als mir, kann das?! Sie sind dir wichtiger, oder? Oder? Wenn deine Blumen ein krauses Blatt haben, hast du schon Angst um sie. Dabei solltest gerade du wissen, dass Liebe auch verwelkt, wenn man sich nicht kümmert, sie nicht pflegt!“, fauchte sie aggressiv.
Der Frust der letzten Jahre hatte sich aufgestaut. Nun konnte sie alles loswerden. Ihr Mann setzte sich langsam auf den Stuhl neben ihr. Er schwieg, blickte ihr ins Gesicht und nahm ihre Hand.