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13 Tage Brandgeruch

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23.07.2022
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13 Tage Brandgeruch

Sonntag 7. Februar

Ich hab's getan! Es war einfacher als gedacht. Ab jetzt bin ich dabei, wenn diese ganzen Heuchler auspacken.
Papa hört mit.
Im Grunde ist es nichts anderes als ein Babyfon, etwa so groß wie eine Streichholzschachtel. Du legst eine Sim-Karte ein, und schon hat das Ding eine eigene Rufnummer, genau wie ein Handy. Im gleichen Moment, in dem du die Nummer wählst, schaltet es sich ein und nimmt alle Geräusche in seiner Umgebung auf. Oder du schickst dem kleinen Kasten eine spezielle SMS. Dann schaltet es sich automatisch ein, wenn irgendwas zu hören ist. Triumph der Technik.
Vater, ich habe gesündigt. Nun denn, sprich, mein Sohn, erleichtere dich… Oder so ähnlich. Keine Ahnung. Bald weiß ich mehr. Dann kenne ich die ganzen kleinen schmutzigen Geheimnisse dieser schönen Gemeinde. In die Kirche zu kommen, war einfach. Ein simpler Dietrich – mehr war nicht nötig, und die kleine Tür auf der hinteren Seite war auf. Ich hab die Wanze unter die kleine, mit rotem Samt gepolsterte Fußbank geklebt. Die Vorstellung, daß der Kasten mit seinem schweren Samtvorhang ein kleines bißchen nach Angstschweiß riecht, war natürlich kindisch. Es roch nach – nichts. Noch nicht mal nach Weihrauch oder Bohnerwachs. Es war einfach nur kühl und langweilig.

Montag 8. Februar
Was für ein Scheißtag! Direkt nach dem Aufstehen hab ich gedacht, die Erdrotation haut mich um. Ich habe mich vor dem Bett hingehockt und darauf gewartet, daß der Schwindel nachläßt. Schließlich bin ich auf allen Vieren ins Badezimmer gekrochen, um zu pinkeln, was sich als ziemlich schwierig herausgestellt hat. Gegen Mittag konnte ich wieder einigermaßen klar denken. Ich habe mir das alte grüne Transistorradio vorgenommen, aber es gibt immer noch (trotz der neuen Blockbatterie) keinen Ton von sich. Das Skalenseil fasert aus und der Drehkondensator sitzt zu locker. Aber irgendwann wird’s wieder laufen. Es muß ganz einfach. Das bin ich meinem alten Herrn schuldig.

Gegen zwei habe ich meine tägliche Aufnahme gemacht. Küchenruhe. Kaliber 14 Uhr zwölf. Genau eine Minute. Zu hören sind: das Ticken der Küchenuhr. Das Summen des Kühlschranks. Straßengeräusche. Ein Flugzeug. Der Löffel, mit dem ich den Zucker im Kaffee verrühre. Dreihundertfünfundsechzig Minuten pro Jahr. Sieben Jahre, drei Monate und fünf Tage. Es wird immer schwieriger, neue Spulen aufzutreiben. Die meisten sind gebraucht und von schlechter Qualität.

Als ich das Tonbandgerät ausschalte, ist ein merkwürdiges Knacken zu hören. Es riecht irgendwie verbrannt, ein bißchen Weihrauch ist im Spiel. Ich ahne was und gehe mit der Nase ganz nah an die Lüftungsschlitze des Tonbands ran. Nichts. Der Brandgeruch wird stärker. Er kommt von unten, vom Boden. Ich sehe unter den Tisch, finde aber nichts. Den Rest des Nachmittags habe ich damit verbracht, nach der Quelle des Geruchs zu suchen. Ohne Erfolg. Ich kann die Wohnung nicht verlassen, ohne die Ursache für den Gestank gefunden zu haben. Das fehlt noch: ich gehe spazieren und währenddessen bricht hier ein Feuer aus! Jetzt, um 23 Uhr, bin ich mir aber fast sicher, daß ich mir alles nur eingebildet habe. So was kann durchaus vorkommen. Kein Grund zur Sorge. Ausgerechnet Weihrauch.

Dienstag 9. Februar
Die Sache wird sich hinziehen, das wird mir jetzt klar. Aber ich habe Zeit. Wenn nötig, warte ich bis zum Sommer, bevor ich den ersten Brief schreibe. Sehr geehrte… sehr geehrter… Ich kenne ihr kleines Geheimnis. Schlimm, schlimm. So was aber auch. Das hätte ich wirklich nicht von ihnen gedacht. Kein Grund zur Sorge. Ich will kein Geld von ihnen. Gern würde ich sehen, wie sie zusammenzucken. Wie sie blaß werden. Sich den Kopf zerbrechen.

Gebeichtet wird hier in der Regel laut Pfarrbrief am Samstagnachmittag. Eigentlich hatte ich angenommen, daß man jeden Tag zwischen den Messen Gelegenheit hat, sein Gewissen zu erleichtern. Aber der gute Hirte hat zuviel zu tun, um jederzeit für seine ahnungslosen Schäfchen da sein zu können.

Mittwoch 10. Februar

Mit den Nervenfasern eines durchschnittlichen Menschen, hintereinander ausgelegt, kann man die Erde viermal umwickeln. Ich bin mir sicher, wenn ich den verwickelten Kabelhaufen in meinem Kopf entwirren könnte, käme ich auf das Doppelte. Mindestens. Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich nicht nur 86 Milliarden Neuronen da drin, sondern das zehnfache – dann überschlagen sich meine Gedanken vor lauter Klarheit. Zum Beispiel heute nachmittag: Ich stand an der sogenannten Mampfe und esse eine Portion Pommes mit süßen Gurkenscheiben. Zwischen all den gierigen Stehschlingern spürte ich, wie sich das Innere meines Schädels in einen klaren Bergsee verwandelte, in dem sich Erkenntnisse bildeten, von denen die Leute um mich herum nur träumen konnten. Lösungen für alle wichtigen Probleme der Menschheit trieben in dem kristallklaren Wasser an meinem inneren Auge vorbei wie die Werbebanner an den Flugzeugen, von denen mir mein Großvater erzählt hat.
Früher, vor Jahren, habe ich mal versucht, mich mitzuteilen. Ein Fehler, wie ich schnell herausbekommen habe. Niemand glaubt dir, wenn du sagst, daß es einfache Erklärungen gibt und ausgerechnet du sie kennst. Ich brauche neue Schuhe. So geht’s nicht mehr weiter.

Freitag 12. Februar

Morgen ist es soweit. Ich hab mal die Anzahl der Katholiken in der Stadt gegoogelt. Im Lauf der letzten Jahre sind’s deutlich weniger geworden. Trotzdem rechne ich damit, daß von den Verbliebenen immer noch genügend in die Kirche gehn und auch mal den Beichtstuhl aufsucht.

Von meinem Fenster aus kann ich den Eingang sehen. Ich bin zuversichtlich. Es sind nicht die sprichwörtlichen Massen, aber mir reicht’s. Ich bin schon ganz kribbelig. Natürlich steh’n die Chancen auf einen Haupttreffer (den beichtenden Mörder oder Kinderschänder) in diesem Kaff schlecht, aber man soll die Hoffnung nicht sinken lassen. Geduld bringt Rosen, wie es so schön heißt. Ich habe wie jeden Nachmittag meine Runde gedreht. Das Döschen Feuerzeugbenzin ist so gut wie leer. Es hat gerade ausgereicht, einen der Müllcontainer an der Baustelle in Brand zu setzen. Als ich auf dem Nachhauseweg noch ein paar Autos mit meinem schön spitz gefeilten Nagel veredle, wäre ich um ein Haar von ein paar Typen erwischt worden. Ich konnte mich gerade noch verdrücken.

Samstag 13. Februar

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.
Gegen 16 Uhr bin ich in die Kirche rein und hab mich in eine Bank in der Nähe des Beichtstuhls gezwängt und gewartet. Schließlich war es soweit: ein altes Mütterchen betrat das heilige Gelaß. Ein schwacher Brandgeruch umwehte sie, als hätte sie lange an einem Lagerfeuer gesessen. Ich tippte die Nummer der Wanze in mein Handy. Um mithören zu können, hätte ich nur das Handy ans Ohr halten müssen. Aber das wär aufgefallen, und so hab ich mir den Spaß für heut abend aufgehoben. Die Alte kam bereits nach wenigen Minuten wieder raus. Dann verging eine halbe Stunde, bis ein alter Knacker um die siebzig ihren Platz einnahm. Ich mache mir wenig Hoffnungen, daß diese alten Leutchen ein paar knackige Sünden zu berichten haben, aber man kann nie wissen. Gegen halb sechs war die Zeit um. Der Pastor kam raus und verschwand in einem Raum links vom Altar.

„Im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“ Die Stimme der alten Frau kommt klar und deutlich aus dem Lautsprecher. Ich nippe an meinem Kaffee und bin sehr zufrieden mit der Tonqualität. Der Pfaffe antwortet.
„Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke die wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit.“ Seine Stimme ist kraftlos und klingt ausgeleiert.
„Ich bereue, daß ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Erbarme dich meiner, oh Herr.“ Und das wars auch schon. Nichts weiter.
„Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Danket dem Herrn, denn er ist gütig.“ Er leiert das Zeug runter wie ein Fremdenführer, der seit fünfzig Jahren Touristen mit dem gleichen Text darüber aufklärt, daß diese Stadtmauer so und so lang ist, oder jener Turm von Heinrich dem Brandstifter im Jahre sowieso erbaut worden ist.
„Sein Erbarmen währt ewig“, antwortet Muttchen.
„Der Herr hat dir die Sünden vergeben. Geh hin in Frieden.“ Als Buße gibt er ihr auf, einige Gebete zu sprechen. Das wars. Aber natürlich habe ich nicht wirklich was Interessantes erwartet. Nicht von einer alten Tante um die Siebzig. Der Opa, der nach ihr dran war, hat auch nicht viel zu vermelden. Unzüchtige Gedanken. Schon klar. Scheinen ihn aber zu quälen. Natürlich will der Pope nichts Genaues wissen. Wär auch zu schön gewesen. Vater, ich hab schon Schwielen an den Händen vom vielen wichsen. Dann crem dich mit Nivea ein und bete drei Rosenkränze, mein Sohn.

Wenn das so weitergeht, dann gut Nacht. Ich meine, so kurz nach dem Karneval müßte eigentlich mehr drin sein. Vielleicht sollte ich selbst mal in den Kasten steigen. Wär interessant, zu sehen, wie der Pfaffe reagiert. Vater, ich füttere die lieben Singvögel mit vergiftetem Futter. Ich zerkratze für mein Leben gern Autos mit einem Nagel vom Kreuz Christi. Ich stecke Müllcontainer in Brand, weil ich die Sirenen so gern höre. Und unzüchtige Gedanken hab ich jede Menge. Ich hab zwar keine Schwielen an den Fingern, aber was nicht ist… Vielleicht würde der Kerl aus seiner Lethargie aufwachen. Käme ein bißchen aus dem Takt. Wer weiß, womöglich mach ichs irgendwann. Was soll schon passieren. Er kanns keinem erzählen.

Donnerstag 18. Februar
Da es sonst keiner tut, klopf ich mir mal selber auf die Schulter. Was für ein Gewimmel! Die Angestellten haben sich zusammen mit den Kunden auf dem Parkplatz die Ärsche abgefroren. Kleiner Anruf, große Wirkung. Vorsichtshalber hatte ich eine der Telefonzellen am Bahnhof benutzt, also weit weg vom Supermarkt.
Würden sie freundlicherweise ihren Laden räumen. In genau fünfzehn Minuten wird ein Sprengkörper detonieren.

Mehr war nicht nötig. Fünf Minuten später stand ich zwischen den Frierenden. Gemeinsam haben wir auf die Polizei gewartet. Die ließ sich erstaunlich lange Zeit, gute zehn Minuten waren‘s bestimmt. Ich konnte nur staunen über das Riesentamtam, das die Bullen veranstaltet haben. Die Sprengstoffexperten in ihren gepanzerten Anzügen, die Hunde…alles war so, wie man’s aus dem Fernsehen kennt. Der Parkplatz wimmelte nur so von Schergen, die den Leuten nahegelegt haben, das Gelände zu räumen. Wäre in diesem Moment ein Außerirdischer gelandet, hätte er bestimmt gedacht, daß jeder zweite Mensch hier an Ohrenschmerzen leidet. Alle hielten sich ihr Handy ans Ohr. Schatzi, du ahnst nicht, was hier gerade abgeht!… Ich bin hier gerade am Supermarkt… Die Bullen sind da, volles Programm!... Papa, du glaubst es nicht

Ich denke, ich hab den Leuten einen Gefallen getan. Die meisten haben gegrinst und sich köstlich amüsiert. Passiert schließlich nicht alle Tage. Viele werden sich noch Jahre später an diesen Tag erinnern. Als ein Übertragungswagen vom Regionalfernsehen eintraf, hab ich mich aus dem Staub gemacht. Den Rest habe ich mir abends in der Glotze angesehn. Sie haben Angestellte und Kunden interviewt.

Samstag 20. Februar
Wieder nichts. Heute waren es ganze vier Personen. Drei Mumien und ein fetter Knabe, der seinem alten Herrn Geld aus dem Portemonnaie geklaut hat, um sich einen Schreckschußrevolver zu kaufen. Immerhin. Die drei Alten dagegen hatten nur das übliche Wischiwaschi zu bieten. Gesündigt in Gedanken… Was soll ich mir dafür kaufen? Leute! Merkt euch das bitte: erst sündigen – dann beichten!
Ich fang an zu glauben, daß die Sache mit der Wanze eine Schnapsidee war. Ich hör mir das Zeug jetzt noch einen Monat lang an, dann montier ich das Ding wieder ab. Sicher ist sicher. Am Morgen, kurz nach dem Zähneputzen, hat es wieder (aber dieses Mal nur für kurze Zeit) verbrannt gerochen. Es ist mir egal. Was solls. Die Frage ist: wie kann ich dieses selbstzufriedene Kaff wachrütteln? Ich habe mir überlegt, die toten Spatzen und Meisen in kleine Kartons zu packen und per Post zu verschicken. Immerhin würde ihnen dann schwanen, daß in ihrer Mitte jemand lebt, der sich Sorgen um sie macht. Aber womöglich reicht das nicht. Womöglich muß ich ein Haus anzünden oder etwas ähnliches. So was will gut überlegt sein.

 

Hallo Rob F,
Zunächst mal danke ich dir für deinen Kommentar.

Inhaltlich wirkt deine Geschichte auf mich wie eine langgezogene Einleitung, an deren Ende überhaupt nichts passiert ist.
für den erzählenden Protagonist entwickle ich keine Sympathie
Du hättest dir also mehr Action gewünscht und für den Erzähler gern mehr Symphatie
empfinden können.
Meine Absicht war, die Psychografie eines Menschen anzudeuten, dessen Seelenzustand
chaotisch bis völlig gestört ist.
Actionanteile einzubauen und sogar Symphatie für den Prot zu wecken, schien mir schwierig bis überflüssig. Ob es mir gelungen ist, halbwegs glaubwürdig diese kranke Gedankenwelt abzubilden, kann ich nicht beurteilen.
Und ein bißchen was passiert ja schon:
Ich konnte nur staunen über das Riesentamtam, das die Bullen veranstaltet haben. Die Sprengstoffexperten in ihren gepanzerten Anzügen, die Hunde…
ein altes Mütterchen betrat das heilige Gelaß. Ein schwacher Brandgeruch umwehte sie, als hätte sie lange an einem Lagerfeuer gesessen
Es hat gerade ausgereicht, einen der Müllcontainer an der Baustelle in Brand zu setzen. Als ich auf dem Nachhauseweg noch ein paar Autos mit meinem schön spitz gefeilten Nagel veredle...

finde ich den Text leider eher blutleer. Was schade ist, da ich ihn aus der Ich-Perspektive grundsätzlich gut formuliert finde.
Immerhin kannst du dem text formell ein bißchen was abgewinnen.

liebe Grüße, Harry

 

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