12. September 2001 1.30h MESZ
Peter, Brian und Dave saßen in ihrer Stammkneipe und kippten die x-te Runde runter.
Peter war von seiner Frau verlassen worden, nachdem er am morgen seinen Job verloren hatte, weil er seine Faust nicht im Zaum halten konnte. Seine arbeitslosen Freunde Brian und Dave wollten ihn aufmuntern und hatten ihn deswegen schon früh abgeholt, damit sie zusammen den Kummer wegtrinken konnten.
Dass an diesem Tag wichtige Dinge geschehen waren, war noch nicht zu ihnen durchgedrungen. Auch der Wirt wusste nichts davon. Er war allein stehend und hatte den Fernseher in der Kneipe abgeschafft, weil er meinte, das würde die Gäste vom Trinken abhalten, wobei der wahre Grund die GEZ-Gebühren waren.
Die vier waren den ganzen Tag unter sich geblieben, was nicht gerade selten so war.
Peter warf einen Blick in sein Portemonnaie. „Noch ne Runde. Danach bin ich pleite.“ brachte er gemessen an seinem Alkoholpegel erstaunlich deutlich hervor.
Der Wirt nickte. „Gut, ich will auch Feierabend machen.“ sagte er, während er vier Bier fertig machte. Die letzten Runden hatte er mitgemacht, weil dies wieder einer dieser Scheißtage war, an denen er nicht mal die Unkosten wieder reingekriegt hatte. Er stellte drei Gläser zu seinen Gästen und hob sein eigenes zu einem Toast. „Jungs, auf die Zukunft. Es kann nur besser werden.“
Zustimmend stießen sie alle darauf an, und drei Gläser leerten sich in einem Zug. Der Wirt war schon immer ein schlechter Trinker gewesen.
Peter schüttete anschließend den Inhalt seiner Geldbörse auf den Tresen. „Stimmt so.“
Es fehlten zwar 34 Cent, wie der Wirt mit geübtem Auge sofort erkannte, aber er kannte Peters leicht aufbrausendes Wesen und war nicht gewillt, wegen eines so lächerlichen Betrags ein blaues Auge verpasst zu bekommen.
Die drei Freunde wankten auf die Straße. Sie liefen eine Weile, wobei sie die restlichen Möglichkeiten zur Abendgestaltung diskutierten. Relativ schnell kamen sie auf den finanziellen Aspekt. Jeder suchte intensiv seine Taschen ab. Nicht ein Cent, bei keinem von ihnen.
Peter konnte es nicht glauben. Er packte Brian am Kragen und drückte ihn gegen eine Hauswand. „Du hast doch sonst immer eine eiserne Reserve für die nächste Nutte. Rück die raus, das hier ist ein Notfall!“ brüllte er ihn an.
Brian warf Dave einen hilfesuchenden Blick zu. Der zuckte aber nur hilflos die Schultern. „Nein, Mann. Ich war doch gestern bei Tracey. Alles weg.“
Peter hob die Faust, um das Geld aus Brian rauszuprügeln, wurde aber von Dave unterbrochen, der ihm auf die Schulter tippte. „Hey, guck mal da.“ Er zeigte die Straße runter, wo ein Mann mit langen wallenden Haaren, gekleidet in einen offensichtlich sehr teuren Anzug selig lächelnd auf sie zu wandelte. Mit seinen nächsten Worten schaffte es Dave nicht nur Peter von Brian abzulenken, sondern lieferte auch noch eine passende Beschreibung der äußeren Erscheinung des Mannes. „Ein reicher Jesus.“
Peter ließ ab von Brian und wandte sich dem Neuankömmling zu. „Hey, Jesus.“ rief er ihm zu.
Der Mann kam näher, verschränkte die Arme vor der Brust und verbeugte sich leicht, während er den Gruß erwiderte. „Shalom alechem meine Freunde. Was kann ich für euch tun?“
Die drei warfen sich belustigte Blicke zu. Peter trat bis auf einen Schritt heran und übernahm das Reden, während Brian und Dave Flankenpositionen bezogen, um ihr Opfer im Fall des Falles von der Seite angreifen zu können.
„Gib uns das ganze Geld, das du dabei hast.“ befahl Peter, wobei er versuchte so einschüchternd wie möglich zu klingen.
Der Mann ließ sich aber keineswegs aus der Ruhe bringen. „Tut mir leid, ich besitze kein Geld. Wenn das alles ist, kann ich ja weitergehen. Ich habe einen dringenden Termin.“
Er machte einen Schritt seitlich nach vorne, der ihn an Peter vorbei führen sollte, aber der schubste ihn zurück auf seine alte Position. „Glaubst du, ich bin blöd? Jeder, der so einen Anzug trägt, hat auf jeden Fall eine Menge Geld dabei.“
Der Mann blickte an sich herunter, als würde ihm erst jetzt klar, was seinen Körper bedeckte. Mit Unschuldmiene sah er wieder Peter an. „Das habe ich von meinem Vater.“
Peter bekam einen schallenden Lachanfall, in den Brian und Dave einstimmten, obwohl irgendetwas sie an der Ruhe dieses Mannes gewaltig störte.
Der Mann zuckte die Schultern und versuchte erneut, an Peter vorbei zu gehen.
Augenblicklich verstummte das Lachen. Peter schubste den Mann stärker als vorher, so dass er erst zwei Schritte weiter hinten wieder zum Stehen kam. Die drei rückten sofort nach. „Wer ist dein Vater, dass er dir zwar so einen schönen Anzug gibt, aber kein Geld?“ fragte Peter mit aufsteigender Wut in der Stimme.
Der Mann war von dieser Frage völlig verblüfft, das konnte man ihm ansehen. „Gott ist mein Vater.“
Diesmal lachte nur Peter, wenn auch etwas gequält, weil seine Wut ihn zu übermannen drohte. Brian und Dave beschlich langsam der gleiche unheimliche Verdacht, wen sie da vor sich hatten.
Peter hörte schnell auf zu lachen, er wollte dem nächsten Ausbruchsversuch zuvorkommen. „Dein Vater ist Gott?“ fragte er ungläubig, „Welche Drogen hast du denn intus?“
Den Mann traf diese Frage sichtlich völlig unerwartet. „Liebe und Verständnis?“ fragte er vorsichtig.
Brian und Dave fielen zeitgleich die Kinnladen runter.
Peter reagierte auf die für ihn typische Weise. „Jetzt reicht´s aber.“ Er holte aus und führte seine geballte Faust mit voller Kraft mitten ins Gesicht des Mannes, der das unvermeidliche mit absoluter Seelenruhe abwartete. Angestachelt davon legte Peter seine ganze Wut in den Schlag, so dass er einen urtümlichen Grunzlaut von sich gab, der kurz darauf von einem gepeinigten Schmerzensschrei abgelöst wurde. Einen Sekundenbruchteil bevor seine Faust ihr Ziel erreichen konnte, war vor dem unbewegten Gesicht des Mannes eine massive Stahlplatte erschienen, die trotz der Wucht des Schlages keinen Millimeter zurückwich. Peter taumelte mehrere Schritte zurück, wobei er sich mit schmerzerfülltem Gesicht die verletzte Hand hielt.
Die Stahlplatte fiel klirrend zu Boden.
Der Mann griff in eine Tasche seines Anzugs, zog ein Handy modernster Bauart hervor, drückte eine Schnellwahltaste und hielt es sich an Ohr. Nach kurzer Zeit kam das Gespräch zustande, von dem die drei natürlich nur die Hälfte mitbekamen. „Hi Dad … Das habe ich mir gedacht, danke schön. … Ich weiß, dass ich spät dran bin, kannst du mir eben noch mal helfen? … Oh, das ist gut. … Ja. … Welchen von denen? … Ach so.“ Der Mann hob einen Zeigefinger und ließ seinen Blick über die drei wandern.
Brian und Dave traten jeweils ehrfürchtig einen Schritt zurück, als der Blick sie traf. Peter war mittlerweile vor Schmerzen auf die Knie gesunken.
Der Finger kreiste und zeigte dann auf Peter. „Der da. Der hat es am nötigsten.“
Es ertönte ein schmatzend saugendes Geräusch, und Peter war weg.
„Danke schön. … Nein, das schaff ich schon allein. Wir sehen uns Karfreitag.“ Der Mann legte auf und steckte das Handy wieder ein.
Der Schreck, der den beiden verbliebenen wegen der Ereignisse widerfuhr, hatte nicht die Wirkung, die der Mann sich davon versprach. Beide hatten plötzlich ein Messer in der Hand und sprangen ihm förmlich in den Weg.
Brian war am aufgebrachtesten. „Was hast du mit ihm gemacht?“ fragte er aufgeregt mit dem Messer wedelnd.
Der Mann seufzte. „Ich habe gar nichts getan. Das war mein Vater. Aber keine Panik, es geht ihm gut. Er ist zu hause und schläft.“
Das Fuchteln der Messer wurde hektischer. „Woher sollen wir wissen, dass das stimmt?“ fragte Dave nervös.
Die Ruhe des Mannes wurde erneut durch ein Seufzen unterbrochen. „Ihr glaubt mir nicht? Dann ruft ihn doch an und überzeugt euch selbst. Ich muss weiter.“
Brian nickte Dave zu, der daraufhin sein Handy suchte. „Du gehst nirgendwohin, bevor wir das nicht geklärt haben.“ sagte Brian, während er versuchte mit seinem einen Messer eine ähnliche Drohkulisse aufzubauen, wie sie sie vorher hatten, bevor Dave sich auf sein Handy konzentrieren musste. „Und keine Tricks!“ fügte er hinzu, weil er sah, dass sein Gegenüber trotz allem ruhig blieb.
Der Mann musterte die Klinge in Brians Hand und lächelte. „Weißt du eigentlich, wie lächerlich das Ding gegen eine Dornenkrone, eine Kreuzigung und vor allem einem römischen Speer aussieht?“ Er sah auf sein Handgelenk als wäre da eine Uhr, die es aber nicht gab. „Also ich hoffe, dein Freund beeilt sich. Es gilt einen Kreuzzug zu verhindern.“
Brians schüttere Selbstsicherheit bröckelte. Er sah rüber zu Dave, der sein Handy am Ohr hatte und auf Antwort auf das Tuten wartete.
Endlich hob jemand mit leisen Flüchen ab.
„Peter?“ fragte Dave vorsichtig.
„Natürlich, wen hast du denn angerufen? Mitten in der Nacht, verdammt.“
Dave war sichtlich verwirrt. „Geht’s dir gut?“ fragte er beunruhigt.
Peters Stimme war leise aber verständlich. „Abgesehen davon, dass du mich geweckt hast, ja. Was soll die Frage?“
Dave wusste keine Antwort, kannte aber eine weitere Frage. „Wie geht’s deiner Hand?“
Eine kurze Pause entstand.
Dann antwortete Peter mit verwunderter aber nach wie vor leiser Stimme. „Woher weißt du das? Ich dachte, der Wecker klingelt, hab aber voll daneben gehauen. Ich glaub, ich hab mir übel die Hand verstaucht. Tut höllisch weh.“
Dave stöhnte auf. „Aber du warst doch eben noch hier. Wir haben einen gehoben, weil Denise dich verlassen hat.“
Peters Stimme wurde lauter. „Was?“ Anscheinend wurde dadurch jemand geweckt, denn er wurde von einer Frauenstimme unterbrochen. „Was ist denn los?“ fragte sie schläfrig. Peters nächste Worte galten offensichtlich nicht seinem Gesprächspartner am Telefon. „Alles in Ordnung, Schatzi. Schlaf weiter.“ Danach wurde seine Stimme gedämpfter. „Sie liegt hier neben mir. Was soll die Scheiße?“
Dave rang nach Worten. „Aber dir ist doch gekündigt worden.“ sagte er hilflos.
Die Antwort kam prompt. „Hast du gesoffen? Hör mal, ich muss morgen früh aufstehen und ich brauche meinen Schlaf. Wir reden morgen, OK?“
Dave konnte nur mit einem ungläubigen „OK.“ antworten. Die Verbindung wurde von beiden gleichzeitig getrennt. Dave starrte sein Handy mit weit geöffnetem Mund an.
Erst das ungeduldige „Und?“ von Brian riss ihn aus seinem Staunen. „Er liegt zu hause im Bett, Denise hat ihn nicht verlassen und er muss morgen früh zur Arbeit.“
Wer von den beiden einen entgeisteteren Gesichtsausdruck zeigte, war schwer zu entscheiden. Mit diesem wandten sie sich aber dann dem Mann zu, der das Ganze irgendwie ausgelöst hatte.
Der sah sich beide Gesichter genau an und richtete sich dann gen Himmel. „Warum glaubt mir eigentlich kein Mensch, wenn ich etwas sage?“ fragte er flehentlich nach oben. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder den zwei zu, die, ohne es noch zur Kenntnis zu nehmen, seinen Weg noch immer blockierten. „Darf ich jetzt weitergehen?“ fragte er auf den Weg deutend, den er von Anfang an hatte beschreiten wollen.
Die Münder immer noch weit offen nickten sie dümmlich und traten zur Seite.
Der Mann tat ein paar Schritte. Dann begann die kleine Sackgasse ca. 200 Meter entfernt in einem intensiven blau zu leuchte.
Der Mann stoppte, und die beiden wandten ihre Köpfe in die Richtung.
Kurz darauf schoss vom Ende der Gasse ein kleiner weiß leuchtender Punkt weit in die Höhe, verharrte dort kurz und flog dann mit atemberaubender Geschwindigkeit Richtung Westen.
Der Mann drehte sich zu den beiden um, die vor Staunen ihre Münder einfach nicht schließen konnten. „Na toll. Ihr seid schuld, dass ich jetzt meinen Transport verpasst habe. Ich musste dringend mit George Bush reden. Wegen euch wird es jetzt sieben Jahre Krieg geben.“
Brian und Dave sahen sich ungläubig an. Beide konnten das Geschehen nicht einordnen. Sie sahen zurück zu dem Mann.
Er war verschwunden.