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1972
Der Wind blies kalt. Die Schaumkronen der kleinen Wellen verschwanden im Sand. Ein Schritt nach dem anderen. Barfuß, hinterließ er seine Spuren. Eine Welle kam und verschluckte die Spuren wieder. Lange, lange Zeit lief der Mann schon am Strand entlang. Wie ein kleiner Junge. Verträumt, als lebe er in einer anderen Welt, spielte er mit dem Wellengang. Er träumte von den alten Zeiten. Damals, als alles noch so unkompliziert gewesen war. Als er noch Kind hatte sein können.As man noch keine Sorgen hatte und mit der kindlichen Naivität überall eine neue Welt entdecken konnte. Es war so schön in dieser Welt des Kindseins. Frei wie ein Vogel und doch mit beiden Füßen auf dem Boden. Er erinnerte sich. Pirat wollte er werden. Die Meere besegeln und Herr über ein großes Schiff sein. Nun hatte er ein Schiff. Kein so großes, wie er sich damals vorgestellt hatte, doch immerhin ein schönes Segelboot. Es trug den Namen Isabelle. Das war der Name seiner Exfrau. „Frau an Bord, Vermögen fort“. So in etwa war das. Er dachte mitte 30 endlich seine große Liebe gefunden zu haben. Doch kaum 3 Jahre verheiratet und schon hatte sie ihm das Geld aus der Tasche gezogen und sich scheiden lassen. Jetzt sehnte er sich nach der Liebe, die er von seiner Exfrau nie bekommen hatte, wie er mit einem Mal merkte. Er wünschte sich eine Piratenbraut, die mit ihm um die Welt segelte. Eine Frau, die ihn wie die Wellen sanft in ihrem Schoß wiegte und keine stachelige Koralle an der man sich nur verletzte. Da lief er nun den Strand entlang und sehnte sich nach seiner Kindheit zurück, als Frauen noch kein Thema waren. Doch plötzlich stolperte er und fiel ins Wasser. Pitschnass lag er nun da. Seine Kleidung war ganz durchnässt und trotzdem musste er irgendwie lachen. Er musste einfach lachen, weil er alles so lächerlich fand. Und dann, mit einem Mal wurde er traurig. Traurig darüber, dass der ganze Mist, der ihm im Kopf rumsauste, ihn zu Fall gebracht hatte. Doch es waren nicht seine Gedanken, die schuld daran waren. Der Mann stutze, er ahnte was er dort im Sand zu erkennen glaubte. Er grub und hielt dann eine große Flasche in der Hand. Ein Bordeaux Jahrgang 1972. Es wäre zu schön gewesen wenn er einen solchen Wein hätte trinken können, doch in der Flasche war kein Wein. Der Mann beschloss die Flasche mitzunehmen. Er ging zurück zu seinem Boot, denn das Haus hatte ihm seine Exfrau genommen. Wieder trocken und in eine warme Decke gewickelt, saß er nun in der Kajüte am Tisch und starrte auf die Flasche. Eine ganze Weile saß er da und betrachtete die Flasche. Was da wohl drin war? Die kindische Neugier, die ihn übermannte brachte ihn endlich dazu, die Flasche zu öffnen. „Plopp“ machte es und die Flasche war offen und gab ihren Inhalt preis. Es war ein Brief. Er faltete ihn auseinander. Und der Mann fing an zu lesen.
„Ist es Einsamkeit, die ich hier ausdrücken will? Sehnsucht nach ein bisschen Liebe? Doch wie kann ich diese Liebe finden? Die wahre Liebe meine ich! Nicht wieder diese vorschnellen Entscheidungen, die mein Leben auf den Kopf stellen, mein Herz erkalten lassen und die letztendlich wieder in der Einsamkeit enden. Welch Träumerei, sich zu wünschen, dass der Prinz bald angeritten kommt, um mich aus der Festung der Einsamkeit zu befreien.
Es ist Liebe, die mir fehlt.
Und doch kann ich nicht behaupten, sie fehle mir. Ich werde geliebt, doch auf eine andere Weise. Was ich will ist wieder jemand anderen lieben zu können. Mit all dem, was ich bin und tue. Einem Mann wieder vertrauen zu können. In seinen Augen geliebt und respektiert zu werden. Ein Mensch, der zu mir hält und mir Geborgenheit gibt. Bei dem ich mich sicher fühle. Jemand dem ich meinen Respekt und meine Liebe entgegenbringen kann, ohne auch überlegen zu müssen, was ich genau tue. Denn egal, was ich tue - er liebt mich.
Diese Gedanken sind so schön und doch so traurig. Denn wer will schon eine Frau Jahrgang 1972. Nun ja, es ist ein Traum, doch ich hoffe so sehr, dass er eines Tages in Erfüllung geht. Ich will mit jemandem zusammen kommen, der meine Poesie versteht, mich liebt für jedes geschriebene, gesagte, gedachte Wort…
Doch was red ich da. Ist doch alles nur sentimentaler Scheiß, der mich hier gerade zum weinen bringt. Wer auch immer du bist. Du, der diese Flasche gefunden hat. Tu mir einen Gefallen und steck den Brief wieder in die Flasche, fülle sie mit Sand und versenk sie auf dem Grund des Meeres. Die Flasche, das bin ich. Außen bin ich genauso kalt und zerbrechlich un in meinem Herzen herrscht die gleiche Leere. Mein Exmann hat den ganzen Wein allein ausgesoffen und die Flasche hat an Wert verloren. Alles dahin. Ich wünschte, wieder ein kleines Mädchen zu sein und mit meinen Brüdern Entdecker und Abenteurer zu spielen. Damals hatte ich noch keine Ahnung vom Leben. Das war noch schön, als mich die Männer noch nicht interessierten und ich fröhlich und sorgenfrei in den Tag hinein leben konnte. Vielleicht geht’s dir da genauso.
Ich jedenfalls hab es satt. Ich hab nichts mehr für das es sich lohnen würde zu leben. Am liebsten würde ich mich ins Meer stürzen, damit meine Seele Teil der Wellen wird. Ein Teil des Ozeans und seiner Schönheit. Dessen Wogen mit dieser Flasche und seinem Inhalt spielen. Vielleicht mach ich das tatsächlich und wenn ja, dann sei nicht traurig um mich. Denn ich bin Teil der Wellen und berühre deine Füße wenn du am Strand entlang wanderst.
Ich kenn dich zwar nicht, doch ich sage dir geh einen anderen Weg, als den meinen. Denn der Weg den ich gehe, ist einzig und allein für mein einsames Herz bestimmt.“
Dass die Liebe mit dir sei,
Josephine
Eine Träne fiel auf den Brief und der Mann faltete ihn wieder zusammen und tat ihn zurück in die Flasche. Dann ging er zurück an den Strand. Immer noch weinend und wie in Trance füllte er die Flasche mit Sand. Doch er warf sie nicht zurück ins Meer. Er stellte sie in seine Kajüte.
Eine Woche darauf setzte er die Segel und stach in See. Wohin ihn sein Weg führte, wusste er selbst noch nicht. Seine Jacht trug nun nicht mehr den Namen Isabelle. Am Bug des Bootes, da wo sich die Wellen brachen und die Gischt den Rumpf liebkoste, dort stand in verschnörkelten Zügen die Inschrift „Josephine 1972“.
(c) beeljata