100-Wort-Momente
Augen. Sie hatten sie schon immer fasziniert. Schöne Augen. Der Blick unsicher, fast scheu. Ihr tiefes Azurblau erinnerte sie an die Farbe, in der ihr Lieblingsgemälde, welches über ihrem Bett hing, sanft zu leuchten schien. Das Bild leuchtete und ihr Herz schmerzte, wann immer sie es ansah. Sie liebte diese Farbe. Sie liebte seine Augen. Sie liebte ihn. Als Inspiration, als Freund, als Vertrauten. Aber nicht als Partner. Zumindest tat er das nicht. Und sie selbst? Auch nicht. Nicht ganz. Mit geübten Arbeitsschritten setzte sie den Hintergrund des Fotos auf dem Computerbildschirm in Graustufen. Das Blau leuchtete. Ihr Herz schmerzte.
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Wellenlinien auf dem Blatt. Keine Kontrolle über die Hände. Gefangen im Moment. Farbspritzer kamen dazu. Hände bewegten sich. Zu wem gehörten sie? Ungeordnete Gedanken. Verrücktheit? Losgelöst vom Körper. Frei schwebende Gedanken. Freude vermischt mit Schmerz. Kalte Furcht. Furcht vor dem Kontrollverlust. Plötzliche Berührung. Kühle Finger sanft auf der Haut. Arme die den Körper umschließen. Vorbei. Wieder unter Kontrolle. Augen, die im schimmernden Licht leuchteten. Haare wie Flammen. Süße Ungeduld. Lachen, das wehtat. Mitten im Herz. Verwirrte Gefühle, Gedanken, Bewegungen. Dann plötzlich Klarheit. Schnelle Schritte. Klappernde Stifte. Augen, die die Welt wie ein Gemälde sahen. Ein neues Blatt. Umrisse. Ein Mensch.
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Der Tag begann. Sonne strahlte durch die halb geöffneten Vorhänge in das spartanisch eingerichtete Zimmer. Er drehte sich um und öffnete langsam die Augen. Wärme. Prickeln auf der Haut. Er freute sich auf den Tag. Auf sein Leben. Egal was bisher gewesen war. Ab heute war er frei. Unternehmungslustig sprang er auf. Seine Sachen hatte er schon gestern gepackt. Vorfreude. Aufregung. Angst. Alles stürmte auf ihn ein. Er würde alles hinter sich lassen. Für immer. Zum hundertsten Mal las er den Text auf seinem Ticket und er lächelte. Warme Freude breitete sich in ihm aus. Wärme. Prickeln auf der Haut.